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Bitte recht feindlich.

Verfasst: 25.02.2013, 19:02
von frauschmitt2004
Der Läufer ist ja gelegentlich von den Jahreszeiten abhängig, namentlich von einer und deshalb tut es Not, diese genauer unter die Lupe zu nehmen. Man könnte es auch Feindbeobachtung nennen. Aus aktuellem Anlass (siehe Blick aus dem Fenster) habe ich da also mal was aufgeschrieben.
Der Winter ist die längste aller Jahreszeiten. Während sich Frühjahr, Sommer und Herbst auf einem halben Jahr drängeln, wie an einem überlaufenen kalten Buffet und versuchen, sich gegenseitig die Trüffelhäppchen vom Teller zu klauben, nimmt der Winter allein ein halbes Jahr ein und speist à la carte. Diese dominante Jahreszeit dauert von Oktober bis März und zerfällt in zwei Teile. Dennoch entsteht keine Ritze dazwischen, durch die man flüchten könnte. Der erste Teil ist, anders, als man es vom Winter erwarten würde, nicht kalt, sondern mittelwarm. Dafür mutet es gleichbleibend dunkel an, außer in einem Zeitfenster zwischen 14 Uhr und 14:30 Uhr, in dem man kurz seine Hand vor Augen sehen kann. Dabei regnet es unaufhörlich. In dieser Zeit herrscht noch Pilzsaison, überall vor gastronomischen Betrieben stehen Heizpilze und Menschen, die versuchen zu verdrängen, dass jetzt die beste Zeit des Jahres beginnt, um das Rauchen für immer einzustellen.
Im zweiten Teil des Winters, der Ende Dezember beginnt, ist es heller als im ersten, dafür herrschen dann Temperaturen, über die Bewohner einer russischen Polarstation sagen würden, sie seien "rauh", wenn "rauh" ein russisches Wort wäre. Dazu schneit es des öfteren ein Gemisch aus weißem weichem Verbundstoff und einem schwarzbraunen Granulat. Während das Weiße minderer Qualität ist und sich wie ein am Strand von Antalya gekaufter Teppich in Windeseile durchtritt, bleibt das Schwarzbraune liegen. Es hat die Bodenmission, die Sohlen von Laufschuhen durch gezielten Abrieb und Festsetzen in den Flexkerben zu ruinieren. Manchmal entwickelt sich das Weiße auch zu einer magnetischen Fläche, die in der Lage ist, Steißbeine nach unten zu ziehen.
Wer in dieser Zeit läuft, sollte auf gar keinen Fall eine grüne Jacke tragen. Die Sehnsucht von Passanten, Spaziergängern und anderen Läufern nach Grün ist derart groß, dass man Gefahr liefe, einen Pulk von Menschen hinter sich her zu ziehen, die einem im Laufschritt folgen wie einem gemeinen Handtaschendieb, den irren, glasigen Blick fest auf die grüne Jacke geheftet. Es soll Fälle gegeben haben, in denen in solcher Situation ein Angriff auf die rote Nase des grünbejackten Läufers stattgefunden hat, die, eine leuchtende Erinnerung an eine Blüte bildend, einem Pflückvorgang nur knapp entging.
Natürlich läuft der Läufer dennoch das ganze Jahr hindurch, nur eben tunlichst nicht in Grün. Gegen Ende des Winters braucht er dann auch in unbekanntem Terrain nie ein GPS-Gerät um den Weg nach Hause zu finden. Das liegt daran, dass er während des Laufs wie weiland Hänsel und Gretel kleine Krumen hinterlässt. Eine unvermeidliche Tatsache, denn der Läufer, der sonst geschmeidig ist wie ein Theraband für Anfänger, hat im Laufe des Winters die Konsistenz einer handelsüblichen Kokosmakrone angenommen. Er ist des Winters müde und mürbe und wer genau darauf achtet, kann sehen, wie der Läufer beim Laufen bröselt. Der Winter geht ihm auf den Keks. Den ficht das nicht an, er schneit einfach weiteres Schnee-Granulat-Gemisch aus seinem grauen sonnenlosen Himmelsdach zu den Krümeln. Der angemürbte Läufer, durch das ständige Genickeinziehen schon beinahe halslos geworden, knirscht abwechselnd mit den Sohlen und den Zähnen, um sich nichts anmerken zu lassen. Und läuft einfach weiter, immer weiter. Einem sich irgendwo räkelnden Frühling entgegen, der den Wecker schon zweimal wieder ausgeschaltet hat, um sich nochmal umzudrehen. Aber niemand weiß besser als der Läufer, dass eine Snoozetaste keine Lösung ist. Nicht mal für Jahreszeiten.

Verfasst: 25.02.2013, 19:06
von binoho
wie treffend und sehr unterhaltsam :daumen:

Verfasst: 25.02.2013, 19:57
von Yefimko
grossartig! :daumen:

Verfasst: 25.02.2013, 21:30
von icebear375
wow superlustig und total zutreffend :daumen:

Verfasst: 25.02.2013, 23:36
von omnia
Herrlich und sooooooo treffend :-)

Verfasst: 25.02.2013, 23:49
von Domborusse
:daumen:
Sensationell gut!!!

Verfasst: 26.02.2013, 13:32
von kopfsalat2000
Sehr treffend! Ja, genau so sieht es heute auch aus. Brr...

Verfasst: 26.02.2013, 20:58
von Kathi81
Hallo zusammen,
beruhigend dass anderen die weiße Pracht auch so auf den Keks geht, geteiltes Leid ist halbes Leid :zwinker4:

Verfasst: 27.02.2013, 07:35
von holli1
Wirklich sehr treffend..
Danke dafür..

Verfasst: 27.02.2013, 09:18
von 3fach
Recht haste, Heidi! man kann die Snoozetaste zwar immer wieder drücken, aber irgendwann ist auch mal gut, und man muss raus aus den Federn!

:megafon: Früüüüühliiiiing!


Grüße,
3fach

Verfasst: 27.02.2013, 11:29
von PaulJakob
Treffend geschrieben, 1A :)

Man sollte ausserdem tunlichst vermeiden, nur in Windstopperjacke und langem Tight zu laufen (ohne Jacke), sonst wird man dauernd von besorgten Fussgängern angequatscht, ob man denn nicht friert bei den herrschenden Temperaturen von -5 und mehr :)

Verfasst: 27.02.2013, 12:08
von Leissprecher
Es ist ein Ende in Sicht.

Verfasst: 01.03.2013, 21:34
von AndreaKA
Wie immer klasse geschrieben!!!
Und ich laufe in der kälteren Jahreszeit mit einer leuchtend grünen Jacke ....