So könnte man diese Statistik wohl gut in Worte fassen.
Die 100 km sind im Kasten. Es war der härteste Wettbewerb, den ich bisher absolviert habe.
Aber von vorne, um 7 Uhr ging es los, es dämmerte, der Nebel lag noch malerisch über den Feldern und die Temperaturen so um 10 °C waren perfekt. Eine fünf Kilometer Runde lag vor uns - 20 Mal. Zu diesem Zeitpunkt denkt man da aber nicht dran. Entgegen anderer Ultrawettbewerbe, denen ich sonst so nachgehe, ging es hier ab wie der Feuerwehr. Topspeed 3:40
Ich versuchte mich nicht mitreißen zu lassen und nahm dafür in Kauf alleine laufen zu müssen. Vor mir war eine kleine Gruppe, die sich sukzessive einige Meter pro Runde von mir entfernte, aber ich war sowieso schon relativ optimistisch unterwegs, ich wollte nicht überziehen. Aber es rollte sehr gut, die Sonne wanderte die Himmelsleiter hinauf, wir kreiselten darunter herum. Eigentlich ein ganz schönes Ambiente. Aber die Strecke, na ja, semi meins. Die letzten beiden Kilometer waren durchgängig im Schatten, da war es am Morgen sogar richtig frisch, aber die ersten beiden Kilometer waren irgendwann Sonne pur. Und ihr wisst ja, wenn ich lange Wettkämpfe mache, dann freut sich die Sonne immer so sehr mit mir, dass sie in der ersten Reihe sitzt und nochmal alles gibt. So auch am Samstag.
Es wurde sehr warm, als der Nachmittag kam.
Aber so weit war ich ja noch gar nicht. Ich konnte die Runden sehr gut bewältigen, hatte stets KH-Getränk frisch von der Verpflegungszone dabei und einige Gels, die ich munter zu mir nahm. Perfekt irgendwie. Und so erreichte ich die 50 km Marke in einer super Zeit, für mich, aber natürlich nicht insgesamt. Es ist extrem krass, was da gelaufen wurde. Meinen tiefsten Respekt. Aber an alle Läufer. Hier quält sich irgendwann jeder und wer anderes sagt, der lügt.
Und dann kam der Mann mit dem Hammer. Ziemlich unvermittelt, aber ziemlich heftig. Zwei Runden lang ging nichts mehr. Ich musste kurze Pausen an der Verpflegung einlegen, und auch mal etwas gehen. Jetzt ist das nichts, was ich nicht kennen würde. Diese Phasen kommen bei einem Ultra einfach, das kenne ich. Aber hier war das Gefühl dabei ein anderes. Bei Stundenrennen oder Backyards, das ist die Zeit fast egal, es gibt da kein genaues Ziel, bzw. beim Backyard kann man es sich eine Weile leisten, eine gewisse Strecke zu gehen. Das gehärt mehr oder weniger zum Matchplan dazu. Aber hier geht es nur auf Zeit. Und die flog mir plötzlich um die Ohren. Aber ich konnte einfach nicht mehr. Alles fiel mir schwer, an der Verpflegung spürte ich das, weil ich mal mein Handtuch nicht wechselte, meine stationäre Trinkflasche fast mit auf den Weg nahm und so weiter. Agieren am Limit, unterschwellig, aber merklich.
Aber ich bin zwar noch immer blutiger Anfänger was Ultras angeht, aber ich habe recht schnell gelernt, nach einem Tief kommt auch wieder ein Hoch. Ich war auf der Achterbahn angelangt. Gels konnte ich keine mehr sehen, und die KH-Trinks hatte ich auch über. Also ging ich zum Cola-Plan über. Gut geschüttelt, damit so wenig Kohlensäure wie möglich drin bleibt, machte ich mich die nächsten 40 km nur noch damit auf die Runden. Sonst trink ich nur die Zero, das sogar sehr gerne, aber hier gibts das echte Zeug, und mir hilfts ungemein.
Es kam also wieder ein Schub, das war auch gut so, denn mental ist es nicht so einfach zu händeln, dass man total am Ar*** ist, aber gerade erst an der Startlinie eines Marathons steht. Und so kam mir irgendwie ein guter Zufall vor die Füße. Im wahrsten Sinne des Wortes. Die Führende des Wettkampfs kam an mir vorbei und war, für mich nicht offensichtlich, etwas am strugglen. Ich war nur im Tunnel und dachte: "Hey, die ist ja gar nicht so schnell, da häng ich mich an." Gesagt getan, ich mach das gerne, ich laufe gerne anderen hinterher. Dann muss ich nur auf die Beine achten und kann sonst alles ausblenden. Einfach den Schritt aufnehmen, dran bleiben, die Pace einfach mitgehen, wenn es einigermaßen passt. Und es passte. Ich musste sogar ab und an nach vorne in den Wind. Aber das war plötzlich wieder ein absolutes Hoch, zwar auf niedrigem Niveau, aber immerhin beschäftigte ich mich nicht mehr mit Cutoffzeiten und wie schnell man einen Marathon wandern kann. Und was soll ich sagen, zwei Runden waren fast rum, da musste sie plötzlich komplett rausnehmen und gehen, ich "flog" weiter bis zur Verpflegung, was noch etwa ein Kilometer war und musste auch kurz rausnhemen. Das Zwischenhoch verflog gerade. Aber die Führende kam nicht mehr vorbei, sie musste aussteigen. Wie ich allerdings erst viel später erfuhr. So schnell kann es gehen, auch nach 85 km ist man noch nicht im Ziel.
Und ich war erst bei 70 km. Und ich rechnete. Das mache ich ja immer gerne unterwegs. Um meinen Geisteszustand zu ermitteln, um Zeit zu überbrücken und auch zu sehen, wann ich denn vielleicht mal ankomme. Mittlerweile war es sehr heiß auf manchen Teilen der Strecke und ich war froh, dass ich wieder meine kleinen Nackenhandtücher dabei hatte, die eisgebadet wurden und halfen. Hatte ich in den ersten Runden nur kleine Trinkflaschen dabei, war ich zur Halbzeit auf große 250 ml umgestiegen und benötigte mindestens eine pro Runde, dazu noch an der Verpflegung tiefe Schlucke und unterwegs auch noch ein Becher Wasser. Es lief einfach rein und verdampfte auf der Haut.
Ich war wieder an einem Tief angelangt und musste nach einer Pause erstmal gehen. Die Beine taten höllisch weh. Überhaupt hatte sich im laufe der Zeit alle Teile, die so ein Bein ausmacht, schmerzhaft gemeldet. Es begann mit der rechten Achillessehne, über die linke Wade hinauf zur linken Hüfte und über den rechten Oberschenkel über Kreuz zum linken Knie in das rechte Sprunggelenk zurück. Doch all das ging auch wieder. Lediglich die Knieschmerzen hörten nicht wirklich auf, waren ertragbar, aber nicht schön. Beim U-Turn musste ich praktisch komplett stehen bleiben, weil die Kurve so eng war, dass ich Angst hatte, dass ich einfach von der Fliehkraft umfalle, sollte ich mich schneller bewegen. Ich war wirklich langsam am Limit.
Aber so war ich gerade total am strugglen und marschierte die "Sonnenallee" hinauf, als ein ganz langsam laufender Mitleidender an mit vorbeikam. Er fragte mich ob alles okay sei und ich antwortete, dass alles gut ist, nur die Beine partout nicht mehr lauen wollen. Da meite er, dass es ihm genauso ginge, man solle einfach weiterlaufen. So zog er an mir vorbei, mit etwa 7er Pace, was flott ist, wenn man selbst nur 10:30 geht. Echtes Schneckenrennen. Aber das pushte mich, und ich nahm seine Fährte auf, zunächst hinter ihm her, dann an ihm vorbei. Es waren keine 30 Kilometer mehr, nochmal mehr ein Longerun. Und ich überlegte mir, wie lange ich wohl noch unterwegs wäre, bei einer 7er Pace. An mein erstes Ergebnis kann ich mich gar nicht erinnern, aber es war völlig daneben. Das wurde mir auch sehr schnell klar, denn es brachte mich fast ans Zeitlimit und das konnte nicht sein. Also nochmal gerechnet. 7er Pace, also sieben Kilometer pro Stunden
Also immer noch mehr als vier Stunden. Verrückt. Bin ich mir sicher? IRgendwie nicht. Aber wie berechnet man bitte die Pace zurück in km/h? Ich hatte keine Ahnung. Aber ich wusste plötzlich dass ich tatsächlich wieder falsch lag, Pace ist eben nicht gleich km/h. Einfache Dinge können so schwer werden, man kann es sich nicht vorstellen. Und man kann es auch nicht mehr nachvollziehen im Nachhinein, es ist unwirklich.
Aber ich war in er Wirklichkeit unterwegs und nach einigen Kilometern, den netten aufmunternden Mitläufer hatte ich wieder weit distanziert, kam ich auf 8,25 km, das war zwar immer noch falsch, aber immerhin genau genug um zu realisieren, dass es gar nicht mehr so weit ist. Des Weiteren überholte mich noch eine nette Motivatorin und spendete mir einige aufmunderte Worte. Und allen, die noch auf der Strecke waren, sah man die Anstrengung an. Geteiltes Leid ist halbes Leid. Das brachte Auftrieb. Ich hatte meine Pace irgendwo bei 6:30 bis 7:00 im Griff, schwankend zwar aber über alles irgendwo in einem Bereich mit dem ich sehr gut leben konnte.
Dann ging es auf den letzten Halbmarathon zu. Mein Traumziel hatte ich trotz aller Schwächen nie aus dem Auge gelassen. Ich war zwar oft ganz weit weg gewesen, aber die zehn Stunden hatte ich schon noch im Kopf, auch wenn mir klar, spätestens bei "letztem" Halbmarathon to go, dass meine Pace nicht ausreichen würde. Ich hatte noch gut 2:05 oder so um diesen zu bewältigen. Normalerweise mach ich das aus der nassen Hose, aber nachdem bereits fast vier Halbmarathons in den Beinen waren, musste ich mir eingestehen, dass es zwar knapp sein würde, aber ich keine Chance habe. Vielleicht mit einem Pacer, aber den hatte ich nicht und ich weiss auch nicht ob der noch was gebracht hätte. Ich war im Survialmodus, nur an den nächsten Kilometer denken, alles andere ausblenden, so gut es geht. Die Zeit vergeht von alleine, man muss sich einfach nur vorwärts bewegen.
Dann war ich bei Kilometer 85 und endlich kam das Ziel am Horizont hervor. 14,5 km ist eine meiner Hausrunden lang, die lauf ich auch mal in der Mittagspause als TDL in etwas mehr als einer Stunde. Heute waren es dann 1:35 Std. Aber immerhin, es ging wieder aufwärts, denn auf meiner Heimstrecke kenne ich jeden Kilometer aus dem Effeff und so baute ich mir meine Heimkulisse in Gedanken auf und lief die letzten Kilometer gedanklich daheim. Das war für mich einfach greifbarer als auf der Schleife. Obwohl ich diese mittlerweile auch sehr gut kannte. Etwa bei Kilometer 98 verstrichen die 10 Stunden, aber dafür hatte ich keine Augen. Ich registriere erst etwas später, dass es sub 10:15 Std. bleiben könnte.
So wurde es offiziell 10:12:49 Stunden.
Ein super Ergebnis, praktisch nur sehr knapp an meinem absoluten Traumziel vorbei. Und das ist der Haken. Denn direkt nach dem Rennen äußerste ich mich dahingehend, dass es Dinge gibt, die man nur einmal machen muss. Es ist wirklich nicht meine Welt, ich mags chilliger, als Backyard oder eben Stundenlauf. Aber natürlich gab es nicht nur eine Stimme, die mir einflüsterte, dass das ganz schön knapp war. Und das ist das Problem, wäre ich irgendwo bei 11 Stunden gelandet, das Thema 100km-Lauf wäre für mich ad Akta gelegt. Aber so? Es beginnt schon zu nagen. Momentan zwar nur sehr zaghaft, da ich nicht wirklich laufen kann, aber es sitzt im Kopf.
Leider, denn diese Tortur will ich gar nicht mehr haben. Du bist manchmal so alleine da draußen, das ist verdammt hart. Aber es gibt auch immer wieder Hightlights, jedes positive Wort, das beim aneinander Vorbeilaufen fällt hilft. Mal verteilt man, mal erhält man, sie. Und das finde ich das eigentlich großartige an der Ultraszene, bei allem sportlichen Ehrgeiz ist es doch immer ein "Zusammenleiden". Man unterstützt sich, man kümmert sich. Man erhält immer ein Lächeln und die Streckenpsoten waren auch hervorragend. Stets aufmunternde Worte oder Klatschen. Bei jedem Läufer, in jeder Runde. Auch sowas saugt man als Läufer auf, egal wie tief man gerade in seinem Tunnel feststeckt.
Ach ja, die Colastrategie werde ich weiter verfolgen. Aber etwas Kohlensäure war dann doch noch in der Brühe und so musste ich zwei Kilometer vor dem Ziel das naheliegende Feld mit viel Colaschaum duschen, die Reste, die nich absorbierbar waren, scheinbar. Und es war wirklich nur Colaschaum.
Es war echt krass. über 50 km hab ich eine neue PB aufgestellt und über 100 km natürlich auch. Letztere habe ich sogar um fast drei Stunden verbessert
Meine Uhr hat durchgehalten, allerdings direkt nach dem beenden der Aktivität nur noch 9% Akku angezeigt. Vielleicht ist das ein Argument für mich doch auf die neue Pace 3 umzusteigen. Denn für den Mauerweglauf wird das nicht reichen
Auf der anderen Seite, jetzt nochmal 60 km weiter? Kann ich mir vorstellen, aber nicht auf Pace gelaufen. Hier und heute war im Ziel wirklich alle Energie investiert, der Akku war komplett leer.
Jetzt 12 Tage Regeneration, dann steht der nächste Kurzstreckenlauf auf dem Progemm, Landau-Marathon.
Aktuell sind meine beiden Knie allerdings nicht wirklich laufbar.
Mehr ging gestern nicht, aber die Streak musste ja weiter gehen. Tag #514. Die Knie sind das Limit. Alles andere ist wieder i.O. soweit.
Mal sehen wie es heute aussieht. Ich werde berichten.