Frau Lachmöwe flog nach Biel
Verfasst: 19.06.2005, 14:16
Biel war ein Traum – schon länger gewesen. Dieses Jahr ist mein Trainingszustand dann so gut, dass ich es wagen könnte. Eine Woche vor dem Start der „Nacht der Nächte“ war es mir dann klar: Die Zeit ist reif, ich werde meinen ersten Hunderter laufen!
Die Vorfreude war groß, aber auch der Respekt vor der Strecke. Es ist einleuchtend, dass 100 km Laufen in der Nacht eine Herausforderung ist, dass es Phasen geben wird, wo man den Start verflucht, am liebsten sich irgendwo hinlegt und einem eigentlich alles egal ist. Anderseits möchte man im Ziel ankommen, seine Grenzen bis zum Äußersten ausreizen, gefeiert werden, Genugtuung über das Vollbrachte verspüren. Kurzum, es war mir klar, dass ich mich in dieser Nacht noch besser selber kennenlernen würde.
Vor dem Start gab es noch ein Treffen mit Spike, der sich ebenfalls einen Traum erfüllen wollte, und dem Pandadriver, der in einer Staffel (in der Schweiz heißt es Staffette) sich die Strecke mit drei weiteren Läufern teilen wollte. Weder Spike noch mir war klar, wie man eine so lange Strecke angehen sollte, wir machten aus, nicht zusammen zu laufen, da Nuancen in der Geschwindigkeit einen doch aus der Fassung bringen könnten.
Um 22 Uhr ging es dann in eine laue Sommernacht im Mondschein zunächst durch das Städtchen. Am Straßenrand lärmende Zuschauer, die Straßencafes voll und eine Blaskapelle schmetterte uns mit Musik an. Kinder streckten den Läufern die Hände entgegen zum Abklatschen Hier konnte ich mich aber noch nicht feiern lassen. Ich war ja gerade mal einige wenige km unterwegs gewesen, das war ja noch gar keine Leistung. Langsam kam man in die Vororte, die Menschenmenge wurde mal kleiner und dann wieder größer. Ein giftiger Anstieg sortierte die Läufer dann in die Vorsichtigen, die jetzt eine Gehpause einlegten, um die Kräfte zu schonen, und die Haudegen, die mehr oder weniger schnell den Berg hochliefen. Ich schloß mich den Haudegen an. Trotzdem konzentrierte ich mich darauf, nicht zu schnell zu werden. Der Lauf hatte ja gerade erst angefangen.
Die nächsten Kilometer liefen wird dann über Landstraßen und Feldwege – im Mondschein unter klarem Sternenhimmel. Man hörte das Knirschen der Schritte auf dem Schotter, die Atemzüge der Mitstreiter und der Geruch einer lauen Sommernacht erreichte meine Nase. Es war gigantisch. Spärlich beleuchtete Wegweiser wiesen die Richtung. An kritischen Abzweigungen, standen Helfer, die uns den Weg wiesen, oftmals mit einer kleinen Party verbindend. Nach 18 km kamen wir nach Aarberg, liefen über eine beleuchtete Brücke durch ein Menschenspalier und dann weiter nach Lyss. Schon weit vor Aarberg brach die erste Krise über mich herein. Meine Gedärme rebellierten, meine geringe Geschwindigkeit hat mich genervt, und die Aussicht, diese Situation noch 8 bis 10 weitere Stunden ertragen zu müssen, ließ die Lauflust sinken. Ich dachte über einen Ausstieg bei km 38 nach. Wozu sich so lange quälen, für was bitte? Die Stimmung der Nacht der Nächte hatte ich ja nun erlebt, mehr wollte ich doch eigentlich nicht. Dies im Hinterkopf habe ich mein Tempo forciert, mich an die ein oder andere Gruppe gehängt. Nach einigen "Boxenstopps" hatten sich meine Gedärme beruhigt und ich fing an, wieder Spaß zu bekommen.
Meistens ging es jetzt durch Felder, Wald und Wiesen, erst ein bißchen wellig und später auf einer Landstraße bis zur ersten Ausstiegsmöglichkeit bei km 38 in Oberramsern. An Ausstieg habe ich mittlerweile nicht mehr gedacht. Meine nächste Etappe war die Hälfte, also km 50. Da es aber bei der Hälfte keinen markanten Punkt gab, war die wirklich nächste Etappe dann Kirchberg bei km 58. Die Strecke bis dahin war abwechslungsreich. Waldpassagen, wo meine Stirnlampe mir und einigen Mitläufern gute Dienste erwies, einsam gelegene Gasthöfe, die Läuferparties feierten und Vororte, wo nichts los war wechselten sich mit Verpflegungsstellen ab.
Bei km 58 hätte man zwar theoretisch aussteigen können, allerdings kam auf den nächsten 10 km der interessanteste Abschnitt der „Ho Chi Minh“ Pfad, der sich mal als enger Schotterweg, mal als Wiesenweg und mal als wurzeliger Waldweg entpuppte. Der Pfald liegt auf einem Damm entlang der Emme. Dass es rechts und links einige Meter steil bergab ging, erfuhr ich, als mein Vordermann stolperte und diese Böschung fast hinuntergerutscht wäre. Ein Glück war ihn nichts passiert und er konnte weiterlaufen. Meine Stirmlampe lockte ab und zu eine Traube von Menschen an, die selber ohne Licht unterwegs waren und sich von Lichtkegel zu Lichtkegel hangelten. Ein weiterer Grund, hier nicht aufzuhören war auch, dass ab jetzt die Strecke fassbar wurde. Denn jetzt war ja „nur noch“ ein Marathon zu bewältigen. Jetzt dämmerte auch der Morgen, von irgendwoher hörte ich Kirchenglocken und die Hähne krähten. Ein wunderschöner Sommermorgen mit Frühnebel begann.
Allerdings wurde der Lauf jetzt zäh, ich spulte die km ab, zählte rückwärts. Die Zwischenziele wurde immer kürzer gesetzt: noch 30 km, noch 25 km. Jetzt war ich schon 75 km gelaufen, so viel wie noch nie. Bei km 80 waren noch 20 zu bewältigen. 20, was ist das schon? Es wurde jetzt allerdings heiss, die Sonne brannte schon am Morgen gnadenlos. Ach, eigentlich waren es nur noch 15 km, denn die letzten 5 wurden ja alle angezeigt, die zählen nicht mehr, gehörten schon zum Zieleinlauf. An den Verpflegungsstellen ließ ich mir mehr und mehr Zeit, das Anlaufen wurde immer schwieriger. Die Oberschenkel schmerzten vor Müdigkeit. Ich registrierte aber auch, dass es mir körperlich viel besser ging als den meisten anderen. Ich überholte und überholte, das baute mich ungemein auf, die anderen demoralisierte es wahrscheinlich. Einige Zeit plauderte ich mit einem älteren Herrn, der ein sehr gleichmäßiges Tempo lief, nur um nicht über das eigene Tempo nachdenken zu müssen.
Endlich kam der lang ersehnte km 95. Von nun an war Zieleinlauf. Ich wusste, dass ich die 100 km beenden werde, ich konnte mir so viel Zeit lassen, denn mir war klar, dass ich bis hierher recht flott unterwegs gewesen war. Der letzte km, die Uhr zeigte 10:22h. Meine von mir durchaus akzeptierte Zeit wäre 12 h gewesen. Die Zeit würde ich nun auch rückwärts robbend spielend unterbieten können. So beflügelt nahm ich den letzten km in Angriff. Kurz vor dem Ziel standen Zuschauer, die die Läufer feierten. Ich realisierte, was ich da die letzte Nacht gemacht hatte und ein zufriedenes Grinsen überzog mein Gesicht. Ich genoss die letzten Meter und ließ mich einfach feiern.
Conni
Die Vorfreude war groß, aber auch der Respekt vor der Strecke. Es ist einleuchtend, dass 100 km Laufen in der Nacht eine Herausforderung ist, dass es Phasen geben wird, wo man den Start verflucht, am liebsten sich irgendwo hinlegt und einem eigentlich alles egal ist. Anderseits möchte man im Ziel ankommen, seine Grenzen bis zum Äußersten ausreizen, gefeiert werden, Genugtuung über das Vollbrachte verspüren. Kurzum, es war mir klar, dass ich mich in dieser Nacht noch besser selber kennenlernen würde.
Vor dem Start gab es noch ein Treffen mit Spike, der sich ebenfalls einen Traum erfüllen wollte, und dem Pandadriver, der in einer Staffel (in der Schweiz heißt es Staffette) sich die Strecke mit drei weiteren Läufern teilen wollte. Weder Spike noch mir war klar, wie man eine so lange Strecke angehen sollte, wir machten aus, nicht zusammen zu laufen, da Nuancen in der Geschwindigkeit einen doch aus der Fassung bringen könnten.
Um 22 Uhr ging es dann in eine laue Sommernacht im Mondschein zunächst durch das Städtchen. Am Straßenrand lärmende Zuschauer, die Straßencafes voll und eine Blaskapelle schmetterte uns mit Musik an. Kinder streckten den Läufern die Hände entgegen zum Abklatschen Hier konnte ich mich aber noch nicht feiern lassen. Ich war ja gerade mal einige wenige km unterwegs gewesen, das war ja noch gar keine Leistung. Langsam kam man in die Vororte, die Menschenmenge wurde mal kleiner und dann wieder größer. Ein giftiger Anstieg sortierte die Läufer dann in die Vorsichtigen, die jetzt eine Gehpause einlegten, um die Kräfte zu schonen, und die Haudegen, die mehr oder weniger schnell den Berg hochliefen. Ich schloß mich den Haudegen an. Trotzdem konzentrierte ich mich darauf, nicht zu schnell zu werden. Der Lauf hatte ja gerade erst angefangen.
Die nächsten Kilometer liefen wird dann über Landstraßen und Feldwege – im Mondschein unter klarem Sternenhimmel. Man hörte das Knirschen der Schritte auf dem Schotter, die Atemzüge der Mitstreiter und der Geruch einer lauen Sommernacht erreichte meine Nase. Es war gigantisch. Spärlich beleuchtete Wegweiser wiesen die Richtung. An kritischen Abzweigungen, standen Helfer, die uns den Weg wiesen, oftmals mit einer kleinen Party verbindend. Nach 18 km kamen wir nach Aarberg, liefen über eine beleuchtete Brücke durch ein Menschenspalier und dann weiter nach Lyss. Schon weit vor Aarberg brach die erste Krise über mich herein. Meine Gedärme rebellierten, meine geringe Geschwindigkeit hat mich genervt, und die Aussicht, diese Situation noch 8 bis 10 weitere Stunden ertragen zu müssen, ließ die Lauflust sinken. Ich dachte über einen Ausstieg bei km 38 nach. Wozu sich so lange quälen, für was bitte? Die Stimmung der Nacht der Nächte hatte ich ja nun erlebt, mehr wollte ich doch eigentlich nicht. Dies im Hinterkopf habe ich mein Tempo forciert, mich an die ein oder andere Gruppe gehängt. Nach einigen "Boxenstopps" hatten sich meine Gedärme beruhigt und ich fing an, wieder Spaß zu bekommen.
Meistens ging es jetzt durch Felder, Wald und Wiesen, erst ein bißchen wellig und später auf einer Landstraße bis zur ersten Ausstiegsmöglichkeit bei km 38 in Oberramsern. An Ausstieg habe ich mittlerweile nicht mehr gedacht. Meine nächste Etappe war die Hälfte, also km 50. Da es aber bei der Hälfte keinen markanten Punkt gab, war die wirklich nächste Etappe dann Kirchberg bei km 58. Die Strecke bis dahin war abwechslungsreich. Waldpassagen, wo meine Stirnlampe mir und einigen Mitläufern gute Dienste erwies, einsam gelegene Gasthöfe, die Läuferparties feierten und Vororte, wo nichts los war wechselten sich mit Verpflegungsstellen ab.
Bei km 58 hätte man zwar theoretisch aussteigen können, allerdings kam auf den nächsten 10 km der interessanteste Abschnitt der „Ho Chi Minh“ Pfad, der sich mal als enger Schotterweg, mal als Wiesenweg und mal als wurzeliger Waldweg entpuppte. Der Pfald liegt auf einem Damm entlang der Emme. Dass es rechts und links einige Meter steil bergab ging, erfuhr ich, als mein Vordermann stolperte und diese Böschung fast hinuntergerutscht wäre. Ein Glück war ihn nichts passiert und er konnte weiterlaufen. Meine Stirmlampe lockte ab und zu eine Traube von Menschen an, die selber ohne Licht unterwegs waren und sich von Lichtkegel zu Lichtkegel hangelten. Ein weiterer Grund, hier nicht aufzuhören war auch, dass ab jetzt die Strecke fassbar wurde. Denn jetzt war ja „nur noch“ ein Marathon zu bewältigen. Jetzt dämmerte auch der Morgen, von irgendwoher hörte ich Kirchenglocken und die Hähne krähten. Ein wunderschöner Sommermorgen mit Frühnebel begann.
Allerdings wurde der Lauf jetzt zäh, ich spulte die km ab, zählte rückwärts. Die Zwischenziele wurde immer kürzer gesetzt: noch 30 km, noch 25 km. Jetzt war ich schon 75 km gelaufen, so viel wie noch nie. Bei km 80 waren noch 20 zu bewältigen. 20, was ist das schon? Es wurde jetzt allerdings heiss, die Sonne brannte schon am Morgen gnadenlos. Ach, eigentlich waren es nur noch 15 km, denn die letzten 5 wurden ja alle angezeigt, die zählen nicht mehr, gehörten schon zum Zieleinlauf. An den Verpflegungsstellen ließ ich mir mehr und mehr Zeit, das Anlaufen wurde immer schwieriger. Die Oberschenkel schmerzten vor Müdigkeit. Ich registrierte aber auch, dass es mir körperlich viel besser ging als den meisten anderen. Ich überholte und überholte, das baute mich ungemein auf, die anderen demoralisierte es wahrscheinlich. Einige Zeit plauderte ich mit einem älteren Herrn, der ein sehr gleichmäßiges Tempo lief, nur um nicht über das eigene Tempo nachdenken zu müssen.
Endlich kam der lang ersehnte km 95. Von nun an war Zieleinlauf. Ich wusste, dass ich die 100 km beenden werde, ich konnte mir so viel Zeit lassen, denn mir war klar, dass ich bis hierher recht flott unterwegs gewesen war. Der letzte km, die Uhr zeigte 10:22h. Meine von mir durchaus akzeptierte Zeit wäre 12 h gewesen. Die Zeit würde ich nun auch rückwärts robbend spielend unterbieten können. So beflügelt nahm ich den letzten km in Angriff. Kurz vor dem Ziel standen Zuschauer, die die Läufer feierten. Ich realisierte, was ich da die letzte Nacht gemacht hatte und ein zufriedenes Grinsen überzog mein Gesicht. Ich genoss die letzten Meter und ließ mich einfach feiern.
Conni