SteveRunning hat geschrieben:Nach meiner ersten Läuferverletzung, habe ich mich gefragt, ob es sein kann, dass manche Menschen einfach nicht fürs Laufen geschaffen sind.... Also aus rein orthopädischen Gründen...
Hallo SteveRunning,
du bist nicht der erste Läufer, der sich - just dann wenn ihn eine Verletzung erwischt - fragt, ob er oder inwieweit er fürs Laufen überhaupt geeignet ist. Ich kenne sehr erfahrene Lang-, Viel- und auch Schnellläufer, ehrgeizige Menschen, deren Gedanken des öfteren um diese Frage kreisen. Aus Gründen erlittener Verletzungen, für die sich meist Gründe nennen aber letztlich nicht beweisen lassen.
Wichtig vorweg: Auf deine Frage gibt es keine einfache Antwort und damit auch keine konkrete Handlungsanweisung, wie man etwa Verletzungen vermeiden könnte. Das ergibt sich schon aus den zwei völlig gegensätzlichen Betrachtungsweisen für den Fall, dass du dich verletzt. Der eine wird argumentieren: Du hast dich verletzt, weil du dich punktuell sehr oder über einen gewissen Zeitraum merklich überlastet hast. Ein anderer wird sagen: Nicht die Belastung war zu hoch, dein Körper war für dieses Pensum einfach nicht ausreichend angepasst/vorbereitet/abgehärtet. Ich versuche das immer aus beiden Richtungen zu betrachten, bzw. setze auf beiden Seiten an: Einerseits arbeite ich mit Krafttraining, Dehn- und Koordinationsübungen daran, meinen Bewegungsapparat robuster zu halten. Und auf der Ausdauertrainingsseite versuche ich nicht zu überziehen. Für Letzteres achte ich mit Argusaugen auf alle Signale, die mein Körper mir vermittelt. Zu Beginn eines Trainings, dabei, danach, morgens beim Aufstehen ... Ich habe meinen Trainingsplan im Kopf (kein detaillierter, das wäre für Ultradistanzen nicht sinnvoll) und wandle ihn entsprechend dieser Wahrnehmung ab.
Ich war trotzdem schon verletzt, teils sogar schwerwiegend und langwierig, weil ich in bestimmten Situationen das Risiko falsch einschätzte und Warnsignale ignorierte. Nun muss ich allerdings hinzufügen, dass diese Verletzungen im Rahmen eines eher ungewöhnlichen Pensums zu sehen sind: Bei Kilometerumfängen von über 4.000 km und mehr als 20 x Marathon/Ultra im Jahr, auch mal Einzelstrecken von über 200 km pro Wettkampf. Das wäre mit einem im Grundsatz empfindlichen Bewegungsapparat nicht möglich.
Näher an deine Frage: Die Robustheit des menschlichen Bewegungapparates, also die Frage bis wann eine Belastung beschwerde- und schadfrei verkraftet wird, ist wie jede andere menschliche Eigenschaft zunächst eine Frage der genetischen Disposition. So wie es Menschen gibt, die mit kurzen und solchen die mit langen Beinen geboren werden, gibt es Menschen die mit einem robusten und wieder andere, die mit einem empfindlichen Körper geboren werden. Nehmen wir an, dieser Körper ist orthopädisch gesund, leidet also über keinerlei Fehlstellungen oder Missbildungen. Nehmen wir weiter an, dass auch sonst organisch alles im grünen Bereich ist. Dann gilt: Dieser Körper kann laufen. Das kann er schon deshalb, weil es eine der menschlichen Fortbewegungsarten ist. Dieses "Laufen" ist auch trainierbar. Sowohl im Hinblick kauf Ausdauer, als auch auf ausbleibende Beschwerden. Anders ausgedrückt: Durch das Ausdauertraining (ggf. auch begleitendes Krafttraining, etc.) wird auch die Robustheit des Bewegungsapparates verbessert. Bis an den Rand des diesem Menschen möglichen Limits. Bei in dieser Hinsicht begabteren Läufern (zu denen ich mich durchaus rechne) liegt dieses Limit sehr hoch.
Somit würde ich deine Frage zunächst einmal so beanworten: Jeder (gesunde) Mensch ist fürs Laufen geschaffen, weil die Evolution dem Menschen dafür den nötigen Bewegungsapparat mitgegeben hat. Wodurch wir uns unterscheiden ist das Maß an Robustheit. Also das Maß an Belastung (Wochenkilometer mal Intensität, Wiederholungsfrequenz der Trainingseinheiten, etc.), das unser Körper schadfrei verkraftet.
Anders stellt sich das dar, wenn ein mit Fehlstellungen, Defiziten, Dybalancen, Erkrankungen am Bewegungsapparat oder Übergewicht vorbelasteter Körper trainiert werden soll. Dann sinkt das beschwerdefrei verkraftbare Pensum drastisch - je nach Schwere des Handicaps. Das läuft aber in den seltensten Fällen darauf hinaus, dass gar nichts mehr geht. Dass die betreffende Person den Laufsport völlig unterlassen sollte. Drastisch formuliert: So lange jemand nicht im Rollstuhl sitzt, einen Rollator schieben muss oder an Krücken geht, kann er auch laufen.
Selbstverständlich gibt es Erkrankungen, bei denen ein Arzt im Einzelfall vom Laufsport abraten muss. Etwa bei starker Arthrose wichtiger Gelenke.
Was ist nun mit dir? - Niemand kann dir sagen, ob du ausreichend robust gebaut bist, um zum Beispiel ein Marathontraining ohne Probleme zu überstehen. Einseits von der hohen durchschnittlichen Belastung während der Trainingszeit her gesehen, noch was die finale Spitzenbelastung durch den Marathon selbst angeht. Mit ausreichend Selbsterfahrung solltest du abschätzen können, ob das möglich ist. Wenn du dich über die Laufjahre nicht ausreichend selbst beobachtet und taxiert hast, dann wird nur die Probe aufs Exempel diese Frage beantworten können.
Vor meinem ersten Marathon 2002 hatte ich auch Angst, mir zu viel zuzumuten. 42 km auf knochenharter Straße - wie soll das gehen ohne sich die Knochen zu ruinieren. Als ich mich mit dem Trainingsplan auseinandersetzte, darüber hinaus mit entsprechender Literatur, wurde mir klar, dass das Training eben nicht nur die Ausdauer schult, sondern auch den Ist-Zustand meiner Robustheit zu mehr Leistung hin verschieben würde. Damals hätte ich auf das, was ich heute noch mit 65 Jahren zu laufen im Stande bin, als völlig unmöglich von mir gewiesen.
Noch mal aus dem Nähkästchen des Ultraläufers geplaudert: Seit Anfang September bin ich keinen Marathon/Ultra mehr gelaufen. Ich habe mir ein halbes Jahr diesbezügliche Auszeit verordnet, um an mir zu arbeiten. Mehr Tempo und ein paar Zipperlein auskurieren, bis Weihnachten keine Strecke länger als 15 km. Selbstverständlich könnte ich derzeit keinen Marathon zu Ende laufen ohne mir zu schaden. Zum Jahreswechsel hin habe ich Einzelläufe wieder über 20 km hinaus ausgedehnt, mich dann aber leider erkältet. Gestern nun der erste vorsichtige Lauf nach der Erkältung. 8 km in erträglichem Tempo. Was soll ich sagen? - Meine Beinmuskulatur ist heute kurz vor Muskelkater. Noch im August 160 km am Stück und gestern 8 und davon ganz leichten Muskelkater. Und doch werde ich auch in diesem Jahr wieder sehr weite Strecken laufen, aber erst nachdem ich die Messlatte der Robustheit mit jedem Training wieder um ein Stückchen höher gelegt habe ...
Ich hoffe, ich konnte dir aus meiner Warte deine Frage wenigstens zum Teil beantworten. Wir Läufer sind natürlich alle in einer individuellen, körperlichen Situation und nicht mal aus der Nähe - quasi beim Handauflegen - lässt sich vorhersagen wie dein Körper auf bestimmte Belastungen reagieren wird.
Alles Gute für deinen Marathon
Gruß Udo