Die Physik ist auch nicht mehr das, was sie mal war [WLS Duisburg 2013]
Verfasst: 25.03.2013, 10:42
Die Nervenzellen arbeiteten auf Hochtouren. Die zerebellare Dekodierung hielt damit kaum Schritt. Fuhr da jemand mit grobkörnigem Schmirgelpapier über meine Wangen? Ach nein, es war nur diese Eiseskälte im Verein mit dem böigen Wind, die die Haut rötete und prickelnde Nadelstiche verursachte. Aber es war okay, wir hatten es ja vorher gewusst und uns dennoch für den Ausflug in die Stadt an der Newa entschieden, Anfang März, wenn es noch bitterkalt sein kann. Schwitzend, weil dick eingemümmelt für die erwarteten tiefen Temperaturen, hatten wir gestern bei morgendlichen 10° die Koffer hinter uns hergezogen. Ich lächelte in mich hinein: In einigen Tagen würden wir in diesen Frühling zurück kehren und ich würde meine Marathonvorbereitung fortsetzen.
Den Minusgraden angepasst, bestiegen wir dick eingemümmelt Tage später die Metro zur „Moskovskaja“ und den Zubringerbus zum Flughafen Pulkovo. Für die Landung in Berlin hatten wir leichtere Sachen bereit gelegt – und bekamen einen Schock, als wir in die Kälte zurück kehrten. (Nur ein wenig) eingemümmelt stieg ich tags darauf wieder ins Marathontraining ein, und am zweiten Lauftag kündigte sich der Rotz an. Sollte jemals Norbert Blüm der Lüge überführt werden („Die Rente ist sicher.“) und ich in hohem Alter zur Aufnahme einer bezahlten Tätigkeit gezwungen sein, so würde ich eine schicke Uniform sowie eine Reitpeitsche erwerben und als Kutscher anheuern. Den zugehörigen Gruß beherrsche ich jedenfalls perfekt. Am dritten Tag standen Horden von Papiertaschentuchfabrikanten vor unserer Tür, weil sie hier, und das zu Recht, das Geschäft ihres Lebens witterten.
Ich kann mich nicht erinnern, wann ich zuletzt eine Erkältung hatte. Ich denke, das muss mindestens 4 oder 5 Jahre her sein. Ich erinnere mich aber, dass es meistens so 3 Tage dauerte, an denen die Nase lief und dass spätestens ab Tag 4 lockeres Lauftraining okay war. An Tag 4 bekam ich heuer erstmal Fieber und legte mich ins Bett. Um meine Zeit nicht sinnlos zu verschwenden und mich vorzubereiten, klickte ich mich durch einige Sargmodelle. In solchen Stunden der Prüfung offenbaren sich oft wahre Abgründe der menschlichen Seele. Erneut wurde mir vor Augen geführt, wie hart, herzlos und unsensibel doch der weibliche Teil der Menschheit sein kann. Während ich eine Checkliste angefangen hatte, was vor der Einäscherung alles noch zu erledigen sei, meinte das Stein gewordene Ungeheuer an meiner Seite nur, ich solle mich nicht so anstellen, an einer Erkältung stürbe man nicht. Wie kann man im Angesicht des nahenden Endes nur so grausam sein!
Völlig unerwartet zeigte der Sensenmann doch noch ein Einsehen. Das Fieber war im Laufe des nächsten Tages verschwunden, und auch die Triefnase hatte das Schlimmste hinter sich. Dennoch: an Laufen war nicht zu denken. Nur fing ich langsam an, mich zu fragen, was denn mit dem letzten Lauf der Serie werden sollte. 6 komplett lauffreie Tage lagen hinter mir, weitere 3 Tage waren es noch bis zum Ereignis, und es waren zwar erste Anzeichen der Besserung zu erkennen, aber besiegt war die Erkältung noch lange nicht. Ich war nicht so richtig okay, dabei lag ich doch so gut im Rennen um die Podestplätze.
Kurzer Rückblick: Lauf 0 bis 2 der Duisburger Serie
Nein, das ist kein Fehler! Das Rennen fängt in der Tat mit dem Rennen vor dem Rennen an, sprich mit Erwerb der Teilnahmemöglichkeit. Als ich mich Mitte November anmelden wollte, war es bereits zu spät: Sämtliche 4.900 Startplätze waren vergeben. Schade! Aber da konnte man nichts machen. – Konnte man nicht? Die Fügung wollte es, dass ich wenige Tage später meinen Freistart für den 3. AK-Platz in Frankfurt erhielt. Hm! Ich setzte mich hin und schrieb dem Duisburger Veranstalter, ob so etwas nicht auch eine Anregung für die Winterlaufserie wäre. Es müsste ja auch nicht gleich ein Freistart sein, eine Startgarantie fürs nächste Jahr täte es ja auch schon. Ich hatte das als Anregung für die fernere Zukunft verstanden und mit keiner direkten Reaktion gerechnet.
Doch kurz darauf erhielt ich das Feedback, dass man sich so etwas auch schon überlegt habe, und vielleicht … und überhaupt… Jedenfalls kam ich so doch noch zu meiner Startnummer. Bezahlen musste ich sie natürlich dennoch, und zwar beim ersten Lauf. Natürlich hatte ich keine 40 € dabei, zwängte die Girocard in das Hosentäschchen, fragte mich dann durch nach einem Bankautomaten und kam auf diese Weise zu einer Einlaufrunde von 6 km.
Dieser erste Lauf über 10 km hatte es in sich: alles verschneit und vereist, doch die fleißigen Helfer hatten die Rundstrecke abgeändert auf eine zweimal zu laufende 5 km-Runde, die überwiegend frei geräumt worden war – bis auf einen sehr rutschigen, von Schneematsch geprägten Abschnitt im Wald von ca. 1,5 km Länge. Nach defensiverer erster Hälfte reichte es durch leichtes Anziehen in Runde 2 zu einer Zeit von 39:31 min.
Der zweite Lauf über 15 km fand unter etwas besseren Bedingungen statt, war doch der Schnee zurück gegangen, so dass sich mit vernünftigem Abdruck laufen ließ. Lediglich einige Passagen waren mit einer dünnen Schnee-, teils auch Eisschicht bedeckt und dementsprechend etwas rutschig. Indes: die kalten Temperaturen und der knackige unangenehme Wind waren geblieben. Aus dem vollen Training heraus war ich mit meinen 58:05 min äußerst zufrieden. Nun hatte ich in der Serienwertung fast 9 Minuten Vorsprung.
Halbmarathon und Lauf 3 der Serie
Am Donnerstag und Freitag machte ich je einen Test: 7 und 10 km. Ging eigentlich ganz gut. Kopf und Brust fühlten sich an der frischen Luft sogar besser an als drinnen in der warmen Bude. Allerdings waren die Beine durch fast eine Woche Nichtstun leicht kraftlos, und es war unschwer festzustellen, dass die Erkältung keine aufbauende Wirkung entfaltet hatte. Ich war ratlos. Wenn’s wenigstens (nur) ein Zehner gewesen wäre! Aber 21,1 km sind nicht ganz ohne.
Ich empfand Bedauern bei dem Gedanken, die Serie nicht zu Ende laufen zu können, und befasste mich mit Notfallplanung. Es musste ja nicht schnell sein. Selbst wenn ich nur mit 4:30 dahin schleichen würde, müsste das noch dicke hinkommen. Ja, selbst 4:40 würde wohl noch reichen. Der Schalter wurde so allmählich in Richtung „Laufen“ umgelegt. Und dann begann ich auch schon wieder zu überlegen, ob ich nicht 1:30 laufen könnte, denn das könnte zusätzlich den dritten Einzelsieg bedeuten. Und wie viele Plätze würde ich in der Gesamtwertung abgeben. Ach was, Mann! Fall’ nicht gleich wieder ins andere Extrem. Wenn du läufst, dann sei zufrieden, dass du überhaupt die Serie beendest!
Als ich aus dem Auto stieg, war es arschkalt. Eisiger Ostwind war angesagt, und der ließ sich nicht vergebens bitten. Ich zog mich bewusst wärmer an. Das wichtigste Bekleidungsstück war die winddichte Jacke. Ich wollte nicht mit nassem Schweiß am Körper dann noch den beißenden Wind auf mich einwirken lassen. Beim kurzen Einlaufen riefen Mr und Mrs VeloC zu, ich sähe fit aus. Ich weiß nicht, ob sie mich einfach nur trösten wollten, verneinte aber mal sicherheitshalber, um einer möglichen Legendenbildung vorzubeugen. In der Startaufstellung ging ich diesmal freiwillig ein paar Meter nach hinten. Nur nicht sich verführen lassen!
Dann ging es los, „running against the wind“. Ich lief locker und unangestrengt. Nach 1 km ein kurzer Blick auf die Uhr: 4:13! 4:13? 4:13 ist gut! 4:15 wäre 1:30 h. Wenn das so locker mit 4:13 geht, dann könnten da ja vielleicht am Ende 1:30 h heraus kommen, also AK-Sieg auch im Einzel schien trotz Widrigkeiten im Bereich des Machbaren. Obwohl wir die Richtung wechselten, kam dieser verfluchte Eiswind schon wieder von vorn. Na gut, diese Strecke laufen wir nachher in anderer Richtung. Dann werden wir den Wind im Nacken haben. Km 2, Blick auf die Uhr: letzter km 4:06. 4:06? Was? Ich bin doch nicht schneller geworden! Dann fiel es mir ein: Ich war ja erst nach 8 oder 9 Sekunden über die Startlinie gelaufen, d. h. der erste km war schon schneller gewesen.
2 km war ich nun also um einiges schneller gelaufen als ursprünglich gedacht. Es kam mir aber nicht sonderlich anstrengend vor. Hatte ich vielleicht doch nicht so viel Kondition verloren durch die Erkältungswoche? Ich hatte ja vorher auch gut im Training gestanden. Jedenfalls kam bewusste Abbremsung nicht in Frage, und ich ließ es weiterhin laufen. Gruppe um Gruppe arbeitete ich mich vor. Die Jacke schützte mich vor dem eisigen Wind, die Füße, die anfangs noch gefroren hatten, waren mittlerweile warm geworden. Durch das Waldstück hindurch gab es ein leichtes Auf und Ab, aber es war immerhin ein bisschen windgeschützt. Dann kam das km-Schild 10, fast die Hälfte hinter mir, ein kurzer Blick zur Uhr. Noch unter 41 Minuten.
Noch ein kleines Stück, dann würde die Waldrunde hinter mir liegen, und es ging schnurstracks auf asphaltierter Strecke Richtung Ausgangspunkt zurück bis kurz vor km 15. Und da würde ich den Wind im Rücken haben. Angenehm! – Ich lief auf den Bürgersteig, km 11 grüßte. Doch verflucht, was war das denn? Da sollte doch der Wind schieben, aber was war? Der blies mir entgegen, und das wurde im weiteren Verlauf eher noch schlimmer. Ja, hatte der etwa gedreht? War das einer dieser neumodischen ABS-Winde? (ABS=Anti-Burny-Sensor) Das hatte doch alles mit normaler Physik nichts zu tun, aber es half nichts. Ich lief schon wieder gegen den Wind, aller Logik zum Trotz.
Und es sollte noch schlimmer kommen. Etwa nach 14,5 km war das Ende der Regattabahn erreicht, die Strecke bog nach links ab, und es ging auf der anderen Seite wieder zurück, also noch mal weg vom Ziel. Und was passierte? Immer noch oder schon wieder Gegenwind! Das ging doch nicht mit rechten Dingen zu. Und allmählich machte sich auch der Trainingsausfall plus Erkältungshammer bemerkbar. Es lief schwerer, deutlich schwerer. „Hey, alter Sack!“ Eine Motivationsspritze, nachlangerpause sei Dank! Immer noch lief ich auf der Überholspur, aber wohl auch nur, weil die anderen Läufer langsamer wurden. So platt der Vergleich klingen mag, aber meine Oberschenkel schienen die Konsistenz von Pudding anzunehmen. Ich kämpfte.
Als das gegenüberliegende Ende der Regattabahn erreicht war, bog der Weg nach rechts ab, um nach weiteren 4 km und in einigen Windungen zum Ziel zu führen. Ich passierte km 17 und dachte mir, dass es ein leichtes sei, nun auf langsam zu machen. Aber so anstrengend mir die Rennerei jetzt auch fiel: sich hängen lassen war noch nie eine Alternative, und so versuchte ich mich aufzubauen, indem ich mir sagte, ich bräuchte nur meine Position zu halten. Von hinten kam ja eigentlich gar nichts, und nach vorne hin müsste ich eben auch nichts mehr herauslaufen.
Einen Läufer sah ich vielleicht 50 m vor mir, und an dem Abstand orientierte ich mich. Ich probierte zwar nicht aufzulaufen, sah aber zu, dass der Abstand auch nicht größer wurde. So lenkte ich mich davon ab, dass ich mittlerweile keine Kraft mehr hatte und es ein richtiger Kampf geworden war. So erreichte ich Km 18, weiter, weiter, einfach nur Tempo beibehalten, dranbleiben, weiter, km 19 geschafft. Keine 2 km mehr, das läufst du durch! Noch mal gegen den Wind, ist jetzt auch egal, ist nicht mehr weit, diese lange Gerade immer weiter, bald kommt der letzte Abzweig nach links, da ist km 20, und dann nur noch ein lächerlicher Kilometer. Und endlich war auch das lächerliche vorletzte km-Schild passiert. 20 km geschafft, 1 km noch, 1 km (jaja, 1,1 km, klar doch, diese lächerlichen 100 m on top)!
Auf der Friedrich-Albert-Straße mit ihren Schlaglöchern dem Ziel entgegen, jetzt noch mal anziehen, endlich kein Gegenwind mehr. Da vorne, ein letztes Mal abbiegen nach rechts, zur Margaretenstraße, in der der Start erfolgte, Zuschauer, Zurufe, 500 m noch, nach links hinein ins Stadion, die letzten 300 m, ziehen, ziehen, richtiger Spurt klappt nicht mehr, mein 50 m-Abstand-Läufer von vorhin noch im Blickfeld, jetzt nur noch 20 m Abstand, auf einen weiteren Läufer sind wir aufgelaufen, alle geben noch mal den allerletzten Rest, Zielgerade, oben die Uhr, ziehen, Zielmatte, drüber, geschafft! Nun aber ganz, ganz schnell zum Duschen! Bloß nicht nass und durchgeschwitzt in der Kälte ’rumstehen. Ein Becher Tee, 1 Becher alkoholfreies Weizen und schnurstracks zur Dusche!
Klamotten vom Leib, heißes Wasser drüber, warm anziehen, ja, nun ist die Welt wieder in Ordnung! Tasche zum Auto gebracht, Siegerehrung abgewartet, Hände werden verdammt schnell kalt und weiß, und dann zurück nach Haus! Dort die Ergebnisse im Internet abgerufen. Und doch stimmt irgendwas nicht: Mit dem Startschuss habe ich meine Uhr abgedrückt, beim Überlaufen der Zielmatte auch. Meine per Uhr gestoppte Bruttozeit beträgt 1:26:28 h, die „offizielle“ Bruttozeit ist mit 1:26:20 h angegeben. Um 8 Sekunden kann ich mich nicht verstoppen. Ist zwar kein Beinbruch, aber ich war immer der Meinung, dass die mit Chip gemessene Zeit exakt sei. Nun ja, isse wohl doch nicht!
Am nächsten Tag ist die Resterkältung nicht weg, aber auch nicht schlimmer; Montagmorgen fühlt es sich sogar richtig gut an. Mal sehen, wie’s jetzt mit der Marathonvorbereitung weitergeht. 5 Wochen sind es noch bis Düsseldorf. Die mal angedachten 2:54, 2:55 h sind durch den Trainingsausfall nicht mehr drin. Wenn die nächsten 3 Wochen noch mal eine ordentliche Vorbereitung möglich ist, dann sollte es aber für eine Zeit knapp unter 3 h noch reichen. Tja, und wer weiß, welche Kapriolen das Wetter am 28. April in Düsseldorf schlägt? Sonne und 30°? Da kann man dann im Sinne der Köln-Düsseldorfer Völkerfreundschaft mit einer Kölner Lebensweisheit nur gelassen feststellen: Et kütt, wie et kütt!
Und zu guter Letzt: Nachdem sich im vergangenen Jahr meine Frau über den neuen Rucksack gefreut hat, kann ich die schöne neue Sporttasche diesmal selbst gut gebrauchen.
Bernd
Den Minusgraden angepasst, bestiegen wir dick eingemümmelt Tage später die Metro zur „Moskovskaja“ und den Zubringerbus zum Flughafen Pulkovo. Für die Landung in Berlin hatten wir leichtere Sachen bereit gelegt – und bekamen einen Schock, als wir in die Kälte zurück kehrten. (Nur ein wenig) eingemümmelt stieg ich tags darauf wieder ins Marathontraining ein, und am zweiten Lauftag kündigte sich der Rotz an. Sollte jemals Norbert Blüm der Lüge überführt werden („Die Rente ist sicher.“) und ich in hohem Alter zur Aufnahme einer bezahlten Tätigkeit gezwungen sein, so würde ich eine schicke Uniform sowie eine Reitpeitsche erwerben und als Kutscher anheuern. Den zugehörigen Gruß beherrsche ich jedenfalls perfekt. Am dritten Tag standen Horden von Papiertaschentuchfabrikanten vor unserer Tür, weil sie hier, und das zu Recht, das Geschäft ihres Lebens witterten.
Ich kann mich nicht erinnern, wann ich zuletzt eine Erkältung hatte. Ich denke, das muss mindestens 4 oder 5 Jahre her sein. Ich erinnere mich aber, dass es meistens so 3 Tage dauerte, an denen die Nase lief und dass spätestens ab Tag 4 lockeres Lauftraining okay war. An Tag 4 bekam ich heuer erstmal Fieber und legte mich ins Bett. Um meine Zeit nicht sinnlos zu verschwenden und mich vorzubereiten, klickte ich mich durch einige Sargmodelle. In solchen Stunden der Prüfung offenbaren sich oft wahre Abgründe der menschlichen Seele. Erneut wurde mir vor Augen geführt, wie hart, herzlos und unsensibel doch der weibliche Teil der Menschheit sein kann. Während ich eine Checkliste angefangen hatte, was vor der Einäscherung alles noch zu erledigen sei, meinte das Stein gewordene Ungeheuer an meiner Seite nur, ich solle mich nicht so anstellen, an einer Erkältung stürbe man nicht. Wie kann man im Angesicht des nahenden Endes nur so grausam sein!
Völlig unerwartet zeigte der Sensenmann doch noch ein Einsehen. Das Fieber war im Laufe des nächsten Tages verschwunden, und auch die Triefnase hatte das Schlimmste hinter sich. Dennoch: an Laufen war nicht zu denken. Nur fing ich langsam an, mich zu fragen, was denn mit dem letzten Lauf der Serie werden sollte. 6 komplett lauffreie Tage lagen hinter mir, weitere 3 Tage waren es noch bis zum Ereignis, und es waren zwar erste Anzeichen der Besserung zu erkennen, aber besiegt war die Erkältung noch lange nicht. Ich war nicht so richtig okay, dabei lag ich doch so gut im Rennen um die Podestplätze.
Kurzer Rückblick: Lauf 0 bis 2 der Duisburger Serie
Nein, das ist kein Fehler! Das Rennen fängt in der Tat mit dem Rennen vor dem Rennen an, sprich mit Erwerb der Teilnahmemöglichkeit. Als ich mich Mitte November anmelden wollte, war es bereits zu spät: Sämtliche 4.900 Startplätze waren vergeben. Schade! Aber da konnte man nichts machen. – Konnte man nicht? Die Fügung wollte es, dass ich wenige Tage später meinen Freistart für den 3. AK-Platz in Frankfurt erhielt. Hm! Ich setzte mich hin und schrieb dem Duisburger Veranstalter, ob so etwas nicht auch eine Anregung für die Winterlaufserie wäre. Es müsste ja auch nicht gleich ein Freistart sein, eine Startgarantie fürs nächste Jahr täte es ja auch schon. Ich hatte das als Anregung für die fernere Zukunft verstanden und mit keiner direkten Reaktion gerechnet.
Doch kurz darauf erhielt ich das Feedback, dass man sich so etwas auch schon überlegt habe, und vielleicht … und überhaupt… Jedenfalls kam ich so doch noch zu meiner Startnummer. Bezahlen musste ich sie natürlich dennoch, und zwar beim ersten Lauf. Natürlich hatte ich keine 40 € dabei, zwängte die Girocard in das Hosentäschchen, fragte mich dann durch nach einem Bankautomaten und kam auf diese Weise zu einer Einlaufrunde von 6 km.
Dieser erste Lauf über 10 km hatte es in sich: alles verschneit und vereist, doch die fleißigen Helfer hatten die Rundstrecke abgeändert auf eine zweimal zu laufende 5 km-Runde, die überwiegend frei geräumt worden war – bis auf einen sehr rutschigen, von Schneematsch geprägten Abschnitt im Wald von ca. 1,5 km Länge. Nach defensiverer erster Hälfte reichte es durch leichtes Anziehen in Runde 2 zu einer Zeit von 39:31 min.
Der zweite Lauf über 15 km fand unter etwas besseren Bedingungen statt, war doch der Schnee zurück gegangen, so dass sich mit vernünftigem Abdruck laufen ließ. Lediglich einige Passagen waren mit einer dünnen Schnee-, teils auch Eisschicht bedeckt und dementsprechend etwas rutschig. Indes: die kalten Temperaturen und der knackige unangenehme Wind waren geblieben. Aus dem vollen Training heraus war ich mit meinen 58:05 min äußerst zufrieden. Nun hatte ich in der Serienwertung fast 9 Minuten Vorsprung.
Halbmarathon und Lauf 3 der Serie
Am Donnerstag und Freitag machte ich je einen Test: 7 und 10 km. Ging eigentlich ganz gut. Kopf und Brust fühlten sich an der frischen Luft sogar besser an als drinnen in der warmen Bude. Allerdings waren die Beine durch fast eine Woche Nichtstun leicht kraftlos, und es war unschwer festzustellen, dass die Erkältung keine aufbauende Wirkung entfaltet hatte. Ich war ratlos. Wenn’s wenigstens (nur) ein Zehner gewesen wäre! Aber 21,1 km sind nicht ganz ohne.
Ich empfand Bedauern bei dem Gedanken, die Serie nicht zu Ende laufen zu können, und befasste mich mit Notfallplanung. Es musste ja nicht schnell sein. Selbst wenn ich nur mit 4:30 dahin schleichen würde, müsste das noch dicke hinkommen. Ja, selbst 4:40 würde wohl noch reichen. Der Schalter wurde so allmählich in Richtung „Laufen“ umgelegt. Und dann begann ich auch schon wieder zu überlegen, ob ich nicht 1:30 laufen könnte, denn das könnte zusätzlich den dritten Einzelsieg bedeuten. Und wie viele Plätze würde ich in der Gesamtwertung abgeben. Ach was, Mann! Fall’ nicht gleich wieder ins andere Extrem. Wenn du läufst, dann sei zufrieden, dass du überhaupt die Serie beendest!
Als ich aus dem Auto stieg, war es arschkalt. Eisiger Ostwind war angesagt, und der ließ sich nicht vergebens bitten. Ich zog mich bewusst wärmer an. Das wichtigste Bekleidungsstück war die winddichte Jacke. Ich wollte nicht mit nassem Schweiß am Körper dann noch den beißenden Wind auf mich einwirken lassen. Beim kurzen Einlaufen riefen Mr und Mrs VeloC zu, ich sähe fit aus. Ich weiß nicht, ob sie mich einfach nur trösten wollten, verneinte aber mal sicherheitshalber, um einer möglichen Legendenbildung vorzubeugen. In der Startaufstellung ging ich diesmal freiwillig ein paar Meter nach hinten. Nur nicht sich verführen lassen!
Dann ging es los, „running against the wind“. Ich lief locker und unangestrengt. Nach 1 km ein kurzer Blick auf die Uhr: 4:13! 4:13? 4:13 ist gut! 4:15 wäre 1:30 h. Wenn das so locker mit 4:13 geht, dann könnten da ja vielleicht am Ende 1:30 h heraus kommen, also AK-Sieg auch im Einzel schien trotz Widrigkeiten im Bereich des Machbaren. Obwohl wir die Richtung wechselten, kam dieser verfluchte Eiswind schon wieder von vorn. Na gut, diese Strecke laufen wir nachher in anderer Richtung. Dann werden wir den Wind im Nacken haben. Km 2, Blick auf die Uhr: letzter km 4:06. 4:06? Was? Ich bin doch nicht schneller geworden! Dann fiel es mir ein: Ich war ja erst nach 8 oder 9 Sekunden über die Startlinie gelaufen, d. h. der erste km war schon schneller gewesen.
2 km war ich nun also um einiges schneller gelaufen als ursprünglich gedacht. Es kam mir aber nicht sonderlich anstrengend vor. Hatte ich vielleicht doch nicht so viel Kondition verloren durch die Erkältungswoche? Ich hatte ja vorher auch gut im Training gestanden. Jedenfalls kam bewusste Abbremsung nicht in Frage, und ich ließ es weiterhin laufen. Gruppe um Gruppe arbeitete ich mich vor. Die Jacke schützte mich vor dem eisigen Wind, die Füße, die anfangs noch gefroren hatten, waren mittlerweile warm geworden. Durch das Waldstück hindurch gab es ein leichtes Auf und Ab, aber es war immerhin ein bisschen windgeschützt. Dann kam das km-Schild 10, fast die Hälfte hinter mir, ein kurzer Blick zur Uhr. Noch unter 41 Minuten.
Noch ein kleines Stück, dann würde die Waldrunde hinter mir liegen, und es ging schnurstracks auf asphaltierter Strecke Richtung Ausgangspunkt zurück bis kurz vor km 15. Und da würde ich den Wind im Rücken haben. Angenehm! – Ich lief auf den Bürgersteig, km 11 grüßte. Doch verflucht, was war das denn? Da sollte doch der Wind schieben, aber was war? Der blies mir entgegen, und das wurde im weiteren Verlauf eher noch schlimmer. Ja, hatte der etwa gedreht? War das einer dieser neumodischen ABS-Winde? (ABS=Anti-Burny-Sensor) Das hatte doch alles mit normaler Physik nichts zu tun, aber es half nichts. Ich lief schon wieder gegen den Wind, aller Logik zum Trotz.
Und es sollte noch schlimmer kommen. Etwa nach 14,5 km war das Ende der Regattabahn erreicht, die Strecke bog nach links ab, und es ging auf der anderen Seite wieder zurück, also noch mal weg vom Ziel. Und was passierte? Immer noch oder schon wieder Gegenwind! Das ging doch nicht mit rechten Dingen zu. Und allmählich machte sich auch der Trainingsausfall plus Erkältungshammer bemerkbar. Es lief schwerer, deutlich schwerer. „Hey, alter Sack!“ Eine Motivationsspritze, nachlangerpause sei Dank! Immer noch lief ich auf der Überholspur, aber wohl auch nur, weil die anderen Läufer langsamer wurden. So platt der Vergleich klingen mag, aber meine Oberschenkel schienen die Konsistenz von Pudding anzunehmen. Ich kämpfte.
Als das gegenüberliegende Ende der Regattabahn erreicht war, bog der Weg nach rechts ab, um nach weiteren 4 km und in einigen Windungen zum Ziel zu führen. Ich passierte km 17 und dachte mir, dass es ein leichtes sei, nun auf langsam zu machen. Aber so anstrengend mir die Rennerei jetzt auch fiel: sich hängen lassen war noch nie eine Alternative, und so versuchte ich mich aufzubauen, indem ich mir sagte, ich bräuchte nur meine Position zu halten. Von hinten kam ja eigentlich gar nichts, und nach vorne hin müsste ich eben auch nichts mehr herauslaufen.
Einen Läufer sah ich vielleicht 50 m vor mir, und an dem Abstand orientierte ich mich. Ich probierte zwar nicht aufzulaufen, sah aber zu, dass der Abstand auch nicht größer wurde. So lenkte ich mich davon ab, dass ich mittlerweile keine Kraft mehr hatte und es ein richtiger Kampf geworden war. So erreichte ich Km 18, weiter, weiter, einfach nur Tempo beibehalten, dranbleiben, weiter, km 19 geschafft. Keine 2 km mehr, das läufst du durch! Noch mal gegen den Wind, ist jetzt auch egal, ist nicht mehr weit, diese lange Gerade immer weiter, bald kommt der letzte Abzweig nach links, da ist km 20, und dann nur noch ein lächerlicher Kilometer. Und endlich war auch das lächerliche vorletzte km-Schild passiert. 20 km geschafft, 1 km noch, 1 km (jaja, 1,1 km, klar doch, diese lächerlichen 100 m on top)!
Auf der Friedrich-Albert-Straße mit ihren Schlaglöchern dem Ziel entgegen, jetzt noch mal anziehen, endlich kein Gegenwind mehr. Da vorne, ein letztes Mal abbiegen nach rechts, zur Margaretenstraße, in der der Start erfolgte, Zuschauer, Zurufe, 500 m noch, nach links hinein ins Stadion, die letzten 300 m, ziehen, ziehen, richtiger Spurt klappt nicht mehr, mein 50 m-Abstand-Läufer von vorhin noch im Blickfeld, jetzt nur noch 20 m Abstand, auf einen weiteren Läufer sind wir aufgelaufen, alle geben noch mal den allerletzten Rest, Zielgerade, oben die Uhr, ziehen, Zielmatte, drüber, geschafft! Nun aber ganz, ganz schnell zum Duschen! Bloß nicht nass und durchgeschwitzt in der Kälte ’rumstehen. Ein Becher Tee, 1 Becher alkoholfreies Weizen und schnurstracks zur Dusche!
Klamotten vom Leib, heißes Wasser drüber, warm anziehen, ja, nun ist die Welt wieder in Ordnung! Tasche zum Auto gebracht, Siegerehrung abgewartet, Hände werden verdammt schnell kalt und weiß, und dann zurück nach Haus! Dort die Ergebnisse im Internet abgerufen. Und doch stimmt irgendwas nicht: Mit dem Startschuss habe ich meine Uhr abgedrückt, beim Überlaufen der Zielmatte auch. Meine per Uhr gestoppte Bruttozeit beträgt 1:26:28 h, die „offizielle“ Bruttozeit ist mit 1:26:20 h angegeben. Um 8 Sekunden kann ich mich nicht verstoppen. Ist zwar kein Beinbruch, aber ich war immer der Meinung, dass die mit Chip gemessene Zeit exakt sei. Nun ja, isse wohl doch nicht!
Am nächsten Tag ist die Resterkältung nicht weg, aber auch nicht schlimmer; Montagmorgen fühlt es sich sogar richtig gut an. Mal sehen, wie’s jetzt mit der Marathonvorbereitung weitergeht. 5 Wochen sind es noch bis Düsseldorf. Die mal angedachten 2:54, 2:55 h sind durch den Trainingsausfall nicht mehr drin. Wenn die nächsten 3 Wochen noch mal eine ordentliche Vorbereitung möglich ist, dann sollte es aber für eine Zeit knapp unter 3 h noch reichen. Tja, und wer weiß, welche Kapriolen das Wetter am 28. April in Düsseldorf schlägt? Sonne und 30°? Da kann man dann im Sinne der Köln-Düsseldorfer Völkerfreundschaft mit einer Kölner Lebensweisheit nur gelassen feststellen: Et kütt, wie et kütt!
Und zu guter Letzt: Nachdem sich im vergangenen Jahr meine Frau über den neuen Rucksack gefreut hat, kann ich die schöne neue Sporttasche diesmal selbst gut gebrauchen.
Bernd