Hallo Achtundzwei,
ich lache nicht über euer langsames Tempo und ich nehme auch die Sorge ernst in Sachen Abitur etwas zu verpassen. Dennoch möchte ich dir klar sagen, dass das Abitur (und in der Folge Ausbildung/Studium/Beruf) lediglich die geistige Gesundheit befördern können (wenn man Glück hat), nicht jedoch die körperliche. Die steht und fällt mit dem "bestimmungsgemäßen Gebrauch" deines Körpers. Vielleicht sage ich dir jetzt etwas Neues, denn mit 16 habe ich mich durchaus für alles mögliche interessiert, aber sicher nicht dafür: Die Natur - oder nenn es, wenn dir das aus dem Biologieunterricht mehr sagt: die Evolution - hat den Menschen vor abertausenden von Jahren aus der Riege der Primaten erhoben, indem sie ihn zum "Bewegungswesen" mutieren und SO als Gattung überleben ließ. Der Mensch von vor 10.000 Jahren war perfekt dazu "gestylt" Tiere durch ausdauernde Verfolgung zu Tode zu hetzen. Einfach dadurch, dass er länger gehen und laufen konnte als diese Jagdbeute. Dafür hat die Evolution den Bewegungsapparat, den Stoffwechsel und alle Organe (vor allem Herz-Kreislauf-Funktionalitäten) auf Hochleistungsvermögen getrimmt. Für ausreichend Kühlung bekamen wir die Fähigkeit zu schwitzen, was gegenüber Tieren ohne "Wasserkühlung" einen Riesenvorteil darstellt. Das wurde vor 10.000 bis 20.000 Jahren zur Vollendung gebracht. Und heute? Der moderne Mensch, du, deine Freundin, alle Foris hier verfügen über diesen herrlich perfekten Laufkörper!!! In 10.000 Jahren hat sich an den Körpereigenschaften so gut wie nichts geändert. Wir sind im Durchschnitt größer geworden und infolge medizinischer Fortschritte und mehr Hygiene leben wir deutlich länger. Und nun haben wir ein Problem. Wir: Du, deine Freundin, ich, alle Foris, letztlich alle Menschen.
Wir leben in diesem Körper, den wir so eigentlich nicht mehr brauchen. Niemand muss mehr 20, 30, 40 km am Tag gehen und laufen, um die Ernährung sicherzustellen. Im Schnitt bewegen sich die Menschen der westlichen Welt weniger als 1 km am Tag, deutlich weniger. Manche so gut wie gar nicht mehr. Und werdende, ehrgeizige Abiturienten, so sie nicht gerade ein Sportabi anstreben, gehören potenziell auch zu der Gruppe der Sich-Nicht-Bewegenden. Dieses Problem wird immer drängender.
Warum ist das ein Problem? -
Alles was du im Körper hast verkümmert, wenn du es nicht benutzt. Bestimmungsgemäß nutzt. Ich rede da an jemanden hin, der das noch nicht merkt. Mit 16 ist dein Körper noch im Aufbau. In ein paar Jahren ist der Aufbau abgeschlossen, dann verfügst du über scheinbar unermessliche Körperenergie. Auch dann ist schwer einzusehen, wovon ich hier rede. Nichtsdestoweniger ist es Fakt. Fakt, an dem niemand vorbeikommt. Studien haben gezeigt, dass (untrainierte) Körper bereits vor dem Erreichen des 30. Lebensjahres damit beginnen Muskelmasse abzubauen. Dieser Vorgang setzt sich bis ins (hohe) Alter fort, wenn man nicht durch entsprechende Nutzung dieser Muskulatur vorbaut. Das ist nicht immer einfach. Und damit bin ich bei dir: Es gibt für ernsthaft strebende Menschen in jedem Alter Aufgaben, die die
freie Zeit beschränken. Bei dir ist es die Schule. Wenn die vorbei ist ... nun dann etwas anderes. Dazu kommen soziale Verpflichtungen: Bei dir Eltern, die dich - für was auch immer fordern - Familie allgemein, Freunde, irgendwelche Engagements freiwilliger Natur, was auch immer. Die schlechte Nachricht: Das wird nicht besser. Es kommt dir sicher nicht so vor aber: Du wirst nie wieder so frei sein und über so viel freie Zeit verfügen wie jetzt. Je älter man wird, umso enger schnürt das tägliche Leben die Bänder der Verpflichtung. Der Tag ist kurz: 24 Stunden minus Arbeitszeit, minus Zeit zum Schlafen, minus Zeit für Verpflichtungen außerhalb der Arbeit - was bleibt da noch?
Ich verstehe, wenn du lernen musst. Das kann aber keinesfalls bedeuten, dass du nicht mindestens dreimal pro Woche die Zeit hast, um deinen Körper zu fordern. Das ist noch immer viel weniger, als er leisten könnte, aber wenigstens ein Anfang. Viele fanden es zu Beginn entsetzlich schwierig sich die Zeit zum Laufen freizuhalten, als sie jedoch Erfolge verzeichneten, die Freude daran spürten, verselbständigte sich das.
"Zeit zum Laufen freihalten". Das ist der springende Punkt. Die drei Läufe pro Woche dürfen nicht zur "Verfügungsmasse" gehören. Es darf nicht so sein, dass du ein Training opferst, wenn die Zeit knapp wird. Wer im Umfeld nicht einsieht, dass du dich bewegen willst (und als Mensch auch musst, um "artgerecht" zu leben), den solltest du mit Beharrlichkeit überzeugen. Die Lauftermine sollen sein wie Zähneputzen: Ohne geht es nicht. Gar nicht. Zähneputzen bewahrt die Zähne vor Zerstörung. Laufen ist nichts anderes: Laufen (Sport) bewahrt den Körper vor dem Verfall!!! Das gilt für alle Menschen, die in ihrem Alltag hauptsächlich oder ausschließlich geistig gefordert werden. Deren Körper nur noch die Funktion hat dem Geist einen "Aufbewahrungsort" zu bieten.
Und nun zum Training selbst: Einer der wichtigsten Aspekte ist die Wiederholungsrate der Trainings. Einmal ist keinmal und zweimal trainiert man, wenn man erworbene Leistung einigermaßen bewahren möchte. So lange man überhaupt keine Ausdauer besitzt, sind zweimal Training pro Woche durchaus geeignet etwas zu erreichen. Doch das ist bei deinem momentanen Status der Trainiertheit vorbei. Du merkst selbst, dass es nicht vorwärts geht. Das liegt unter anderem daran, dass ein drittes Training pro Woche fehlt, dass die Pausen zwischen den Trainings also zu lange sind.
Weitere Defizite ergeben sich aus eurer Methodik des Laufens. Ihr bewegt euch immer im selben Tempo (Argument: Schneller geht gar nicht) und gleich lang. Körperstrukturen stellen einem jedoch nur dann mehr Leistung zur Verfügung, wenn man sie von Mal zu Mal mehr fordert bzw. auch ANDERS fordert. Mit der Absicht jetzt schneller werden zu wollen liegt ihr richtig. Um aber schneller zu werden, muss man auch schneller laufen. Und das könnt ihr! Doch: Ihr könnt das! Es geht gar nicht darum die ganzen 6 km in schnellerem Tempo zu absolvieren. Das wäre freilich aus dem Stand schier unmöglich (und auch nicht sinnvoll). Ihr solltet an einem Trainingstag euer Pensum auf 4 - 5 km kürzen und dann in Intervallen schneller laufen.
Und das geht so: Einlaufen 5 min in eurem langsamen Tempo, dann 3 min deutlich schneller, danach 2 min wieder im langsamem Tempo. Diesen Wechsel zwischen "deutlich schneller für 3 min" und "wieder langsamer für 2 min praktiziert ihr 5 Mal! Ergibt samt Einlaufen 30 Minuten Trainingszeit. Das reicht für den Anfang. Du siehst sicher in dieser "Lauf-Hausaufgabe", wie man die Anforderungen steigern kann. Man kann statt fünfmal das ganze auch sechs- oder siebenmal laufen. In einer anderen Woche verlängert ihr die Intervalle, von 3 min auf vielleicht 4, später auf 5. Wichtig ist dabei, dass ihr auch bei der letzten Wiederholung noch deutlich schneller lauft. Wichtig ist auch: Diese Art Training nur einmal pro Woche! Normalerweise werdet ihr dadurch schneller und zwar auch bei euren anderen beiden langsamen Dauerläufen. Ihr solltet nach längstens 4 Wochen schon merken, dass sich da was tut.
Statt der sturen 5 x 3/2min Intervalle könnt ihr aber auch ein Fahrtspiel machen. Das funktioniert ganz ähnlich, nur dass man keine vorher fixierten Aufgaben läuft, sich dafür am Gelände orientiert. Etwa so: Ihr seht in der "Ferne" eine Scheune und beschließt: Bis dahin laufen wir schneller. Dann aber ausruhen durch langsames Joggen. Dann seht ihr vielleicht einen Hügel und beschließt: Den Hügel nehmen wir jetzt im "Sturm"! Danach wieder bei langsamem Joggen erholen, wenn ihr euch mal übernommen haben solltet, vielleicht auch 2, 3 min gehen. Solche und ähnliche Aufgaben gibt es haufenweise, auch in stadtnahem Gebiet. Überall, wo man laufen kann, lassen sich Wegpunkte festlegen, die man ab"arbeiten" kann.
Nun noch ein Hinweis: Wenn ihr dabei auch mal außer Atem kommt, wenn euch das ziemlich müde macht, wenn das unter Umständen zu körperlich unangenehmen Empfindungen führt, dann ist das kein Zufall. Das nennt man Anstrengung. Anstrengung - da sage ich dir sicher nichts Neues - kann sich unangenehm anfühlen - phasenweise. Ich erwähne das nur, damit ihr nicht meint es in so einem Fall automatisch schon übertrieben zu haben ...
Ich sage nicht: Versucht dreimal pro Woche zu laufen. Ich sage: Lauft dreimal pro Woche, sonst wird das nix. Und ich sage: Dieses "bisschen" Bewegung hat euer Körper dringend nötig. Wenn du dich mit 16 schon daran gewöhnst, dass Lauftage zum Leben dazu gehören, dann wirst du in ein paar Jahren nicht mehr ohne können. Versprochen!
Bitte verstehe diese lange Rede weder als eine Art Predigt, noch als Kritik an dir. Wie könnte ich jemanden kritsieren, der von sich aus das Bedürfnis nach Bewegung spürt und angefangen hat zu laufen. Es geht mir nur um Klar- und Hilfestellungen.
Alles Gute! Fürs Abi
und das Laufen
Gruß Udo