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Rennsteiglauf 2024 (Supermarathon, 73,9km): Zum 2ten Mal dabei

Verfasst: 03.06.2024, 18:48
von movingdet65
Zum zweiten Mal nach 2022 nahm ich das Wagnis auf mich, den langen Kanten zwischen Eisenach und Schmiedefeld in Angriff zu nehmen. Es war überhaupt erst mein zweiter offizieller Ultra-WK,- den Sololauf 2021 bei der Aktion "Rennsteigläufer@home" (Corona-Ersatz) mal ausgenommen.
Ich fühlte mich gut vorbereitet: Das Training war ziemlich umfangreich mit vielen langen Läufen (bis zu 46km) im Teutoburger Wald auf dem Hermannsweg,- meist mit starker Vorermüdung absolviert. Peak-Woche lag bei 150 WKM,- wobei die meisten so zwischen 95 und 130WKM lagen (5 bis 6 Einheiten/Woche).
Wichtigster Vorbereitungslauf war der 52. Hermannslauf am 28.04. (2:23,30h);- Distanz zwar "nur" 31km, aber dennoch ein echter Härtetest und nicht zu unterschätzen. Noch besser wäre es aber gewesen, wenn die Distanz mind. 42,2km betragen hätte.
Mitte März hatte ich einen üblen Trainings-Sturz mit Rippenprellung,- die aber nach gut 1 Woche wieder fast überstanden war. Danach noch ein kurzer Trainingsausfall wg. Magenproblemen,- aber ansonsten keine längeren Zwangspausen.
4 Trainingsläufe lagen zwischen 4h und 4:30h (40 bis 46km) und hinzu kamen noch einige LDLs' zwischen 30 und 38km Länge mit ziemlich vielen Höhenmetern. Der Hermannsweg ist vom Profil her sehr anspruchsvoll und durchaus mit dem Rennsteig zu vergleichen bzw. man wird gut auf diesen eingestellt und erhält die nötige Robustheit. Ich gehöre zu jenen, die nur dann bei einem solch wichtigen, grossen Rennen starten, wenn sie sich auch wirklich adäquat und top vorbereitet fühlen,- sonst würde mir die Sicherheit fehlen.
2022 bei meiner ersten Teilnahme hatte ich eine Zeit von 6:48h erreichen können und nun wollte ich eigentlich die 6:30h anvisieren. Allerdings sollte sich dieses Ziel als viel zu ambitioniert herausstellen,- ich hätte den Fokus eher auf sub-7h legen sollen. Schliesslich ist man auch 2 Jahre älter geworden (jetzt 59) und 2022 war auch die Zeit beim Hermann besser (2:16,37h). Von der Grundschnelligkeit her scheine ich also doch etwas eingebüsst zu haben.
Ich war am Vortag per Bahn angereist und checkte wieder in meinem Stammhotel "Klostergarten" ein (ca. 3km vom Eisenacher Ortskern entfernt). Nach einem Nickerchen verzehrte ich gegen 18.00h erstmal eine grosse Portion meiner selbstgemachten Polenta mit Rosinen,- das hat bei mir schon Tradition (auch vor Marathons'). Dann ging es zum Marktplatz, um die Startunterlagen abzuholen und die Busfahrkarte (15 €) für die Rückfahrt von Schmiedefeld aus zu erwerben. Startgebühr betrug 85 €, was ich noch angemessen finde angesichts des riesigen Orga-Aufwandes mit über 1700 ehrenamtlichen Helfern insgesamt. Allein was die Verpflegungsstellen anzubieten hatten, suchte wieder seinesgleichen.
Im und vor dem grossen Festzelt herrschte schon gute Stimmung mit Musikband etc. Ich machte einige Fotos,- aber auf das Kloßgericht musste ich natürlich verzichten; das wäre zu viel des Guten gewesen.
Ab ca. 22.45h war dann Nachtruhe angesagt,- na ja, so knapp 4 Std. Schlaf fand ich dann immerhin noch.
Um 3:30h klingelte der Wecker und ich nahm auf dem Zimmer ein leichtes Frühstück in Form von 3 Nussnougat-Hörnchen zu mir. Das Hotel bot zwar auch "Läufer-Frühstück" an,- aber erst um 4:30h, das wäre definitiv zu spät gewesen: Vor zwei Jahren hatte ich damit keine guten Erfahrungen gemacht, denn beim Lauf musste ich nach 8km erstmal ins Gebüsch zum grossen Geschäft ...
Gegen 5:10h kam ich dann am Marktplatz an und nahm mir in Ruhe Zeit zum Umziehen; Kleiderbeutel abgeben; Trinken; Toilette und noch so 10 bis 15Min. locker Warmlaufen. Dann reihte ich mich in das grosse Starterfeld (1860 TeilnehmerInnen) ein,- etwa im vorderen Mittelfeld (es lagen noch gut 400 Läufer vor mir). Nicht zu weit vorn, um nicht mitgerissen zu werden, aber auch nicht zu weit hinten, um nicht zu stark ausgebremst zu werden.
Temperaturen waren eigentlich ideal: Ca. 12 Grad und etwas bewölkt, aber kein Regen. Nur die Luftfeuchtigkeit war etwas hoch,- aber das war jetzt nicht so gravierend.
Punkt 6:00h Startschuss und dann lief es erstmal gemütlich im dichten Pulk durch die Fussgängerzone und danach bergauf in Richtung des eigentlichen Rennsteigs. Die Vortage hatte es a. Regen gegeben und zum Teil war die Strecke noch nass und glitschig, da musste man aufpassen und konzentriert bleiben.
Ich achtete darauf, nicht über 75 bis 78%HF zu kommen, um noch genug Puffer für die spätere Phase zu haben. So lagen die ersten KM auch noch über 6er-Pace, wobei ich allmählich einen Läufer nach dem anderen langsam überholte,- was nicht immer einfach war in der dichten Masse.
Auf KM 6 & 7 kamen dann mal ausnahmsweise flachere u. leicht abschüssige Passagen, und hier lagen auch die ersten KM unter 5er-Pace. Insgesamt sollten dann von den knapp 74km immerhin 17 km-Splits mit einer 4 vorne stehen (schnellster KM=KM18 in 4:16),- aber bergauf waren natürlich auch einige mit 6er u. 7er und 2km auch mit 8er-Pace dabei, wo ich auch kurze Gehphasen hatte. Bei den meisten KM stand die 5 vorn.
Bei ca. KM 13 passierte dann das, womit ich schon immer mal rechnen musste: Ich bekam Nasenbluten! Im Training war das schon öfter mal vorgekommen (besonders im Winter), aber noch nie in einem WK. Ich hatte Taschentuch dabei und presste das fest auf den Nasenflügel, wobei ich aber den Laufmodus beibehielt,- wenn auch mühsam und "unrund". Das musste ich noch ca. 3km so durchstehen, bis die Blutung endlich gestillt war. Sehr ärgerlich und ein erster "Laune-Killer".
Bald öffnete ich das erste von fünf Gels, die ich im praktischen Formbelt dabei hatte. Ausserdem noch einige Datteln. Natürlich griff ich auch bei fast jeder Verpflegungsstelle zu und trank ziemlich viel (Tee, Wasser, Cola),- später auch mal Bananenstücke gegessen. Ich brauchte dann aber während des gesamten Laufs keine einzige Pinkelpause (oder andere Zwangspause) einlegen,- was mich im Nachhinein doch etwas überrascht hat.
Die Strecke durch den Thüringer Wald ist schon wirklich faszinierend, sehr abwechslungsreich und natürlich äusserst anspruchsvoll. Einmalig und tückisch war eine Passage über einen 1km langen Wurzelweg durch den Wald nicht weit von der Bundesstr. entfernt: Ein unglaublich dichtes Netz an unzähligen Wurzelsträngen, die aus dem Waldboden ragten. Da musste man extrem konzentriert sein und höllisch aufpassen, dass man nicht irgendwo hängen blieb oder umknickte.
Es lief dann weiter bergauf Richtung Inselsberg (KM 25,5): Hier lag ich mit 2:21,20h noch gut 2 Min. unter meiner Zwischenzeit von vor 2 Jahren,- aber das sollte noch nichts heissen.
Dann lief es zunächst über Stufen ziemlich steil bergab und da hatte ich etwas Angst um meine Knie,- versuchte aber dennoch, es möglichst gut rollen zu lassen, ohne dabei alles zu riskieren.
Eine gute, zügige Phase hatte ich zwischen KM 29 und 31: 4:28/4:29/4:19).
Ich lag hier übrigens bereits unter den ersten 100,- ein Streckenposten hatte mitgezählt und rief uns die Platzierungen zu! Das Feld war jetzt aber schon sehr weit auseinandergezogen.
Ein ständiges Wechselspiel des Überholens lieferte ich mir mit einem jüngeren Läufer, der ziemlich unrhythmisch und stilistisch recht eigenartig lief. Bestimmt 10mal überholten wir uns gegenseitig,- immer wenn ich meinte, ihn distanziert zu haben, kam er wieder ran und überholte mich. Aber das sind eben auch die spannenden Augenblicke während eines solch langen Rennens.
Dann hörte ich hinter mir plötzlich Motorengeräusche: "Wie, sind hier jetzt etwa Forst-Fahrzeuge unterwegs???" Nein, das war ein Quad, auf dem ein Kameramann hockte, der das Rennen mit filmte! Der fuhr dann aber weiter nach vorn zur Spitzengruppe.
Bei der Ebertswiese (KM 36,9) lag ich mit 3:21,45h immer noch knapp 2 Min. besser als 2022 und die Marathonmarke erreichte ich etwa bei 3:51h, wobei es jetzt aber schon zäher und muskulär schwieriger wurde. Die fiesen Bergauf-Stücke mit Stein und Schotter setzten doch gehörig zu und ich spürte, das es nun ein immer härter werdender Kampf werden würde.
Nochmals musste ich fluchen, als ich mit feuchten Fingern ein Gel nicht aufbekam und ersatzweise zu meinen Datteln greifen musste. Feste Nahrung ist aber bekanntlich schon schwieriger beim Laufen.
Ab KM 50 begann dann wohl meine schwerste Phase und am Grenzadler bei KM 54 lag ich dann auch schon über 2Min. hinter meiner Zeit von 2022,- da wusste ich bereits, dass es wohl kaum noch möglich war, zumindest unter 6:45h zu kommen. Vor 2 Jahren hatte ich da noch bessere Reserven, daran kann ich mich noch erinnern.
Aber aussteigen kam nicht in Frage und zum ersten Mal griff ich auch zum berühmten "Schleim"! Ein kleines Risiko, aber mein Magen war robust und ich bekam in dieser Hinsicht keine Probleme (ausser mal leichte Seitenstiche).
Es wurde aber nun immer zäher und der lange Anstieg hoch zum grossen Beerberg bei KM 60 (höchster Punkt der Strecke) machte mir doch mehr Mühe als mir lieb war. Aber auch andere Läufer hatten so ihre Probleme und auf dem Rest der Strecke wurde ich auch nur noch von wenigen überholt.
Bei KM 65 an der Schmücke nochmal in Ruhe auftanken. Hier lag ich schon über 8 Min. hinter meiner Zeit von 2022,- also es wurde wahrlich nicht besser, sondern nur noch ein zäher Kampf ums Durchhalten. Allmählich musste die autonome Reserve angezapft werden! Ich nahm auch mal von dem angebotenen Salz (&Trinken), um Wadenkrämpfen vorzubeugen. Ab und zu zwickte es schon mal in den Waden,- aber von Krämpfen blieb ich dann zum Glück verschont.
Es folgte Richtung Schmiedefeld dann erstmal eine schöne Bergab-Passage, doch danach bei KM 70 nochmal ein längerer moderater Anstieg,- oh wei, musste das jetzt noch sein? Viele waren hier im Gehmodus unterwegs, was ich gerade noch so vermeiden konnte,- also Laufen funktionierte immerhin noch.
Man kam nun an vielen Wanderern vorbei, die einem oft lautstark zu applaudierten,- dass war nochmal motivierend, aber ein Lächeln kam mir nicht mehr über die Lippen; zu extrem waren die Strapazen, die man mir deutlich ansehen musste.
Vom Kamm her war links unten dann auch endlich Schmiedefeld zu erkennen, aber das Ziel wollte und wollte nicht kommen,- es zog sich noch mächtig in die Länge und ich sehnte nur noch das nächste KM-Schild herbei,- schaute schon längst nicht mehr auf die Uhr.
Es wurde zwischen den ersten Häusern wieder abschüssiger und 1 km schaffte ich noch knapp unter 5er-Pace.
Im langen Zielkanal bewegte ich mich dann wirklich auf der allerletzten Rille und nun endlich war es geschafft: Das "schönste Ziel der Welt" erreicht. Meine Güte, was für ein Kraftakt!
Ich konnte mich erst überhaupt nicht freuen, dermassen fertig und platt war ich.
Dann ein Blick auf die Uhr: 6:59,32h netto! (Schnitt 5:40/km). Puuuuhhhh ...
Oh ha, das hätte ich jetzt doch nicht gedacht, dass es so knapp werden würde mit der sub-7Std.-Marke. Also auf den letzten 9km nochmals 3,5 Min. verloren und insgesamt 11,5Min. über meiner Zeit von 2022.
Das bedeutete aber immerhin noch Gesamtplatz 78 (M/W) und Platz 6 in der AK 55. Das hätte deutlich schlimmer kommen können.
(übrigens reichte für Platz 1 in der AK60 eine 7:17...h,- und in diese AK komme ich bald!) :P
Nach reichlich Auftanken ging ich mit unglaublich schmerzenden und steifen Beinen erstmal lange wie in Trance nur hin und her und dann zu den Kleiderbeuteln. Meinen konnte ich lange nicht finden, was sehr nervig war. Dann mühsames Umziehen, Protein-Riegel und Erdnüsse konsumiert und als ich dann nochmal zurück in den Zielbereich wollte, um mehr zu trinken, wurde ich vom Ordner abgewiesen, obwohl ich meine Startnr. vorhielt. Schönen Dank auch! Dann eben Richtung gratis-Ausgabestelle Köstritzer und danach noch bei super Stimmung in der Festhalle die "Läufersuppe" (in kleinem Becher, na ja ...); Fotos und Videos gemacht und etwas mitgefeiert.
Also, mein Zustand besserte sich wieder und allmählich kam auch Stolz auf über das Erreichte. Einen solch schwierigen Ultra muss man auch überhaupt erstmal finishen,- zumal ich ja jetzt auch kein echter Spezialist bin auf diesem Gebiet.
Ich verfolgte auf der grossen Festwiese noch eine Weile die Siegerehrung sowie die weiteren Teilnehmer, die noch ins Ziel kamen.
Dann ging es zum Bus, der uns zurück nach Eisenach brachte (gut 95 Min. Fahrzeit). Immer wieder fielen mir die Augen zu.
Ab Marktplatz musste ich dann ja noch 3km zurück zum Hotel gehen,- kann mich nicht erinnern, dass meine Beine mal dermassen steif gewesen waren. Ein anderer Läufer kommentierte grinsend: "Alles gut? Aber nicht umfallen ...!"
Am nächsten Morgen natürlich wie erwartet heftigster Muskelkater; aber ich konnte dennoch eine schön lange, langsame Wanderung durch den Thüringer Wald machen (ca. 25km),- mit Durchqueren der Drachenschlucht und Besuch der Wartburg.
Am Folgetag ging es dann per Bahn zurück gen Heimat.
Diese Grenzerfahrung muss nun erstmal lange verdaut werden und vermutlich werde ich in 2 Jahren hier wieder am Start sein.

Re: Rennsteiglauf 2024 (Supermarathon, 73,9km): Zum 2ten Mal dabei

Verfasst: 03.06.2024, 19:25
von runners.high
Hallo Detlev,

da hast Dich doch klasse geschlagen - ich glaube bei meinen bisherigen Rennsteig-SM-Teilnahmen bin ich nur das 1x unter 7Std gekommen. Das ist schon eine gute Leistung. Ich könnte das nimmer leisten, der Zug ist abgefahren... aber es ist halt immer so, mit welchen Erwartungen man so einen Lauf angeht. Wenn das zu ambitioniert ist dann ist man u.U. mit einer Zeit die etwas darüber liegt nicht wirklich zufrieden.
Du sagst es ja selbst, wenn Du das demnächst auf den langen Kanten bringst (in der M60) da gewinnst Du vielleicht Deine AK. An sowas denke ich schon lange nimmer... und solange laufen bis es in der AK kaum noch Konkurrenz gibt, das werde ich sicherlich nicht...
Vielleicht freust Du Dich dann doch einfach etwas mehr über das Erreichte.
Gruß Roland

Re: Rennsteiglauf 2024 (Supermarathon, 73,9km): Zum 2ten Mal dabei

Verfasst: 03.06.2024, 20:31
von movingdet65
Danke, Roland!
Hier noch weitere Bilder vom Rennsteiglauf. Die Leute von "sportfotograf" haben wirklich gute Arbeit geleistet und waren an vielen Punkten der Strecke postiert.
Ziemlich fertig auf der Zielgerade inSchmiedefeld Ziemlich fertig auf der Zielgerade inSchmiedefeld

Re: Rennsteiglauf 2024 (Supermarathon, 73,9km): Zum 2ten Mal dabei

Verfasst: 05.06.2024, 22:33
von heikchen007
@movingdet65

Vielen Dank für den schönen Bericht und Glückwunsch zum tollen Finish :daumen: - auch wenn die Zeit nicht ganz deinen Erwartungen entsprochen hat.