Udoh hat geschrieben:... nicht alles was zwickt ist pathologisch.
Hallo Udo,
"pathologisch" heißt zu deutsch "krankhaft, vom gesunden Zustand abweichend". Das nur, damit jeder weiß, worüber wir hier reden. Du hast sicher recht, dass nicht jeder Schmerz auf einen bereits eingetretenen Schaden hinweist. Wenn das so wäre, wären zumindest von 100% der ambitionierten Läufer auch 100% geschädigt. Ich beschäftige mich seit einigen Wochen sehr intensiv mit dem Thema "Schmerz" und was Schmerzen eigentlich für eine Bedeutung haben. Einfach ist das nur bei offensichtlichen Zusammenhängen: Ich schneide mir in den Finger, es blutet und kurz danach schmerzt die Stelle. Spätestens nach Abheilung der Verletzung endet der Schmerz.
Sobald man jedoch Schmerzen innerhalb von Geweben spürt, hört das mit den einfachen Zusammenhängen oft auf. Auch hier gibt es natürlich klare Diagnosen: Wenn mir einer beim Fußballspielen in den Oberschenkel tritt, bildet sich dort ein Bluterguss, der nach außen nicht mal zu sehen sein muss und der tut weh, zumindest wenn ich auf die Stelle drücke. In den weitaus meisten Fällen verknüpft sich mit dem Schmerz jedoch einiges an Mutmaßungen. Dies gilt vor allem für medizinische Laien. Ich meine das folgendermaßen: Selbst wenn ich heute - warum auch immer - mir extrem viel zugemutet und mich überlastet habe und sich deshalb als Folge Schmerzen einstellen, weiß ich mit einiger Sicherheit nur WARUM es weh tut und wo es weh tut. Ich kenne jedoch nicht den Ort in meinem Organismus, der die Schmerzen auslöst. Wenn es an der Schienbeinkane weh tut, scheine ich mich in diesem muskulären Bereich überlastet zu haben. Tatsächlich kann das Problem jedoch ganz woanders liegen. Ich habe bei meinen "Studien" lernen und akzeptieren müssen, dass sämtliche Zellen des Körpers über mehrere Kommunikationssysteme miteinander in Verbindung stehen und dass noch die letzte Fettzelle im Hintern "weiß", wenn sich irgendwo im Körper eine Missfunktion oder eine Überlastung ergeben hat.
Was bedeutet das? Ich kann natürlich mein Problem beheben, indem ich hoffe, dass der Körper die erlittene Härte wegsteckt, sich anpasst, was zu reparieren ist auch repariert. Nur weiß ich dann noch immer nicht, wo meine Schwachstellen tatsächlich liegen. Gerade für Sportler ist auch wichtig zu wissen: Wenn im Körper etwas nicht richtig "funktioniert" - wobei es egal ist, ob es sich dabei um eine krankhafte Veränderung in den inneren Organen handelt (z.B. eine Entzündung) oder um Missfunktion im Bewegungs- und Halteapparat -, dann reagieren in vielen Fällen Muskelgruppen darauf mit Verspannungen (Erhöhung des Muskeltonus). Für Therapeuten und Ärzte mit entsprechendem Fachwissen ist einigermaßen vorhersehbar, welche Muskelgruppe wie reagiert. Aber nicht für uns ...
Wenn du immer wieder beim Erhöhen deines Pensums bzw. der Intensität deiner Trainingseinheiten Schmerzen an der Schienbeinkante verspürst, dann sollte dich das nicht ganz so ruhig lassen, wie es offensichtlich der Fall ist. Schmerzen sind nicht zwingend die "rote Karte", verweisen in den meisten Fällen also nicht auf eine eingetretene Veränderung. Aber sie sind in JEDEM Fall die "gelbe Karte", eine Verwarnung oder auch ein Hilfeschrei überlasteter Strukturen. "Normalerweise" - ich setze das mal vorsichtshalber in Anführungsstriche -, führt eine moderate Steigerung des Trainingspensums, von einem Trainingszyklus zum nächsten, also z.B. von einer Woche zur nächsten, nicht zu Beschwerden, sondern zur Anpassung der gereizten Körperstrukturen. Wenns weh tut - dabei oder danach -, dann ist es eine einmalige Sache, die mir zeigt, dass ich die Steigerung zu drastisch vorgenommen habe. Das ist ein Problem vor allem für jene Sportler, die sich ihrem persönlichen, altersgemäßen und absoluten Grenzbereich nähern. Wenn sich jedes Mal bei Steigerungen, die man eigentlich "vertragen" sollte, der Organismus mit Schmerzen - wo auch immer - wehrt, dann verweist das nach meiner Auffassung auf ein unerkanntes, ungelöstes Problem. Finden kann man das nur intuitiv oder über Versuch und Irrtum. Wenn ich so ein Zwicken spüre, dann versuche ich mit speziellen Dehn- und Kräftigungsübungen den Kobold zu erwischen und zu verjagen. Verzieht er sich nicht, versuche ich was anderes. Wird aus dem Kobold ein Nervzwerg oder gar ein bedrohlicher Gnom, dann hole ich mir Hilfe ...
Was meines Erachtens auch ein Problem darstellt, ist die Verharmlosung von Schmerzzuständen, der wir als Gerneläufer häufig frönen. Wir reden ungern von Schmerzen, verpacken den Sachverhalt lieber in nicht so dramatisch klingende Wörter: Beliebt sind Zwicken, Zwacken, Beschwerden, unangenehmes Ziehen und andere. Ärzte und Therapeuten verwenden diese Begriffe im Umgang mit den Patienten nie. Sie lassen sich einen Schmerz als Schmerz beschreiben und seine Stärke auf einer Skala von 0 (gar nicht) bis 10 (unerträglich) bewerten. Ob es zieht, zwickt oder zwackt ist egal - es ist Schmerz und er kommt von ... irgendwo da drin ...
Gruß Udo