Laufleistungen verschlechtert: Hier ist der Beweis!
Verfasst: 07.01.2014, 14:24
Zugegeben: Der Titel klingt eher nach Boulevard, aber die korrektere Überschrift:
Vergleich der Geschlechter- und Altersklassenverteilung sowie entsprechende Leistungsentwicklung des Marathonlaufes im Mehrjahresvergleich anhand des Fallbeispiels Hamburgmarathon unter spezifischer Berücksichtigung vordefinierter Leistungsgrenzen
klingt nicht nur lang, langweilig und holprig, sondern passt auch nicht in eine Zeile.
Worum geht’s?
Angeregt durch einen anderen Thread habe ich einige Ergebnislisten des Hamburgmarathons analysiert und die Leistungsentwicklung früher und heute verglichen.
Dabei bin ich zu drei Erkenntnissen gelangt:
Erkenntnis 1: Die Läufer sind weiblicher und älter geworden(nicht überraschend).
Erkenntnis 2: Die Leistungen heute sind klar schwächer als früher(ebenfalls nicht überraschend).
Erkenntnis 3(und das ist nun nicht so trivial): Erkenntnis 1 ist nicht die Ursache für Erkenntnis 2, im Gegenteil: Die Laufleistungen sind auch INNERHALB der Altersklassen schlechter geworden.
Bei den Männern gilt das durchgängig sowohl in absoluten Zahlen als auch relativ, bei den Frauen relativ ebenfalls durchgängig und oft auch in absoluten Zahlen.
Bevor ich das erläutere, hier zunächst ein Überblick über die angewandte Methodik.
Wie bin ich vorgegangen?
Ich habe mir jeweils 3 Jahrgänge des Marathons in Hamburg vorgenommen, nämlich „früher“, d. h. 1995 – 1997, und heute, d. h. 2011 – 2013. Dann habe ich jeweils ermittelt:
-Anzahl Finisher
-Finisher unter 3 h
-Finisher unter 3:30 h
-Finisher unter 4 h
Das habe ich einmal für alle Männer und alle Frauen gemacht und zusätzlich pro Altersklasse (Hauptklasse bis M/W70). Um Zufallsergebnisse (z. B. schlechte Wetterbedingungen) wenigstens teilweise herauszufiltern, habe ich jeweils die 3 Jahre herangezogen und deren Zahlen aufaddiert.
Die Qualität der Laufergebnisse habe ich an dem Anteil der sub 3 und sub 3:30-Finisher an allen Finishern festgemacht. Da bei den höheren Altersklassen sowie bei den Frauen dieses Kriterium naturgemäß immer geringer wird, habe ich zusätzlich die sub 4-Finisher ermittelt.
Den Hamburgmarathon habe ich herangezogen, weil ich auf meine alten Ergebnislisten (selbstverständlich in Papierform) zurückgreifen konnte.
Erkenntnis 1:mehr Frauen, ältere Läufer
Dies ist nicht neu, die geburtenstarken Jahrgänge „schieben“ sich sozusagen durch die Altersklassen. Natürlich sind die heutigen Läufer nicht die gleichen wie früher, aber je größer die Alterskohorte ist, umso wahrscheinlicher ist ein höherer AK-Anteil.
Männer: „Früher“ stellten die MHK, M30 und M35 die größten Teilnehmer, heute lautet die klare Reihenfolge M45, M40, M50.
Frauen: Früher waren WHK bis W40 annähernd gleich groß, heute gibt es eine klare Reihenfolge W45, W40 und dann annähernd gleich groß WHK, W30, W35, W50.
Siehe Grafik hier bzw. hier (am besten vergrößern, da die Qualität von Powerpoint zu jpg doch gelitten hat).
Erkenntnis 2:schlechtere Leistungen heutzutage
Bei den Männern ist die Finisherzahl von 22.666 (Summe 95-97) auf 26.192 (Summe 2011-13) moderat gewachsen, nämlich um 16%.
Die sub 3-Läufer nahmen von 2.425 auf 1.019 ab (-58%), sub 3:30 verzeichnet ein Minus von 40% (von 8.826 auf 5.285 Finisher).
Die Zahl der weiblichen Finisher wurde mehr als verdoppelt (+110%), der Anteil der sub 3- und sub 3:30-Läuferinnen blieb dennoch fast gleich, selbst die sub 4-Läuferinnen wuchsen um gerade mal 28%.
Beides zu sehen hier und hier.
Erkenntnis 3:Verschlechterung in den Altersklassen
Dies ist in der Tat die relevante Erkenntnis der Auswertung, die ich so auch nicht erwartet hatte: Wer mag, kann das Ganze auch in der grafischen Auswertung betrachten:
MHK-M40, M45-M60, WHK-W40, W45-W60
Bei den Männern bis M35 sind die Finisherzahlen zwischen 18% und 26% rückläufig, die sub 3-Läufer sind aber um fast 70% weniger geworden, die sub 3:30-Läufer zwischen 50 und 60 % weniger.
Die M40-Finisher sind um ca. 1/3 gewachsen, die sub 3-Läufer um ca. die Hälfte reduziert, sub 3:30 um ein Viertel weniger.
M45: 75% mehr Finisher, dennoch 21% weniger sub 3-Läufer
M50: 80% mehr Finisher, dabei 37% weniger sub 3
Bei M55 und M60 nicht ganz so starker Zuwachs, aber drastische Rückgänge bei den schnelleren Zeiten.
Bei den Frauen stehen Zuwächsen bei den Finisherzahlen nur bei der W30 und W40 – W50 Anstiege der schnelleren Läuferinnen gegenüber, allerdings klar unterproportional. Relativ gesehen gibt es auch hier immer weniger schnellere Läuferinnen (z. B. W30 Anteil sub 3:30-Läuferinnen früher 17%, heutzutage 11%, W45 früher sub 4h-Läuferinnen 40%, nunmehr 28%).
Zusammen gefasst kann man sagen: Der Leistungsrückgang insgesamt harmoniert mit dem Leistungsrückgang in den einzelnen Altersklassen.
Wie valide sind die Erkenntnisse?
Nun ja, um das weiter abzusichern, müsste man etwas Ähnliches für weitere Veranstaltungen machen. Allerdings bin ich mir ziemlich sicher, dass dabei nichts grundlegend Anderes heraus käme. Das, was mir die Auswertung zeigt, bestätigt meine (punktuellen) Eindrücke bzw. Erkenntnisse aus anderen Veranstaltungen. Die Schwierigkeit der Auswertung besteht darin, dass nur die letzten Jahre elektronisch verfügbar sind. Auch bewahren die Veranstalter die Listen im Internet nur begrenzte Zeit auf.
Was lehrt uns das Ganze?
Erstmal möchte ich herausstellen, dass ich Laufen nicht nur unter Leistungsgesichtspunkten sehe und erst recht nicht die „gute alte Zeit“ beschwören will. Jeder, der 3 oder 4 Mal die Woche seine Runde läuft ohne irgendeinen Leistungsgedanken, tut mehr als der, der sich nicht bewegt, und hat meinen Respekt.
Die Fragestellung interessiert mich, da in dem erwähnten anderen Thread hinterfragt wurde, ob nicht die Verschiebung in der Läuferstruktur zur Leistungsverschlechterung geführt haben könnte. Der andere Aspekt ist, dass sich in den letzten Jahren eine regelrechte Laufindustrie entwickelt hat, die mit großen Versprechen (Trainiere richtig! Überwache deine Fortschritte! Verbessere deine Leistung!) den Eindruck erweckt, nur mit dem ganzen angebotenen Schnickschnack werde erst richtig gute Leistung ermöglicht.
Man mag darüber diskutieren, welche Ursachen der aufgezeigten Entwicklung zugrunde liegen. Sicher ist das nicht eindimensional zu sehen, und viele Faktoren werden zusammen kommen. Aber die Heilsversprechen, die insbesondere seitens der Protagonisten von HF-Uhren, Leistungsdiagnostik etc. gemacht werden, sind m. E. nicht haltbar. Wenn das, was dort verkündet wird, richtig wäre, dürfte es nicht diese Rückgänge geben, denn zeitlich fällt das ja ungefähr zusammen. Mitte der 90-er Jahre gab es zwar bereits HF-Uhren, aber sie hatten keinesfalls die Massenverbreitung, die sie heute haben.
Übrigens: Zu allen Angaben habe ich natürlich auch die Zahlenwerte, nur einige davon habe ich der Übersichtlichkeit wegen in die Diagramme gesetzt. Falls jemand interessiert sein sollte, stelle ich gerne die Einzelinfos bereit.
Bernd
Vergleich der Geschlechter- und Altersklassenverteilung sowie entsprechende Leistungsentwicklung des Marathonlaufes im Mehrjahresvergleich anhand des Fallbeispiels Hamburgmarathon unter spezifischer Berücksichtigung vordefinierter Leistungsgrenzen
klingt nicht nur lang, langweilig und holprig, sondern passt auch nicht in eine Zeile.
Worum geht’s?
Angeregt durch einen anderen Thread habe ich einige Ergebnislisten des Hamburgmarathons analysiert und die Leistungsentwicklung früher und heute verglichen.
Dabei bin ich zu drei Erkenntnissen gelangt:
Erkenntnis 1: Die Läufer sind weiblicher und älter geworden(nicht überraschend).
Erkenntnis 2: Die Leistungen heute sind klar schwächer als früher(ebenfalls nicht überraschend).
Erkenntnis 3(und das ist nun nicht so trivial): Erkenntnis 1 ist nicht die Ursache für Erkenntnis 2, im Gegenteil: Die Laufleistungen sind auch INNERHALB der Altersklassen schlechter geworden.
Bei den Männern gilt das durchgängig sowohl in absoluten Zahlen als auch relativ, bei den Frauen relativ ebenfalls durchgängig und oft auch in absoluten Zahlen.
Bevor ich das erläutere, hier zunächst ein Überblick über die angewandte Methodik.
Wie bin ich vorgegangen?
Ich habe mir jeweils 3 Jahrgänge des Marathons in Hamburg vorgenommen, nämlich „früher“, d. h. 1995 – 1997, und heute, d. h. 2011 – 2013. Dann habe ich jeweils ermittelt:
-Anzahl Finisher
-Finisher unter 3 h
-Finisher unter 3:30 h
-Finisher unter 4 h
Das habe ich einmal für alle Männer und alle Frauen gemacht und zusätzlich pro Altersklasse (Hauptklasse bis M/W70). Um Zufallsergebnisse (z. B. schlechte Wetterbedingungen) wenigstens teilweise herauszufiltern, habe ich jeweils die 3 Jahre herangezogen und deren Zahlen aufaddiert.
Die Qualität der Laufergebnisse habe ich an dem Anteil der sub 3 und sub 3:30-Finisher an allen Finishern festgemacht. Da bei den höheren Altersklassen sowie bei den Frauen dieses Kriterium naturgemäß immer geringer wird, habe ich zusätzlich die sub 4-Finisher ermittelt.
Den Hamburgmarathon habe ich herangezogen, weil ich auf meine alten Ergebnislisten (selbstverständlich in Papierform) zurückgreifen konnte.
Erkenntnis 1:mehr Frauen, ältere Läufer
Dies ist nicht neu, die geburtenstarken Jahrgänge „schieben“ sich sozusagen durch die Altersklassen. Natürlich sind die heutigen Läufer nicht die gleichen wie früher, aber je größer die Alterskohorte ist, umso wahrscheinlicher ist ein höherer AK-Anteil.
Männer: „Früher“ stellten die MHK, M30 und M35 die größten Teilnehmer, heute lautet die klare Reihenfolge M45, M40, M50.
Frauen: Früher waren WHK bis W40 annähernd gleich groß, heute gibt es eine klare Reihenfolge W45, W40 und dann annähernd gleich groß WHK, W30, W35, W50.
Siehe Grafik hier bzw. hier (am besten vergrößern, da die Qualität von Powerpoint zu jpg doch gelitten hat).
Erkenntnis 2:schlechtere Leistungen heutzutage
Bei den Männern ist die Finisherzahl von 22.666 (Summe 95-97) auf 26.192 (Summe 2011-13) moderat gewachsen, nämlich um 16%.
Die sub 3-Läufer nahmen von 2.425 auf 1.019 ab (-58%), sub 3:30 verzeichnet ein Minus von 40% (von 8.826 auf 5.285 Finisher).
Die Zahl der weiblichen Finisher wurde mehr als verdoppelt (+110%), der Anteil der sub 3- und sub 3:30-Läuferinnen blieb dennoch fast gleich, selbst die sub 4-Läuferinnen wuchsen um gerade mal 28%.
Beides zu sehen hier und hier.
Erkenntnis 3:Verschlechterung in den Altersklassen
Dies ist in der Tat die relevante Erkenntnis der Auswertung, die ich so auch nicht erwartet hatte: Wer mag, kann das Ganze auch in der grafischen Auswertung betrachten:
MHK-M40, M45-M60, WHK-W40, W45-W60
Bei den Männern bis M35 sind die Finisherzahlen zwischen 18% und 26% rückläufig, die sub 3-Läufer sind aber um fast 70% weniger geworden, die sub 3:30-Läufer zwischen 50 und 60 % weniger.
Die M40-Finisher sind um ca. 1/3 gewachsen, die sub 3-Läufer um ca. die Hälfte reduziert, sub 3:30 um ein Viertel weniger.
M45: 75% mehr Finisher, dennoch 21% weniger sub 3-Läufer
M50: 80% mehr Finisher, dabei 37% weniger sub 3
Bei M55 und M60 nicht ganz so starker Zuwachs, aber drastische Rückgänge bei den schnelleren Zeiten.
Bei den Frauen stehen Zuwächsen bei den Finisherzahlen nur bei der W30 und W40 – W50 Anstiege der schnelleren Läuferinnen gegenüber, allerdings klar unterproportional. Relativ gesehen gibt es auch hier immer weniger schnellere Läuferinnen (z. B. W30 Anteil sub 3:30-Läuferinnen früher 17%, heutzutage 11%, W45 früher sub 4h-Läuferinnen 40%, nunmehr 28%).
Zusammen gefasst kann man sagen: Der Leistungsrückgang insgesamt harmoniert mit dem Leistungsrückgang in den einzelnen Altersklassen.
Wie valide sind die Erkenntnisse?
Nun ja, um das weiter abzusichern, müsste man etwas Ähnliches für weitere Veranstaltungen machen. Allerdings bin ich mir ziemlich sicher, dass dabei nichts grundlegend Anderes heraus käme. Das, was mir die Auswertung zeigt, bestätigt meine (punktuellen) Eindrücke bzw. Erkenntnisse aus anderen Veranstaltungen. Die Schwierigkeit der Auswertung besteht darin, dass nur die letzten Jahre elektronisch verfügbar sind. Auch bewahren die Veranstalter die Listen im Internet nur begrenzte Zeit auf.
Was lehrt uns das Ganze?
Erstmal möchte ich herausstellen, dass ich Laufen nicht nur unter Leistungsgesichtspunkten sehe und erst recht nicht die „gute alte Zeit“ beschwören will. Jeder, der 3 oder 4 Mal die Woche seine Runde läuft ohne irgendeinen Leistungsgedanken, tut mehr als der, der sich nicht bewegt, und hat meinen Respekt.
Die Fragestellung interessiert mich, da in dem erwähnten anderen Thread hinterfragt wurde, ob nicht die Verschiebung in der Läuferstruktur zur Leistungsverschlechterung geführt haben könnte. Der andere Aspekt ist, dass sich in den letzten Jahren eine regelrechte Laufindustrie entwickelt hat, die mit großen Versprechen (Trainiere richtig! Überwache deine Fortschritte! Verbessere deine Leistung!) den Eindruck erweckt, nur mit dem ganzen angebotenen Schnickschnack werde erst richtig gute Leistung ermöglicht.
Man mag darüber diskutieren, welche Ursachen der aufgezeigten Entwicklung zugrunde liegen. Sicher ist das nicht eindimensional zu sehen, und viele Faktoren werden zusammen kommen. Aber die Heilsversprechen, die insbesondere seitens der Protagonisten von HF-Uhren, Leistungsdiagnostik etc. gemacht werden, sind m. E. nicht haltbar. Wenn das, was dort verkündet wird, richtig wäre, dürfte es nicht diese Rückgänge geben, denn zeitlich fällt das ja ungefähr zusammen. Mitte der 90-er Jahre gab es zwar bereits HF-Uhren, aber sie hatten keinesfalls die Massenverbreitung, die sie heute haben.
Übrigens: Zu allen Angaben habe ich natürlich auch die Zahlenwerte, nur einige davon habe ich der Übersichtlichkeit wegen in die Diagramme gesetzt. Falls jemand interessiert sein sollte, stelle ich gerne die Einzelinfos bereit.
Bernd