Hallo jessepinkman,
was die Zielzeitabschätzung angeht, kursieren relativ viele "Ansichten". Wirklich verbürgt/erprobt ist dagegen wenig. Zudem kommt es auf den jeweiligen Läufer an - nicht nur seine physische, sondern nicht zuletzt auch seine mentale "Kraft" -, wie er dem ersten Marathon begegnet. Ein wichtige Rolle spielt selbstverständlich der Trainingsplan. Es gibt Pläne, die, bezogen auf eine bestimmte Zielzeit, eher "lasch" vorbereiten und andere die knochenhart fordern. Es leuchtet ein, dass der "lasch" vorbereitete Läufer geringere Chancen hat, die Zielzeit umzusetzen als der härter geforderte. Eher "lasch" fordern zum Beispiel die Marathontrainingspläne von Steffny. Folgerichtig fordert er Debütanten dazu auf sich beim ersten Marathon einen Malus von einer Viertelstunde (oder waren es 20 min? müsste ich nachlesen) auf die Zielzeit des Plans aufzuschlagen.
Orientierung geben zunächst die veröffentlichen Multiplikatoren. Mögliche Zielzeit Marathon = HM-Zeit x ca. 2,1 oder 10km-Zeit x ca. 4,7 (die genauen Faktoren sind 2,099 und 4,667). Die sollten jedoch hauptsächlich zur Auswahl des passenden Trainingsplans verwendet werden. Denn letztlich besagt das Ergebnis einer solchen Multiplikation lediglich, dass der Läufer zum Zeitpunkt, an dem er den HM oder die 10 km lief das Potenzial besaß eine bestimmte Marathonzielzeit zu erreichen. "Potenzial haben" heißt: Wenn ich alles richtig mache, systematisch und methodisch richtig trainiere, dann kann ich diese vom Potenzial formulierte Zeit erreichen. Dann unterliegt der letztliche Erfolg oder Misserfolg bei diesem Versuch aber immer noch der Sinnhaftigkeit des ausgewählten Trainigsplans, der eigenen Ernsthaftigkeit bei der Umsetzung dieses Plans, der mentalen Ausstattung des Läufers, wenn es im Marathonwettkampf hart wird, der Tagesform und objektiven Gesichtspunkten wie Wetter, Bodenbeschaffenheit, etc.
Grundsätzlich zu behaupten, man könne beim ersten Marathon die vom Plan anvisierte Zielzeit nicht erreichen, ist schlichtweg falsch. Dafür haben es zu viele Läufer letztlich in eben ihrer Zielzeit gepackt. Vor meinem ersten Marathon hatte ich so gut wie keine Wettkampferfahrung. Ich lief vorher nur zwei Halbmarathons, allerdings ohne gezieltes Training und damit auch ohne Zielzeitvorstellung. Es war mein erster Wettkampf überhaupt mit gezieltem Training. Ich hielt mich geradezu sklavisch an den Trainingsplan, erfüllte auch sonst alle Forderungen und folgte Vorschlägen die im Marathonbuch gemacht wurden. Meine Zielzeit war 3:45 h und es war ein Spaziergang diese 3:45 h zu erreichen. Letztlich unterbot ich sie sogar. Dieses Unterbieten wäre noch deutlicher ausgefallen, hätte ich nicht ängstlich und sehr lange an meiner Tempotabelle festgehalten. Ich wollte eben nicht riskieren frühzeitig einzubrechen.
Was dich angeht, ist mein Beispiel natürlich nur genau das: EIN Beispiel. Du solltest zunächst in Erfahrung bringen, wie dein Trainingsplan im Kanon der übrigen "Trainingspläne von der Stange" einzuordnen ist. Von lasch bis beinhart gibt's alles. Darüber hinaus erhebt sich die Frage, wie gut du deine mentale Stärke kennst, wenn es hart wird. Vielfach wird auch unpersönlich von der so genannten "Tempohärte" geredet bzw. geschrieben. Diese Tempohärte kann man natürlich in einem gewissen Rahmen trainieren, eben durch die diversen Einheiten des Trainingsplans. Aber ein - ist nicht so gemeint, will es nur deutlich machen durch diesen Ausdruck - also: aber ein "Weichei" wird sich durch Training nicht dahin bringen können, wo ein genetisch in dieser Hinsicht bevorteilter Läufer schon ohne Training steht. Stelle dir diese Fragen und andere mehr und werte die Ergebnisse deiner Testwettkämpfe (Trainingspläne für Marathon sollten 10 km- und HM-Testwettkampf enthalten) aus, dann wirst du wissen, was geht und was nicht.
Alles Gute dafür
Gruß Udo