Ein Pokal, so klobig und hässlich, doch von nun an der Chef von allen!
Verfasst: 07.08.2012, 10:25
Die alte Heimat im Norden hatten wir wieder verlassen. Ich hatte gedacht, dass es an der Zeit wäre für ein als harmlosen Besuch getarntes Audit, ob unsere Kinder das monatliche Säcklein Golddukaten, das ihre armen Eltern sich vom Munde absparten, auch wirklich dem wahren Bestimmungszwecke zukommen ließen und nicht dem studentischen Lotterleben verfallen wären. So nahmen wir auf der Rücktour den Umweg über Berlin.
Laufen in der Großstadt ist Mist, denn um nicht im Nirvana zu landen, bleibt nur möglichst geradeaus und wieder zurück zu laufen. Das geht gut für 10 oder 15 km, aber 50 km auf diese Weise zusammenbringen? Never ever! So ein kleiner 50-er stand nun aber mal an fürs Wochenende. Also gegooglet, um zu schauen, wo was Längeres stattfinden sollte. 3 Marathonoptionen gab es: Rostock, Parkhausmarathon in Dresden und „Rund um den Kummerower See“. Da ich ein Faible für exotische kleine Läufe habe, ward letzteres auserwählt. Beratung mit der Familie ergab, dass wir einen Wochenendausflug in die Nähe machen wollten, aber irgendwie klappte das dann doch nicht, so dass ich mich am Morgen des Samstag allein auf den Weg machte.
Vorspiel
Bekanntlich ist ein Marathon 42,195 km lang. Berichte über den Lauf in der Mecklenburger Provinz wiesen aber auf eine kürzere Länge hin: 39 oder gar nur 35 km. Um auf meine geplanten 50 km zu kommen, lief ich folglich nach Ankunft erstmal los und legte 10 km vor. Abhängig von der tatsächlichen Marathonlänge konnte ich somit später die fehlenden Rest-km ergänzen. Es war sonnig, warm, aber recht angenehm durch einen lauen, dadurch etwas kühlenden Wind.
Verführung
Rechtzeitig nahm ich den Platz in meinem Startblock ein, froh, in diesem Jahr starten zu dürfen, wo es sich noch um eine überschaubare Größenordnung handelte. Mit einer Zuwachsrate von 250% ist die Veranstaltung mit Start in Neukalen wohl der Shooting Star unter den deutschen Marathons, und ich hatte überschlagen, dass, wenn der Trend sich fortsetzte, Berlin in 6 Jahren seinen Rang als größter deutscher Marathon an den „Lauf um den Kummerower See“ würde abtreten müssen.
Verglichen mit den 5 Männern und einer Frau des Vorjahres setzte sich diesmal eine schier endlose Läufermasse von 16 Männern plus 5 Frauen sowie eine Staffel in Bewegung. Ich wollte ja einen Trainingslauf machen, hatte ein 5 min-Tempo angepeilt und gedachte, es ruhig angehen zu lassen, sah mich kurz nach Start an 4. Position liegend. 1 km weiter: Also, den etwas Fülligeren da vor mir kann ich ja nun nicht ziehen lassen. Schwupps, gleich an zweien vorbei! Da ist ja nur noch der Typ, der wie ein Triathlet aussieht, vor mir. Den lass ich laufen. Klar, aber auf Sichtweite! 50 m Abstand sollten okay sein. 3 km weiter: Kann der nicht mehr? Oder will der nicht mehr? Jedenfalls war ich dran, war ich vorbei. Naja, fast.
Von hinten hatten einige aufgeschlossen. Zu Viert oder Fünft liefen wir nun fast gleichauf, ich leicht vorneweg. 5 km-Marke passiert: weniger als 22 min. Was soll dieser Scheiß, hä? Trainingslauf!!! 5 min-Tempo!!! 22 I-S-T V-I-E-L Z-U S-C-H-N-E-L-L! Ja, stimmte, lief aber grad so gut. Weiterlaufen lassen. Waldwege, bisschen rauf, bisschen runter, schattig, angenehm. Raus ausm Wald. Asphalt. Wo blieben die Atemgeräusche? Was war mit den Tritten? Tatsächlich, die hatten sich zurückfallen lassen. Jaaa, ganz gleichmäßig laufen, ruhig, Rhythmus halten! Lange Gerade, kein Schatten, Uhr piepste, 7 km vorbei. Genauso weiter, es lief gut. Puuh, wird warm, nein heiß! Muss doch bald mal Verpflegung geben. Trinken, Kühlung! Kopf wird heiß, Sonne brennt. Wasser! Wasser! Da muss doch was kommen. Kam nix, kam nur Piepser: 8 km! Sonne brannte weiter, brannte mehr. Wasser! Wo gibt’s den Verpflegungsposten? Muss doch endlich mal kommen! Mann, Herrgottnochmal! Piepser: 9 km! Immer noch nix? Immer noch nix!
Und weiter nix! 9,3 km: Ende! Wasser! Aber nicht zum Trinken! Strecke endete vorm Wasser. Aus der Ausschreibung: „Die 42 km – Strecke führt einmal um den See, wobei die Läufer an zwei Stellen mit Booten übergesetzt werden.“ Das war dann wohl die erste Stelle.
Versöhnung
Die Fähre näherte sich vom anderen Ufer her. Ich wartete. Es dauerte nicht lange, dann waren meine Verfolger auch da. Wir warteten gemeinsam. Zeitnahme? Hmm, ich hatte zwar nicht damit gerechnet, dass die Wartezeit mit elektronischen Hilfsmitteln heraus gerechnet würde, aber dass die Zeit einfach so weiterliefe – und mein schöner Vorsprung sich in Luft auflöste -, das hatte ich mir eben auch nicht vorgestellt. Dann war die Fähre da, alle gemeinsam stiegen wir ein, alle gemeinsam am anderen Ufer auch wieder aus, alle gemeinsam liefen wir los. Irgendwie kam ich mit der GPS-Uhr noch durcheinander, so dass mir einige Meter fehlten und ich im weiteren Verlauf weder die korrekte Distanz noch die korrekte Zeit wusste.
Ich lief weiter im gleichen Tempo, das Verfolgerfeld zerbröselte, schließlich blieb nur noch Einer im blauen Singlet dran. Die durch den Ort auf festem Bürgersteig verlaufende Strecke ging schließlich in unbefestigten Weg über – ich war erneut allein. Lief zügig, fühlte mich noch kraftvoll, obwohl: immer noch kein Verpflegungsposten! Die Strecke wechselte, wurde trail-artig, kurze steile Anstiege, schmaler Weg, Trampelpfad auf Wiese, dann sandiger Untergrund, rauf, runter. Anstrengung! An Bäumen und Sträuchern angebrachtes Flatterband hatte die roten aufgemalten Pfeile abgelöst.
Wo geht’s denn hier weiter? Da links? Mal gucken, ne, nix zu sehen, zurück! Vorne? Auch nix zu sehen. Ja, und nun? Mal weiter schauen. Ah, da hinten, da ist wieder der Pfeil!Und nun, nach 12 km, auch endlich, endlich die erste Versorgung:
„Sire, womit kann ich Euch ein Plaisir bereiten?“
„Wohlan, reiche er mir geschwind eines dieser durchsichtigen röhrenförmigen Behältnisse mit dem köstlich erquickenden H[SUB]2[/SUB]O darinnen!“
Ich lief, trank, achtete peinlichst genau auf den wechselnden, zum Sturze einladenden Untergrund, japste, trank wieder und füllte und kühlte mich mit der Flüssigkeit.
Verwirrung
Als ich die Ausschreibung gelesen hatte, die einen „anspruchsvollen“ Kurs angekündigt hatte, hatte ich das noch für Marketing-Geschwätz gehalten und gedacht, was denn an einem Seeweg anspruchsvoll sein sollte. Nun, ich lernte mehr und mehr, dass dies fürwahr keine Übertreibung war. Der Trail wurde zum hügeligen Trail: 50 m steil aufwärts, 40 tief abgehend, erneut 30 m empor, um flugs den Höhengewinn im folgenden Abstieg wieder aufzugeben. Die Laufstrecke wechselte vom schmalen, am Uferhang verlaufenden, mit Wurzeln durchsetzten Pfad zum sandigen Rutschweg und weiter zum nur schwer als Strecke erkennbaren Wiesentrampelpfad. Ja, du Scheiße! Das kostet ja richtig Kraft. Soll das etwa ewig so weitergehen? So viel Beinkraft hab ich doch überhaupt nicht mitgebracht. Oh nein, das hört ja wohl gar nicht mehr auf!
Und dann war es plötzlich vorbei! Nein, nicht das heftige Auf und Ab, sondern der Weg, die Markierung! Ich lief gerade am rechten Rand einer nach dorthin abschüssigen Wiese, schwach nur durch niedergetrampeltes Gras als Laufweg interpretierbar, rechts unter mir eine Strauchreihe als Abtrennung zum See, links in einiger Entfernung ein breiterer Feldweg. Aber keine Markierung: kein Flatterband, kein aufgemalter Pfeil, kein Schild „Marathon“. Schon seit längerem nicht! Bin ich richtig? Nein, das ist bestimmt nicht richtig! Ich muss eine Markierung übersehen haben. Bisher war die Strecke immer eindeutig zu erkennen. Sicherlich wird der Weg dahinten der richtige sein. Da lauf ich mal hin.
Mist! Da ist auch nix dran. An diesem Wegweiser wäre doch ganz bestimmt ein Hinweis angebracht gewesen. Also zurück. Erstmal weiter. Ey, was ist das? Da geht ein Weg nach unten? Klar, unterhalb der Strauchreihe wird ein Weg sein. Ich schau nur noch etwas weiter, ob nicht doch noch ein Hinweis kommt. Ne, immer noch nix! Also wieder zurück und den Weg nach unten nehmen. Da MUSS die richtige Strecke entlang gehen. Ah, Glück gehabt! Da vorne sind Leute.„Nein, hier kommen sie nicht weiter. Sie müssen wieder zurück und oben entlang laufen.“ Oh Mann, verfluchte Scheiße! Jetzt bin ich die ganze Zeit hier herum geeiert, und es war verkehrt. Mist, verdammter! Ich lag so gut im Rennen, so eine Kacke auch noch mal!
Ich regte mich ab und sagte mir, dass ich ja eigentlich einen 50 km-Trainingslauf machen wollte, und das könnte ich immer noch. Wenn ich die Laufstrecke nicht wiederfinden würde, würde ich notfalls eben meinen eigenen Weg laufen und die 50 km voll machen. Aber ärgerlich ist es doch, verdammte Hacke! Wann lieg ich denn schon mal insgesamt an erster Stelle? Könnten diese Idioten denn die Strecke nicht ordentlich auszeichnen???
Und dann sah ich plötzlich das blaue Singlet vor mir, im Abstand von vielleicht 200 m. Ich war mehr erleichtert als verärgert, denn das hieß, dass ich auf dem richtigen Weg war. Der schwierigste und anstrengendste Teil der Strecke lag auch offensichtlich hinter mir, denn der Weg wurde flacher und leichter zu laufen, die Sicht nach vorne weiter. Der Abstand verringerte sich, und nach 2 oder 3 km hatte ich zu meinem Singlet wieder aufgeschlossen. „Kacken?“ fragte er, als wir auf gleicher Höhe waren. „Ne, verlaufen!“
Verheißung
Um der Gefahr einer erneuten Desorientierung zu entgehen, hatte ich vor, zusammen zu laufen. Das Tempo entsprach aber nicht meinem Laufrhythmus, und so lief ich bald wieder allein voran. Die Laufstrecke wechselte zwischen Fahrradweg, innerörtlichem Bürgersteig und asphaltierter Straße, immer leicht bergan oder bergab verlaufend, bis sie schließlich in einen breiten Sandweg überging. Ab hier verdiente der Weg für die nächsten Kilometer das Prädikat „flach“ zu Recht. Enger wurde es, mit Wiesen und Kuhweiden links und rechts, lange Geraden mit freier Sicht nach vorne und hinten. Weit und breit keiner zu sehen! Doch ich traute dem Braten noch nicht so recht. Schließlich hatte mich vor 3 Wochen in Waldniel auch jemand kurz vorm Ziel überholt.
Ich musste mich so langsam der 30 km-Marke nähern. Die 5 km-Abschnitte waren übrigens tatsächlich markiert. Und dann schien der Kurs plötzlich erneut im Nirvana zu enden. Vor mir hörte der Weg auf, nur noch Gras und Schilf am Seeufer zu sehen. Doch da: ein Hinweispfeil! Ich war richtig, und jetzt folgte wohl das kurioseste Stück des ganzen Laufes. Der hohe Bewuchs war nieder gedrückt und wies einen Weg durch das hüfthohe Dickicht. Gute Koordination war gefragt, denn der feste Untergrund darunter war holprig, uneben, wies zahlreiche Stolpermöglichkeiten auf. Mit größter Vorsicht, hochkonzentriert, mit den Augen den Boden vor mir scannend, lief ich diese Passage ab. Zwischendrin war rechts am Rande sogar eine Markierung „30 km“ aufgetragen.
Nach etwa 600 m öffnete sich der Pfad wieder, der Boden wurde fester, nur noch leicht bewachsen, und hinter einer Biegung sah ich Leute mit einem kleinen Motorboot. „Marathon: geht’s hier ins Boot? Überfahrt?“ „Ja, ist schon richtig!“ Ich stieg ein, diesmal dauerte die Überfahrt über den Seezufluss sogar ein wenig länger, das Bild erinnerte mich an Szenen aus Crocodile Dundee oder Sumpffahrten durch Florida. Schade, hier hätte ich tatsächlich gern eine Kamera dabei gehabt. „Probier doch mal, ob du nicht an der Tonne da hinten anlegen kannst!“ Ja, haben die das nicht vorher ausprobiert? Wie viel Zeit soll ich hier denn noch verplempern? Aber dann ging es doch recht zügig, ich sprang vom Boot, rief ein „Tschüß“ und war verschwunden.
Verzückung
Nun war ich mir ziemlich sicher, dass mir der Sieg nicht mehr zu nehmen sein würde. Viel mehr als 8 km konnten nicht mehr vor mir liegen. Ich spürte zwar, dass ich insgesamt bereits über 40 km in den Beinen hatte, fühlte mich aber noch ganz okay. Geholfen hatte mir, dass der Himmel sich seit einigen km zugezogen hatte, wodurch die Temperatur erträglich war, und dass es im Mittelteil genügend Verpflegungspunkte gegeben hatte. Allerdings: der letzte lag auch schon wieder 5 km zurück. Was ich noch nicht wusste: es würde auch kein weiterer mehr kommen.
500 m nach der 2. Bootsüberfahrt traf ich auf eine befestigte Straße. Von nun an wechselten die letzten km wieder zwischen Fahrradweg, Bürgersteig und Straße selbst, und erneut ging es entweder sanft bergan oder sanft bergab. 4 km vorm Ziel hatten wohlmeinende Anwohner eine Schüssel mit Wasser und Becher hingestellt. Das konnte ich gut gebrauchen, trank 2 Becher und schüttete mir einen weiteren über den Kopf. Nun war ich fit für das Schlussstück. Mit einem plötzlich auftauchenden Verfolger rechnete ich nicht mehr, und als ich in einiger Entfernung vor mir einen anderen Läufer sah, war mir klar, dass das einer der (örtlich und zeitlich später gestarteten) 14 oder 20 km-Läufer sein musste.
Dann passierte ich das Ortsschild Neukalen, folgte den Pfeilen, war kurz vor dem Ende noch einmal irritiert, bis mir Helfer zuriefen, gleich rechts um die Ecke sei das Ziel, sah hinter der Biegung das Zielband über mir, lief hindurch und hatte den ersten Gesamtsieg meiner Laufkarriere im Sack. 16 Männer, 5 Frauen, macht zusammen zwar „nur“ 21 Läufer. Aber egal, Erster ist Erster!
Nachspiel 1
Dabei wollte ich doch eigentlich nur einen 50 km-Trainingslauf machen. Moment mal! Trainingslauf? Exakt 10,1 km habe ich vorgelegt. 38,5 km zeigt der FR im Ziel an. Macht zusammen 48,6 km. Also fehlen mir noch 1,4 km! Ich trank mein Wasser aus und machte mich auf zum Auslaufen. Der Himmel war dunkler geworden, ich hatte kaum 800 m hinter mir, als es wolkenbruchartig herabprasselte. Zum Schutz vor dem Hagel, der den überfallartigen Regen begleitete, stellte ich mich unter ein Hausdach. Der Sturzregen wurde nicht weniger, im Gegenteil, aber der Hagel hörte auf. Ich lief zurück und hatte das Gefühl, direkt durch ein Planschbecken zu traben. Da bereits alles komplett durchnässt war, war eh alles egal.
Im Zelt stärkte ich mich erst einmal. Das Angebot an Getränken und Essbarem stand einem Großevent in nichts nach. Ganz im Gegenteil. Das geht wohl auch nur, weil der Kreissportbund Demmin die Veranstaltung unterstützt. Der Beitrag für den Marathon beträgt ganze 11 € (!), und selbst für mich als Nachmelder waren es nur 13 €. Später fragte ich nach Duschmöglichkeiten und erhielt zwei 50 Cent-Stücke für die Dusche. So gesehen, sind es sogar nur 10 €. Wer da noch meckert (vgl. Waldniel-Kommentar), sollte lieber vor Scham im Boden versinken.
Durch den wolkenbruchartigen Regen verschob sich alles nach hinten. Ich aber wollte zurück nach Berlin, da wir abends noch etwas vorhatten. Auf meinen Hinweis, dass ich daher nicht bis 18 Uhr warten wollte, sondern fahren würde, hieß es: „Ja, na klar! Dann kriegst du deine Urkunde vorher. Was für’n Platz hast du denn?“, und die Cheforganisatorin kramte die vorbereitete Urkunde heraus. „Deine Zeit weißt du doch bestimmt. Oder willst du’s ganz genau haben?“
Aber hallo! Natürlich wollte ich es ganz genau haben! Wann wird mir schon mal die Ehre des Gesamtsiegers zuteil? Also ließ sie sich die Zeit nennen und trug mit sauberer, klarer Handschrift die Zeit 3:01:14 h ein. Als sie mir dann noch den Siegerpokal in die Hand drückte, musste ich erstmal schlucken. – Quatsch, nicht vor Ergriffenheit, sondern weil das Ding so klobig und potthässlich ist! Egal, der bekommt einen Ehrenplatz.
Nachspiel 2
Als ich ihn zuhause in meine Pokalsammlung einreihte, hatte ich den Eindruck, dass sich da irgendetwas bewegte. Und tatsächlich, am nächsten Tag ließ sich einer meiner Lieblingspokale eine Audienz geben. Mit besorgter, gleichwohl die Empörung nicht unterdrückender Stimme trug er mir eine Petition vor: Sicher, sie seien sich nicht immer alle grün, und es gäbe durchaus Neid und Missgunst, wer von ihnen den wertvollsten Triumph repräsentiere. Aber diesmal seien sie sich alle einig gewesen. Alle hätten sie unterschrieben, alle freiwillig, keiner habe gedrängt werden müssen. Ihre Forderung sei daher klar, eindeutig und von großer Bestimmtheit. Dieses „Ding“ da müsse weg! Das sei ja so hässlich, da könne keiner ruhigen Gewissens mich, ihren Gebieter, für die errungene Auszeichnung loben und preisen. Nein, schämen müssten sie sich stattdessen.
Schnurstracks ging ich ins Arbeitszimmer, baute mich vor den Pokalen auf, nahm die Ronaldo-Haltung ein, Beine abgespreizt, Fäuste in den Hüften, und dann bellte ich los:
KOMMT ÜBERHAUPT NICHT IN DIE TÜTE!
DIESER EHRENPOKAL BLEIBT DA STEHEN!
UND DAMIT IHR’S WISST: DER IST AB SOFORT EUER CHEF!
BASTA!
Wo kommen wir denn dahin? Wir leben doch nicht in einer Pokalokratie!
Bernd
Laufen in der Großstadt ist Mist, denn um nicht im Nirvana zu landen, bleibt nur möglichst geradeaus und wieder zurück zu laufen. Das geht gut für 10 oder 15 km, aber 50 km auf diese Weise zusammenbringen? Never ever! So ein kleiner 50-er stand nun aber mal an fürs Wochenende. Also gegooglet, um zu schauen, wo was Längeres stattfinden sollte. 3 Marathonoptionen gab es: Rostock, Parkhausmarathon in Dresden und „Rund um den Kummerower See“. Da ich ein Faible für exotische kleine Läufe habe, ward letzteres auserwählt. Beratung mit der Familie ergab, dass wir einen Wochenendausflug in die Nähe machen wollten, aber irgendwie klappte das dann doch nicht, so dass ich mich am Morgen des Samstag allein auf den Weg machte.
Vorspiel
Bekanntlich ist ein Marathon 42,195 km lang. Berichte über den Lauf in der Mecklenburger Provinz wiesen aber auf eine kürzere Länge hin: 39 oder gar nur 35 km. Um auf meine geplanten 50 km zu kommen, lief ich folglich nach Ankunft erstmal los und legte 10 km vor. Abhängig von der tatsächlichen Marathonlänge konnte ich somit später die fehlenden Rest-km ergänzen. Es war sonnig, warm, aber recht angenehm durch einen lauen, dadurch etwas kühlenden Wind.
Verführung
Rechtzeitig nahm ich den Platz in meinem Startblock ein, froh, in diesem Jahr starten zu dürfen, wo es sich noch um eine überschaubare Größenordnung handelte. Mit einer Zuwachsrate von 250% ist die Veranstaltung mit Start in Neukalen wohl der Shooting Star unter den deutschen Marathons, und ich hatte überschlagen, dass, wenn der Trend sich fortsetzte, Berlin in 6 Jahren seinen Rang als größter deutscher Marathon an den „Lauf um den Kummerower See“ würde abtreten müssen.
Verglichen mit den 5 Männern und einer Frau des Vorjahres setzte sich diesmal eine schier endlose Läufermasse von 16 Männern plus 5 Frauen sowie eine Staffel in Bewegung. Ich wollte ja einen Trainingslauf machen, hatte ein 5 min-Tempo angepeilt und gedachte, es ruhig angehen zu lassen, sah mich kurz nach Start an 4. Position liegend. 1 km weiter: Also, den etwas Fülligeren da vor mir kann ich ja nun nicht ziehen lassen. Schwupps, gleich an zweien vorbei! Da ist ja nur noch der Typ, der wie ein Triathlet aussieht, vor mir. Den lass ich laufen. Klar, aber auf Sichtweite! 50 m Abstand sollten okay sein. 3 km weiter: Kann der nicht mehr? Oder will der nicht mehr? Jedenfalls war ich dran, war ich vorbei. Naja, fast.
Von hinten hatten einige aufgeschlossen. Zu Viert oder Fünft liefen wir nun fast gleichauf, ich leicht vorneweg. 5 km-Marke passiert: weniger als 22 min. Was soll dieser Scheiß, hä? Trainingslauf!!! 5 min-Tempo!!! 22 I-S-T V-I-E-L Z-U S-C-H-N-E-L-L! Ja, stimmte, lief aber grad so gut. Weiterlaufen lassen. Waldwege, bisschen rauf, bisschen runter, schattig, angenehm. Raus ausm Wald. Asphalt. Wo blieben die Atemgeräusche? Was war mit den Tritten? Tatsächlich, die hatten sich zurückfallen lassen. Jaaa, ganz gleichmäßig laufen, ruhig, Rhythmus halten! Lange Gerade, kein Schatten, Uhr piepste, 7 km vorbei. Genauso weiter, es lief gut. Puuh, wird warm, nein heiß! Muss doch bald mal Verpflegung geben. Trinken, Kühlung! Kopf wird heiß, Sonne brennt. Wasser! Wasser! Da muss doch was kommen. Kam nix, kam nur Piepser: 8 km! Sonne brannte weiter, brannte mehr. Wasser! Wo gibt’s den Verpflegungsposten? Muss doch endlich mal kommen! Mann, Herrgottnochmal! Piepser: 9 km! Immer noch nix? Immer noch nix!
Und weiter nix! 9,3 km: Ende! Wasser! Aber nicht zum Trinken! Strecke endete vorm Wasser. Aus der Ausschreibung: „Die 42 km – Strecke führt einmal um den See, wobei die Läufer an zwei Stellen mit Booten übergesetzt werden.“ Das war dann wohl die erste Stelle.
Versöhnung
Die Fähre näherte sich vom anderen Ufer her. Ich wartete. Es dauerte nicht lange, dann waren meine Verfolger auch da. Wir warteten gemeinsam. Zeitnahme? Hmm, ich hatte zwar nicht damit gerechnet, dass die Wartezeit mit elektronischen Hilfsmitteln heraus gerechnet würde, aber dass die Zeit einfach so weiterliefe – und mein schöner Vorsprung sich in Luft auflöste -, das hatte ich mir eben auch nicht vorgestellt. Dann war die Fähre da, alle gemeinsam stiegen wir ein, alle gemeinsam am anderen Ufer auch wieder aus, alle gemeinsam liefen wir los. Irgendwie kam ich mit der GPS-Uhr noch durcheinander, so dass mir einige Meter fehlten und ich im weiteren Verlauf weder die korrekte Distanz noch die korrekte Zeit wusste.
Ich lief weiter im gleichen Tempo, das Verfolgerfeld zerbröselte, schließlich blieb nur noch Einer im blauen Singlet dran. Die durch den Ort auf festem Bürgersteig verlaufende Strecke ging schließlich in unbefestigten Weg über – ich war erneut allein. Lief zügig, fühlte mich noch kraftvoll, obwohl: immer noch kein Verpflegungsposten! Die Strecke wechselte, wurde trail-artig, kurze steile Anstiege, schmaler Weg, Trampelpfad auf Wiese, dann sandiger Untergrund, rauf, runter. Anstrengung! An Bäumen und Sträuchern angebrachtes Flatterband hatte die roten aufgemalten Pfeile abgelöst.
Wo geht’s denn hier weiter? Da links? Mal gucken, ne, nix zu sehen, zurück! Vorne? Auch nix zu sehen. Ja, und nun? Mal weiter schauen. Ah, da hinten, da ist wieder der Pfeil!Und nun, nach 12 km, auch endlich, endlich die erste Versorgung:
„Sire, womit kann ich Euch ein Plaisir bereiten?“
„Wohlan, reiche er mir geschwind eines dieser durchsichtigen röhrenförmigen Behältnisse mit dem köstlich erquickenden H[SUB]2[/SUB]O darinnen!“
Ich lief, trank, achtete peinlichst genau auf den wechselnden, zum Sturze einladenden Untergrund, japste, trank wieder und füllte und kühlte mich mit der Flüssigkeit.
Verwirrung
Als ich die Ausschreibung gelesen hatte, die einen „anspruchsvollen“ Kurs angekündigt hatte, hatte ich das noch für Marketing-Geschwätz gehalten und gedacht, was denn an einem Seeweg anspruchsvoll sein sollte. Nun, ich lernte mehr und mehr, dass dies fürwahr keine Übertreibung war. Der Trail wurde zum hügeligen Trail: 50 m steil aufwärts, 40 tief abgehend, erneut 30 m empor, um flugs den Höhengewinn im folgenden Abstieg wieder aufzugeben. Die Laufstrecke wechselte vom schmalen, am Uferhang verlaufenden, mit Wurzeln durchsetzten Pfad zum sandigen Rutschweg und weiter zum nur schwer als Strecke erkennbaren Wiesentrampelpfad. Ja, du Scheiße! Das kostet ja richtig Kraft. Soll das etwa ewig so weitergehen? So viel Beinkraft hab ich doch überhaupt nicht mitgebracht. Oh nein, das hört ja wohl gar nicht mehr auf!
Und dann war es plötzlich vorbei! Nein, nicht das heftige Auf und Ab, sondern der Weg, die Markierung! Ich lief gerade am rechten Rand einer nach dorthin abschüssigen Wiese, schwach nur durch niedergetrampeltes Gras als Laufweg interpretierbar, rechts unter mir eine Strauchreihe als Abtrennung zum See, links in einiger Entfernung ein breiterer Feldweg. Aber keine Markierung: kein Flatterband, kein aufgemalter Pfeil, kein Schild „Marathon“. Schon seit längerem nicht! Bin ich richtig? Nein, das ist bestimmt nicht richtig! Ich muss eine Markierung übersehen haben. Bisher war die Strecke immer eindeutig zu erkennen. Sicherlich wird der Weg dahinten der richtige sein. Da lauf ich mal hin.
Mist! Da ist auch nix dran. An diesem Wegweiser wäre doch ganz bestimmt ein Hinweis angebracht gewesen. Also zurück. Erstmal weiter. Ey, was ist das? Da geht ein Weg nach unten? Klar, unterhalb der Strauchreihe wird ein Weg sein. Ich schau nur noch etwas weiter, ob nicht doch noch ein Hinweis kommt. Ne, immer noch nix! Also wieder zurück und den Weg nach unten nehmen. Da MUSS die richtige Strecke entlang gehen. Ah, Glück gehabt! Da vorne sind Leute.„Nein, hier kommen sie nicht weiter. Sie müssen wieder zurück und oben entlang laufen.“ Oh Mann, verfluchte Scheiße! Jetzt bin ich die ganze Zeit hier herum geeiert, und es war verkehrt. Mist, verdammter! Ich lag so gut im Rennen, so eine Kacke auch noch mal!
Ich regte mich ab und sagte mir, dass ich ja eigentlich einen 50 km-Trainingslauf machen wollte, und das könnte ich immer noch. Wenn ich die Laufstrecke nicht wiederfinden würde, würde ich notfalls eben meinen eigenen Weg laufen und die 50 km voll machen. Aber ärgerlich ist es doch, verdammte Hacke! Wann lieg ich denn schon mal insgesamt an erster Stelle? Könnten diese Idioten denn die Strecke nicht ordentlich auszeichnen???
Und dann sah ich plötzlich das blaue Singlet vor mir, im Abstand von vielleicht 200 m. Ich war mehr erleichtert als verärgert, denn das hieß, dass ich auf dem richtigen Weg war. Der schwierigste und anstrengendste Teil der Strecke lag auch offensichtlich hinter mir, denn der Weg wurde flacher und leichter zu laufen, die Sicht nach vorne weiter. Der Abstand verringerte sich, und nach 2 oder 3 km hatte ich zu meinem Singlet wieder aufgeschlossen. „Kacken?“ fragte er, als wir auf gleicher Höhe waren. „Ne, verlaufen!“
Verheißung
Um der Gefahr einer erneuten Desorientierung zu entgehen, hatte ich vor, zusammen zu laufen. Das Tempo entsprach aber nicht meinem Laufrhythmus, und so lief ich bald wieder allein voran. Die Laufstrecke wechselte zwischen Fahrradweg, innerörtlichem Bürgersteig und asphaltierter Straße, immer leicht bergan oder bergab verlaufend, bis sie schließlich in einen breiten Sandweg überging. Ab hier verdiente der Weg für die nächsten Kilometer das Prädikat „flach“ zu Recht. Enger wurde es, mit Wiesen und Kuhweiden links und rechts, lange Geraden mit freier Sicht nach vorne und hinten. Weit und breit keiner zu sehen! Doch ich traute dem Braten noch nicht so recht. Schließlich hatte mich vor 3 Wochen in Waldniel auch jemand kurz vorm Ziel überholt.
Ich musste mich so langsam der 30 km-Marke nähern. Die 5 km-Abschnitte waren übrigens tatsächlich markiert. Und dann schien der Kurs plötzlich erneut im Nirvana zu enden. Vor mir hörte der Weg auf, nur noch Gras und Schilf am Seeufer zu sehen. Doch da: ein Hinweispfeil! Ich war richtig, und jetzt folgte wohl das kurioseste Stück des ganzen Laufes. Der hohe Bewuchs war nieder gedrückt und wies einen Weg durch das hüfthohe Dickicht. Gute Koordination war gefragt, denn der feste Untergrund darunter war holprig, uneben, wies zahlreiche Stolpermöglichkeiten auf. Mit größter Vorsicht, hochkonzentriert, mit den Augen den Boden vor mir scannend, lief ich diese Passage ab. Zwischendrin war rechts am Rande sogar eine Markierung „30 km“ aufgetragen.
Nach etwa 600 m öffnete sich der Pfad wieder, der Boden wurde fester, nur noch leicht bewachsen, und hinter einer Biegung sah ich Leute mit einem kleinen Motorboot. „Marathon: geht’s hier ins Boot? Überfahrt?“ „Ja, ist schon richtig!“ Ich stieg ein, diesmal dauerte die Überfahrt über den Seezufluss sogar ein wenig länger, das Bild erinnerte mich an Szenen aus Crocodile Dundee oder Sumpffahrten durch Florida. Schade, hier hätte ich tatsächlich gern eine Kamera dabei gehabt. „Probier doch mal, ob du nicht an der Tonne da hinten anlegen kannst!“ Ja, haben die das nicht vorher ausprobiert? Wie viel Zeit soll ich hier denn noch verplempern? Aber dann ging es doch recht zügig, ich sprang vom Boot, rief ein „Tschüß“ und war verschwunden.
Verzückung
Nun war ich mir ziemlich sicher, dass mir der Sieg nicht mehr zu nehmen sein würde. Viel mehr als 8 km konnten nicht mehr vor mir liegen. Ich spürte zwar, dass ich insgesamt bereits über 40 km in den Beinen hatte, fühlte mich aber noch ganz okay. Geholfen hatte mir, dass der Himmel sich seit einigen km zugezogen hatte, wodurch die Temperatur erträglich war, und dass es im Mittelteil genügend Verpflegungspunkte gegeben hatte. Allerdings: der letzte lag auch schon wieder 5 km zurück. Was ich noch nicht wusste: es würde auch kein weiterer mehr kommen.
500 m nach der 2. Bootsüberfahrt traf ich auf eine befestigte Straße. Von nun an wechselten die letzten km wieder zwischen Fahrradweg, Bürgersteig und Straße selbst, und erneut ging es entweder sanft bergan oder sanft bergab. 4 km vorm Ziel hatten wohlmeinende Anwohner eine Schüssel mit Wasser und Becher hingestellt. Das konnte ich gut gebrauchen, trank 2 Becher und schüttete mir einen weiteren über den Kopf. Nun war ich fit für das Schlussstück. Mit einem plötzlich auftauchenden Verfolger rechnete ich nicht mehr, und als ich in einiger Entfernung vor mir einen anderen Läufer sah, war mir klar, dass das einer der (örtlich und zeitlich später gestarteten) 14 oder 20 km-Läufer sein musste.
Dann passierte ich das Ortsschild Neukalen, folgte den Pfeilen, war kurz vor dem Ende noch einmal irritiert, bis mir Helfer zuriefen, gleich rechts um die Ecke sei das Ziel, sah hinter der Biegung das Zielband über mir, lief hindurch und hatte den ersten Gesamtsieg meiner Laufkarriere im Sack. 16 Männer, 5 Frauen, macht zusammen zwar „nur“ 21 Läufer. Aber egal, Erster ist Erster!
Nachspiel 1
Dabei wollte ich doch eigentlich nur einen 50 km-Trainingslauf machen. Moment mal! Trainingslauf? Exakt 10,1 km habe ich vorgelegt. 38,5 km zeigt der FR im Ziel an. Macht zusammen 48,6 km. Also fehlen mir noch 1,4 km! Ich trank mein Wasser aus und machte mich auf zum Auslaufen. Der Himmel war dunkler geworden, ich hatte kaum 800 m hinter mir, als es wolkenbruchartig herabprasselte. Zum Schutz vor dem Hagel, der den überfallartigen Regen begleitete, stellte ich mich unter ein Hausdach. Der Sturzregen wurde nicht weniger, im Gegenteil, aber der Hagel hörte auf. Ich lief zurück und hatte das Gefühl, direkt durch ein Planschbecken zu traben. Da bereits alles komplett durchnässt war, war eh alles egal.
Im Zelt stärkte ich mich erst einmal. Das Angebot an Getränken und Essbarem stand einem Großevent in nichts nach. Ganz im Gegenteil. Das geht wohl auch nur, weil der Kreissportbund Demmin die Veranstaltung unterstützt. Der Beitrag für den Marathon beträgt ganze 11 € (!), und selbst für mich als Nachmelder waren es nur 13 €. Später fragte ich nach Duschmöglichkeiten und erhielt zwei 50 Cent-Stücke für die Dusche. So gesehen, sind es sogar nur 10 €. Wer da noch meckert (vgl. Waldniel-Kommentar), sollte lieber vor Scham im Boden versinken.
Durch den wolkenbruchartigen Regen verschob sich alles nach hinten. Ich aber wollte zurück nach Berlin, da wir abends noch etwas vorhatten. Auf meinen Hinweis, dass ich daher nicht bis 18 Uhr warten wollte, sondern fahren würde, hieß es: „Ja, na klar! Dann kriegst du deine Urkunde vorher. Was für’n Platz hast du denn?“, und die Cheforganisatorin kramte die vorbereitete Urkunde heraus. „Deine Zeit weißt du doch bestimmt. Oder willst du’s ganz genau haben?“
Aber hallo! Natürlich wollte ich es ganz genau haben! Wann wird mir schon mal die Ehre des Gesamtsiegers zuteil? Also ließ sie sich die Zeit nennen und trug mit sauberer, klarer Handschrift die Zeit 3:01:14 h ein. Als sie mir dann noch den Siegerpokal in die Hand drückte, musste ich erstmal schlucken. – Quatsch, nicht vor Ergriffenheit, sondern weil das Ding so klobig und potthässlich ist! Egal, der bekommt einen Ehrenplatz.
Nachspiel 2
Als ich ihn zuhause in meine Pokalsammlung einreihte, hatte ich den Eindruck, dass sich da irgendetwas bewegte. Und tatsächlich, am nächsten Tag ließ sich einer meiner Lieblingspokale eine Audienz geben. Mit besorgter, gleichwohl die Empörung nicht unterdrückender Stimme trug er mir eine Petition vor: Sicher, sie seien sich nicht immer alle grün, und es gäbe durchaus Neid und Missgunst, wer von ihnen den wertvollsten Triumph repräsentiere. Aber diesmal seien sie sich alle einig gewesen. Alle hätten sie unterschrieben, alle freiwillig, keiner habe gedrängt werden müssen. Ihre Forderung sei daher klar, eindeutig und von großer Bestimmtheit. Dieses „Ding“ da müsse weg! Das sei ja so hässlich, da könne keiner ruhigen Gewissens mich, ihren Gebieter, für die errungene Auszeichnung loben und preisen. Nein, schämen müssten sie sich stattdessen.
Schnurstracks ging ich ins Arbeitszimmer, baute mich vor den Pokalen auf, nahm die Ronaldo-Haltung ein, Beine abgespreizt, Fäuste in den Hüften, und dann bellte ich los:
KOMMT ÜBERHAUPT NICHT IN DIE TÜTE!
DIESER EHRENPOKAL BLEIBT DA STEHEN!
UND DAMIT IHR’S WISST: DER IST AB SOFORT EUER CHEF!
BASTA!
Wo kommen wir denn dahin? Wir leben doch nicht in einer Pokalokratie!
Bernd