crsieben hat geschrieben:Ich sehe allerdings für eine derartige Debatte so gar keinen fruchtbaren Boden. Jede noch so kleine Lockerung der Regelungen würde doch von der sportinteressierten Öffentlichkeit als neues Schlupfloch gewertet, und das wäre ja auch vielleicht gar keine so falsche Sichtweise. Und will das wirklich irgendjemand: Schlupflöcher für Doping, noch zusätzlich zu denen, von denen eh auszugehen ist? Ich gehe außerdem immer noch davon aus, dass die Strenge der Kontrollen eher Notwendigkeit ist als Schikane.
Ich sehe das etwas anders. Die Außenwirkung solcher Kontrollen, je strenger, desto sauberer wirkt der Sport, ist sicherlich wichtig. Ähnlich ist es beim Sicherheitsempfinden der Bevölkerung. Je besser die Überwachung des öffentlichen Raums, desto sicherer fühlen sich die Menschen. Deshalb sind viele ja auch für Kameras überall und möglichst gut abgedeckte Überwachung der gängigen Kommunikationswege. Die Sicherheit gilt dann als Supergrundrecht. Weil der eigenen Bevölkerung nicht mehr getraut wird. Ich finde diese Argumentation komisch und übertragen auf den Sport müsste ich es also ebenso komisch finden. Aber Sportler haben mittlerweile einen derart schlechten Ruf, dass jede noch so eingriffsintensive Kontrollmaßnahme zugunsten eines sauberen Images (und damit suggerierter geringerer Betrugswahrscheinlichkeit) abgenickt wird. Der Fokus ist nur noch darauf und nicht auf den einzelnen Sportler gerichtet. Diese Schieflage finde ich problematisch, weil individuelle Rechte nichts mehr gelten und man für seinen Traumberuf staatlich garantierte Grundrechte von vorn herein abgeben muss.
Als Sportler hält man sich schadlos, indem man einfach zu allem Ja und Amen sagt. Diejenigen, die die Methoden anprangern, sind schnell verdächtig, das nur zu tun, um selbst mal wieder zur Spritze greifen zu können. Ich bin da ja selbst schnell dabei, aber eigentlich widerspricht das meinem Gerechtigkeitsempfinden.
crsieben hat geschrieben:Für mich ist das auch eine Mentalitätsfrage. So sehr ich es mag, wenn Menschen einen eigenen Standpunkt haben und diesen auch vertreten, so wenig mag ich es, wenn nach erfolgen Handschlag noch weitergehandelt wird. Irgendwann hat es einen Handschlag gegeben zwischen Athleten und Antidopingagentur. "Ihr müsst ein Stück von eurer Intimsphäre opfern, dafür sorgen wir dafür, dass euer Sport als wenigstens leidlich sauber wahrgenommen wird (, was sich wiederum sehr positiv auf eure Sponsorensituation auswirkt). "
Die Wahrung der eigenen Interessen, und sei es nach Einwilligung, sich gewissen Strukturen unterzuordnen, muss aber stets möglich sein. Öffentlich über die Praktiken zu jammern ist ja sogar noch absolut harmlos. Wenn jetzt ein Gabius den Rechtsweg beschreiten würde, würde er sich wahrscheinlich ins öffentliche Abseits schießen, obwohl man ihm oder anderen Athleten diesen Weg zugestehen müsste, ohne sich darüber auch nur irgendein Urteil bilden zu dürfen. Es geht hier um ein Machtgefälle, das meiner Meinung nach viel zu groß ist: Die Agenturen dürfen alles, weil alle Sportler potenzielle Betrüger sind. Die Athleten müssen alles mitmachen, weil sie sich ansonsten verdächtig machen. Da stimmt doch was nicht.
"Ein Stück Intimsphäre"erscheint mir hier auch untertrieben. Wenn die NADA immer weiß, wo sich die Athleten in den nächsten 12 Wochen aufhalten werden, jeden Tag Zugriff auf sie haben und zu fast jeder Tageszeit unangekündigt Kontrollen machen können und bei intimsten Angelegenheiten auch noch ganz genau hinschauen, dann fallen mir kaum mehr Dinge ein, die noch zur Intimsphäre der Athleten gehören und von denen die NADA nicht Bescheid weiß. Abgesehen von der vermuteten Notwendigkeit solch drastischer Kontrollen, die ja so drastisch sind, weil viele Sportler angeblich jedes Schlupfloch nutzen, um sich einen Vorteil zu verschaffen, muss man aber trotzdem im Einzelfall die Frage stellen, ob das legitim, gerechtfertigt und verhältnismäßig ist.
Der Generalverdacht, der hier offenkundig ist, gilt als Rechtfertigungsgrund für jede noch so strenge Maßnahme. Hinzu kommt, dass es doch einige Hinweise gibt, dass egal wie streng die Kontrollen sind, es am Ende doch unmöglich ist, dopende Sportler zu erwischen (was die Legitimität, also die Zweckerreichung, infrage stellt). Zumindest solche, die medizinisch und finanziell gut aufgestellt sind.
Im Grunde sind das ja alles verfassungsrechtliche Fragen und die privaten Institutionen können hier mittels ihres Regelwerks auch massiv in die Berufsfreiheit der Athleten eingreifen, indem sie sie sperren - nicht nur, weil sie gedopt haben - sondern weil sie sich evtl. nicht an deren Kontrollregularien halten. Es müsste gerichtlich geklärt werden, inwiefern der Staat dazu aufgerufen ist, solche Eingriffe einzudämmen. Sauberer Sport schön und gut, aber mir kommen diese Maßnahmen dem einzelnen Sportler gegenüber schon komisch vor.
crsieben hat geschrieben:natürlich muss geschaut werden, wo der Urin herkommt. Unschön: ja. Zu ändern: nein.
Also das wird ja wohl gemacht, weil einige Sportler mit Fremdurin die Kontrolle umgangen haben. Mike Tyson und der Gummipenis etwa, oder Radsportler mit nem Beutel, den sie mit ins Klo genommen haben. Man könnte den Athleten vor der Urinabgabe kontrollieren, ob er irgendwelche komischen Gerätschaften bei sich trägt usw. Und dann lässt man ihn pinkeln. Ich weiß nicht, warum man sich ganz nah ransetzen muss, um den Vorgang genau zu inspizieren. Die genaue Kontrolle vorher wäre mir da jedenfalls lieber und im Zweifel weniger eingriffsintensiv. Aber vielleicht hab ich irgendwas dabei nicht bedacht.