Vom Reiz und der schmerzlichen Erfahrung des flotten Dreiers
Verfasst: 21.05.2014, 09:28
Gereizt hatte er mich ja schon seit langem, aber heran getraut hatte ich mich an den flotten Dreier noch nicht. Zweifach: ja, so hatte ich es schon mehrfach getrieben, und das war auch immer gut gegangen. Beim Dreier hingegen hatte ich ständig ein wenig Bedenken gehabt, dass ich da nicht genügend Leistung parat haben könnte. Aber in diesem Jahr wollte ich es endlich wissen. Meine Frau würde auch wieder dabei sein, aber nur als Zuschauerin.
So ein flotter Dreier hängt natürlich auch vom Abstand ab. Kurz hintereinander ist logischerweise heftiger, als wenn eine kleine Pause dazwischen liegt. Also legte ich mich am letzten Februartag kurz vor Mitternacht auf die Pirsch und hatte tatsächlich Glück: Ich erwischte den ersten Fünfer, der diesmal noch nicht ausgebucht war. (Insgesamt werden vier 5 km-Läufe gestartet.) Damit würde ich eine Pause von ca. einer Stunde zum Halbmarathon haben, und der Zehner startet sowieso später.
Was das Training anbelangte, hatte ich mir das fein ausgedacht: Ich wollte den Marathon in Düsseldorf laufen und dann 3 Wochen später die 3 Läufe beim Störlauf in Itzehoe. Da bräuchte ich dann nicht viel zu tun, sondern würde einfach die Erholung abwarten. Doch dann kam es anders als geplant: Am Mittwoch und Donnerstag vor Düsseldorf lag ich mit Fieber im Bett, am Freitag war zwar das Fieber weg, aber ich fühlte mich immer noch absolut beschissen und ließ – anders als im letzten Jahr, als ich gestartet und wundersamerweise gut durchgekommen war – den Marathon sausen. Somit mutierte der Dreier quasi zum Ersatzmarathon, und ich musste nach einigen Pausetagen doch noch ein paar Trainingskilometer machen.
Angemeldet war ich zwar für alle 3 Läufe, aber je näher der 17. Mai rückte, um so unsicherer wurde ich, ob ich tatsächlich auch alle 3 Strecken durchziehen würde. Seit längerer Zeit plagen mich meine Oberschenkel, genauer die rückwärtige Muskulatur. Auf Tempotraining habe ich daher komplett verzichtet, stattdessen Tempo nur in Wettkämpfen gemacht. Merkwürdigerweise vertrage ich die dennoch ganz gut. Ich kam mit mir überein, den letzten Lauf, den Zehner, davon abhängig zu machen, wie meine Beine sich anfühlen würden und stellte mich mental darauf ein, diesen Lauf ggfs. sausen zu lassen.
14 Uhr: 5 km-Lauf
Ich stehe ziemlich weit vorne in der Startreihe. Einen meiner AK-Konkurrenten habe ich entdeckt. Der müsste von den Vorleistungen her eigentlich langsamer sein als ich. Der Startschuss fällt. Die Läufer, in diesem Lauf ganz viele Schüler, preschen los wie die Feuerwehr. Ich starte leicht gebremst. Meine Kräfte muss ich gut einteilen. Keinesfalls darf ich in diesem Lauf zu viel Tempo aufnehmen. Etwa 20:30 oder etwas langsamer ist meine Planzeit. Auch mein M60-er rennt los, als wäre die Distanz auf 1 km verkürzt, gewinnt mehr und mehr Abstand, liegt bald geschätzte 100 m vor mir. Na, sollte ich mich doch getäuscht haben bei der Chancenbewertung?
Ein wenig lege ich zu, um den Abstand nicht zu groß werden zu lassen. Erstes km-Schild: 3:52. Verdammt, das ist zu schnell! Ich muss Tempo rausnehmen. Mittlerweile habe ich die meisten der Schnellstarter wieder überholt. Auch der Abstand zum AK-Konkurrenten wird geringer. Noch vor dem Wendepunkt bin ich dran und vorbei. Das Tempo jetzt ist gut, so will ich es beibehalten. Bald bin ich an der ersten Frau dieses Fünfers vorbei und lasse 2 Schüler, vielleicht 12 oder 13 Jahre alt, hinter mir. Km 3 ist erreicht, ein Lehrer ruft den Beiden eine Aufmunterung zu. Prompt sprinten sie los, ziehen vorbei, um kurz darauf wieder nachzulassen.
Es ist sonnig und warm heute. Bei der 5-er Strecke spenden die Bäume Schatten, es ist (noch) ein angenehmes Laufen. Ich liege leicht über 4-er Schnitt, aber ich weiß, dass die km-Schilder nicht stimmen und der letzte km sich noch lang hinzieht. Jetzt bin ich fast schon im Ziel, laufe an den Absperrgittern mit den Zuschauern vorbei. Für die ist das natürlich ein Bombenwetter. Plötzlich huscht ein Schatten an mir vorbei: einer der beiden Schüler von vorhin, der einen formidablen Schlussspurt hinlegt. Ich gönne es ihm, laufe selbst locker durch Ziel, bekomme die erste Medaille umgehängt. Mehrere Helfer stehen, besser sitzen bereit, die Schnürsenkel aufzuknüpfen, um den Chip zurück zu nehmen. Als „mein“ Helfer sie wieder zubinden will, sage ich ihm, er möge sie offen lassen. Ich muss ja den zweiten Chip befestigen. Meine Zeit von 20:32 min ist fast eine Punktlandung.
1. Pause
Trotz des Schattenschutzes vor einigen Minuten habe ich nun Durst, ziemlich viel Durst sogar, und trinke gleich mehrere Becher. Dann fällt mir auf, dass das gefährlich werden kann. Gut eine Stunde habe ich Zeit bis zum nächsten Lauf, dem Halbmarathon. Da liegt meine avisierte Zielmarke bei 1:30 h. Verdammt, was ist, wenn ich das, was ich jetzt trinke, beim Halbmarathon auspinkeln muss? Von der „Verarbeitungszeit“ könnte das gut hinkommen. Ich trinke den nächsten Becher, nehme einen weiteren mit, den ich erst kurz vor Start trinken will, befestige Chip und Startnummer und genieße die Volksfeststimmung im Park. Auf ein erneutes Einlaufen verzichte ich und begebe mich erst spät in den Startbereich.
15:30 Uhr: Halbmarathon
Plötzlich fällt mir ein: Ich wollte mich ja mit Karsten, dem Traveläufer, treffen. Das hab ich ganz verschwitzt. Ich versuche vergeblich, ihn im Startgetümmel zu entdecken, und dann setzt sich die Masse auch schon wieder in Bewegung. Die Sonne ist weiter gezogen, so dass dieser Teil der Strecke, der vorhin noch schattig war, in weiten Teilen der prallen Sonne ausgesetzt ist. Aufgrund meiner Ähnlichkeit mit Bruce Willis habe ich meinen Buff vorher noch mit einem Knoten zusammen gebunden, damit der Kopf vor der Sonne geschützt ist. (Wenn man es genau nimmt, beschränkt sich meine Ähnlichkeit mit dem Schauspieler auch nur auf die Von-oben-Ansicht des Schädels.)
Beim Laufen wippt nun allerdings der Knoten auf und ab und hämmert auf meinen Hinterkopf. Damit muss ich für den Rest des Laufes leben, denn aufknoten kommt nicht in Frage, da keine Wolke den Himmel trübt und es unterwegs wenig Schatten gibt. Die Durchgangszeit beim ersten km liegt mit 4:15 voll im Plan. Auch die 5 km-Durchgangszeit bestätigt mich noch in meiner Planzeit.
Irgendwo um den 5. Kilometer herum bin ich gerade dabei, an einem Läufer vorbei zu gehen, als er mich anspricht: „Bist du der Bernd Juckel?“ Ich bestätige und frage, wer er denn sei. „Der Peter aus Itzehoe“ lautet die Antwort und er habe gerade meine Ausführung, warum die Marathonis heutzutage langsamer wären, gelesen. Außerdem liefe er in derselben Altersklasse. Zufälle gibt’s! Wir wünschen uns gegenseitig Erfolg, und ich laufe vorbei.
Die nächsten km werden langsamer, obwohl ich nicht das Gefühl habe, locker und entspannt zu laufen. In der Sonne wird es ziemlich warm. Gut, dass ich meinen Buff habe, und gut, dass ich mich mit Sonnenmilch eingecremt habe! 43 Minuten: das ist die Durchgangszeit nach 10 km. Ich bin langsamer geworden, das Rennen auch anstrengender. Ich ändere meine Zeitprognose, gehe jetzt von einer Zeit von unter 1:31 oder 1:32 aus. Schneller werden will ich auf keinen Fall, denn die gefühlte Anstrengung ist kaum geringer als bei einem voll gelaufenen HM, und ich habe mich von der Vorstellung, anschließend auch den Zehner zu laufen, noch nicht verabschiedet.
Zwischen km 12 und 13 überholt mich ein hoch gewachsener Läufer, ansonsten sammle ich Läufer um Läufer ein, die, je weniger km es noch zu bewältigen gilt, um so mehr ihr Tempo reduzieren müssen. Ich halte einigermaßen konstant meine Geschwindigkeit. Bei den Verpflegungsständen schnappe ich mir jeweils einen Becher Wasser, spüle kurz den Mund aus und kippe mir den Rest über den Kopf, um mich zu kühlen. Der Buff-Knoten schlackert dadurch wie ein nasser Sack hoch und runter. Ist aber wurscht!
Die letzten 5 km verlaufen in praller Sonne, Schatten gibt’s hier keinen mehr. Ich zwinge mich, nicht daran zu denken, dass ich dieses Stück später noch mal laufen muss oder will, je nachdem. Die 2 ½ km am Deich entlang sind wie in jedem Jahr mit die härtesten. Als ich endlich über die Delftorbrücke die Stör passiere, liegen 20 km hinter mir. Für den zweiten Zehner habe ich mit 43:40 nicht unerwartet länger gebraucht. Die Vorstellung, den zweiten Lauf bald hinter mir zu haben, treibt mich nach vorn. Ein weiteres Mal höre ich das Gejohle und die Anfeuerungsrufe an den Absperrgittern und bin endlich im Ziel. 1:31:48 h habe ich gebraucht. Das war wahrlich kein Spaziergang.
Es ist der gleiche Helfer wie nach dem Fünfer, der mir den Chip abmacht, und wieder bitte ich ihn, die Schnürsenkel nicht zuzubinden.
2. Pause
Ein zweites Mal kippe ich mir Becher um Becher hinein, bewege mich betont langsam. Hier im Park mit all den Info- und Verkaufsständen, mit massig viel Zuschauern, die diesen schönen, sonnigen Tag genießen wollen, hat es sich in der Sonne noch mehr aufgeheizt. Ich bemühe mich, mich im Schatten aufzuhalten. Ich bin ernsthaft am Überlegen, ob ich den letzten Lauf wirklich noch auf mich nehmen soll. Wenn ich meinen Körper fragen würde, wäre die Antwort ein klares Nein.
Andererseits gibt es auch ein Morgen, und ich kenne mich: Wenn ich das heute nicht durchziehe, ärgere ich mich morgen und frage mich, warum ich es nicht wenigstens versucht habe. So bleibt es bei dem Entschluss: alle 3 sollen es diesmal sein! Und die Oberschenkel spielen auch einigermaßen mit. Naja, ich könnte auch sagen, dass es denen auch nicht schlechter geht als den Beinen insgesamt.
18 Uhr: 10 km-Lauf
Ich habe mich nicht direkt in die erste Reihe gestellt, aber doch weiter vorne. Als der Startschuss fällt, ist es, als wären die Läufer aus einer Kanone nach vorne geschossen worden. Nach wenigen Sekunden scheinen Hunderte an mir vorbei gerannt zu sein. Und ich? Ich merke nun, dass Gehen und Laufen einen gewaltigen Unterschied ausmacht. Die Beine sind wie eingerostet. Die zweite Pause hat nicht gut getan. Der Körper scheint bereits auf Regeneration oder Reparatur geschaltet zu haben.
Ich denke bereits jetzt an das Ziel. So geht das nicht! Ich habe noch fast 10 km vor mir. Ich muss mich zwingen, an das Jetzt zu denken und mich auf die Strecke zu konzentrieren. Es dauert etwa einen Kilometer, bis ich wieder einen gewissen Rhythmus gefunden habe und der Körper wenigstens einigermaßen rund läuft. Mit 4:23 für den ersten km sieht die Sache gar nicht mal so schlecht aus. Vor dem heutigen Tag hatte ich mir gesagt, den letzten Lauf würde ich ohne Ambition, so wie es gerade ginge, laufen, und hatte irgendwas mit 43 oder 44 min für realistisch gehalten. Während des Halbmarathons hatte ich die Prognose auf 45 min erhöht.
Die Strecke des Zehners ist mit dem Halbmarathon identisch bis auf eine längere Schleife, die nur der HM aufweist. Das heißt, ich bin alles schon mal gelaufen, die ersten 2,5 km sogar schon 2-mal. Vom Halbmarathon habe ich noch genau gespeichert, wo es anstrengender wird. Da ich wiederum, nachdem ich mich gefangen habe, mein Tempo gleichmäßig durchlaufe, wenn auch gequält, hole ich bereits nach 1 km die ersten Flitzer wieder ein, und das setzt sich dann so fort. Als ich nach 22:23 die Hälfte dieses letzten Laufes hinter mir habe, bin ich ganz happy. Aber hart ist dieser Zehner schon, und auch wenn sie gleichmäßig ihren Dienst verrichten, geben meine Beine mir deutliche Signale der Anstrengung.
Auch am Deich entlang passiere ich Läufer um Läufer. Das ist hier unangenehm, da links und rechts jeweils schmale Platten verlegt sind und ich entweder auf den naturbelassenen Mittelstreifen ausweichen oder eine Zeitlang auf den linksseitigen Platten, die arg abschüssig sind, laufen muss. Ich hänge mich an einen jüngeren Läufer mit kackbrauner St.-Pauli-Tight und entsprechender Aufschrift, der einige Meter vor mir läuft. Im Duo überholen wir weitere Läufer.
So nähern wir uns kurz vor dem Ziel einem älteren Läufer, bei dem ich ins Grübeln komme, ob der evtl. in meiner Altersklasse läuft. Noch beim km-Schild 9 war dieser weit vor uns gewesen, geschätzte 100 m. Als es in die vorletzte Biegung, kurz vor den Absperrgittern, geht, bin ich dran, komme, weil ich innen überholen will, zunächst nicht vorbei, nutze aber die folgende Gerade zum Vorbeigehen und laufe nach einem letzten Anziehen in einem Mini-Schlussspurt aufs Ziel zu. Durch diese kleine Gewaltaktion beende ich diesen Lauftag, wie ich ihn begonnen habe: in einem km unter 4 min.
Ich nehme die dritte Medaille für heute entgegen und lasse mir diesmal gerne die Schnürsenkel zubinden. Mit 44:04 min und damit schnellerer zweiter Hälfte ist eine für heute noch recht passable Zeit heraus gekommen. Nun reicht’s aber auch!
Später
Jetzt interessieren mich natürlich noch die Platzierungen. Ich wollte schließlich nicht einfach nur alle 3 Läufe mitlaufen. Das haben ja schon mehrere gemacht. Das wäre auch nur ein „einfacher“ Dreier. Nein, ich wollte alle 3 in der AK gewinnen, und das im letzten Jahr der M60. Erst so sollte schließlich aus dem einfachen ein „flotter“ Dreier werden. Obwohl es mittlerweile schon nach 19 Uhr ist, hängen in der Turnhalle gerade mal die ersten beiden 5 km-Läufe aus.
Erst später kann ich die Ergebnisse im Internet aufrufen:
5 km: Männer Platz 52, M60 Platz 1,
Halbmarathon: Männer Platz 20, M60 Platz 1
10 km: Männer Platz 58, M60 Platz 2
Hm, hat also doch nicht geklappt! Aber so ist das eben. Natürlich gibt es Schnellere, und heute war halt so einer mit dabei. Ein wenig wurmt mich das aber doch, vor allem nach diesem wirklich harten Abschlusslauf. Ich will sehen, ob ich es gepackt hätte, wenn ich mich noch etwas mehr gequält hätte. Wow, 39:58 min für den M60-Sieg! Nein, das hätte ich nie und nimmer drauf gehabt heute. Das hätte vielleicht geklappt, wenn ich nur den Zehner als einzigen Lauf gemacht hätte, aber nicht mit der Hypothek eines vorherigen Fünfers und eines Halbmarathon.
Unter 40 min laufen nicht mehr viele in meiner Altersklasse. Mal sehen, was der AK-Genosse sonst so zu bieten hat! Merkwürdig, googlen ergibt nichts. Erst nach einiger Sucherei stoße ich darauf, dass mein Konkurrent schon in früheren Störläufen dabei war. Hä, was ist das? Mit Zeiten knapp unter 1 h??!!! Da kann doch was nicht stimmen! Und richtig: als am Sonntag die Bilder des Fotodienstes zur Verfügung stehen, ist da ein deutlich jüngerer Läufer mit der Startnummer 5002 zu erkennen, auf keinen Fall jemand, der 63 oder 64 Jahre alt ist. Da ist folglich ein anderer mit der Startnummer des M60-er gelaufen.
Es hat sich also gelohnt, noch mal die Strapaze des letzten Laufes auf sich zu nehmen: Es war DOCH ein richtiger flotter Dreier am Samstag!
Bernd
So ein flotter Dreier hängt natürlich auch vom Abstand ab. Kurz hintereinander ist logischerweise heftiger, als wenn eine kleine Pause dazwischen liegt. Also legte ich mich am letzten Februartag kurz vor Mitternacht auf die Pirsch und hatte tatsächlich Glück: Ich erwischte den ersten Fünfer, der diesmal noch nicht ausgebucht war. (Insgesamt werden vier 5 km-Läufe gestartet.) Damit würde ich eine Pause von ca. einer Stunde zum Halbmarathon haben, und der Zehner startet sowieso später.
Was das Training anbelangte, hatte ich mir das fein ausgedacht: Ich wollte den Marathon in Düsseldorf laufen und dann 3 Wochen später die 3 Läufe beim Störlauf in Itzehoe. Da bräuchte ich dann nicht viel zu tun, sondern würde einfach die Erholung abwarten. Doch dann kam es anders als geplant: Am Mittwoch und Donnerstag vor Düsseldorf lag ich mit Fieber im Bett, am Freitag war zwar das Fieber weg, aber ich fühlte mich immer noch absolut beschissen und ließ – anders als im letzten Jahr, als ich gestartet und wundersamerweise gut durchgekommen war – den Marathon sausen. Somit mutierte der Dreier quasi zum Ersatzmarathon, und ich musste nach einigen Pausetagen doch noch ein paar Trainingskilometer machen.
Angemeldet war ich zwar für alle 3 Läufe, aber je näher der 17. Mai rückte, um so unsicherer wurde ich, ob ich tatsächlich auch alle 3 Strecken durchziehen würde. Seit längerer Zeit plagen mich meine Oberschenkel, genauer die rückwärtige Muskulatur. Auf Tempotraining habe ich daher komplett verzichtet, stattdessen Tempo nur in Wettkämpfen gemacht. Merkwürdigerweise vertrage ich die dennoch ganz gut. Ich kam mit mir überein, den letzten Lauf, den Zehner, davon abhängig zu machen, wie meine Beine sich anfühlen würden und stellte mich mental darauf ein, diesen Lauf ggfs. sausen zu lassen.
14 Uhr: 5 km-Lauf
Ich stehe ziemlich weit vorne in der Startreihe. Einen meiner AK-Konkurrenten habe ich entdeckt. Der müsste von den Vorleistungen her eigentlich langsamer sein als ich. Der Startschuss fällt. Die Läufer, in diesem Lauf ganz viele Schüler, preschen los wie die Feuerwehr. Ich starte leicht gebremst. Meine Kräfte muss ich gut einteilen. Keinesfalls darf ich in diesem Lauf zu viel Tempo aufnehmen. Etwa 20:30 oder etwas langsamer ist meine Planzeit. Auch mein M60-er rennt los, als wäre die Distanz auf 1 km verkürzt, gewinnt mehr und mehr Abstand, liegt bald geschätzte 100 m vor mir. Na, sollte ich mich doch getäuscht haben bei der Chancenbewertung?
Ein wenig lege ich zu, um den Abstand nicht zu groß werden zu lassen. Erstes km-Schild: 3:52. Verdammt, das ist zu schnell! Ich muss Tempo rausnehmen. Mittlerweile habe ich die meisten der Schnellstarter wieder überholt. Auch der Abstand zum AK-Konkurrenten wird geringer. Noch vor dem Wendepunkt bin ich dran und vorbei. Das Tempo jetzt ist gut, so will ich es beibehalten. Bald bin ich an der ersten Frau dieses Fünfers vorbei und lasse 2 Schüler, vielleicht 12 oder 13 Jahre alt, hinter mir. Km 3 ist erreicht, ein Lehrer ruft den Beiden eine Aufmunterung zu. Prompt sprinten sie los, ziehen vorbei, um kurz darauf wieder nachzulassen.
Es ist sonnig und warm heute. Bei der 5-er Strecke spenden die Bäume Schatten, es ist (noch) ein angenehmes Laufen. Ich liege leicht über 4-er Schnitt, aber ich weiß, dass die km-Schilder nicht stimmen und der letzte km sich noch lang hinzieht. Jetzt bin ich fast schon im Ziel, laufe an den Absperrgittern mit den Zuschauern vorbei. Für die ist das natürlich ein Bombenwetter. Plötzlich huscht ein Schatten an mir vorbei: einer der beiden Schüler von vorhin, der einen formidablen Schlussspurt hinlegt. Ich gönne es ihm, laufe selbst locker durch Ziel, bekomme die erste Medaille umgehängt. Mehrere Helfer stehen, besser sitzen bereit, die Schnürsenkel aufzuknüpfen, um den Chip zurück zu nehmen. Als „mein“ Helfer sie wieder zubinden will, sage ich ihm, er möge sie offen lassen. Ich muss ja den zweiten Chip befestigen. Meine Zeit von 20:32 min ist fast eine Punktlandung.
1. Pause
Trotz des Schattenschutzes vor einigen Minuten habe ich nun Durst, ziemlich viel Durst sogar, und trinke gleich mehrere Becher. Dann fällt mir auf, dass das gefährlich werden kann. Gut eine Stunde habe ich Zeit bis zum nächsten Lauf, dem Halbmarathon. Da liegt meine avisierte Zielmarke bei 1:30 h. Verdammt, was ist, wenn ich das, was ich jetzt trinke, beim Halbmarathon auspinkeln muss? Von der „Verarbeitungszeit“ könnte das gut hinkommen. Ich trinke den nächsten Becher, nehme einen weiteren mit, den ich erst kurz vor Start trinken will, befestige Chip und Startnummer und genieße die Volksfeststimmung im Park. Auf ein erneutes Einlaufen verzichte ich und begebe mich erst spät in den Startbereich.
15:30 Uhr: Halbmarathon
Plötzlich fällt mir ein: Ich wollte mich ja mit Karsten, dem Traveläufer, treffen. Das hab ich ganz verschwitzt. Ich versuche vergeblich, ihn im Startgetümmel zu entdecken, und dann setzt sich die Masse auch schon wieder in Bewegung. Die Sonne ist weiter gezogen, so dass dieser Teil der Strecke, der vorhin noch schattig war, in weiten Teilen der prallen Sonne ausgesetzt ist. Aufgrund meiner Ähnlichkeit mit Bruce Willis habe ich meinen Buff vorher noch mit einem Knoten zusammen gebunden, damit der Kopf vor der Sonne geschützt ist. (Wenn man es genau nimmt, beschränkt sich meine Ähnlichkeit mit dem Schauspieler auch nur auf die Von-oben-Ansicht des Schädels.)
Beim Laufen wippt nun allerdings der Knoten auf und ab und hämmert auf meinen Hinterkopf. Damit muss ich für den Rest des Laufes leben, denn aufknoten kommt nicht in Frage, da keine Wolke den Himmel trübt und es unterwegs wenig Schatten gibt. Die Durchgangszeit beim ersten km liegt mit 4:15 voll im Plan. Auch die 5 km-Durchgangszeit bestätigt mich noch in meiner Planzeit.
Irgendwo um den 5. Kilometer herum bin ich gerade dabei, an einem Läufer vorbei zu gehen, als er mich anspricht: „Bist du der Bernd Juckel?“ Ich bestätige und frage, wer er denn sei. „Der Peter aus Itzehoe“ lautet die Antwort und er habe gerade meine Ausführung, warum die Marathonis heutzutage langsamer wären, gelesen. Außerdem liefe er in derselben Altersklasse. Zufälle gibt’s! Wir wünschen uns gegenseitig Erfolg, und ich laufe vorbei.
Die nächsten km werden langsamer, obwohl ich nicht das Gefühl habe, locker und entspannt zu laufen. In der Sonne wird es ziemlich warm. Gut, dass ich meinen Buff habe, und gut, dass ich mich mit Sonnenmilch eingecremt habe! 43 Minuten: das ist die Durchgangszeit nach 10 km. Ich bin langsamer geworden, das Rennen auch anstrengender. Ich ändere meine Zeitprognose, gehe jetzt von einer Zeit von unter 1:31 oder 1:32 aus. Schneller werden will ich auf keinen Fall, denn die gefühlte Anstrengung ist kaum geringer als bei einem voll gelaufenen HM, und ich habe mich von der Vorstellung, anschließend auch den Zehner zu laufen, noch nicht verabschiedet.
Zwischen km 12 und 13 überholt mich ein hoch gewachsener Läufer, ansonsten sammle ich Läufer um Läufer ein, die, je weniger km es noch zu bewältigen gilt, um so mehr ihr Tempo reduzieren müssen. Ich halte einigermaßen konstant meine Geschwindigkeit. Bei den Verpflegungsständen schnappe ich mir jeweils einen Becher Wasser, spüle kurz den Mund aus und kippe mir den Rest über den Kopf, um mich zu kühlen. Der Buff-Knoten schlackert dadurch wie ein nasser Sack hoch und runter. Ist aber wurscht!
Die letzten 5 km verlaufen in praller Sonne, Schatten gibt’s hier keinen mehr. Ich zwinge mich, nicht daran zu denken, dass ich dieses Stück später noch mal laufen muss oder will, je nachdem. Die 2 ½ km am Deich entlang sind wie in jedem Jahr mit die härtesten. Als ich endlich über die Delftorbrücke die Stör passiere, liegen 20 km hinter mir. Für den zweiten Zehner habe ich mit 43:40 nicht unerwartet länger gebraucht. Die Vorstellung, den zweiten Lauf bald hinter mir zu haben, treibt mich nach vorn. Ein weiteres Mal höre ich das Gejohle und die Anfeuerungsrufe an den Absperrgittern und bin endlich im Ziel. 1:31:48 h habe ich gebraucht. Das war wahrlich kein Spaziergang.
Es ist der gleiche Helfer wie nach dem Fünfer, der mir den Chip abmacht, und wieder bitte ich ihn, die Schnürsenkel nicht zuzubinden.
2. Pause
Ein zweites Mal kippe ich mir Becher um Becher hinein, bewege mich betont langsam. Hier im Park mit all den Info- und Verkaufsständen, mit massig viel Zuschauern, die diesen schönen, sonnigen Tag genießen wollen, hat es sich in der Sonne noch mehr aufgeheizt. Ich bemühe mich, mich im Schatten aufzuhalten. Ich bin ernsthaft am Überlegen, ob ich den letzten Lauf wirklich noch auf mich nehmen soll. Wenn ich meinen Körper fragen würde, wäre die Antwort ein klares Nein.
Andererseits gibt es auch ein Morgen, und ich kenne mich: Wenn ich das heute nicht durchziehe, ärgere ich mich morgen und frage mich, warum ich es nicht wenigstens versucht habe. So bleibt es bei dem Entschluss: alle 3 sollen es diesmal sein! Und die Oberschenkel spielen auch einigermaßen mit. Naja, ich könnte auch sagen, dass es denen auch nicht schlechter geht als den Beinen insgesamt.
18 Uhr: 10 km-Lauf
Ich habe mich nicht direkt in die erste Reihe gestellt, aber doch weiter vorne. Als der Startschuss fällt, ist es, als wären die Läufer aus einer Kanone nach vorne geschossen worden. Nach wenigen Sekunden scheinen Hunderte an mir vorbei gerannt zu sein. Und ich? Ich merke nun, dass Gehen und Laufen einen gewaltigen Unterschied ausmacht. Die Beine sind wie eingerostet. Die zweite Pause hat nicht gut getan. Der Körper scheint bereits auf Regeneration oder Reparatur geschaltet zu haben.
Ich denke bereits jetzt an das Ziel. So geht das nicht! Ich habe noch fast 10 km vor mir. Ich muss mich zwingen, an das Jetzt zu denken und mich auf die Strecke zu konzentrieren. Es dauert etwa einen Kilometer, bis ich wieder einen gewissen Rhythmus gefunden habe und der Körper wenigstens einigermaßen rund läuft. Mit 4:23 für den ersten km sieht die Sache gar nicht mal so schlecht aus. Vor dem heutigen Tag hatte ich mir gesagt, den letzten Lauf würde ich ohne Ambition, so wie es gerade ginge, laufen, und hatte irgendwas mit 43 oder 44 min für realistisch gehalten. Während des Halbmarathons hatte ich die Prognose auf 45 min erhöht.
Die Strecke des Zehners ist mit dem Halbmarathon identisch bis auf eine längere Schleife, die nur der HM aufweist. Das heißt, ich bin alles schon mal gelaufen, die ersten 2,5 km sogar schon 2-mal. Vom Halbmarathon habe ich noch genau gespeichert, wo es anstrengender wird. Da ich wiederum, nachdem ich mich gefangen habe, mein Tempo gleichmäßig durchlaufe, wenn auch gequält, hole ich bereits nach 1 km die ersten Flitzer wieder ein, und das setzt sich dann so fort. Als ich nach 22:23 die Hälfte dieses letzten Laufes hinter mir habe, bin ich ganz happy. Aber hart ist dieser Zehner schon, und auch wenn sie gleichmäßig ihren Dienst verrichten, geben meine Beine mir deutliche Signale der Anstrengung.
Auch am Deich entlang passiere ich Läufer um Läufer. Das ist hier unangenehm, da links und rechts jeweils schmale Platten verlegt sind und ich entweder auf den naturbelassenen Mittelstreifen ausweichen oder eine Zeitlang auf den linksseitigen Platten, die arg abschüssig sind, laufen muss. Ich hänge mich an einen jüngeren Läufer mit kackbrauner St.-Pauli-Tight und entsprechender Aufschrift, der einige Meter vor mir läuft. Im Duo überholen wir weitere Läufer.
So nähern wir uns kurz vor dem Ziel einem älteren Läufer, bei dem ich ins Grübeln komme, ob der evtl. in meiner Altersklasse läuft. Noch beim km-Schild 9 war dieser weit vor uns gewesen, geschätzte 100 m. Als es in die vorletzte Biegung, kurz vor den Absperrgittern, geht, bin ich dran, komme, weil ich innen überholen will, zunächst nicht vorbei, nutze aber die folgende Gerade zum Vorbeigehen und laufe nach einem letzten Anziehen in einem Mini-Schlussspurt aufs Ziel zu. Durch diese kleine Gewaltaktion beende ich diesen Lauftag, wie ich ihn begonnen habe: in einem km unter 4 min.
Ich nehme die dritte Medaille für heute entgegen und lasse mir diesmal gerne die Schnürsenkel zubinden. Mit 44:04 min und damit schnellerer zweiter Hälfte ist eine für heute noch recht passable Zeit heraus gekommen. Nun reicht’s aber auch!
Später
Jetzt interessieren mich natürlich noch die Platzierungen. Ich wollte schließlich nicht einfach nur alle 3 Läufe mitlaufen. Das haben ja schon mehrere gemacht. Das wäre auch nur ein „einfacher“ Dreier. Nein, ich wollte alle 3 in der AK gewinnen, und das im letzten Jahr der M60. Erst so sollte schließlich aus dem einfachen ein „flotter“ Dreier werden. Obwohl es mittlerweile schon nach 19 Uhr ist, hängen in der Turnhalle gerade mal die ersten beiden 5 km-Läufe aus.
Erst später kann ich die Ergebnisse im Internet aufrufen:
5 km: Männer Platz 52, M60 Platz 1,
Halbmarathon: Männer Platz 20, M60 Platz 1
10 km: Männer Platz 58, M60 Platz 2
Hm, hat also doch nicht geklappt! Aber so ist das eben. Natürlich gibt es Schnellere, und heute war halt so einer mit dabei. Ein wenig wurmt mich das aber doch, vor allem nach diesem wirklich harten Abschlusslauf. Ich will sehen, ob ich es gepackt hätte, wenn ich mich noch etwas mehr gequält hätte. Wow, 39:58 min für den M60-Sieg! Nein, das hätte ich nie und nimmer drauf gehabt heute. Das hätte vielleicht geklappt, wenn ich nur den Zehner als einzigen Lauf gemacht hätte, aber nicht mit der Hypothek eines vorherigen Fünfers und eines Halbmarathon.
Unter 40 min laufen nicht mehr viele in meiner Altersklasse. Mal sehen, was der AK-Genosse sonst so zu bieten hat! Merkwürdig, googlen ergibt nichts. Erst nach einiger Sucherei stoße ich darauf, dass mein Konkurrent schon in früheren Störläufen dabei war. Hä, was ist das? Mit Zeiten knapp unter 1 h??!!! Da kann doch was nicht stimmen! Und richtig: als am Sonntag die Bilder des Fotodienstes zur Verfügung stehen, ist da ein deutlich jüngerer Läufer mit der Startnummer 5002 zu erkennen, auf keinen Fall jemand, der 63 oder 64 Jahre alt ist. Da ist folglich ein anderer mit der Startnummer des M60-er gelaufen.
Es hat sich also gelohnt, noch mal die Strapaze des letzten Laufes auf sich zu nehmen: Es war DOCH ein richtiger flotter Dreier am Samstag!
Bernd