Übertraining. Eine Erfahrung
Verfasst: 28.04.2016, 15:24
Hallo, ich möchte mich kurz vorstellen: Weiblich, 47, laufe seit vier Jahren einigermaßen ambitioniert alles zwischen 400m und HM.
Meine Bestzeiten vor einem bis zwei Jahren sind über 5km sind 21:09min, über 10km 43.52min und ich bin auch schon bei der Senioren-DM über 400m gestartet. Ich laufe also lieber schnell als lang und hatte das Gefühl, durchaus noch Luft nach oben zu haben.
Jetzt aber geht nichts mehr. Übertraining.
Ich will erzählen, wie es dazu kam, erstens, weil ich es mal loswerden will und zweitens, weil es im Internet wenig wirkliche Erfahrungsberichte gibt.
Bis Herbst 2015 lief ich etwa 25 km/Woche, machte ein bisschen Tempotraining, trainierte immer allein und nach Gefühl. Als Jugendliche war ich über im Sprint und bis 400m-800m ganz gut und hatte Crosslauf-Erfahrungen. Ich meinte, mein Training so weit im Griff zu haben, wollte aber besser werden.
Im Herbst 2015 habe ich, um Gleichgesinnte im Senioren-Bahnwettkampfbereich zu finden, den Verein gewechselt und bin ziemlich holterdipolter in ziemlich hartes Tempotraining eingestiegen (z.B. Einlaufen, Sprintübungen, 6x150 Steigerungen, danach 10x200m in 40s). Danach (schon währenddessen) ging es mir dreckig, aber ich ließ mir nichts anmerken, denn ich war ja neu und wollte nicht als Schlappschwanz dastehen. Die mittelfristige Folge des Trainings war eine Achillodynie.
Da ich eine komplette Trainingspause vermeiden wollte, ging ich ins Fitnessstudio und trainierte auf dem Fahrrad (mehrmals über 1h bei 140 Watt). Als meine Achillessehne wieder belastbar war, ging ich aufs Laufband und stellte fest, dass ich die gewohnten Schnitte überhaupt nicht mehr laufen konnte. Ich schob es aufs Laufband (ungewohnt) und auf die Laufpause.
Aber ich konnte auch draußen und nach drei Wochen Gewöhnung nicht mehr meine Schnitte laufen. Ich schob es auf Grundlagenmangel.
Gleichzeitig ging ich wieder auf die Bahn (Halle) und absolvierte dort so Trainings wie: 800 - 400- 800 - 400- 800 (800 in 3:10) oder 5 x 600 (600 in 2:25) oder 10 x 200 (200 in 38). Diese Trainings bescherten mir unsägliche Muskelkater; außerdem hatte ich immer das Gefühl, mit angezogener Handbremse zu laufen. Irgendwas in mir konnte nicht schnell laufen. Ich konnte zwar die Menge durchhalten, aber bei weitem nicht das Tempo, das ich glaubte, laufen zu können. Gleichzeitig bekam ich Angst vor den Läufen: Erstens, weil ich schiss hatte, mich zu blamieren, zweitens einfach vor der Anstrengung. Ich spürte eine innere Blockade, einen Widerstand, fast einen Schnelllaufekel (ich liebe Tempoläufe eigentlich!).
Ich schob alles auf Grundlagenmangel und wollte länger laufen. Und langsamer. Auch die langen Sachen laufe ich ja nie wirklich langsam (immer um 5:00) und beschloss, mal 5:20 zu laufen. Das ging ganz gut, machte auch halbwegs Spaß. Aber gleichzeitig spürte ich, dass ich nicht langsam lief, weil ich es wollte, sondern weil ich nicht schneller konnte. Dabei hatte ich aber gleichzeitig das Gefühl, schneller zu sein: Wenn ich 5:20 lief, kam es mir vor, ich liefe 5:00, lief ich 4:40, kam es mir vor, ich liefe 4:20. Mein Zeitgefühl (ich laufe nur nach Gefühl und kann immer genau ein bestimmtes Tempo laufen. Ich schaue beim Laufen auch nie auf die Uhr, erst hinterher.) Mein verschwundenes Laufgefühl beunruhigte mich: Ich lag immer komplett falsch. Ich bekam dann auch Angst vor den längeren Strecken; vor der Anstrengung, vor blöden Streckenabschnitten, die ich dann mied. Ich kürzte oft ab oder schaffte meinen Plan nicht.
Ich schob es immer noch auf Grundlagenmangel. Warum ich das glaubte, liegt daran, dass ich nicht so viel trainiere, wie man meinen könnte. Ich laufe nie mehr als 25km/Woche. Meine guten Zeiten erreichte ich mit einem Training von ca. 20 km/Woche. Wie gesagt, ich laufe eher intensiv als extensiv und trainiere nur 3x die Woche.
Meine Periode blieb aus. Ich schob es aufs Alter. Wegen meines Leistungsrückgangs sprach ich mit dem neuen Trainer. Er kennt mich nicht gut; er schob ihn (10km in "nur" 46:47) aufs Alter und auf Vitamin-D-Mangel. Ich sprach mit meiner Schwester, einer erfahrenen und sehr guten Läuferin (Teilnahme an Berglauf-EM). Auch sie konnte sich den Leistungsrückgang bei meinem Training, das eigentlich sehr abwechslungsreich ist - ich laufe immer andere Distanzen, immer andere Strecken, mit verschiedenen Schuhen, ich baue Tempowechsle ein etc. - nicht erklären. Nicht mit der Alterstheorie. Anhand von Altersumrechentabellen kann man ja feststellen, wie viel man sich pro Jahr verschlechtert - sicher nicht 3 min über 10km bei eher mehr Training. Übertraining hielt sie für ausgeschlossen (sie weiß ja, was man so laufen kann).
Sonst konnte ich mit keinem reden. Für Nichtläufer bin ich eh "irre" schnell und sowieso wahnsinnig, auch für viele Läufer bin ich "schnell genug". Andere sagten, das ist halt mal ein Formtief. Die im Verein kannten mich nicht gut genug.
In diesem Jahr bin ich 3 mal die10km im Wettkampf gelaufen und hab mich bei jedem Lauf verschlechtert. Während des Laufens hatte ich oft so eine innere Hemmung, wie als würde jemand auf die Bremse latschen, während ich aufs Gaspedal trete und trete und trete. Auch hatte ich immer das Gefühl, gleich aufgeben zu müssen. Die Läufe erschöpften mich komplett und machten mir überhaupt keinen Spaß. Auch das Training strengte mich immer mehr an. Das Bahntraining schwänzte ich zunehmend (Ausreden gibt's mit 3 Kindern und Beruf genug); ich hatte einen richtigen Horror davor.
Dann fuhr ich Anfang April beruflich nach Italien - natürlich mit Laufsachen. Ich freute mich schon, auch aufs Laufen in Italien, denn ich laufe bei beruflichen Reisen immer. Aber auch in Italien lief ich nur schwerfällig und lahm. Nach einer Abendveranstaltung konnte ich eines Morgens nicht mehr aufstehen. Hexenschuss.
Mit Medikamenten bekam ich die Reise herum. Der Arzt, der mich kaum anguckte, sagte, ISG-Blockade und verschrieb mir Manuelle Therapie.
Mein Blut habe ich schon im Herbst mal untersuchen lassen; ich bin pumperlgesund, nicht mal Vitamin-D-Mangel. Weil ich gelesen habe, dass man bei Hexenschuss sobald wie möglich zu seinen normalen Bewegungen zurückkehren soll, ging ich Laufen. Es war - für den Rücken - gar nicht mal schlecht: Aber nicht für den Rest. Völlige Erschöpfung. Nach 1km war ich fix und alle, quälte mich aber noch durch 5km. Der Blick auf die Uhr bestätigte die Katastrophe. Ich war noch langsamer geworden und mein Gefühl lag noch mehr daneben.
Da guckte ich im Internet doch mal wegen Übertraining.
Man findet ja zwei Sorten, das sympathische und das parasympathische. Ich wusste davon, hatte es aber aufgrund meines geringen Umfangs immer KOMPLETT ausgeschlossen. Aber ich las z.B. dass man haarsträubende Muskelkater haben kann, dass man nicht mehr schnell laufen kann, dass man dauernd müde ist, Sportunlust verspürt, häufig Verletzungen hat, dass der Ruhepuls superniedrig ist (bei mir 48) und dass man das leicht mit einem Trainingserfolg verwechselt und dass man ansonsten sowieso alles mit Trainingsmangel verwechselt, da wurde mir einiges klar.
Auf nur wenigen Seiten allerdings erfährt man, dass man in dieses parasympathische Übertraining auch schon mit geringeren Umfängen kommen kann. Oft erzählen Betroffene von 120km/Woche oder von vielen gelaufenen Marathons. Ich laufe keine 30km/Woche und bin nur einen HM gelaufen. Aber man kann offenbar auch damit in so einen Zustand kommen.
Das Übertraining ist ja eine Ausschlussdiagnose. Man muss praktisch alles andere NICHT haben, dann hat man es. Auch das führt dazu, dass man es schlecht erkennt. Und sicher werden jetzt auch noch einige denken: Lass dich mal ganz und gar durchchecken. Das werde ich auch noch tun, aber ich bin ziemlich sicher, dass nichts rauskommt, weil ich kerngesund bin.
Die Erklärung, dass es beim parasympathischen Übertraining zu einem Ungleichgewicht zwischen Sympathikus (er stachelt uns an) und Parasympathikus (er beruhigt uns) kommt, scheint mir die bestechendste, denn genau so fühle ich mich: Lahm gelegt und extrem beruhigt.
Wenn man es mal weiß, ist der Zustand nicht mal sooo unangenehm. Mich bringt nichts aus der Ruhe gerade - außer früh aufstehen, aber man könnte auch sagen, ich befinde mich in einer gewissen Apathie. Mir ist alles ziemlich wurscht, sogar der Sport. So weit muss man erst mal kommen!
Das Ganze hat Ähnlichkeit mit einer Depression (ich weiß, wovon ich spreche), nur fehlen die negativen Gedanken. Ich muss mich zu fast allen Aktivitäten furchtbar aufraffen, der Beruf geht grad noch so. Die Kinder auch. Aber dann geht es schon los: Haushalt, Hobby, alles nur durch schwerste Überwindung zu erledigen: Und dann auch nur mittelmäßig bis schlecht. Negative Gefühle wie das Gefühl von Wertlosigkeit und Selbsthass bleiben (noch) aus.
Es ist, als wäre man in Watte gepackt.
Im Nachhinein und durch Analyse meiner Laufuhrdaten und Aufzeichnungen habe ich festgestellt, dass ich auch eine Phase des sympathischen Übertrainings durchlaufen habe: Schlafstörungen, Nachtschweiß, schlechte Laune, Getriebenheit. Das ist jetzt seit drei Wochen umgeschlagen. Nach Ratschlag von Dr. Internet mache ich gerade überhaupt keinen Sport und lache mich tot über eine Sportlerin, die erzählt, sie konnte ihr Übertraining in den Griff kriegen, in dem sie nur noch 3xdie Woche trainierte und den Rest ihres Pensums kraulschwimmend erledigte. Ich jedenfalls kann keinen Schritt mehr machen und in so komisches kaltes Schwimmbadwasser könnte ich auch nicht steigen. Aber interessant: Es ist mir wirklich fast völlig egal.
Natürlich sinniere ich darüber, ob ich irgendwann mal wieder (schnell) laufen kann und bin traurig, wenn ich einen Läufer sehe, der läuft. Aber irgendwie kann ich mich nicht mal darüber richtig aufregen. Und das ist nicht meine Art.
Jedenfalls würde ich gern auch eine dringende Warnung aussprechen: Wer ambitioniert trainiert und sich plötzlich dauerhaft (>2 Wochen lang) verschlechtert, der sollte IMMER an Übertraining denken, NIE an Faulheit, VIELLEICHT an Krankheit. Im Zweifel lieber nicht trainieren.
In sich reinhören. Unlust ernst nehmen. Nicht zu hart zu sich sein. Denn: Das sympathische Übertraining kriegt man noch geregelt, das parasympathische nicht mehr. Da kann man nur noch da sitzen und warten.
Andere Warnzeichen für Übertraining (in keiner Ordnung):
- die Genauigkeit der GPS-Uhr hinterfragen (weil die Zeiten nicht mehr stimmen).
- dauernd neue Schuhe kaufen, weil die aktuellen nichts taugen.
- dauernd im Internet nachlesen, wie man sich verbessern kann.
- sinnlos am Outfit herumdoktern.
- Trainings abbrechen, weil erschöpft.
- Trainings zwanghaft durchziehen, trotz erschöpft.
- Graus vor Strecken.
- Graus vorm schneller Laufen.
- Graus vor Steigungen.
- Graus vor Kälte.
- Graus vor Wärme.
- absurd schmerzhafte und langanhaltende Muskelkater.
- Verletzungen.
- Krankheiten.
- jeden Berg in der Trainingsstrecke genauestens verrechnen (weil man sich die Langsamkeit zu erklären versucht).
- zwanghaft Gegenwind einrechnen (Grund s.o.).
- sich Krankheiten und Mangelzustände einbilden (bis hin zu Krebs).
- Vermeidung von Zusatzanstrengungen (z.B. schweren Blumentopf heben, einen Berg mit dem Fahrrad raufsprinten).
- dauernd über den Sport und die nachlassende Leistung nachdenken.
- Strecken so wählen, dass Leistungsabfall nicht so auffällt.
- bleierne Müdigkeit am Morgen.
- nur auf den Abend warten, weil man da endlich schlafen gehen kann.
- nachts schweißgebadet aufwachen.
- Angst vor Training. Folge:Training geschickt vermeiden (so dass man es selber nicht merkt)
- komplette Erschöpfung, obwohl man nur mal kurz einkaufen war.
- die Weigerung zur Straßenbahn zu rennen, obwohl man sie gern erreichen würde. Egal, dann fährt sie halt weg.
- Strecken, die man sonst radelt, plötzlich mit der S-Bahn fahren.
- zu faul, mit den Kindern Tischtennis zu spielen (nach dem Ball bücken ist sooo anstrengend).
- zu faul zu kochen (Zwiebel schneiden ist sooo anstrengend).
- keine Kraft für Abendaktivitäten.
- Egalgefühl, auch im Beruf (alle halten einen für ultrarelaxed, auch schön, aber auf Dauer gefährlich).
- zu faul, ein Buch aus dem Regal zu holen, weil man dazu einen Stuhl holen müsste.
- mit Wehmut an mal schnell gelaufene Strecken denken und das Gefühl haben, das NIE mehr zu schaffen.
- unbestimmte Traurigkeit.
- denken, ein Arztbesuch könnte einem helfen.
- ständig überlegen, mit wem man mal drüber reden könnte und niemanden finden.
- sogar Yoga-Übungen, die gut für den Rücken wären, zu anstrengend finden.
- zwanghaft Laufzeitschriften lesen, weil man hofft, dass man darin die Lösung findet
Eure Miss-Twizzle. Es wäre interessant, über andere Erfahrungen mit Übertraining zu lesen.
Meine Bestzeiten vor einem bis zwei Jahren sind über 5km sind 21:09min, über 10km 43.52min und ich bin auch schon bei der Senioren-DM über 400m gestartet. Ich laufe also lieber schnell als lang und hatte das Gefühl, durchaus noch Luft nach oben zu haben.
Jetzt aber geht nichts mehr. Übertraining.
Ich will erzählen, wie es dazu kam, erstens, weil ich es mal loswerden will und zweitens, weil es im Internet wenig wirkliche Erfahrungsberichte gibt.
Bis Herbst 2015 lief ich etwa 25 km/Woche, machte ein bisschen Tempotraining, trainierte immer allein und nach Gefühl. Als Jugendliche war ich über im Sprint und bis 400m-800m ganz gut und hatte Crosslauf-Erfahrungen. Ich meinte, mein Training so weit im Griff zu haben, wollte aber besser werden.
Im Herbst 2015 habe ich, um Gleichgesinnte im Senioren-Bahnwettkampfbereich zu finden, den Verein gewechselt und bin ziemlich holterdipolter in ziemlich hartes Tempotraining eingestiegen (z.B. Einlaufen, Sprintübungen, 6x150 Steigerungen, danach 10x200m in 40s). Danach (schon währenddessen) ging es mir dreckig, aber ich ließ mir nichts anmerken, denn ich war ja neu und wollte nicht als Schlappschwanz dastehen. Die mittelfristige Folge des Trainings war eine Achillodynie.
Da ich eine komplette Trainingspause vermeiden wollte, ging ich ins Fitnessstudio und trainierte auf dem Fahrrad (mehrmals über 1h bei 140 Watt). Als meine Achillessehne wieder belastbar war, ging ich aufs Laufband und stellte fest, dass ich die gewohnten Schnitte überhaupt nicht mehr laufen konnte. Ich schob es aufs Laufband (ungewohnt) und auf die Laufpause.
Aber ich konnte auch draußen und nach drei Wochen Gewöhnung nicht mehr meine Schnitte laufen. Ich schob es auf Grundlagenmangel.
Gleichzeitig ging ich wieder auf die Bahn (Halle) und absolvierte dort so Trainings wie: 800 - 400- 800 - 400- 800 (800 in 3:10) oder 5 x 600 (600 in 2:25) oder 10 x 200 (200 in 38). Diese Trainings bescherten mir unsägliche Muskelkater; außerdem hatte ich immer das Gefühl, mit angezogener Handbremse zu laufen. Irgendwas in mir konnte nicht schnell laufen. Ich konnte zwar die Menge durchhalten, aber bei weitem nicht das Tempo, das ich glaubte, laufen zu können. Gleichzeitig bekam ich Angst vor den Läufen: Erstens, weil ich schiss hatte, mich zu blamieren, zweitens einfach vor der Anstrengung. Ich spürte eine innere Blockade, einen Widerstand, fast einen Schnelllaufekel (ich liebe Tempoläufe eigentlich!).
Ich schob alles auf Grundlagenmangel und wollte länger laufen. Und langsamer. Auch die langen Sachen laufe ich ja nie wirklich langsam (immer um 5:00) und beschloss, mal 5:20 zu laufen. Das ging ganz gut, machte auch halbwegs Spaß. Aber gleichzeitig spürte ich, dass ich nicht langsam lief, weil ich es wollte, sondern weil ich nicht schneller konnte. Dabei hatte ich aber gleichzeitig das Gefühl, schneller zu sein: Wenn ich 5:20 lief, kam es mir vor, ich liefe 5:00, lief ich 4:40, kam es mir vor, ich liefe 4:20. Mein Zeitgefühl (ich laufe nur nach Gefühl und kann immer genau ein bestimmtes Tempo laufen. Ich schaue beim Laufen auch nie auf die Uhr, erst hinterher.) Mein verschwundenes Laufgefühl beunruhigte mich: Ich lag immer komplett falsch. Ich bekam dann auch Angst vor den längeren Strecken; vor der Anstrengung, vor blöden Streckenabschnitten, die ich dann mied. Ich kürzte oft ab oder schaffte meinen Plan nicht.
Ich schob es immer noch auf Grundlagenmangel. Warum ich das glaubte, liegt daran, dass ich nicht so viel trainiere, wie man meinen könnte. Ich laufe nie mehr als 25km/Woche. Meine guten Zeiten erreichte ich mit einem Training von ca. 20 km/Woche. Wie gesagt, ich laufe eher intensiv als extensiv und trainiere nur 3x die Woche.
Meine Periode blieb aus. Ich schob es aufs Alter. Wegen meines Leistungsrückgangs sprach ich mit dem neuen Trainer. Er kennt mich nicht gut; er schob ihn (10km in "nur" 46:47) aufs Alter und auf Vitamin-D-Mangel. Ich sprach mit meiner Schwester, einer erfahrenen und sehr guten Läuferin (Teilnahme an Berglauf-EM). Auch sie konnte sich den Leistungsrückgang bei meinem Training, das eigentlich sehr abwechslungsreich ist - ich laufe immer andere Distanzen, immer andere Strecken, mit verschiedenen Schuhen, ich baue Tempowechsle ein etc. - nicht erklären. Nicht mit der Alterstheorie. Anhand von Altersumrechentabellen kann man ja feststellen, wie viel man sich pro Jahr verschlechtert - sicher nicht 3 min über 10km bei eher mehr Training. Übertraining hielt sie für ausgeschlossen (sie weiß ja, was man so laufen kann).
Sonst konnte ich mit keinem reden. Für Nichtläufer bin ich eh "irre" schnell und sowieso wahnsinnig, auch für viele Läufer bin ich "schnell genug". Andere sagten, das ist halt mal ein Formtief. Die im Verein kannten mich nicht gut genug.
In diesem Jahr bin ich 3 mal die10km im Wettkampf gelaufen und hab mich bei jedem Lauf verschlechtert. Während des Laufens hatte ich oft so eine innere Hemmung, wie als würde jemand auf die Bremse latschen, während ich aufs Gaspedal trete und trete und trete. Auch hatte ich immer das Gefühl, gleich aufgeben zu müssen. Die Läufe erschöpften mich komplett und machten mir überhaupt keinen Spaß. Auch das Training strengte mich immer mehr an. Das Bahntraining schwänzte ich zunehmend (Ausreden gibt's mit 3 Kindern und Beruf genug); ich hatte einen richtigen Horror davor.
Dann fuhr ich Anfang April beruflich nach Italien - natürlich mit Laufsachen. Ich freute mich schon, auch aufs Laufen in Italien, denn ich laufe bei beruflichen Reisen immer. Aber auch in Italien lief ich nur schwerfällig und lahm. Nach einer Abendveranstaltung konnte ich eines Morgens nicht mehr aufstehen. Hexenschuss.
Mit Medikamenten bekam ich die Reise herum. Der Arzt, der mich kaum anguckte, sagte, ISG-Blockade und verschrieb mir Manuelle Therapie.
Mein Blut habe ich schon im Herbst mal untersuchen lassen; ich bin pumperlgesund, nicht mal Vitamin-D-Mangel. Weil ich gelesen habe, dass man bei Hexenschuss sobald wie möglich zu seinen normalen Bewegungen zurückkehren soll, ging ich Laufen. Es war - für den Rücken - gar nicht mal schlecht: Aber nicht für den Rest. Völlige Erschöpfung. Nach 1km war ich fix und alle, quälte mich aber noch durch 5km. Der Blick auf die Uhr bestätigte die Katastrophe. Ich war noch langsamer geworden und mein Gefühl lag noch mehr daneben.
Da guckte ich im Internet doch mal wegen Übertraining.
Man findet ja zwei Sorten, das sympathische und das parasympathische. Ich wusste davon, hatte es aber aufgrund meines geringen Umfangs immer KOMPLETT ausgeschlossen. Aber ich las z.B. dass man haarsträubende Muskelkater haben kann, dass man nicht mehr schnell laufen kann, dass man dauernd müde ist, Sportunlust verspürt, häufig Verletzungen hat, dass der Ruhepuls superniedrig ist (bei mir 48) und dass man das leicht mit einem Trainingserfolg verwechselt und dass man ansonsten sowieso alles mit Trainingsmangel verwechselt, da wurde mir einiges klar.
Auf nur wenigen Seiten allerdings erfährt man, dass man in dieses parasympathische Übertraining auch schon mit geringeren Umfängen kommen kann. Oft erzählen Betroffene von 120km/Woche oder von vielen gelaufenen Marathons. Ich laufe keine 30km/Woche und bin nur einen HM gelaufen. Aber man kann offenbar auch damit in so einen Zustand kommen.
Das Übertraining ist ja eine Ausschlussdiagnose. Man muss praktisch alles andere NICHT haben, dann hat man es. Auch das führt dazu, dass man es schlecht erkennt. Und sicher werden jetzt auch noch einige denken: Lass dich mal ganz und gar durchchecken. Das werde ich auch noch tun, aber ich bin ziemlich sicher, dass nichts rauskommt, weil ich kerngesund bin.
Die Erklärung, dass es beim parasympathischen Übertraining zu einem Ungleichgewicht zwischen Sympathikus (er stachelt uns an) und Parasympathikus (er beruhigt uns) kommt, scheint mir die bestechendste, denn genau so fühle ich mich: Lahm gelegt und extrem beruhigt.
Wenn man es mal weiß, ist der Zustand nicht mal sooo unangenehm. Mich bringt nichts aus der Ruhe gerade - außer früh aufstehen, aber man könnte auch sagen, ich befinde mich in einer gewissen Apathie. Mir ist alles ziemlich wurscht, sogar der Sport. So weit muss man erst mal kommen!
Das Ganze hat Ähnlichkeit mit einer Depression (ich weiß, wovon ich spreche), nur fehlen die negativen Gedanken. Ich muss mich zu fast allen Aktivitäten furchtbar aufraffen, der Beruf geht grad noch so. Die Kinder auch. Aber dann geht es schon los: Haushalt, Hobby, alles nur durch schwerste Überwindung zu erledigen: Und dann auch nur mittelmäßig bis schlecht. Negative Gefühle wie das Gefühl von Wertlosigkeit und Selbsthass bleiben (noch) aus.
Es ist, als wäre man in Watte gepackt.
Im Nachhinein und durch Analyse meiner Laufuhrdaten und Aufzeichnungen habe ich festgestellt, dass ich auch eine Phase des sympathischen Übertrainings durchlaufen habe: Schlafstörungen, Nachtschweiß, schlechte Laune, Getriebenheit. Das ist jetzt seit drei Wochen umgeschlagen. Nach Ratschlag von Dr. Internet mache ich gerade überhaupt keinen Sport und lache mich tot über eine Sportlerin, die erzählt, sie konnte ihr Übertraining in den Griff kriegen, in dem sie nur noch 3xdie Woche trainierte und den Rest ihres Pensums kraulschwimmend erledigte. Ich jedenfalls kann keinen Schritt mehr machen und in so komisches kaltes Schwimmbadwasser könnte ich auch nicht steigen. Aber interessant: Es ist mir wirklich fast völlig egal.
Natürlich sinniere ich darüber, ob ich irgendwann mal wieder (schnell) laufen kann und bin traurig, wenn ich einen Läufer sehe, der läuft. Aber irgendwie kann ich mich nicht mal darüber richtig aufregen. Und das ist nicht meine Art.
Jedenfalls würde ich gern auch eine dringende Warnung aussprechen: Wer ambitioniert trainiert und sich plötzlich dauerhaft (>2 Wochen lang) verschlechtert, der sollte IMMER an Übertraining denken, NIE an Faulheit, VIELLEICHT an Krankheit. Im Zweifel lieber nicht trainieren.
In sich reinhören. Unlust ernst nehmen. Nicht zu hart zu sich sein. Denn: Das sympathische Übertraining kriegt man noch geregelt, das parasympathische nicht mehr. Da kann man nur noch da sitzen und warten.
Andere Warnzeichen für Übertraining (in keiner Ordnung):
- die Genauigkeit der GPS-Uhr hinterfragen (weil die Zeiten nicht mehr stimmen).
- dauernd neue Schuhe kaufen, weil die aktuellen nichts taugen.
- dauernd im Internet nachlesen, wie man sich verbessern kann.
- sinnlos am Outfit herumdoktern.
- Trainings abbrechen, weil erschöpft.
- Trainings zwanghaft durchziehen, trotz erschöpft.
- Graus vor Strecken.
- Graus vorm schneller Laufen.
- Graus vor Steigungen.
- Graus vor Kälte.
- Graus vor Wärme.
- absurd schmerzhafte und langanhaltende Muskelkater.
- Verletzungen.
- Krankheiten.
- jeden Berg in der Trainingsstrecke genauestens verrechnen (weil man sich die Langsamkeit zu erklären versucht).
- zwanghaft Gegenwind einrechnen (Grund s.o.).
- sich Krankheiten und Mangelzustände einbilden (bis hin zu Krebs).
- Vermeidung von Zusatzanstrengungen (z.B. schweren Blumentopf heben, einen Berg mit dem Fahrrad raufsprinten).
- dauernd über den Sport und die nachlassende Leistung nachdenken.
- Strecken so wählen, dass Leistungsabfall nicht so auffällt.
- bleierne Müdigkeit am Morgen.
- nur auf den Abend warten, weil man da endlich schlafen gehen kann.
- nachts schweißgebadet aufwachen.
- Angst vor Training. Folge:Training geschickt vermeiden (so dass man es selber nicht merkt)
- komplette Erschöpfung, obwohl man nur mal kurz einkaufen war.
- die Weigerung zur Straßenbahn zu rennen, obwohl man sie gern erreichen würde. Egal, dann fährt sie halt weg.
- Strecken, die man sonst radelt, plötzlich mit der S-Bahn fahren.
- zu faul, mit den Kindern Tischtennis zu spielen (nach dem Ball bücken ist sooo anstrengend).
- zu faul zu kochen (Zwiebel schneiden ist sooo anstrengend).
- keine Kraft für Abendaktivitäten.
- Egalgefühl, auch im Beruf (alle halten einen für ultrarelaxed, auch schön, aber auf Dauer gefährlich).
- zu faul, ein Buch aus dem Regal zu holen, weil man dazu einen Stuhl holen müsste.
- mit Wehmut an mal schnell gelaufene Strecken denken und das Gefühl haben, das NIE mehr zu schaffen.
- unbestimmte Traurigkeit.
- denken, ein Arztbesuch könnte einem helfen.
- ständig überlegen, mit wem man mal drüber reden könnte und niemanden finden.
- sogar Yoga-Übungen, die gut für den Rücken wären, zu anstrengend finden.
- zwanghaft Laufzeitschriften lesen, weil man hofft, dass man darin die Lösung findet
Eure Miss-Twizzle. Es wäre interessant, über andere Erfahrungen mit Übertraining zu lesen.