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25. Ratzeburger Adventslauf 2015

25. Ratzeburger Adventslauf 2015

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Immer am ersten Advent eines jeden Jahres schüttelt die ansonsten gerne etwas biedere und spießige Inselstadt Ratzeburg ihren Staub aus den Klamotten und lädt zum Adventslauf - wahlweise auf der kleinen Runde um den Küchensee (7,3km) oder auf der großen Tour rund um den Ratzeburger See, was immerhin gut 26km auf den Tacho bringt.
Obwohl ich fast 10 Jahre in dieser beschaulichen Kleinstadt gelebt hatte, ehe es mich in ein noch kleineres Nest eine halbe Stunde entfernt verschlagen hat, konnte ich mich mit der großen Runde nie so recht anfreunden.
Netterweise löhnt unser Verein aber freigiebig das Startgeld, genug Laufkollegen sind auch mit dabei...ah, what the heck! Nach 10 Teilnahmen um den Küchensee sind diesmal halt die 26km fällig!
Ein feiner Gedanke, der sich bis vor einigen Wochen sowohl entschlossen als auch vernünftig anhörte.
Dummerweise folgte unmittelbar danach der HM in Amsterdam, der mir eine niederträchtige Zerrung einbrachte, so dass ich in der Folge wie Käpt'n Ahab herumhumpelte.
Diverse Tuben Traumeel und Dolobene, ein bunter Strauß schmerzhafter Spritzen, Magnetfeldbestrahlung, Hühnerblutumschläge bei Vollmond unter der Donarseiche, Lautstarkes Verwünschen des Knöchels - keine noch so ausgefeilte Methode konnte helfen; an lange Läufe war nicht zu denken, die Umfänge blieben bei ca. 30 - 35 km stecken. Zu wenig für den Lauf.
In der letzten Woche vor dem Startschuss versuchte ich mich schließlich an einer knapp 22km langen Runde durch die Felder. Der Fuß pumpte ordentlich, hielt aber wenigstens. Zumindest absagen brauchte ich wohl nicht, immerhin.

Ohne jede Illusion quälte ich mich am Sonntag aus dem Bett und trödelte wie gewöhnlich zu lange herum, so dass wir zur zähnefletschenden Freude meiner besseren Hälfte mal wieder kurz vor knapp ins Auto stiegen.
Ihre Hochstimmung wurde nochmals gesteigert, als ich auf halber Strecke merkte, dass ich meine Startnummer vergessen hatte und wir umkehren mussten.
Parkplätze gab es dann natürlich keine mehr, so dass wir weit entfernt von der Startlinie auf einer zugigen Anhöhe unterhalb der
Kirche im Stadtteil St. Georgsberg parken mussten, was uns eine gute Gelegenheit zum Warmlaufen bot. Warum bloß war sie so knurrig? Frauen...
Ähem.
Mit einer mehr als großzügigen Marge von immerhin 4 Minuten bis zum Startschuss kamen wir auf dem Ratzeburger Marktplatz an, von wo aus es gleichzeitig auf beide Strecken gehen sollte.
Ich nutzte die üppige Zeit und checkte noch einmal die Gegebenheiten: Die Sparkassenuhr zeigte 2 Grad an. Minus. Sollte ich mit der Hosenwahl (3/4) allzu kühn entschieden haben? Um mich herum nur die üblichen langen Hosen in Trauerfarbe. Hm.
Der Wind ließ sich nicht lumpen und ergänzte die Tiefkühlempfindung durch emsiges Herumpfeifen um die Masse der Läufer. Schätzungsweise gut 2000 hatten den Weg hierher gefunden und zappelten behandschuht und bemützt dem Knall entgegen.

Eigentlich konnte ich doch gelassen bleiben, nech? Für eine Zeit unter 2 Stunden würde es heute nicht reichen, ich konnte froh sein, wenn der vermaledeite Fuß überhaupt halten sollte.
Und obwohl wir alle den unbequemsten Schuhchip seit der Sträflingskugel der Daltons aus "Lucky Luke" tragen mussten (Kreditkartenformat, flexibel wie eine Käsereibe), war doch dadurch zumindest Brutto- und Nettozeit gewährleistet, so dass es egal war, dass ich mich diesmal ganz hinten in der Aufstellung befand.
Okay, das Frühstück hätte wohl besser aus mehr als der einen Scheibe angebrannten Toasts bestehen sollen. Aber wozu hatte ich mein gutes, erprobtes Sportgel dabei? Ha!
Selbstgefällig patschte ich mir auf meine Gesäßtasche, die sich durch komplette Unausgefülltheit auszeichnete und durch eine völlige Abwesenheit jeglicher Geltuben.
Aha, so ein Lauf sollte das also werden!
Das kollektive und lautstarke Herunterzählen des Countdowns riss mich aus meinen Gedanken, mit einem scheibenzitterndem Rumms wurden wir auf die Reise geschickt.
Zeit für das eine oder andere Scherzwort mit dem Nachbarn, denn ehe wir Leutchen aus den hinteren Reihen über die Startlinie tippeln konnten, vergingen ein bis zwei Minuten. Was soll's? Gibt ja die Startmatten, die...öh...Moment! Blanker Asphalt?! KEINE Matte?
Seufz! Soviel also zur Nettozeit.
Ich trabte los.
Vom Marktplatz aus geht es ein kleines Stückchen bergab, so dass ich einen schönen Blick auf die Masse an Läufern vor mir hatte, die sich über den Königsdamm wälzte.
Entgegen meines ursprünglichen Entschlusses, die Sache nur gaaanz langsam und sachte angehen zu lassen, begann ich einen Slalom um die Teilnehmer vor mir und entdeckte auf der Hälfte des Dammes die ersten LSCler. Ein kurzer Gruß, gegenseitige gute Wünsche und schon bogen wir in die schmale Straße nach links ein, die uns am Domsee entlangführte, ehe sie zu einem welligen Auf und Ab eines Waldwegs mutierte.
An Überholen war nicht mehr wirklich zu denken, vielmehr war jeder bestrebt, einen Sturz zu vermeiden, den tückische Wurzeln und unebenes Terrain geradezu herauf beschworen. Und tatsächlich: Kurz vor dem kleinen Örtchen Bäk erwischte es meinen Vordermann, der strauchelte und unter gewaltigem Getöse zu Boden ging. Er schaffte es aber sich judorollenartig abzufangen und verneinte meine Frage, ob er Hilfe benötigte.
Also weiter!
Von meinen früheren Trainingsläufen und aus den Geschichten weiser, erfahrener Laufveteranen am Lagerfeuer wusste ich, dass die ersten 6 Kilometer nicht ohne waren: Fiese, kleine, aber heftige Steigungen, die einen aus dem Rhythmus bringen konnten, dazu der Übermut einiger "Zu-schnell-Starter", die einen leicht mitreißen konnten (war ich diesmal selbst einer?)...wer hier zu viele Körner lässt, wird es später auf der anderen Seeseite bitter bereuen, wenn die Anhöhen von Einhaus auf einen lauerten.
Zunächst aber lief es gar nicht schlecht; ich passierte Thorsten, unseren "Chef", der mir unnachahmlich charmant eine Wiederüberholung in einigen Kilometern ankündigte, flankiert von ein paar amüsanten Mittsechzigern, die mir jahrelang gereifte Sprüche hinterher sandten ("Wo will der denn so schnell hin? - Der will wohl rechtzeitig zum Kaffee daheim sein!" etc.) Gleich nachher nochmal auf die Teilnehmerliste schauen, wusste gar nicht, dass Fips Asmussen mit von der Partie ist.
In Kalkhütte galt es noch einmal, eine unmenschliche Ministeigung ohne Gesichtsverlust zu überwinden, ehe wir den ersten Versorgungspunkt erreichten.
Kurzer Check:
"Alles in Ordnung, Fuß?"
"Bin noch dran!"

Prächtig.
Mehr war nicht zu erwarten. Ich schlug Müsliriegel und Wasser aus und tauchte wieder in die vernebelten Herbstfarben des Waldes vor mir.
Nach zwei weiteren Kilometern verwandelte sich der Waldboden wieder in Asphalt und der Weg führte auf freies Feld. Sofort jagte der Wind, der nur auf diese Gelegenheit gewartet hatte, durch die angestrengten Glieder.
Jeder war bestrebt, sich an einen Vor- oder Nebenmann anzusaugen, der einen etwas von der Härte des Windes abzuschirmen vermochte - sobald das allerdings alle gleichzeitig versuchen, funktioniert das System nicht mehr so richtig, also zogen wir die Schultern hoch und liefen grummelnd weiter.
Vor mir lief eine weitere Person im charakteristischen Blau des LSC, alpengletscherschnell arbeitete ich mich bis zum Örtchen Utecht heran, ehe ich enttäuscht feststellen musste, dass die Farbe wohl kein Alleinstellungsmerkmal unseres Vereins ist.
Wer war der Typ?
Über diese Frage sinnierend passierte ich ihn und den nächsten Trinkstand, wohl wissend, dass mich in Rothenhusen auf der Nordseite des Sees, erquickendes Nass erwarten sollte.
Eine Ortsband schmetterte zackige Rhythmen in die Novemberluft, einige Menschentrauben spornten zu fortgesetzter Höchstleistung an. Das ist schön!
Gerade piepst der Forerunner mir seine 10km-Melodie vor, als wir Utecht auch schon wieder verlassen.
Hm. Noch 12 km bis Einhaus.
EINHAUS!
In den Erzählungen der oben genannten Laufveteranen kam unweigerlich die Nennung des kleinen Dorfes vor, schaudernd und ehrfürchtig mahnend, auf einer Stufe mit "Zugspitze" oder wahlweise "Waterloo".
Am nördlichsten Punkt des Laufs, in Rothenhusen steht überraschend Anke und feuert an, fast gleichzeitig überhole ich zwei weitere LSCler. Harr, verbunden mit dem Energieschub des Verpflegungspunktes, der gleich hinter der nächsten Kurve auf mich wartet, gibt das ordentlich Auftrieb und lässt die pochende Wade vergessen.
(...)
Na schön, es gibt hier keinen Verpflegungspunkt.
Langsam aber sicher muss ich mich der Einsicht stellen, dass meine Planung und Vorbereitung auf diesen Lauf noch etwas Raum für Verbesserung lässt.
Dummerweise merke ich jetzt nach 13 Kilometern, dass etwas zu trinken nicht das Schlechteste wäre. Ich kenne mein Körpergefühl gut genug, um zu wissen, dass ich bald den Moment erreiche, an dem ich dringend nachtanken sollte, wenn ich nicht auf Notstrom laufen will.
Es geht nur noch südwärts, immer dicht am See entlang. Diesige Schwaden, kalter Wind und klamme Kälte machen das Ganze nicht einfacher.
Mittlerweile überhole ich seltener. Die Läufer vor mir laufen ein stetes Tempo, ich komme ihnen näher, aber von denen wird keiner geschwindigkeitsmäßig einbrechen, man hat seine Geschwindigkeit gefunden.
In Groß Sarau kann ich endlich liebevoll gereichtes, angewärmtes Wasser in mich verklappen.
Innerhalb kurzer Zeit geht es mir wieder besser; mein Schnitt stabilisiert sich hier wieder auf 4:40 - 4:45 und erstaunlicherweise geht es mir trotz der fehlenden langen Läufe nicht schlecht.
Die Strecke versucht mich einzulullen.
Ein fast topfebener, annähernd 10 km langer Abschnitt lädt zum Tempoknallen ein, mannhaft widerstehe ich und überhole weiter mit zurückgenommenem Anspruch, darunter auch drei weitere Vereinskollegen.
Außerdem versteift mein Gesicht in der Kälte. Werde ich jemals wieder lachen können, ohne dass mir die Mimik stehen bleibt? Sorgen über Sorgen!
Es wird steiler.
Etwa EINHAUS?
Tatsächlich, es geht wieder etwas weg vom See, in den Wald hinein. einige Steigungen hoch und schließlich in eine Haarnadelkurve, an deren Wendepunkt sich feixend einige Einhäuser Einheimische postiert haben, um mit gut gemeinten Sprüchen zusätzlich zu "motivieren".
Gehen kommt natürlich nicht in Frage, also hoch da! Wirklich ganz schön steil, wenn man bereits 23 km in den Beinen hat. Der erste Absatz!
Kräfte sparen für den nächsten...ach, das war es!?
Mh. Gut, damit wäre auch das geklärt.
Einhaus, also.
Noch ein kurzes Waldstück, dann haben wir die ersten Straßen von Ratzeburg erreicht.
Obwohl mein Fuß jetzt endgültig schmollt und mir das in den folgenden Tagen noch tüchtig nachtragen wird, kann ich die Pace noch etwas auf 4:20 bis 4:30 erhöhen, sammle eine weitere LSClerin kurz vor Ende ein und genieße die Anfeuerungen der zahlreicher werdenden Zuschauer.
Es reicht sogar noch für einen kurzen Schlussspurt, der mich minimal nach vorne spült, denn ich erfahre tatsächlich im Ziel (namentliche Ausrufung jedes Teilnehmers! Sehr bewundernswert!), dass wir diesen Druckstellen erzeugenden Megachip nur mitgeschleppt haben, damit wir im Ziel erfasst werden. Es gibt keine Nettozeit!
Knirsch!
Naja, immerhin kann ich unter den Umständen mit meiner Zeit zufrieden sein; 2:04 Std. sind für 26,2km bei der Vorbereitung, dem Streckenprofil und den Vorzeichen doch ganz gut.
Unser Trainer, die Maschine, hat natürlich wieder gewonnen, wie im Vorjahr.
Aber das war auch zu erwarten, er ist so etwas wie menschliches Quecksilber! ;-)
Jemand nimmt mir die Zeiterfassungsplatte des Marquis de Sade ab, es gibt warme Suppe, Iso, Wasser, Lebkuchen und Fruchtriegel satt, noch dazu das knallgelbe Jubiläumsshirt als Finishergeschenk statt einer Medaille.
Alles ist gut!

Für die nächsten 10 Minuten.
Dann friere ich mir auf dem Weg zum weit weg geparkten Auto die Hände ab und kriege mit den vom Wind steif gefrorenen Fingern kaum die Wagenschlüssel aus der Hose und das Duschzeug aus dem Auto.
Die heiße Dusche nach weiteren 2 km Rückweg bestraft mich für meine Trotteligkeit am heutigen Tag. Aua, aua, aua!

Aber dafür kann ja der Lauf nichts!
Eine weitere Klasse-Veranstaltung mit vielen glücklichen und zufriedenen Teilnehmern, den ich jedem von Nah und Fern nur empfehlen kann!

Daumen nach oben!
:daumen:

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Wow,

was für ein Bericht :daumen:
Super geschrieben und kurzweilig zu lesen war ich jeden km bei Dir - und vorher/hinterher dito :zwinker2:

Auch dies Jahr hatte die die übliche gute Ausrede parat, warum ich NICHT dort laufen konnte/wollte (ge)bin und solange der Adventslauf nicht in wärmere Jahreszeit verlegt wird, bleibt es wohl bei ein/drei incognito Runden p/a um den großen Teich. :nick:

Gruß
Michael

4
skarthe, toller Bericht, hatte die ganze Zeit beim Lesen ein :D im Gesicht.
Warum in eiskaltem Windes Namen hast du dich nicht einfach ins Auto gesetzt um zu Hause zu duschen?
LG
12.05.2007 / 12.05.2012 / 09.04.2013 / 27.05.2017
...an Tagen wie diesen, wünscht man sich Unendlichkeit
An Tagen wie diesen, haben wir noch ewig Zeit
In dieser Nacht der Nächte, die uns soviel verspricht
Erleben wir das Beste, kein Ende ist in Sicht
(Toten Hosen)
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BIG 25 Berlin 2015 HM 2:14:xx

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Danke für den tollen Bericht!
Ich war auch gemeldet, konnte aber verletzungsbedingt micht antreten, bin schon 16mal dort gelaufen, kenne also die von dir beschriebenen Laufabschnitte. Möchte auch das Jubiläumsshirt haben, schenkst du es mir? ;-)

Glückwunsch zur erreichten Zeit, ist echt gut bei dem Profil!

Traveläufer

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Toller Bericht!
Als ich noch in S-H gewohnt habe, war dieser Lauf (allerdings nur der Lauf um den Küchensee) immer fest eingeplant im Kalender. Ich mag die Veranstaltung, die Verpflegung hinterher ist schon ziemlich gut und insgesamt ein sehr gut organisierter Lauf.
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