Wann denn sonst, wenn nicht Heute?
Verfasst: 15.10.2024, 21:20
Wild entschlossen beim 39.München-Marathon 13.10.2024
Der Münchner Marathon steht an - früher mal war es keine große Liebe, obwohl ein
Marathon, der schnell erreichbar ist und auch meist gute Stimmung mitbringt.
Aus diesem Grund ist es auch erst meine 6.Teilnahme - lange blieb es bei zwei,
dann versuchte ich es mal wieder und musste feststellen, die Strecke kommt mir
entgegen und ich bin dort meist "einigermaßen flott unterwegs".
Der Zeitpunkt Mitte Oktober ist für mich auch ganz gut passend - in diesem Jahr
spielt das aber keine Rolle, da ich sowieso fast jedes Wochenende bei einem MA/Ultra
unterwegs bin. Also natürlich auch dort, zudem habe ich zuletzt die Großstädte-Tournee
abgeliefert: Marathon in Berlin, Köln, jetzt München und in 2Wochen Frankfurt.
Aber heute ist etwas anders - nicht nur das etwas schlechtes Wetter angekündigt ist:
Regen während des Laufs, Wind, keine Sonne ... das lässt mich etwas ratlos immer wieder
in die Wetter-App gucken. Es soll nicht zu kalt werden, zum Großteil 12-14Grad und zum
Start soll es noch trocken bleiben - halte ich mich doch an den positiven Dingen fest.
Start und Ziel ist diesmal nicht im Olympiastadion, das ist recht schade, doch es geht wegen
Renovierung nicht... auch wenn es nach wie vor ein imposanter Anblick ist - ein wenig ist es
in die Jahre gekommen, nun die Olympiade war damals 1972, da kann man schon mal was
verbessern. So starten wir nebenan auf dem Gelände, die Start-Nr-Ausgabe und Dropbag-
Abgabe ist in der Halle daneben, ich bereite mich etwas intensiver als sonst vor - in mich
gekehrt... mit der Frage: Soll ich, oder soll ich nicht?
Ich habe mich bei den vergangenen MA's teilweise der 4Std-Marke angenähert - in Köln
waren es 4:01:26, das ist keine Ewigkeit mehr auf sub 4Std... es war ja auch nicht "geplant".
Aber wenn ich es jetzt bewusst zum Ziel mache, dann muss ich ganz aggressiv vom Start weg
laufen - wenn ich noch gar nicht weiß... wie fühle ich mich nach 10, 15Km - und reicht mir am
Ende die Kraft, oder muss ich das "erklärte Ziel" wegschmeißen und versuchen einfach ins Ziel
zu kommen. Es wäre eine "Niederlage" trotz einem Finish - was bei der Häufigkeit meiner Starts
durchaus im Bereich des Möglichen liegt. Aber ich wäre nicht ich selbst, würde ich mich nicht dem
stellen - nur wer es versucht kann es erreichen!
So stehe ich "wild entschlossen" im Startblock C (vielleicht wäre da Block B besser gewesen, aber
bei der Anmeldung wusste ich von meinem Plan "sub 4Std" noch nichts), gucke zum Himmel, der
nichts Gutes verheißt, zupfe meine Armlinge zurecht und checke nochmals meinen Trinkgurt - alles
da, auch der Wille!
Wichtig hier wird gleich zum Anfang sein auf diesem Startgelände gut aus der Menge zu kommen
um Gas zu geben, wie ich das für richtig halte... Der Startzeitpunkt ist etwas undefiniert, aber ich
versuche eben meine Uhr möglichst genau dann zu starten, als ich über die Startlinie gehe - gelingt
wir aber wegen eines heftigen Remplers nur mäßig.
Also raus aus der Menge, an die Seite der Laufstrecke, ein wenig durchs Grüne hoppeln und nach
vorne, gelingt trotz der Meute auf dem 1.Km erstaunlich gut 5:22min - aber dann kommt eine Engstelle
über eine Brücke, anstellen und gehen ist kurzfristig angesagt, also Km2 in 5:45min - Mist! Die folgenden
Km gehen aber so um 5:30min, das gefällt mir schon besser - nach 3Km "Rundreise" durch den Olympia-
park gelangen wir endlich auf die Ackermannstr. Als wir nachher die Schleißheimer Str. queren sind die
5Km erreicht, ich denke ich liege im Soll, aber das zeigt sich noch, der 1.VP ist reine Wasserstelle.
Wir biegen auf die Leopoldstr. ein und laufen südlich aufs Siegestor zu, an der Universität vorbei, gleich
wieder links ab, das große "U" beginnt, die Schellingstr. rein, parallel die Theresienstr. wieder raus.
Gleich nach der Uni mit dem Blick aufs Siegestor liegt die 10Km-Matte: 55:27min, ich bin zufrieden
und am VP gibt es endlich Iso. An den VP's ist mitunter ein "Hauen und Stechen" - und das ist etwas
was mir nicht zusagt, einfach möglichst schnell, am Besten ohne Stehenbleiben, vorbei und meine
2Becher schnappen. Bei 3-4 Stück wird das schon sehr schwieriger. Um mich herum sind mindestens
drei 4Std-Pacer unterwegs, mit größeren Abständen. Der Sinn erschließt sich mir nicht ganz. Sind Sie
aus unterschiedlichen Startblöcken? (Startabstände zwischen den Blöcken offiziell 5min.) Ich werde
nicht schlau daraus, will mich aber auch nicht an Ihnen orientieren, da ich mein eigenes Tempo laufen
will und ich schon mehrmals bemerkt habe wie wenig zuverlässig Sie laufen. Trotzdem sind Sie oftmals
in meiner Nähe, nach und nach überhole ich mit meiner "eingependelten Pace" von 5:30min/Km alle
drei 4Std-Pacer.
Nach einer Wende mit kurzer Begegnungsstrecke geht es nach Norden dem Englischen Garten entgegen,
wie bekannt, erst ein Stück entlang, dann rein in den Park, am Schwabacher Bach entlang. Km15 mit
1:23:11 passiert, so könnte es weitergehen. Die ersten Regentropfen habe ich eben gespürt, ein Blick
zum Himmel verheißt definitiv Regen...schon beginnt er, wird immer heftiger, begleitet von auffrischenden
Wind. Teilweise kommt der von vorne und bläst mir den regen ins Gesicht - das hätte es nun wirklich
nicht gebraucht. In kürzester Zeit gibt es größere Pfützen auf der Strecke, also auch noch nasse Füsse.
Ich versuche mein Tempo trotz der widrigen Umstände zu halten, dort wo der Föhringer Ring den Park
durchquert drehen wir Richtung Süden weiter auf den mit nassen Laub übersäten Wegen. Km20-Matte
(1:51:38) noch vor Kleinhessenlohe, bevor wir dann Bei Halb-MA-Marke mit großen Wechselpunkt für
die Staffeln den Englischen Garten verlassen. Über die Isar geht es nun die Montgelas- und Oberföhringer
Straße nordwestlich weiter, wobei Oberföhringer wörtlich zu nehmen ist, eine langgezogene (nicht große)
Steigung geht es hoch und macht sich sofort in meiner Pace bemerkbar, als ich fast 6min für Km23 auf
meiner Uhr ablese zucke ich zusammen, sofort ein Gel reinquetschen. Mein Mantra: Wann denn sonst...
wenn nicht heute!
Nur gut das es nicht weiter aufwärts geht und ich die Pace wieder unter 5:45min drücken kann, das kostet
Energie. Kurz bevor wir wieder nach Süden laufen queren wir die Effmerstr. mit Km25 in 2:20:14 - ich
spüre förmlich wie der Elan und Power geringer wird - jetzt wird es zäher. Über Cosima-, Vollmann- und
Weltenburger Straße, hier irgendwo an einem VP hole ich mir sage und schreibe 3Becher Iso und 2x Cola,
werde dabei behakelt und bedrängt, keine Zeit für sowas ... macht sich sofort in einer Km-Zeit ganz nah
an 6min bemerkbar - ich fluche vor mich hin...
Über einen Bogen, Truderinger Str. landen wir südlich der Bahntrassen, über den Berg-am-Laim-Bahnhof,
später Straße geht es wieder westlich, wir haben Km30 passiert - Durchgangszeit 2:49:17... ich rechne
kurz hoch und verzweifle, das kann nicht gutgehen, wie soll ich noch 12,2Km in 1:10Std laufen - es geht
nicht...nicht in dieser Verfassung. Ernüchterung macht sich breit - mein Ziel scheint praktisch unerreichbar,
meine Kräfte schwinden und ein (längerer) Endspurt ist schier unmöglich - ich hadere und ärgere mich
über mich selbst - aber letztendlich scheint eben nur dieses "Kraftreservoir" vorhanden zu sein... und ich
habe mich zu Beginn schon reichlich daraus bedient. Jetzt ist nimmer genug davon vorhanden, mit Anstand
zu Ende laufen und möglichst nah an den 4Std bleiben - das wird nun mein Ziel sein!
Entsprechend Km31 in 5:48min - es manifestiert sich... ich versuche nicht noch langsamer werde, Km32
immerhin in 5:38 - dann rutscht mir eine 5:26 raus... sapperlot! Eine 5:43 holt mich wieder auf den Boden
der Tatsachen (da war ein VP). Bei Km35 folgt eine 5:19, danach 5:29 - geht da doch noch was? Warum
eigentlich nicht - ich will mich noch nicht damit abfinden...wenn solche Zeiten noch möglich sind??
Wann denn sonst, wenn nicht Heute....
Ich nehme meine Umgebung kaum mehr wahr, durch das schlechte Wetter (nach kurzzeitigen Regenstopp
wird es wieder nasser) sind heute wesentlich weniger Zuschauer mit geringerer Begeisterung an der Strecke.
Das macht es leichter mich noch mehr zu fokussieren, gegen den Kraftverlust arbeiten - das nächste Gel
rausholen und reinquetschen... auf die Jagd!!
Ich kriege mit das wir wieder nördlich der Bahntrassen, über den Rosenheimer Platz und die Isar zusteuern.
Am Müller'schen Volksbad vorbei (mir bekannt aus vielen kleinen Marathons von Andreas), dann Isartor,
die verbesserten Km-Zeiten lassen mich weiter hoffen, viel Zuversicht habe ich nicht, den das Energielevel
ist fast am Boden. Zwei 4Std-Läufer haben mich auch wieder überholt, einen sehe ich später als Er seine
4Std-Flagge demontiert (soviel zur Zuverlässigkeit). Rundruf an alle Körperfunktionen - Rückmeldung:
es zwickt hier und zwackt da, es zieht in den Muskeln... keine Ausfälle! Ich nehme es zur Kenntnis und
ignoriere Beschwerden. Um die 5:45min/Km sind drin - Kopf hoch und: "Wann denn sonst, wenn nicht Heute"
Es folgt die Schleife durch die Innenstadt - hier ist tatsächlich was los... lasse es mir nicht nehmen, Hände
abklatschen und kurze Zuschauermotivation und sofort weiter, am VP 3xCola... weiter.
Über Odeonsplatz, Universität und Siegestor geht es nun wieder raus nach Norden. Bei Km38 Abzweig nach
Westen, endlich Richtung Olympiagelände - viel kriege ich nimmer mit, ich bin komplett im Tunnel, da ich
nimmer viel Iso im Trinkgurt habe, beim vorletzten VP nochmals ran. Hier stehen schon total fertige Läufer,
ob die noch weiterlaufen können? Ist mir jetzt auch egal, Sie blockieren den Zugriff zu den Getränken, die
ich dringend benötige... Sekunden gehen verloren und ich weiß, auf die könnte es ankommen, es wird so
richtig eng, zeigt meine Uhr. Bei Km40 will ich nochmals checken, ob ich dann noch rechnen kann steht auf
einem anderen Blatt. Wo bleibt die Matte - wo ist sie? Als wir auf die Ackermannstr. einbiegen sehe ich sie
vor mir und kurzer Blick zur Uhr (dieser Km war knapp 6min): etwas über 3:47Std - ich rechne 2x6min für
die 2Km noch, dann bleibt mir für die 195m Rest noch knappe Min. Verdammt ist das knapp und meine
Energie am Ende... sowas von am Ende.
Der Geistesblitz: "Wann denn sonst, wenn nicht Heute" - Alles, einfach Alles wird mobilisiert, ich glaube fest
daran. KM41 geht unter 6min weg. Jetzt geht es über eine Bogenfußgängerbrücke hoch, meine Füße
wollen nimmer gehorchen, ich kriege sie nimmer hoch genug, stolpere und strauchle... gehe ein paar
Schritte - muss DAS jetzt sein - nach ca. 15 Schritten laufen ich wieder los! Das darf nicht wahr sein. Wo
ist dieses blöde Ziel, ich kann es noch nicht sehen - wenn wir doch einfach (abwärts) ins Stadion laufen
könnten, nein daran vorbei und nochmals einen Berg (normalerweise würde ich es bestenfalls als Buckel
bezeichnen), wieder kriege ich die Füße nimmer noch, stolpere und falle fast... dann gehe ich, eine
gefühlte Ewigkeit, ich kann nicht laufen - wie viele Schritte waren es jetzt 30 oder 40, auf jeden Fall zu
viele... ich versuche wieder zu laufen und sehe endlich das Ziel, gebe Gas (gefühlt oder wirklich - ich weiß
es nicht?) Das Zielbanner ist erreicht und ich drücke die Uhr ab - stimmt das genau, keine Ahnung, zu
früh oder zu spät?? Meine Uhr zeigt 2Sekunden unter 4Std an, ich bin hilflos - weiß nicht ob ich mich
freuen kann/darf? Okay ich bin im Ziel, aber habe ich MEIN ZIEL erreicht - dazu müsste ich die offizielle
Nettozeit wissen. Ich versuche es zu verdrängen, trinke was... esse eine Kleinigkeit, mein Handy liegt
im Kleiderbeutel, eine gefühlte Riesenentfernung weg. Andere Finisher zücken Ihr Handy machen Selfies,
telefonieren, schreiben Nachrichten - Einer freut sich über ein Ergebnis aus dem Handy - ich halte Ihm
meine Start-Nr. entgegen, ob Er meine Zeit nachgucken kann - kann Er nicht, Er hat sein Ergebnis per
Nachricht bekommen. Es gibt heute kein Finisherbier hier (zumindest sehe ich keins - da ist wohl der
Biersponsor abgesprungen) und mich fröstelt leicht trotz Folie. Also gehe ich zur Halle wo die Dropbags
aufbewahrt wurden. Ich weiß immer noch nicht ob ich es geschafft habe:
"Wann denn sonst, wenn nicht Heute" - endlich habe ich den Beutel in Händen, hole mit zittrigen Händen
das Handy raus... dann habe ich noch schlechten Empfang und die Seite lädt ewig, die Suche über Start-Nr,
bzw. Name funzt nicht - ich versuche es über Altersklasse und da lädt es schneller. AK M60 Platz54, da steht
mein Name - Nettozeit: 3:59:46!!!
Ich hüpfe wie ein Gummiball, strecke die Faust in die Luft - der Lohn der Mühen heute: SUB 4Std!!!
Zuletzt hatte ich das vor 6Jahren und ca. 4Monate - in all der schnellen Abfolge der MA's/Ultras habe ich
es trotzdem geschafft - was bin ich stolz - mein Körper ist eine Wundertüte, meine Gesundheit megastabil!
Was bin ich glücklich..... vergesse alle meine Wehwehchen.
Eine Frau die neben mir auf der Bank sitzt freut sich mit mir und frägt mich, ob ich auch Ihr Ergebnis
nachgucken kann. Einfach in der AK W70 schauen - ich bin erstaunt das Sie so alt sein soll und auch schon
im Ziel. Sie sei vor kurzem 71Jahre alt geworden, sagt Sie - Ihr Ergebnis: Sie gewinnt diese AK mit genialen
4:18 Std - ich bin total beeindruckt und gratuliere Ihr natürlich ganz herzlich. Sie hat vor kurzem an
Meisterschaften in Österreich teilgenommen und in Ihrer AK den Halb-MA gewonnen - weit unter 2Std
hat Sie dafür gebraucht erzählt Sie verschmitzt und voller Stolz. Dabei läuft Sie erst seit wenigen Jahren,
Sie war auch früher sehr sportlich, aber das Laufen ging immer nicht so gut - jetzt schon... und wie!!!
Wir verabschieden uns und ich gehe zum Duschen nebenan, eine halbe Stunde später finde ich mich schon
auf der Autobahn Richtung Nürnberg, ein kurzer Halt für einen großen Kaffeebecher ist noch nötig.
Kaum bin ich zuhause gehe ich zum Abendessen - es gibt was zu feiern, aber richtig heftig. Da interessiert
es nur am Rande das morgen Frühschicht ansteht. Ich brauche noch mehrere Stunden um von diesen Hoch
"runter zu kommen" und dann halt nur ein paar Stunden Schlaf finden.
Aber nun der obligatorische Spruch: KEEP THE FIRE BURNING - es hat heute lichterloh gebrannt!!
Gruß Roland
Zu den Fotos (es sind weniger geworden, als gedacht... der Euphorie geschuldet):
1. Der Wegweiser/Aufsteller zum Marathon
2. Kleiderbeutelabgabe
3. Mächtig Betrieb in der Olympiahalle vorm Lauf
Der Münchner Marathon steht an - früher mal war es keine große Liebe, obwohl ein
Marathon, der schnell erreichbar ist und auch meist gute Stimmung mitbringt.
Aus diesem Grund ist es auch erst meine 6.Teilnahme - lange blieb es bei zwei,
dann versuchte ich es mal wieder und musste feststellen, die Strecke kommt mir
entgegen und ich bin dort meist "einigermaßen flott unterwegs".
Der Zeitpunkt Mitte Oktober ist für mich auch ganz gut passend - in diesem Jahr
spielt das aber keine Rolle, da ich sowieso fast jedes Wochenende bei einem MA/Ultra
unterwegs bin. Also natürlich auch dort, zudem habe ich zuletzt die Großstädte-Tournee
abgeliefert: Marathon in Berlin, Köln, jetzt München und in 2Wochen Frankfurt.
Aber heute ist etwas anders - nicht nur das etwas schlechtes Wetter angekündigt ist:
Regen während des Laufs, Wind, keine Sonne ... das lässt mich etwas ratlos immer wieder
in die Wetter-App gucken. Es soll nicht zu kalt werden, zum Großteil 12-14Grad und zum
Start soll es noch trocken bleiben - halte ich mich doch an den positiven Dingen fest.
Start und Ziel ist diesmal nicht im Olympiastadion, das ist recht schade, doch es geht wegen
Renovierung nicht... auch wenn es nach wie vor ein imposanter Anblick ist - ein wenig ist es
in die Jahre gekommen, nun die Olympiade war damals 1972, da kann man schon mal was
verbessern. So starten wir nebenan auf dem Gelände, die Start-Nr-Ausgabe und Dropbag-
Abgabe ist in der Halle daneben, ich bereite mich etwas intensiver als sonst vor - in mich
gekehrt... mit der Frage: Soll ich, oder soll ich nicht?
Ich habe mich bei den vergangenen MA's teilweise der 4Std-Marke angenähert - in Köln
waren es 4:01:26, das ist keine Ewigkeit mehr auf sub 4Std... es war ja auch nicht "geplant".
Aber wenn ich es jetzt bewusst zum Ziel mache, dann muss ich ganz aggressiv vom Start weg
laufen - wenn ich noch gar nicht weiß... wie fühle ich mich nach 10, 15Km - und reicht mir am
Ende die Kraft, oder muss ich das "erklärte Ziel" wegschmeißen und versuchen einfach ins Ziel
zu kommen. Es wäre eine "Niederlage" trotz einem Finish - was bei der Häufigkeit meiner Starts
durchaus im Bereich des Möglichen liegt. Aber ich wäre nicht ich selbst, würde ich mich nicht dem
stellen - nur wer es versucht kann es erreichen!
So stehe ich "wild entschlossen" im Startblock C (vielleicht wäre da Block B besser gewesen, aber
bei der Anmeldung wusste ich von meinem Plan "sub 4Std" noch nichts), gucke zum Himmel, der
nichts Gutes verheißt, zupfe meine Armlinge zurecht und checke nochmals meinen Trinkgurt - alles
da, auch der Wille!
Wichtig hier wird gleich zum Anfang sein auf diesem Startgelände gut aus der Menge zu kommen
um Gas zu geben, wie ich das für richtig halte... Der Startzeitpunkt ist etwas undefiniert, aber ich
versuche eben meine Uhr möglichst genau dann zu starten, als ich über die Startlinie gehe - gelingt
wir aber wegen eines heftigen Remplers nur mäßig.
Also raus aus der Menge, an die Seite der Laufstrecke, ein wenig durchs Grüne hoppeln und nach
vorne, gelingt trotz der Meute auf dem 1.Km erstaunlich gut 5:22min - aber dann kommt eine Engstelle
über eine Brücke, anstellen und gehen ist kurzfristig angesagt, also Km2 in 5:45min - Mist! Die folgenden
Km gehen aber so um 5:30min, das gefällt mir schon besser - nach 3Km "Rundreise" durch den Olympia-
park gelangen wir endlich auf die Ackermannstr. Als wir nachher die Schleißheimer Str. queren sind die
5Km erreicht, ich denke ich liege im Soll, aber das zeigt sich noch, der 1.VP ist reine Wasserstelle.
Wir biegen auf die Leopoldstr. ein und laufen südlich aufs Siegestor zu, an der Universität vorbei, gleich
wieder links ab, das große "U" beginnt, die Schellingstr. rein, parallel die Theresienstr. wieder raus.
Gleich nach der Uni mit dem Blick aufs Siegestor liegt die 10Km-Matte: 55:27min, ich bin zufrieden
und am VP gibt es endlich Iso. An den VP's ist mitunter ein "Hauen und Stechen" - und das ist etwas
was mir nicht zusagt, einfach möglichst schnell, am Besten ohne Stehenbleiben, vorbei und meine
2Becher schnappen. Bei 3-4 Stück wird das schon sehr schwieriger. Um mich herum sind mindestens
drei 4Std-Pacer unterwegs, mit größeren Abständen. Der Sinn erschließt sich mir nicht ganz. Sind Sie
aus unterschiedlichen Startblöcken? (Startabstände zwischen den Blöcken offiziell 5min.) Ich werde
nicht schlau daraus, will mich aber auch nicht an Ihnen orientieren, da ich mein eigenes Tempo laufen
will und ich schon mehrmals bemerkt habe wie wenig zuverlässig Sie laufen. Trotzdem sind Sie oftmals
in meiner Nähe, nach und nach überhole ich mit meiner "eingependelten Pace" von 5:30min/Km alle
drei 4Std-Pacer.
Nach einer Wende mit kurzer Begegnungsstrecke geht es nach Norden dem Englischen Garten entgegen,
wie bekannt, erst ein Stück entlang, dann rein in den Park, am Schwabacher Bach entlang. Km15 mit
1:23:11 passiert, so könnte es weitergehen. Die ersten Regentropfen habe ich eben gespürt, ein Blick
zum Himmel verheißt definitiv Regen...schon beginnt er, wird immer heftiger, begleitet von auffrischenden
Wind. Teilweise kommt der von vorne und bläst mir den regen ins Gesicht - das hätte es nun wirklich
nicht gebraucht. In kürzester Zeit gibt es größere Pfützen auf der Strecke, also auch noch nasse Füsse.
Ich versuche mein Tempo trotz der widrigen Umstände zu halten, dort wo der Föhringer Ring den Park
durchquert drehen wir Richtung Süden weiter auf den mit nassen Laub übersäten Wegen. Km20-Matte
(1:51:38) noch vor Kleinhessenlohe, bevor wir dann Bei Halb-MA-Marke mit großen Wechselpunkt für
die Staffeln den Englischen Garten verlassen. Über die Isar geht es nun die Montgelas- und Oberföhringer
Straße nordwestlich weiter, wobei Oberföhringer wörtlich zu nehmen ist, eine langgezogene (nicht große)
Steigung geht es hoch und macht sich sofort in meiner Pace bemerkbar, als ich fast 6min für Km23 auf
meiner Uhr ablese zucke ich zusammen, sofort ein Gel reinquetschen. Mein Mantra: Wann denn sonst...
wenn nicht heute!
Nur gut das es nicht weiter aufwärts geht und ich die Pace wieder unter 5:45min drücken kann, das kostet
Energie. Kurz bevor wir wieder nach Süden laufen queren wir die Effmerstr. mit Km25 in 2:20:14 - ich
spüre förmlich wie der Elan und Power geringer wird - jetzt wird es zäher. Über Cosima-, Vollmann- und
Weltenburger Straße, hier irgendwo an einem VP hole ich mir sage und schreibe 3Becher Iso und 2x Cola,
werde dabei behakelt und bedrängt, keine Zeit für sowas ... macht sich sofort in einer Km-Zeit ganz nah
an 6min bemerkbar - ich fluche vor mich hin...
Über einen Bogen, Truderinger Str. landen wir südlich der Bahntrassen, über den Berg-am-Laim-Bahnhof,
später Straße geht es wieder westlich, wir haben Km30 passiert - Durchgangszeit 2:49:17... ich rechne
kurz hoch und verzweifle, das kann nicht gutgehen, wie soll ich noch 12,2Km in 1:10Std laufen - es geht
nicht...nicht in dieser Verfassung. Ernüchterung macht sich breit - mein Ziel scheint praktisch unerreichbar,
meine Kräfte schwinden und ein (längerer) Endspurt ist schier unmöglich - ich hadere und ärgere mich
über mich selbst - aber letztendlich scheint eben nur dieses "Kraftreservoir" vorhanden zu sein... und ich
habe mich zu Beginn schon reichlich daraus bedient. Jetzt ist nimmer genug davon vorhanden, mit Anstand
zu Ende laufen und möglichst nah an den 4Std bleiben - das wird nun mein Ziel sein!
Entsprechend Km31 in 5:48min - es manifestiert sich... ich versuche nicht noch langsamer werde, Km32
immerhin in 5:38 - dann rutscht mir eine 5:26 raus... sapperlot! Eine 5:43 holt mich wieder auf den Boden
der Tatsachen (da war ein VP). Bei Km35 folgt eine 5:19, danach 5:29 - geht da doch noch was? Warum
eigentlich nicht - ich will mich noch nicht damit abfinden...wenn solche Zeiten noch möglich sind??
Wann denn sonst, wenn nicht Heute....
Ich nehme meine Umgebung kaum mehr wahr, durch das schlechte Wetter (nach kurzzeitigen Regenstopp
wird es wieder nasser) sind heute wesentlich weniger Zuschauer mit geringerer Begeisterung an der Strecke.
Das macht es leichter mich noch mehr zu fokussieren, gegen den Kraftverlust arbeiten - das nächste Gel
rausholen und reinquetschen... auf die Jagd!!
Ich kriege mit das wir wieder nördlich der Bahntrassen, über den Rosenheimer Platz und die Isar zusteuern.
Am Müller'schen Volksbad vorbei (mir bekannt aus vielen kleinen Marathons von Andreas), dann Isartor,
die verbesserten Km-Zeiten lassen mich weiter hoffen, viel Zuversicht habe ich nicht, den das Energielevel
ist fast am Boden. Zwei 4Std-Läufer haben mich auch wieder überholt, einen sehe ich später als Er seine
4Std-Flagge demontiert (soviel zur Zuverlässigkeit). Rundruf an alle Körperfunktionen - Rückmeldung:
es zwickt hier und zwackt da, es zieht in den Muskeln... keine Ausfälle! Ich nehme es zur Kenntnis und
ignoriere Beschwerden. Um die 5:45min/Km sind drin - Kopf hoch und: "Wann denn sonst, wenn nicht Heute"
Es folgt die Schleife durch die Innenstadt - hier ist tatsächlich was los... lasse es mir nicht nehmen, Hände
abklatschen und kurze Zuschauermotivation und sofort weiter, am VP 3xCola... weiter.
Über Odeonsplatz, Universität und Siegestor geht es nun wieder raus nach Norden. Bei Km38 Abzweig nach
Westen, endlich Richtung Olympiagelände - viel kriege ich nimmer mit, ich bin komplett im Tunnel, da ich
nimmer viel Iso im Trinkgurt habe, beim vorletzten VP nochmals ran. Hier stehen schon total fertige Läufer,
ob die noch weiterlaufen können? Ist mir jetzt auch egal, Sie blockieren den Zugriff zu den Getränken, die
ich dringend benötige... Sekunden gehen verloren und ich weiß, auf die könnte es ankommen, es wird so
richtig eng, zeigt meine Uhr. Bei Km40 will ich nochmals checken, ob ich dann noch rechnen kann steht auf
einem anderen Blatt. Wo bleibt die Matte - wo ist sie? Als wir auf die Ackermannstr. einbiegen sehe ich sie
vor mir und kurzer Blick zur Uhr (dieser Km war knapp 6min): etwas über 3:47Std - ich rechne 2x6min für
die 2Km noch, dann bleibt mir für die 195m Rest noch knappe Min. Verdammt ist das knapp und meine
Energie am Ende... sowas von am Ende.
Der Geistesblitz: "Wann denn sonst, wenn nicht Heute" - Alles, einfach Alles wird mobilisiert, ich glaube fest
daran. KM41 geht unter 6min weg. Jetzt geht es über eine Bogenfußgängerbrücke hoch, meine Füße
wollen nimmer gehorchen, ich kriege sie nimmer hoch genug, stolpere und strauchle... gehe ein paar
Schritte - muss DAS jetzt sein - nach ca. 15 Schritten laufen ich wieder los! Das darf nicht wahr sein. Wo
ist dieses blöde Ziel, ich kann es noch nicht sehen - wenn wir doch einfach (abwärts) ins Stadion laufen
könnten, nein daran vorbei und nochmals einen Berg (normalerweise würde ich es bestenfalls als Buckel
bezeichnen), wieder kriege ich die Füße nimmer noch, stolpere und falle fast... dann gehe ich, eine
gefühlte Ewigkeit, ich kann nicht laufen - wie viele Schritte waren es jetzt 30 oder 40, auf jeden Fall zu
viele... ich versuche wieder zu laufen und sehe endlich das Ziel, gebe Gas (gefühlt oder wirklich - ich weiß
es nicht?) Das Zielbanner ist erreicht und ich drücke die Uhr ab - stimmt das genau, keine Ahnung, zu
früh oder zu spät?? Meine Uhr zeigt 2Sekunden unter 4Std an, ich bin hilflos - weiß nicht ob ich mich
freuen kann/darf? Okay ich bin im Ziel, aber habe ich MEIN ZIEL erreicht - dazu müsste ich die offizielle
Nettozeit wissen. Ich versuche es zu verdrängen, trinke was... esse eine Kleinigkeit, mein Handy liegt
im Kleiderbeutel, eine gefühlte Riesenentfernung weg. Andere Finisher zücken Ihr Handy machen Selfies,
telefonieren, schreiben Nachrichten - Einer freut sich über ein Ergebnis aus dem Handy - ich halte Ihm
meine Start-Nr. entgegen, ob Er meine Zeit nachgucken kann - kann Er nicht, Er hat sein Ergebnis per
Nachricht bekommen. Es gibt heute kein Finisherbier hier (zumindest sehe ich keins - da ist wohl der
Biersponsor abgesprungen) und mich fröstelt leicht trotz Folie. Also gehe ich zur Halle wo die Dropbags
aufbewahrt wurden. Ich weiß immer noch nicht ob ich es geschafft habe:
"Wann denn sonst, wenn nicht Heute" - endlich habe ich den Beutel in Händen, hole mit zittrigen Händen
das Handy raus... dann habe ich noch schlechten Empfang und die Seite lädt ewig, die Suche über Start-Nr,
bzw. Name funzt nicht - ich versuche es über Altersklasse und da lädt es schneller. AK M60 Platz54, da steht
mein Name - Nettozeit: 3:59:46!!!
Ich hüpfe wie ein Gummiball, strecke die Faust in die Luft - der Lohn der Mühen heute: SUB 4Std!!!
Zuletzt hatte ich das vor 6Jahren und ca. 4Monate - in all der schnellen Abfolge der MA's/Ultras habe ich
es trotzdem geschafft - was bin ich stolz - mein Körper ist eine Wundertüte, meine Gesundheit megastabil!
Was bin ich glücklich..... vergesse alle meine Wehwehchen.
Eine Frau die neben mir auf der Bank sitzt freut sich mit mir und frägt mich, ob ich auch Ihr Ergebnis
nachgucken kann. Einfach in der AK W70 schauen - ich bin erstaunt das Sie so alt sein soll und auch schon
im Ziel. Sie sei vor kurzem 71Jahre alt geworden, sagt Sie - Ihr Ergebnis: Sie gewinnt diese AK mit genialen
4:18 Std - ich bin total beeindruckt und gratuliere Ihr natürlich ganz herzlich. Sie hat vor kurzem an
Meisterschaften in Österreich teilgenommen und in Ihrer AK den Halb-MA gewonnen - weit unter 2Std
hat Sie dafür gebraucht erzählt Sie verschmitzt und voller Stolz. Dabei läuft Sie erst seit wenigen Jahren,
Sie war auch früher sehr sportlich, aber das Laufen ging immer nicht so gut - jetzt schon... und wie!!!
Wir verabschieden uns und ich gehe zum Duschen nebenan, eine halbe Stunde später finde ich mich schon
auf der Autobahn Richtung Nürnberg, ein kurzer Halt für einen großen Kaffeebecher ist noch nötig.
Kaum bin ich zuhause gehe ich zum Abendessen - es gibt was zu feiern, aber richtig heftig. Da interessiert
es nur am Rande das morgen Frühschicht ansteht. Ich brauche noch mehrere Stunden um von diesen Hoch
"runter zu kommen" und dann halt nur ein paar Stunden Schlaf finden.
Aber nun der obligatorische Spruch: KEEP THE FIRE BURNING - es hat heute lichterloh gebrannt!!
Gruß Roland
Zu den Fotos (es sind weniger geworden, als gedacht... der Euphorie geschuldet):
1. Der Wegweiser/Aufsteller zum Marathon
2. Kleiderbeutelabgabe
3. Mächtig Betrieb in der Olympiahalle vorm Lauf