Warum dürfen Frauen eigentlich Marathon laufen?
Verfasst: 16.07.2012, 22:28
Ich hasse Gartenarbeit! Nicht, dass ich gänzlich unbrauchbar wäre für Hausarbeiten. Nein, bügeln tue ich gerne. Das entspannt, und man sieht unmittelbar die Fortschritte. Auch spülen liegt mir. Beruhigt ebenfalls. Natürlich kommt da nur das dran, was nicht in die Spülmaschine gehört. Ich bin ja schließlich kein Masochist! Aber Gartenarbeit? Nein und nochmals nein! Die hasse ich – und gefährlich ist sie außerdem!
In der Stadt, wo ich wohne, haben die einen Sadisten eingestellt. Der hat das Wohnbaugebiet mit Ahornbäumen bepflanzen lassen. Ahorn! Die verfluchten Dinger fliegen überall hin, setzen sich fest und sprießen wie verrückt. Nachdem unser Garten voll davon war, ließ ich mich endlich breit treten, das Zeugs zu eliminieren. Als ich am ersten Tag vom Knien aufstand, war es ein Gefühl wie Krampf und eingeschlafener Unterschenkel in Vereinigung. Das ging gar nicht richtig weg, und prompt landete ich beim nächsten langen Lauf auf der Fresse, weil ich mit dem leicht schlurfenden rechten Fuß an einem Stein hängen blieb.
Sechs Wochen nach dem Comrades wollte ich einen Marathon laufen, und mir wurde doch etwas unwohl. Mit dem rechten Unterschenkel stimmte definitiv etwas nicht. Also machte ich eine Gartenpause, um dem Bein Gelegenheit zur Genesung zu geben, Ahornseuche hin oder her. Ich hatte schließlich ein leichtes Aufbautraining gemacht, das sollte schließlich nicht für Peter und Pup gewesen sein.
Wer ist quasi der Erfinder des gesundheitsfördernden Laufens? Nein, das ist nicht Peter Greif. Auch Polar oder Garmin sind falsch. Wer hat da Gel-Hersteller gesagt? Die sind es natürlich auch NICHT! Die Wahrheit ist: Es ist ein Landarzt vom Niederrhein, nämlich Dr. Ernst van Aaken. Er hatte maßgeblichen Anteil daran, dass 1953 die schier unmenschlich lange Strecke von 800 m für Frauen genehmigt wurde, und ließ 1967 mit allerlei Tricks 2 Frauen bei einem Marathonlauf teilnehmen, was an sich strikt untersagt war. Wenn’s nach der „Wenn etwas verboten ist, dann darf man es eben nicht. Basta!“-Fraktion ginge, wär’s heute wohl noch immer so. Diesem van Aaken zu Ehren richtet seit 2009 der Laufverein Athletik Waldniel einen Marathon mit weiteren Wettbewerben aus. Letztes Jahr hatte ich die 2 Runden des Halbmarathons unter die Füße genommen und wollte heuer die 4 Runden des Ganz-Marathons meiner Marathonsammlung einverleiben.
Als ich aufgestanden war, pisste es von oben, als lieferten sich Petrus und die Erzengel einen Wettkampf, wer’s am längsten könne. Das ist insoweit von Bedeutung, als die Waldnieler Runde nur zum Teil auf Asphalt, dafür aber mindestens zur Hälfte auf Waldwegen verläuft. Und was geschieht mit selbigen bei Wasserzufuhr von oben? Eben! Meine Absicht, die 3 h-Marke mal wieder zu unterbieten, schickte ich folglich ganz schnell in die (Wasser-)Wüste. Der Wahrheit zu Ehren sei angemerkt, dass der Lauf selbst bei doch angenehmen und trockenen Bedingungen stattfand. Indes, den Waldwegen muss jemand geflüstert haben, dies sei das letzte Nass für die nächsten 100 Jahre gewesen, weshalb es ratsam sei, sich so richtig vollzusaugen – und sie waren folgsam gewesen.
Eine Waldnieler Runde ist kürzer als ¼-Marathon, aber länger als 10 km. Der Start erfolgt in einem ganz modernen, neu gebauten Stadion, und um auf die Marathondistanz zu kommen, gibt’s am Anfang eine Extrastadionrunde (und am Ende eine Extrarunde auf einer angrenzenden Wiese). So kann man seine Anfangsposition nach dem Start ganz gut sehen. Ich lag an 7. Stelle. Nach etwa einem Kilometer überholte mich recht zügig ein kleiner Jüngerer. (Na gut, ich bin auch kein Riese.) „Pass mal auf, Jungchen“, dachte ich so bei mir, „wenn du dich mal nicht übernommen hast.“ Hatte er aber nicht, denn es war der spätere Gesamtsieger, der einen Trainingsmarathon lief und in 2:53 h siegte. Man kann sich ja auch mal irren!
Meistens starte ich langsamer, um mich dann langsam nach vorne zu schieben. Heute wollte ich den Marathon jedoch schnell laufen und hatte von Anfang an ein ganz gutes Tempo drauf. Dachte ich jedenfalls, denn der Blick auf die Uhr verriet mir, dass ich bei 4:20 lag. Das war nun wiederum nicht so flott wie gedacht. Wenigstens schob ich mich wie gewohnt nach vorn und hatte zur Hälfte der ersten Runde Position 4 inne. Läufer 2 und 3 sah ich an der langen Geraden am Waldrand noch vor mir und sinnierte, ob da noch irgendwer schwächeln würde. Um es vorweg zu nehmen: Die ersten 3 schwächelten nicht. Dafür schwächelte später der 4. Noch klar, wer das war?
Der Kurs insgesamt ist durchaus leicht wellig mit ca. 50 Höhenmetern pro Runde, aber im Wald ist er ziemlich flach. Dafür folgt nach der langen Geraden von km 7 bis km 8,5 die schlammigste Passage. Ein wenig später gibt’s ein Stückchen, wo man – so sie denn dicht genug vor einem sind – seine Vorläufer, aber auch seine Hintermänner sehen kann (Die Hinterfrauen waren heute um einiges weiter zurück.): Die 4 Überholten hatte ich noch nicht ganz abgeschüttelt.
Als ich beim km-Schild 10 eine Zeit von 42:39 auf der Uhr ablas, sah ich sogar einen klitzekleinen Hoffnungsschimmer, die 3 h heute vielleicht doch noch zu packen. Ich war gut drauf und legte noch einen kleinen Zahn zu. Kraftvoll und flott begann ich die zweite Runde. Es dauerte nicht lange, bis das Feld größer wurde und ich zu überholen begann. Eingesackt wurden nun die Läufer des Halbmarathons, die eine halbe Stunde später gestartet waren und eine knappe Viertelstunde Vorsprung vor mir hatten. Alles war gut, und ich lief noch voller Elan. Nur meine rechte Wade machte sich allmählich bemerkbar, ebenfalls eine unerwünschte Folge meiner Gärtneraushilfstätigkeit zuvor.
Bei Beginn der dritten Runde lag die Hälfte der Strecke hinter mir. Das spürte ich auch. So locker und so flott lief das nun nicht mehr. Ich merkte von der Belastung her auch recht gut, wo die Strecke eben oder gar abschüssig verlief und wo es leicht aufwärts ging. Nein, das waren nur ganz leichte Veränderungen auf der Strecke, aber sie waren eben spürbar. Und der Abdruck auf den schlammigen Wegen, der halt Kraft kostet, der machte sich ebenfalls bemerkbar. – Nein, ich war nicht ohne Zeitziel in diesen Lauf gegangen. Ich war vermessen genug gewesen, an eine Zeit unter 3 h gedacht zu haben. Das hatte ich mir allerdings mittlerweile gründlich abgeschminkt: nicht heute, nicht unter diesen Bedingungen und, wenn ich ehrlich bin, nicht in diesem Trainingszustand.
Aber wenigstens eine neue Jahresbestzeit, schneller als die 3:03 auf Föhr, das sollte heraus kommen! Ab und an sah ich die Zwischenzeiten auf der Uhr – und schraubte meine Ansprüche weiter herunter. Von den ersten 3 Läufern sah ich keinen vor mir, aber wenigstens stimmte es mich hoffnungsvoll, dass kein Marathoni hinter mir zu sehen war. Ich kämpfte mich weiter durch die Reihen der Halbmarathonläufer, die in ihrer 2. und damit Schlussrunde waren. Es ist schon ein merkwürdiges Gefühl, wenn man mit klar höherer Geschwindigkeit Läufer überholt und dabei selbst etliche km mehr in den Beinen hat. Mit zunehmender Dauer wurden die Überholvorgänge naturgemäß langsamer: zum einen, weil es ja immer mehr die etwas schnelleren Halbmarathonis waren, zum anderen, weil ich selbst auch langsamer geworden war.
Ich war nicht mehr frisch und auch nicht mehr kraftvoll, als ich zum letzten Mal den kleinen Anstieg hinter dem Stadionausgang lief, der die letzte Runde einläutete. Die Strecke war wieder überschaubar: Nun waren nur noch die Marathonläufer auf Kurs, wobei die vor mir – bis auf 3 – alle in ihrer vorletzten Runde waren. Glücklicherweise musste ich selbst alles nur noch ein einziges Mal durchlaufen. Die Aussicht auf die Zielankunft war mein Ansporn, aber ich spürte, dass ich mich langsamer bewegte. Wozu sollte ich auch den allerletzten Einsatz zeigen? Zeitmäßig war da nix Dolles mehr herauszuholen, positionsmäßig war offensichtlich Platz 4 gesetzt. Die Uhr beachtete ich nicht mehr, kämpfte mich durch den Matsch, versuchte mit der Aussicht aufs baldige Ende manchmal ein wenig zu beschleunigen.
Als ich schließlich zum vierten Mal das Schild „10 km“ passiert hatte (die km sind lediglich von 1 bis 10 ausgeschildert, dazu dann noch die 5-er Abschnitte), hatte ich noch vielleicht einen Kilometer vor mir. Das stimmte mich froh. Nun war’s aber auch genug!
Ich lief ins Stadion ein. Da ist so eine ¾-Runde zu laufen, bevor dann die Wiesenrunde beginnt. Ich hatte das Stadion zur Hälfte durchlaufen, da tauchte einer neben mir auf und
sagte – „Na, nun komm mit!“
Ich – denken: „Hä? Was ist das denn? WER ist das denn?“
Ich – fragen: „Was läufst du denn?“
Er – „Marathon“
Ich – denken, diffus, verwirrt: „Marathon?“
Ich – laufen, versuchen mitzugehen, nix Kraft mehr haben,
Ich – denken: „Scheißdrauf“.
War nix mehr drin, ich bin noch ganz ordentlich durchgelaufen, aber 18 Sekunden habe ich noch verloren (auf vielleicht 500 m). Da wär’ auch nicht mehr gegangen. Ist okay so!
Und jetzt kommt der Clou:
Letztes Jahr bin ich an gleicher Stelle den Halbmarathon gelaufen, lag beim Eintritt ins Stadion wie heuer auch an 4. Position. Damals jedoch war es genau umgekehrt: Ich sah den Gesamtdritten vor mir, konnte aufschließen, vorbeigehen und mich so schließlich vom 4. auf den 3. Platz vorkämpfen. In diesem Jahr war es andersherum: Ich lag an 4. Stelle, wurde diesmal selbst im Stadion eingeholt, gab einen Platz ab und wurde so Gesamtfünfter.
Unterm Strich finde ich das gut so, wie es ist, nein besser: Vierter ist ’ne Scheißposition: direkt hinter einem Medaillenrang, aber eben doch nix in der Hand, dann lieber Fünfter: das ist ziemlich weit vorne, aber NICHT knapp hinter Bronze. So gesehen ist einmal 3. und einmal 5. klar besser als zweimal 4.
Der, der mich überholt hatte, war übrigens richtig fürsorglich. Entschuldigte sich 1000-mal, dass er mich noch überholte hatte. Er würde das normalerweise auch nicht machen, und gern schon gar nicht, aber es wäre für ihn heute die Chance auf Bestzeit gewesen, und die wär’s ja dann auch geworden. – Ich sah mich veranlasst, ihn zu trösten und aufzubauen: Das wäre völlig okay so. Er solle sich das nicht so zu Herzen nehmen. Ich würde das auch verkraften. Ja, ich hätte das genauso gemacht. Ich würde für ihn beten! (Das Letzte ist allerdings gelogen, da ich zwar christlich geprägt, aber seit langem Atheist bin.)
Da kann man mal sehen: Vor 2 Wochen löste ich noch Angst aus, dieses Mal Mitleid. Das muss die Rache der Virginia Woolf sein! Ob sie Einfluss genommen hat auf Platz und Zeit, weiß ich nicht. Mit meiner Platzierung bin ich ja wie gesagt auch zufrieden, mit der Zeit von schlussendlich 3:04:38 h nicht so recht. – Gut, ich habe gewichtige und handfeste Ausreden: die Gartenarbeit und mein beeinträchtigtes Bein, die aufgeweichte Strecke, das wenig marathonspezifische Training und das schwüle Wetter die letzten Tage. Aber Gartenarbeit ist nicht das einzige, was ich hasse. Ausreden gehören auch dazu.
Dass Marathon nicht automatisch teuer bedeuten muss, zeigt übrigens der Preis. 21 € habe ich für eine rundum gelungene und liebevoll organisierte Veranstaltung gezahlt, die sich zudem als richtige Multi-Kulti-Darbietung entpuppte. In der M35 z. B. gewann ein Belgier vor einem Holländer, und Dritter wurde ein Ire, der in Mexiko wohnt, Urlaub in Paris macht und zu einem Marathon nach Deutschland gefahren ist. Der ist halt ein wahrer Schnäppchenjäger!
Bernd
In der Stadt, wo ich wohne, haben die einen Sadisten eingestellt. Der hat das Wohnbaugebiet mit Ahornbäumen bepflanzen lassen. Ahorn! Die verfluchten Dinger fliegen überall hin, setzen sich fest und sprießen wie verrückt. Nachdem unser Garten voll davon war, ließ ich mich endlich breit treten, das Zeugs zu eliminieren. Als ich am ersten Tag vom Knien aufstand, war es ein Gefühl wie Krampf und eingeschlafener Unterschenkel in Vereinigung. Das ging gar nicht richtig weg, und prompt landete ich beim nächsten langen Lauf auf der Fresse, weil ich mit dem leicht schlurfenden rechten Fuß an einem Stein hängen blieb.
Sechs Wochen nach dem Comrades wollte ich einen Marathon laufen, und mir wurde doch etwas unwohl. Mit dem rechten Unterschenkel stimmte definitiv etwas nicht. Also machte ich eine Gartenpause, um dem Bein Gelegenheit zur Genesung zu geben, Ahornseuche hin oder her. Ich hatte schließlich ein leichtes Aufbautraining gemacht, das sollte schließlich nicht für Peter und Pup gewesen sein.
Wer ist quasi der Erfinder des gesundheitsfördernden Laufens? Nein, das ist nicht Peter Greif. Auch Polar oder Garmin sind falsch. Wer hat da Gel-Hersteller gesagt? Die sind es natürlich auch NICHT! Die Wahrheit ist: Es ist ein Landarzt vom Niederrhein, nämlich Dr. Ernst van Aaken. Er hatte maßgeblichen Anteil daran, dass 1953 die schier unmenschlich lange Strecke von 800 m für Frauen genehmigt wurde, und ließ 1967 mit allerlei Tricks 2 Frauen bei einem Marathonlauf teilnehmen, was an sich strikt untersagt war. Wenn’s nach der „Wenn etwas verboten ist, dann darf man es eben nicht. Basta!“-Fraktion ginge, wär’s heute wohl noch immer so. Diesem van Aaken zu Ehren richtet seit 2009 der Laufverein Athletik Waldniel einen Marathon mit weiteren Wettbewerben aus. Letztes Jahr hatte ich die 2 Runden des Halbmarathons unter die Füße genommen und wollte heuer die 4 Runden des Ganz-Marathons meiner Marathonsammlung einverleiben.
Als ich aufgestanden war, pisste es von oben, als lieferten sich Petrus und die Erzengel einen Wettkampf, wer’s am längsten könne. Das ist insoweit von Bedeutung, als die Waldnieler Runde nur zum Teil auf Asphalt, dafür aber mindestens zur Hälfte auf Waldwegen verläuft. Und was geschieht mit selbigen bei Wasserzufuhr von oben? Eben! Meine Absicht, die 3 h-Marke mal wieder zu unterbieten, schickte ich folglich ganz schnell in die (Wasser-)Wüste. Der Wahrheit zu Ehren sei angemerkt, dass der Lauf selbst bei doch angenehmen und trockenen Bedingungen stattfand. Indes, den Waldwegen muss jemand geflüstert haben, dies sei das letzte Nass für die nächsten 100 Jahre gewesen, weshalb es ratsam sei, sich so richtig vollzusaugen – und sie waren folgsam gewesen.
Eine Waldnieler Runde ist kürzer als ¼-Marathon, aber länger als 10 km. Der Start erfolgt in einem ganz modernen, neu gebauten Stadion, und um auf die Marathondistanz zu kommen, gibt’s am Anfang eine Extrastadionrunde (und am Ende eine Extrarunde auf einer angrenzenden Wiese). So kann man seine Anfangsposition nach dem Start ganz gut sehen. Ich lag an 7. Stelle. Nach etwa einem Kilometer überholte mich recht zügig ein kleiner Jüngerer. (Na gut, ich bin auch kein Riese.) „Pass mal auf, Jungchen“, dachte ich so bei mir, „wenn du dich mal nicht übernommen hast.“ Hatte er aber nicht, denn es war der spätere Gesamtsieger, der einen Trainingsmarathon lief und in 2:53 h siegte. Man kann sich ja auch mal irren!
Meistens starte ich langsamer, um mich dann langsam nach vorne zu schieben. Heute wollte ich den Marathon jedoch schnell laufen und hatte von Anfang an ein ganz gutes Tempo drauf. Dachte ich jedenfalls, denn der Blick auf die Uhr verriet mir, dass ich bei 4:20 lag. Das war nun wiederum nicht so flott wie gedacht. Wenigstens schob ich mich wie gewohnt nach vorn und hatte zur Hälfte der ersten Runde Position 4 inne. Läufer 2 und 3 sah ich an der langen Geraden am Waldrand noch vor mir und sinnierte, ob da noch irgendwer schwächeln würde. Um es vorweg zu nehmen: Die ersten 3 schwächelten nicht. Dafür schwächelte später der 4. Noch klar, wer das war?
Der Kurs insgesamt ist durchaus leicht wellig mit ca. 50 Höhenmetern pro Runde, aber im Wald ist er ziemlich flach. Dafür folgt nach der langen Geraden von km 7 bis km 8,5 die schlammigste Passage. Ein wenig später gibt’s ein Stückchen, wo man – so sie denn dicht genug vor einem sind – seine Vorläufer, aber auch seine Hintermänner sehen kann (Die Hinterfrauen waren heute um einiges weiter zurück.): Die 4 Überholten hatte ich noch nicht ganz abgeschüttelt.
Als ich beim km-Schild 10 eine Zeit von 42:39 auf der Uhr ablas, sah ich sogar einen klitzekleinen Hoffnungsschimmer, die 3 h heute vielleicht doch noch zu packen. Ich war gut drauf und legte noch einen kleinen Zahn zu. Kraftvoll und flott begann ich die zweite Runde. Es dauerte nicht lange, bis das Feld größer wurde und ich zu überholen begann. Eingesackt wurden nun die Läufer des Halbmarathons, die eine halbe Stunde später gestartet waren und eine knappe Viertelstunde Vorsprung vor mir hatten. Alles war gut, und ich lief noch voller Elan. Nur meine rechte Wade machte sich allmählich bemerkbar, ebenfalls eine unerwünschte Folge meiner Gärtneraushilfstätigkeit zuvor.
Bei Beginn der dritten Runde lag die Hälfte der Strecke hinter mir. Das spürte ich auch. So locker und so flott lief das nun nicht mehr. Ich merkte von der Belastung her auch recht gut, wo die Strecke eben oder gar abschüssig verlief und wo es leicht aufwärts ging. Nein, das waren nur ganz leichte Veränderungen auf der Strecke, aber sie waren eben spürbar. Und der Abdruck auf den schlammigen Wegen, der halt Kraft kostet, der machte sich ebenfalls bemerkbar. – Nein, ich war nicht ohne Zeitziel in diesen Lauf gegangen. Ich war vermessen genug gewesen, an eine Zeit unter 3 h gedacht zu haben. Das hatte ich mir allerdings mittlerweile gründlich abgeschminkt: nicht heute, nicht unter diesen Bedingungen und, wenn ich ehrlich bin, nicht in diesem Trainingszustand.
Aber wenigstens eine neue Jahresbestzeit, schneller als die 3:03 auf Föhr, das sollte heraus kommen! Ab und an sah ich die Zwischenzeiten auf der Uhr – und schraubte meine Ansprüche weiter herunter. Von den ersten 3 Läufern sah ich keinen vor mir, aber wenigstens stimmte es mich hoffnungsvoll, dass kein Marathoni hinter mir zu sehen war. Ich kämpfte mich weiter durch die Reihen der Halbmarathonläufer, die in ihrer 2. und damit Schlussrunde waren. Es ist schon ein merkwürdiges Gefühl, wenn man mit klar höherer Geschwindigkeit Läufer überholt und dabei selbst etliche km mehr in den Beinen hat. Mit zunehmender Dauer wurden die Überholvorgänge naturgemäß langsamer: zum einen, weil es ja immer mehr die etwas schnelleren Halbmarathonis waren, zum anderen, weil ich selbst auch langsamer geworden war.
Ich war nicht mehr frisch und auch nicht mehr kraftvoll, als ich zum letzten Mal den kleinen Anstieg hinter dem Stadionausgang lief, der die letzte Runde einläutete. Die Strecke war wieder überschaubar: Nun waren nur noch die Marathonläufer auf Kurs, wobei die vor mir – bis auf 3 – alle in ihrer vorletzten Runde waren. Glücklicherweise musste ich selbst alles nur noch ein einziges Mal durchlaufen. Die Aussicht auf die Zielankunft war mein Ansporn, aber ich spürte, dass ich mich langsamer bewegte. Wozu sollte ich auch den allerletzten Einsatz zeigen? Zeitmäßig war da nix Dolles mehr herauszuholen, positionsmäßig war offensichtlich Platz 4 gesetzt. Die Uhr beachtete ich nicht mehr, kämpfte mich durch den Matsch, versuchte mit der Aussicht aufs baldige Ende manchmal ein wenig zu beschleunigen.
Als ich schließlich zum vierten Mal das Schild „10 km“ passiert hatte (die km sind lediglich von 1 bis 10 ausgeschildert, dazu dann noch die 5-er Abschnitte), hatte ich noch vielleicht einen Kilometer vor mir. Das stimmte mich froh. Nun war’s aber auch genug!
Ich lief ins Stadion ein. Da ist so eine ¾-Runde zu laufen, bevor dann die Wiesenrunde beginnt. Ich hatte das Stadion zur Hälfte durchlaufen, da tauchte einer neben mir auf und
sagte – „Na, nun komm mit!“
Ich – denken: „Hä? Was ist das denn? WER ist das denn?“
Ich – fragen: „Was läufst du denn?“
Er – „Marathon“
Ich – denken, diffus, verwirrt: „Marathon?“
Ich – laufen, versuchen mitzugehen, nix Kraft mehr haben,
Ich – denken: „Scheißdrauf“.
War nix mehr drin, ich bin noch ganz ordentlich durchgelaufen, aber 18 Sekunden habe ich noch verloren (auf vielleicht 500 m). Da wär’ auch nicht mehr gegangen. Ist okay so!
Und jetzt kommt der Clou:
Letztes Jahr bin ich an gleicher Stelle den Halbmarathon gelaufen, lag beim Eintritt ins Stadion wie heuer auch an 4. Position. Damals jedoch war es genau umgekehrt: Ich sah den Gesamtdritten vor mir, konnte aufschließen, vorbeigehen und mich so schließlich vom 4. auf den 3. Platz vorkämpfen. In diesem Jahr war es andersherum: Ich lag an 4. Stelle, wurde diesmal selbst im Stadion eingeholt, gab einen Platz ab und wurde so Gesamtfünfter.
Unterm Strich finde ich das gut so, wie es ist, nein besser: Vierter ist ’ne Scheißposition: direkt hinter einem Medaillenrang, aber eben doch nix in der Hand, dann lieber Fünfter: das ist ziemlich weit vorne, aber NICHT knapp hinter Bronze. So gesehen ist einmal 3. und einmal 5. klar besser als zweimal 4.
Der, der mich überholt hatte, war übrigens richtig fürsorglich. Entschuldigte sich 1000-mal, dass er mich noch überholte hatte. Er würde das normalerweise auch nicht machen, und gern schon gar nicht, aber es wäre für ihn heute die Chance auf Bestzeit gewesen, und die wär’s ja dann auch geworden. – Ich sah mich veranlasst, ihn zu trösten und aufzubauen: Das wäre völlig okay so. Er solle sich das nicht so zu Herzen nehmen. Ich würde das auch verkraften. Ja, ich hätte das genauso gemacht. Ich würde für ihn beten! (Das Letzte ist allerdings gelogen, da ich zwar christlich geprägt, aber seit langem Atheist bin.)
Da kann man mal sehen: Vor 2 Wochen löste ich noch Angst aus, dieses Mal Mitleid. Das muss die Rache der Virginia Woolf sein! Ob sie Einfluss genommen hat auf Platz und Zeit, weiß ich nicht. Mit meiner Platzierung bin ich ja wie gesagt auch zufrieden, mit der Zeit von schlussendlich 3:04:38 h nicht so recht. – Gut, ich habe gewichtige und handfeste Ausreden: die Gartenarbeit und mein beeinträchtigtes Bein, die aufgeweichte Strecke, das wenig marathonspezifische Training und das schwüle Wetter die letzten Tage. Aber Gartenarbeit ist nicht das einzige, was ich hasse. Ausreden gehören auch dazu.
Dass Marathon nicht automatisch teuer bedeuten muss, zeigt übrigens der Preis. 21 € habe ich für eine rundum gelungene und liebevoll organisierte Veranstaltung gezahlt, die sich zudem als richtige Multi-Kulti-Darbietung entpuppte. In der M35 z. B. gewann ein Belgier vor einem Holländer, und Dritter wurde ein Ire, der in Mexiko wohnt, Urlaub in Paris macht und zu einem Marathon nach Deutschland gefahren ist. Der ist halt ein wahrer Schnäppchenjäger!
Bernd