Der 51. Rennsteig-Supermarathon - der größere Teil des Doppeldecker
Verfasst: 30.05.2024, 05:22
73,9Km von Eisenach nach Schmiedefeld - der 51. Rennsteig-Supermarathon
Im vergangenen Jahr war ja die große Jubiläumsveranstaltung beim Rennsteig.
Alles war noch etwas größer als sonst bei der 50. Ausgabe. Heuer ist das wieder
auf ein "Normalmaß" eingestellt. Bedeutet in Zahlen:
Gesamtteilnehmer: 17.253
z.B. TEAG-Halb-MA: 6.733
Intersport-MA : 2.783
Lotto-Thü-SMA: 1.854
Immer noch sehr beeindruckende Zahlen - Der Super-MA ist die größte Ultralauf-
Veranstaltung (zumindest in Europa).
Wie fast jedes Mal habe ich über Schulz-Sportreisen gebucht, bedeutet eigene
Anreise, ansonsten wird sich um Alles Drumherum gekümmert, die Transporte
vom Hotel zum Start, vom Ziel zum Hotel usw.
Kurz nach dem Einchecken im Ringberg-Hotel in Suhl kann ich meine Startunterlagen
im Foyer in Empfang nehmen. Später gibt es im Restaurant ein leckeres Buffet und
anschließend im Nebensaal eine Vorstellung des Rennsteiglaufs für die Gäste des
Reiseveranstalters, hier können Neulinge auch Fragen stellen und sich über den
genaueren Ablauf informieren - als "alter Hase" kenne ich mich da längst aus.
In dieser Zeit habe ich nebenbei ganz bequem mein Auto vorm Hotel aufladen
können, nun informiert mich mein Handy, es ist vollgeladen und ich kann es
von der Ladesäule wegfahren. Ich trinke noch mit Bekannten ein Bier an der
Bar und gehe anschließend auf mein Zimmer um meinen Dropbag-Beutel
nach meinen Ansprüchen zu füllen, gucke noch etwas fern und bis ich ins
Bett gehe ist es schon 23:30Uhr - in knapp drei Stunden muss ich aufstehen...
Es ist immer etwas hektisch zu nachtschlafener Zeit im Ringberg-Hotel wenn sich
die Super-Marathon-Teilnehmer gegen 2:30Uhr im Restaurant einfinden. Es gibt
zu dieser Zeit noch kein reguläres Frühstück, doch für jeden Teilnehmer steht eine
fertig gepackte Frühstückstasche bereit. Kaffee steht bereit und bei Manchen
erkennt man es an der Aufregung: Er/Sie ist zum 1x dabei.
Andere (wie ich) kennen das Prozedere und sehen einfach zu das Sie den Bus der
um 3Uhr vorm Hotel bereitsteht rechtzeitig erreichen, denn dann geht es los in
Richtung Eisenach zum Start. Die Fahrt zieht sich, immer wieder steigen noch
Welche zu... und im Bus wird es leiser - Viele versuchen zumindest etwas zu dösen.
Kurz vor 5Uhr kommen wir dort an, direkt am Marktplatz ist der Startbogen
aufgebaut - nebenan ein Zelt in dem sich viele verkriechen, da es noch etwas
frisch ist. Langsam dämmert es und ich suche mir noch eine Toilette und mache
mich bereit. Den Dropbag gebe ich am zugehörigen LKW ab und streife etwas über
den Marktplatz, mache mich warm und gehe schließlich zum vereinbarten Treffpunkt
um mit meinen Vereinskollegen von LG Ultralauf ein Foto zu machen. Dann in den
Startbereich rein, gleich geht's los - Punkt 6Uhr der Startschuß.
Die ersten 700m geht es noch durch die Stadt, da wird sich sortiert, einige drängeln
wie verrückt... glauben Sie denn das Gelingen der knapp 74Km wird hier auf den
ersten Metern entschieden? Anschließend geht es auf rutschigen Kopfsteinpflaster
heftig nach oben, schon hier bin ich mir sicher das ich mit der Wahl meiner Laufschuhe
richtig liege: leichte Trailschuhe sind bei mir angesagt - ich vermute zwar das es
heute trocken bleibt (nicht zu warm, nicht zu kalt), jedoch haben die Regenfälle der
vergangenen Tage sicherlich einiges auf den Wegen bewirkt, Pfützen, gelegentlicher
Matsch und rutschige Steine - so vermute ich den Untergrund und deshalb habe ich
mich heute gegen leichte Carbon-Laufschuhe entschieden. Die vielgescholtenen
"Walldautobahnen" betragen eben nur einen Bruchteil der Strecke. Die Entscheidung
in kurz/kurz zu laufen entschied sich als richtig, dazu Trinkgurt, einen Laufrucksack
brauche ich am Rennsteig nicht - die VP's sind (mit Ausnahme von Iso) gut bestückt.
Ein erfahrener SM-Rennsteigläufer weiß es - die ersten 24/25Km bis zum Inselsberg
muss man zurückhaltend laufen - es sei denn man ist ganz vorne dabei (und hat
reichlich Kondition und große Ambitionen). Immerhin ist der Start am tiefsten
Punkt der Strecke (215Hm), der höchste Punkt der gr. Beerberg (974Hm) spielt
nicht die ganz große Rolle, wenn man auf ihn zuläuft ist man schon weit oben.
Aber eben bei Km25 ist man auch schon bei 916Hm, die erreicht man von "weit
unten" kommend - das ist die Herausforderung. Laut Statistik betragen die Anstiege
1.874m, die Abstiege "nur" 1.386m, was die Höhendifferenz von 3.260 ergibt
Während ich so die Höhenmeter einsammle, zwischendurch auch mal wieder einige
abgebe versuche ich wenig zur Uhr zu schauen... sollte man sich für irgendeine
"Durchschnitts-Pace" entschlossen zu haben, ist es geradezu frustierend wie anfangs
"die Felle davonschwimmen" - so ist das nun mal mit der Strecke hier. Nicht alle, die
mich immer wieder überholen wissen das - ich werde Sie wahrscheinlich später
nochmals sehen.
Und doch fällt es mir selbst etwas schwer mich zu zügeln... nicht hochzujagen, mein
Verstand und Erfahrung weiß es ist gut so. Die ersten VP's werden erreicht und von
Anfang an bediene ich mich großzügig.
Km23, wir sind noch nicht oben beim Großen Inselsberg, es geht ein kleines Stück
abwärts... da bleibe ich an einem Stein am Laufweg hängen, stürze mit viel Energie
- gerade noch kriege ich die Hände nach vorne.....
Ein kurzer Augenblick: was jetzt? Zwei Mitläufer helfen mir auf die Beine - der erste
Schreck ist schnell vorbei, was ist mit mir?
Schadensbilanz: ich bin total verdreckt, rechtes Knie und Ellbogen blutig geschlagen,
einige Schürfwunden an den Beinen. Meine Uhr ist noch okay, die Start-Nr. einseitig
aus dem Band gerissen, der Chip scheint intakt. Eine Trinkflasche aus dem Gurt habe
ich verloren, wird mir aber gerade gereicht - Danke!
Kann ich so weiterlaufen? Ich mache ein paar Schritte seitlich des Weges, das Knie
macht mir Sorge, ist die Kniescheibe okay.... scheint alles nur oberflächlich zu sein.
Also ein wenig abklopfen und weiterlaufen, beim nächsten VP die Wunden auswaschen,
so mein Plan - ob das durchführbar ist, wird sich zeigen. Also wieder los, die nächste
Steigung wartet. Bei 25,5 km sind wir oben, haben 916 Hm erreicht, der VP lässt auf
sich warten. Recht schnell geht es erst mal runter - kenne ich, da gebe ich immer gut
Gas. Heute ist aber rutschig und ich bin höchst verunsichert, also geht es wesentlich
vorsichtiger runter. Wann kommt endlich dieser nächste VP, der Dreck in den Wunden
brennt... es geht noch weiter runter und bei 26,8Km endlich VP-Grenzwiese.
Ich entdecke ein Sani-Auto, da muss ich hin. Das Blut vom Knie hat schon fast meinen
Fuß erreicht und vom Ellbogen fließt es mir in die Handfläche. 2 Sanis schauen mich
ratlos an: ""So können Sie nicht weiterlaufen" meint der Eine - der Andere gleich: "Wir
organisieren einen Transport ins KKH" - kommt nicht in Frage, ist meine Antwort.
Ich will nur auswaschen und abtupfen, nix verbinden oder sowas... Ein Dritter kommt
hinzu - zumindest ist Er gekleidet wie ein Sani, Er erschrickt als Er mein Blut runterlaufen
sieht... hat Der noch nie Blut gesehen? Ich frage nach sauberen Wasser und Sie lassen
sich eine Flasche vom Getränkestand geben, immerhin haben Sie etwas Textilfetzen mit
denen ich das wegwischen kann - brennt erstmal, aber ich sehe, so schlimm ist das alles
nicht. Ich wische noch ein wenig, säubere die Wunden, bedanke mich und hole mir schnell
noch eine Schorle und Cola zum Trinken... und weg!
Etwas erstaunt bin ich schon ob der Hilflosigkeit und schlechten Versorgung... ist aber
nicht weiter schlimm, ich will ja ins Ziel... das könnte noch klappen, so hoffe ich zumindest,
es sind ja immerhin fast 50Km nach Schmiedefeld.
Ich fühle in mich hinein - schmerzt da etwas so sehr das es mich hindern könnte, geht etwas
kaputt, wenn ich weiterlaufe? Ich glaube NEIN, also bleibe ich dabei. Eines ist mir aber klar,
ich bin vorsichtiger unterwegs - das macht langsamer, so brauche ich nicht mehr auf die Zeit
zu achten, einfach gut finishen. Doch meine Zuversicht und das Vertrauen in meinen Körper
wächst wieder, damit auch ein wenig Ehrgeiz - vielleicht schaffe ich das Ding unter 10Std.
Ich muss über mich selbst schmunzeln, wie schnell sich das vom "Gestürzt-Schreck" zum
"Mal-Sehen-Was-Noch-Geht" entwickelt - die Endorphine feiern fröhliche Urstände and
Fire still Burning!
Tatsächlich macht sich in mir so eine Stimmung breit, schlimmer kann's nimmer werden,
lass mich eine "Aufholjagd" beginnen. An den leichten Steigungen wird immer z.T. marschiert,
hier etwas weiter hinten ist die Versuchung groß dem zu erliegen... doch ich habe noch Kraft,
diese Mini-Steigungen kann ich durchaus laufen - Just Do It!
An den VP's nehme ich den angebotenen Haferschleim dankend an, aus Erfahrung weiß ich,
den verträgt mein Magen gut. Dann kommt bald das 1.Gel zum Einsatz und Iso habe ich
auch noch im Trinkgurt - hier wird kein Iso ausgeschenkt (in dieser Gegend habe ich das
bereits öfter erlebt).
Auf und ab geht es weiter übern Rennsteig und dann erreiche ich endlich den großen VP
Ebertswiese bei 37,5 Km - immer ewas Besonderes, da hier Halbzeit ist. Mit Genugtun nehme
ich zur Kenntnis, bin halt etwas verzögert aber der Kampfwille ist noch da und die Blessuren
werden mich nicht aufhalten können. Das Wetter ist mittlerweile immer freundlicher geworden,
immer wieder blitzt die Sonne raus und das tut mir eher gut, als das ich schwitzen müsste.
Im Hinterkopf habe ich: bei der Marathon-Marke wartet ein größerer Anstieg, der will bewältigt
werden. Gesagt, getan - nun erwarte ich die 50Km Marke. Auch dahin gibt es keine größere
Probleme, der Optimismus wird größer. Am nächsten größeren VP, dem Grenzadler (Km54)
bei Oberhof gibt es eine Zeitnahme mit der Möglichkeit hier auszusteigen... kommt gar nicht
in die Tüte, jetzt läuft es einigermaßen, auch wenn es natürlich erste Ermüdungserscheinungen
gibt. Ich feuere sogar die Zuschauer, die es dort gibt bei meiner Ankunft richtig an - bekomme
ein extra "Ständchen" - das macht Laune für die letzten 20Km, die ja noch heftig werden und
sich ziehen....
Ich bin jetzt knapp 7Std unterwegs für die 54Km, die schlimmsten Anstiege sind wohl hinter
mir und die 10min Verzögerung wegen Sturz sind da schon mit dabei - so spreche ich mir selbst
Mut zu und mache mir einen Plan fürs Finish: letztes Jahr waren es etwas über 9:40, wenn ich
diesmal unter dieser Schwelle bleiben könnte - ein Riesenerfolg... dafür werde ich jetzt nochmals
alles auspacken was in den müden Knochen steckt, ich sammle immer mehr Mitläufer(innen)
ein und das motiviert natürlich zusätzlich. Der nächste große VP Sommerwiese (59Km) wird
abgehakt. Auch der höchste Punkt der Strecke (Gr. Beerberg 974Hm bei KM62) wird einfach
"nur so mitgenommen" - jetzt können doch keine großen Anstiege mehr kommen, beruhige
ich mich selbst. Bei der letzten Zwischenzeitnahme in Schmücke (KM65) rechne ich noch
schnell mal die Restzeit durch... so gut das eben möglich ist, nach dieser Anstrengung. Mein
unsicheres Fazit: alles im grünen Bereich, da könnte noch was gehen - und wie ich da gefühlt
schon "geflogen" bin auf den letzten 9Km von Schmücke nach Schmiedefeld....
Über den mir wohlbekannten "Wurzel-(Stolper-) Pfad geht es abwärts, dann wird die Laufstrecke
komfortabler und ich gebe Gas... überhole .... und überhole - was für ein geiles Gefühl. Ich
kenne den Rest der Strecke nun fast auswendig, ein kleiner Anstieg noch, der Rest ist zum
Beschleunigen da. Der letzte VP wird rechts liegen gelassen, statt dessen einen letzten Schluck
aus dem Trinkgurt. Ich kann jetzt gerade mehrere hundert Meter nach vorne gucken, da sind
ca. 20 Läufer unterwegs... die hole ich mir alle noch, ich werde gierig und merke eine Zeit
unter 9:30Std ist mir nicht mehr zu nehmen... und ich fliege weiter....
Langsam ist das Ziel zu hören, Zuschauer und Moderation... nur noch wenige hundert Meter
(gut wenn man den Zieleinlauf kennt), auch hier überhole ich noch mehrere Mitläufer - ich
kann grade gar nicht anders. Dann biege ich nach rechts auf die Zielgerade mit reichlich
Zuschauer, ich ziehe nochmal an und feuere Alle an - mach den Flieger und segle ins Ziel -
ja in diesem Augenblick ist Schmiedefeld das schönste Ziel der Welt (für mich und viele Andere)!
Mit einer Nettozeit von 9:25 bin ich 16min schneller als im vergangenen Jahr - da habe ich
mich selbst überrascht!
Ich bin im Ziel - der Sturz konnte mich tatsächlich nicht bremsen... nun ich hatte auch Glück,
das muss ich schon sagen... es hätte ganz anders ausgehen können. Ich gucke an mir runter,
die verdreckte Start-Nr. hängt total schief, ich musste das eine Ende hinter das Halteband
klemmen da das Halteloch ausgerissen ist und ich bin immer noch dreckig und blutig...
das sieht man vielleicht auch auf dem Finishfoto. Ich hole meinen Dropbag ab und merke
es gibt ja seit diesem Jahr keine Finishershirt für den SM (bei dem Wettbewerb war bisher
das Shirt inclusive) - man konnte das bestellen, was ich versäumt habe... nicht so wichtig.
Ich entdecke den Stand vom Reiseveranstalter und schaue mal vorbei. Kaffee und Kuchen
lasse ich mir schmecken, noch ein Bierchen (Gutscheine für die Rennsteig-Party gibt's dazu)-
dann marschiere ich ins Duschzelt. Das dauert nun etwas, Wunden auswaschen und Salbe
drauf. Eine Stunde später bin ich schon in der Halle mit der Party - wie gehabt, der Großteil
des Publikums feiert heftig auf den Tischen und Bänken bzw. springt auf der Tanzfläche rum.
Ich esse erstmal was, lasse mich von der Stimmung anstecken - als ich zur Bushaltestelle
gehe ist mir bewusst, den zweiten Teil des Doppeldeckers morgen Vormittag werde ich ganz
sicher antreten, auch wenn es schwer werden sollte, nach dem Rennen heute bin ich einfach
sehr zuversichtlich. So bestelle ich am Hotelempfang für den nächsten Tag wieder ein
Frühstückspaket, Buffet gibt es erst ab 7Uhr... da bin ich längst unterwegs zum 2.Teil an
diesem Laufwochenende - das ist ein neuer Bericht.
Grüße Roland
Zu den Fotos:
1. Buffet im Ringberg-Hotel (wer weit laufen will muss vorher gut essen)
2. Dessert-Buffet im Ringberg-Hotel
3. Die Vorstellung des Rennsteiglaufs ist v.a. für Neulinge interessant
Im vergangenen Jahr war ja die große Jubiläumsveranstaltung beim Rennsteig.
Alles war noch etwas größer als sonst bei der 50. Ausgabe. Heuer ist das wieder
auf ein "Normalmaß" eingestellt. Bedeutet in Zahlen:
Gesamtteilnehmer: 17.253
z.B. TEAG-Halb-MA: 6.733
Intersport-MA : 2.783
Lotto-Thü-SMA: 1.854
Immer noch sehr beeindruckende Zahlen - Der Super-MA ist die größte Ultralauf-
Veranstaltung (zumindest in Europa).
Wie fast jedes Mal habe ich über Schulz-Sportreisen gebucht, bedeutet eigene
Anreise, ansonsten wird sich um Alles Drumherum gekümmert, die Transporte
vom Hotel zum Start, vom Ziel zum Hotel usw.
Kurz nach dem Einchecken im Ringberg-Hotel in Suhl kann ich meine Startunterlagen
im Foyer in Empfang nehmen. Später gibt es im Restaurant ein leckeres Buffet und
anschließend im Nebensaal eine Vorstellung des Rennsteiglaufs für die Gäste des
Reiseveranstalters, hier können Neulinge auch Fragen stellen und sich über den
genaueren Ablauf informieren - als "alter Hase" kenne ich mich da längst aus.
In dieser Zeit habe ich nebenbei ganz bequem mein Auto vorm Hotel aufladen
können, nun informiert mich mein Handy, es ist vollgeladen und ich kann es
von der Ladesäule wegfahren. Ich trinke noch mit Bekannten ein Bier an der
Bar und gehe anschließend auf mein Zimmer um meinen Dropbag-Beutel
nach meinen Ansprüchen zu füllen, gucke noch etwas fern und bis ich ins
Bett gehe ist es schon 23:30Uhr - in knapp drei Stunden muss ich aufstehen...
Es ist immer etwas hektisch zu nachtschlafener Zeit im Ringberg-Hotel wenn sich
die Super-Marathon-Teilnehmer gegen 2:30Uhr im Restaurant einfinden. Es gibt
zu dieser Zeit noch kein reguläres Frühstück, doch für jeden Teilnehmer steht eine
fertig gepackte Frühstückstasche bereit. Kaffee steht bereit und bei Manchen
erkennt man es an der Aufregung: Er/Sie ist zum 1x dabei.
Andere (wie ich) kennen das Prozedere und sehen einfach zu das Sie den Bus der
um 3Uhr vorm Hotel bereitsteht rechtzeitig erreichen, denn dann geht es los in
Richtung Eisenach zum Start. Die Fahrt zieht sich, immer wieder steigen noch
Welche zu... und im Bus wird es leiser - Viele versuchen zumindest etwas zu dösen.
Kurz vor 5Uhr kommen wir dort an, direkt am Marktplatz ist der Startbogen
aufgebaut - nebenan ein Zelt in dem sich viele verkriechen, da es noch etwas
frisch ist. Langsam dämmert es und ich suche mir noch eine Toilette und mache
mich bereit. Den Dropbag gebe ich am zugehörigen LKW ab und streife etwas über
den Marktplatz, mache mich warm und gehe schließlich zum vereinbarten Treffpunkt
um mit meinen Vereinskollegen von LG Ultralauf ein Foto zu machen. Dann in den
Startbereich rein, gleich geht's los - Punkt 6Uhr der Startschuß.
Die ersten 700m geht es noch durch die Stadt, da wird sich sortiert, einige drängeln
wie verrückt... glauben Sie denn das Gelingen der knapp 74Km wird hier auf den
ersten Metern entschieden? Anschließend geht es auf rutschigen Kopfsteinpflaster
heftig nach oben, schon hier bin ich mir sicher das ich mit der Wahl meiner Laufschuhe
richtig liege: leichte Trailschuhe sind bei mir angesagt - ich vermute zwar das es
heute trocken bleibt (nicht zu warm, nicht zu kalt), jedoch haben die Regenfälle der
vergangenen Tage sicherlich einiges auf den Wegen bewirkt, Pfützen, gelegentlicher
Matsch und rutschige Steine - so vermute ich den Untergrund und deshalb habe ich
mich heute gegen leichte Carbon-Laufschuhe entschieden. Die vielgescholtenen
"Walldautobahnen" betragen eben nur einen Bruchteil der Strecke. Die Entscheidung
in kurz/kurz zu laufen entschied sich als richtig, dazu Trinkgurt, einen Laufrucksack
brauche ich am Rennsteig nicht - die VP's sind (mit Ausnahme von Iso) gut bestückt.
Ein erfahrener SM-Rennsteigläufer weiß es - die ersten 24/25Km bis zum Inselsberg
muss man zurückhaltend laufen - es sei denn man ist ganz vorne dabei (und hat
reichlich Kondition und große Ambitionen). Immerhin ist der Start am tiefsten
Punkt der Strecke (215Hm), der höchste Punkt der gr. Beerberg (974Hm) spielt
nicht die ganz große Rolle, wenn man auf ihn zuläuft ist man schon weit oben.
Aber eben bei Km25 ist man auch schon bei 916Hm, die erreicht man von "weit
unten" kommend - das ist die Herausforderung. Laut Statistik betragen die Anstiege
1.874m, die Abstiege "nur" 1.386m, was die Höhendifferenz von 3.260 ergibt
Während ich so die Höhenmeter einsammle, zwischendurch auch mal wieder einige
abgebe versuche ich wenig zur Uhr zu schauen... sollte man sich für irgendeine
"Durchschnitts-Pace" entschlossen zu haben, ist es geradezu frustierend wie anfangs
"die Felle davonschwimmen" - so ist das nun mal mit der Strecke hier. Nicht alle, die
mich immer wieder überholen wissen das - ich werde Sie wahrscheinlich später
nochmals sehen.
Und doch fällt es mir selbst etwas schwer mich zu zügeln... nicht hochzujagen, mein
Verstand und Erfahrung weiß es ist gut so. Die ersten VP's werden erreicht und von
Anfang an bediene ich mich großzügig.
Km23, wir sind noch nicht oben beim Großen Inselsberg, es geht ein kleines Stück
abwärts... da bleibe ich an einem Stein am Laufweg hängen, stürze mit viel Energie
- gerade noch kriege ich die Hände nach vorne.....
Ein kurzer Augenblick: was jetzt? Zwei Mitläufer helfen mir auf die Beine - der erste
Schreck ist schnell vorbei, was ist mit mir?
Schadensbilanz: ich bin total verdreckt, rechtes Knie und Ellbogen blutig geschlagen,
einige Schürfwunden an den Beinen. Meine Uhr ist noch okay, die Start-Nr. einseitig
aus dem Band gerissen, der Chip scheint intakt. Eine Trinkflasche aus dem Gurt habe
ich verloren, wird mir aber gerade gereicht - Danke!
Kann ich so weiterlaufen? Ich mache ein paar Schritte seitlich des Weges, das Knie
macht mir Sorge, ist die Kniescheibe okay.... scheint alles nur oberflächlich zu sein.
Also ein wenig abklopfen und weiterlaufen, beim nächsten VP die Wunden auswaschen,
so mein Plan - ob das durchführbar ist, wird sich zeigen. Also wieder los, die nächste
Steigung wartet. Bei 25,5 km sind wir oben, haben 916 Hm erreicht, der VP lässt auf
sich warten. Recht schnell geht es erst mal runter - kenne ich, da gebe ich immer gut
Gas. Heute ist aber rutschig und ich bin höchst verunsichert, also geht es wesentlich
vorsichtiger runter. Wann kommt endlich dieser nächste VP, der Dreck in den Wunden
brennt... es geht noch weiter runter und bei 26,8Km endlich VP-Grenzwiese.
Ich entdecke ein Sani-Auto, da muss ich hin. Das Blut vom Knie hat schon fast meinen
Fuß erreicht und vom Ellbogen fließt es mir in die Handfläche. 2 Sanis schauen mich
ratlos an: ""So können Sie nicht weiterlaufen" meint der Eine - der Andere gleich: "Wir
organisieren einen Transport ins KKH" - kommt nicht in Frage, ist meine Antwort.
Ich will nur auswaschen und abtupfen, nix verbinden oder sowas... Ein Dritter kommt
hinzu - zumindest ist Er gekleidet wie ein Sani, Er erschrickt als Er mein Blut runterlaufen
sieht... hat Der noch nie Blut gesehen? Ich frage nach sauberen Wasser und Sie lassen
sich eine Flasche vom Getränkestand geben, immerhin haben Sie etwas Textilfetzen mit
denen ich das wegwischen kann - brennt erstmal, aber ich sehe, so schlimm ist das alles
nicht. Ich wische noch ein wenig, säubere die Wunden, bedanke mich und hole mir schnell
noch eine Schorle und Cola zum Trinken... und weg!
Etwas erstaunt bin ich schon ob der Hilflosigkeit und schlechten Versorgung... ist aber
nicht weiter schlimm, ich will ja ins Ziel... das könnte noch klappen, so hoffe ich zumindest,
es sind ja immerhin fast 50Km nach Schmiedefeld.
Ich fühle in mich hinein - schmerzt da etwas so sehr das es mich hindern könnte, geht etwas
kaputt, wenn ich weiterlaufe? Ich glaube NEIN, also bleibe ich dabei. Eines ist mir aber klar,
ich bin vorsichtiger unterwegs - das macht langsamer, so brauche ich nicht mehr auf die Zeit
zu achten, einfach gut finishen. Doch meine Zuversicht und das Vertrauen in meinen Körper
wächst wieder, damit auch ein wenig Ehrgeiz - vielleicht schaffe ich das Ding unter 10Std.
Ich muss über mich selbst schmunzeln, wie schnell sich das vom "Gestürzt-Schreck" zum
"Mal-Sehen-Was-Noch-Geht" entwickelt - die Endorphine feiern fröhliche Urstände and
Fire still Burning!
Tatsächlich macht sich in mir so eine Stimmung breit, schlimmer kann's nimmer werden,
lass mich eine "Aufholjagd" beginnen. An den leichten Steigungen wird immer z.T. marschiert,
hier etwas weiter hinten ist die Versuchung groß dem zu erliegen... doch ich habe noch Kraft,
diese Mini-Steigungen kann ich durchaus laufen - Just Do It!
An den VP's nehme ich den angebotenen Haferschleim dankend an, aus Erfahrung weiß ich,
den verträgt mein Magen gut. Dann kommt bald das 1.Gel zum Einsatz und Iso habe ich
auch noch im Trinkgurt - hier wird kein Iso ausgeschenkt (in dieser Gegend habe ich das
bereits öfter erlebt).
Auf und ab geht es weiter übern Rennsteig und dann erreiche ich endlich den großen VP
Ebertswiese bei 37,5 Km - immer ewas Besonderes, da hier Halbzeit ist. Mit Genugtun nehme
ich zur Kenntnis, bin halt etwas verzögert aber der Kampfwille ist noch da und die Blessuren
werden mich nicht aufhalten können. Das Wetter ist mittlerweile immer freundlicher geworden,
immer wieder blitzt die Sonne raus und das tut mir eher gut, als das ich schwitzen müsste.
Im Hinterkopf habe ich: bei der Marathon-Marke wartet ein größerer Anstieg, der will bewältigt
werden. Gesagt, getan - nun erwarte ich die 50Km Marke. Auch dahin gibt es keine größere
Probleme, der Optimismus wird größer. Am nächsten größeren VP, dem Grenzadler (Km54)
bei Oberhof gibt es eine Zeitnahme mit der Möglichkeit hier auszusteigen... kommt gar nicht
in die Tüte, jetzt läuft es einigermaßen, auch wenn es natürlich erste Ermüdungserscheinungen
gibt. Ich feuere sogar die Zuschauer, die es dort gibt bei meiner Ankunft richtig an - bekomme
ein extra "Ständchen" - das macht Laune für die letzten 20Km, die ja noch heftig werden und
sich ziehen....
Ich bin jetzt knapp 7Std unterwegs für die 54Km, die schlimmsten Anstiege sind wohl hinter
mir und die 10min Verzögerung wegen Sturz sind da schon mit dabei - so spreche ich mir selbst
Mut zu und mache mir einen Plan fürs Finish: letztes Jahr waren es etwas über 9:40, wenn ich
diesmal unter dieser Schwelle bleiben könnte - ein Riesenerfolg... dafür werde ich jetzt nochmals
alles auspacken was in den müden Knochen steckt, ich sammle immer mehr Mitläufer(innen)
ein und das motiviert natürlich zusätzlich. Der nächste große VP Sommerwiese (59Km) wird
abgehakt. Auch der höchste Punkt der Strecke (Gr. Beerberg 974Hm bei KM62) wird einfach
"nur so mitgenommen" - jetzt können doch keine großen Anstiege mehr kommen, beruhige
ich mich selbst. Bei der letzten Zwischenzeitnahme in Schmücke (KM65) rechne ich noch
schnell mal die Restzeit durch... so gut das eben möglich ist, nach dieser Anstrengung. Mein
unsicheres Fazit: alles im grünen Bereich, da könnte noch was gehen - und wie ich da gefühlt
schon "geflogen" bin auf den letzten 9Km von Schmücke nach Schmiedefeld....
Über den mir wohlbekannten "Wurzel-(Stolper-) Pfad geht es abwärts, dann wird die Laufstrecke
komfortabler und ich gebe Gas... überhole .... und überhole - was für ein geiles Gefühl. Ich
kenne den Rest der Strecke nun fast auswendig, ein kleiner Anstieg noch, der Rest ist zum
Beschleunigen da. Der letzte VP wird rechts liegen gelassen, statt dessen einen letzten Schluck
aus dem Trinkgurt. Ich kann jetzt gerade mehrere hundert Meter nach vorne gucken, da sind
ca. 20 Läufer unterwegs... die hole ich mir alle noch, ich werde gierig und merke eine Zeit
unter 9:30Std ist mir nicht mehr zu nehmen... und ich fliege weiter....
Langsam ist das Ziel zu hören, Zuschauer und Moderation... nur noch wenige hundert Meter
(gut wenn man den Zieleinlauf kennt), auch hier überhole ich noch mehrere Mitläufer - ich
kann grade gar nicht anders. Dann biege ich nach rechts auf die Zielgerade mit reichlich
Zuschauer, ich ziehe nochmal an und feuere Alle an - mach den Flieger und segle ins Ziel -
ja in diesem Augenblick ist Schmiedefeld das schönste Ziel der Welt (für mich und viele Andere)!
Mit einer Nettozeit von 9:25 bin ich 16min schneller als im vergangenen Jahr - da habe ich
mich selbst überrascht!
Ich bin im Ziel - der Sturz konnte mich tatsächlich nicht bremsen... nun ich hatte auch Glück,
das muss ich schon sagen... es hätte ganz anders ausgehen können. Ich gucke an mir runter,
die verdreckte Start-Nr. hängt total schief, ich musste das eine Ende hinter das Halteband
klemmen da das Halteloch ausgerissen ist und ich bin immer noch dreckig und blutig...
das sieht man vielleicht auch auf dem Finishfoto. Ich hole meinen Dropbag ab und merke
es gibt ja seit diesem Jahr keine Finishershirt für den SM (bei dem Wettbewerb war bisher
das Shirt inclusive) - man konnte das bestellen, was ich versäumt habe... nicht so wichtig.
Ich entdecke den Stand vom Reiseveranstalter und schaue mal vorbei. Kaffee und Kuchen
lasse ich mir schmecken, noch ein Bierchen (Gutscheine für die Rennsteig-Party gibt's dazu)-
dann marschiere ich ins Duschzelt. Das dauert nun etwas, Wunden auswaschen und Salbe
drauf. Eine Stunde später bin ich schon in der Halle mit der Party - wie gehabt, der Großteil
des Publikums feiert heftig auf den Tischen und Bänken bzw. springt auf der Tanzfläche rum.
Ich esse erstmal was, lasse mich von der Stimmung anstecken - als ich zur Bushaltestelle
gehe ist mir bewusst, den zweiten Teil des Doppeldeckers morgen Vormittag werde ich ganz
sicher antreten, auch wenn es schwer werden sollte, nach dem Rennen heute bin ich einfach
sehr zuversichtlich. So bestelle ich am Hotelempfang für den nächsten Tag wieder ein
Frühstückspaket, Buffet gibt es erst ab 7Uhr... da bin ich längst unterwegs zum 2.Teil an
diesem Laufwochenende - das ist ein neuer Bericht.
Grüße Roland
Zu den Fotos:
1. Buffet im Ringberg-Hotel (wer weit laufen will muss vorher gut essen)
2. Dessert-Buffet im Ringberg-Hotel
3. Die Vorstellung des Rennsteiglaufs ist v.a. für Neulinge interessant