Wir sind doch nicht verrückt! (Obacht: lang!)
Verfasst: 18.07.2005, 08:49
Wir sind doch nicht verrückt! Höchstens ein bisschen beKLOPPt.
Oder:
Ab heute laufe ich auf Europäischer Bühne
Es gibt ja selbst heute noch Menschen, die einen Sinn in dem sehen, was sie tun. Auch wenn dieser von ihren Zeitgenossen mitunter nicht nachvollzogen werden kann. Sei’s drum. Um derartige Heroen geht es hier. Drei nicht mehr ganz taufrische Jungs, die es sich zum Ziel gesetzt haben, gegen Vorurteile zu kämpfen, für Völkerverständigung einzutreten und einem großen historischen Moment zu einem würdigen Rahmen zu verhelfen.
Der große historische Moment: ein kleines, nicht gallisches, aber rheinhessisches Dorf trotzt nicht nur den über ein Jahr fortwährenden Angriffen führender bundesdeutschen Truppen, sondern darf nun sogar den Großen der Welt zeigen, was es heißt, stilvoll zu gewinnen: Der Fassenachtsverein spielt um die UEFA-Kapp. Na gut, erst mal in der UEFA-Kapp-Qualifikation. Sei’s drum.
In der Commerzfeind-Arena in der Finanzbeschiss-Metropole am unbedeutenden Rheinzufluss sind wir Teil der schunkelnden Masse, die dem 4:0-Sieg gegen das weltberühmte Starensemble vom armenischen Vizemeister und Pokalsieger FC Milka Ashtarak bejubeln. Somit verhelfen wir nebenbei diesem baufälligen Stadion (hätte die Fa. Ernst Neger das Dach gedeckt, wäre das Finale des Konfetti-Cups nicht zur weltgrößten Duschvorführung geworden) zu seiner UEFA-Premiere.
Aber das 90-minütige La-Ola-ieren stellt für uns Drei heute nur das „warm-up“ dar. Und damit kommen wir zu den Themen „Völkerverständigung“ und „Kampf gegen Vorurteile“. Indem wir im finstersten Hessen und vor den Augen der Welt Europa zeigen, was gute Laune ist, haben wir einen entscheidenden Beitrag zur demnächst anstehenden Ausrufung des Weltfriedens geleistet. Eindrucksvoll, in aller Bescheidenheit gesagt.
Der Dokta, der Schädler und meine Wenigkeit geben uns damit aber noch nicht zufrieden. Wir wollen darüber hinaus den Beweis antreten, dass die landläufigen Vorurteile gegen den Määnzer an sich und den Nullfünfer im Speziellen völlig an den (bei mir zugegebenermaßen nicht vorhandenen) Haaren herbeigezogen sind. Nein, wir sind nicht diese Verrückten, als die wir gerne dargestellt werden. Und um zu zeigen, dass wir vollkommen normal sind, haben wir beschlossen, uns nicht dem Unsinn einer Fortbewegung auf Rädern gleich welcher Anzahl zu bedienen, um den Heimweg anzutreten. Nein, wir werden den Weg nach Mainz auf die einzig vernünftige und somit normalste aller Arten zurücklegen: laufend.
Die Begleitumstände sind optimal: um 23:00 Uhr, nach langem Arbeitstag, bei vollkommener Dunkelheit abseits des Stadiongeländes, immer noch gut über 20° Außentemperatur und aufgrund mangelhafter Getränkeversorgung ab der zweiten Halbzeit unzureichend hydriert machen wir uns auf den Weg. Von ungläubigen Kommentaren begleitet passieren wir die völlig überfüllte S-Bahn-Station und verabschieden uns in die finsteren Wälder. Der Schädler soll sich hier auskennen, heißt es. Tut er aber nicht wirklich. Sei’s drum. Dafür hat er aber Kartenmaterial dabei, welches wir im schwachen Schein unserer Stirnlampen in den nächsten Stunden noch zur Genüge studieren sollen. Wir sind wohlgemut, springen grazil wie das uns hin und wieder begegnende Rehwild über Stock und Stein und erfreuen uns unseres Daseins und Fortkommens. Wir halten uns parallel zu den Bahngleisen. Nur leider nicht parallel zu den richtigen Gleisen. Als die Flugzeuge Richtung Rhein-Main-Airport auf der falschen Seite unseres Weges zu landen beginnen, beunruhigt uns das zunächst noch wenig. Vernunftbegabte Wesen, die wir sind, stellen wir aber ein paar Kilometer weiter fest, dass der Bahnhof Zeppelinheim nicht eben an der uns vorschwebenden Strecke liegt. Da wir nun aber schon einmal hier sind, beschließen wir, die Sehenswürdigkeiten der Umgebung laufend zu erkunden und gelangen so zum Südostende des Flughafengeländes. OK. Kein Problem. Jetzt wissen wir wenigstens wieder, wo wir sind, und in welcher Richtung die geliebte Heimat liegt. Also umrunden wir auf idyllischer Trasse zwischen Autobahn, Terminals und Lärmschutzwänden den Flughafen. Naja, jetzt weiß ich endlich, wie groß der wirklich ist.
Irgendwann müssen wir uns rechts halten, um nach Raunheim zu gelangen. Soweit die Theorie. Die Praxis führt uns allerdings ans Ortsschild von Kelsterbach und somit nordwestlicher als geplant. Ein unzweifelhaftes Indiz für einen kleinen Umweg. OK. Kein Problem. Dann laufen wir eben nach links, wieder in den Wald hinein. Es rollt. Wir sind zuversichtlich, irgendwann doch noch einmal heimzukommen. Nochmal links. Und plötzlich, nach nur wenigen weiteren Kilometern gelangen wir wieder an die Autobahn. OK. Kein Problem. Hier waren wir schon mal. Also wissen wir wenigstens, welchen Weg wir nicht noch einmal einzuschlagen brauchen. Weiter geht’s.
So langsam aber sicher erahne ich, was den Unterschied zwischen einem stinknormalen Marathoni (wie mir) und einem Ultra (wie meinen beiden Begleitern) ausmacht: die mentale Härte. Der Dokta, insbesondere aber der Schädler lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. Dabei legt er einen unerschütterlichen Optimismus, leider aber keine pfadfinderische Kompetenz an den Tag (bzw. in die Nacht). Da den beiden Ultri (oder wie heißt der Plural von „Ultra“) die Wasservorräte zur Neige gehen, beschließen wir, anstatt der Mainüberquerung zu einem mir bekannten Fahrradweg, Raunheim anzusteuern. Dort soll es Unmengen an 24-Stunden-Tankstellen geben, an denen um diese Uhrzeit Trinkgelage der ausgiebigsten Art stattzufinden pflegen. So wird von einem nicht näher benannten Teilnehmer berichtet. Ein paar Sackgassen (bzw. Sackwaldwege) vor und zurück und schon erreichen wir diese sagenumwobene Metropole.
Tankstellen gibt es, ja. Nur geöffnet hat keine mehr. Dafür aber finden wir eine andere wasserführende Fatamorgana: ein kleines griechisches Straßencafe, vor welchem noch Gäste sitzen. Es ist 2:30 Uhr, wir sind ja erst dreieinhalb Stunden unterwegs. Damit meine Freunde ihren Flüssigkeitshaushalt auffrischen können, machen wir ein Päuschen. Und schon lerne ich eine weitere Eigenart des Ultraläufers kennen: man trinkt am besten Weizenbier und nutzt die Zeit nebenbei zur Nikotinaufnahme. Tja, ich bin eben nur Sprinter, also bleibe ich bei der Apfelschorle zur Zigarette.
Der halbstündige Aufenthalt in diesem Etablissement sowie die Blicke und Reaktionen der übrigen Gäste zeigt uns aber, dass unsere Mission erfolgreich verläuft: niemand hält uns für verrückt. Man erkennt offensichtlich, dass es vollkommen normal ist, wenn nachts um halb drei verschwitzte und in Nullfünfklamotten gewandete begnadete Körper sich niederlassen, um wenigstens den Stoffwechsel auf Trab zu halten. Ein Erfolg auf der ganzen Linie.
Ob ich es auch als Erfolg verbuchen soll, dass auf den ersten Kilometern nach dieser Verpflegungsstation meine Achillessehnenprobleme der letztjährigen Alpenwanderung wieder auftauchen, darüber bin ich mir zunächst noch nicht ganz im Klaren. Von Raunheim gelangen wir nach Rüsselsheim und dort tatsächlich an den unbedeutenden Rheinzufluss: ich hätte nie gedacht, dass der Anblick des Mains mich derart erfreuen könnte. Vom Dahinplätschern dieses Bachs mitgerissen und nochmals die unglaublichen Ruman-Auer-Noveski-Tore des Vorabends reüssierend, verfalle ich in mein eigenes Tempo, das mich nicht nur meine Kumpanen, sondern auch meine Schmerzen abhängen lässt. Ich warte noch zweimal auf die Gefährten, um gemeinsam mit ihnen die Lieblichkeit der nächtlichen Automobilherstellerarchitektureindrücke zu genießen und in Bischofsheim die Rückkehr auf den Mainufer-Radweg zu feiern.
Dann allerdings treibt mich das Heimweh und der unbedingte Wille, die Mission zu Ende zu bringen, letztlich unaufhaltsam voran. OK. Ich bin eben nur ein Marathoni. Ich beherrsche den ultramäßigen Genusstrab nicht. Ich denke an Greifs Endbeschleunigung und verspüre die unwiderstehliche Anziehungskraft der richtigen Rheinseite. Die letzten 8 Kilometer widme ich im Stillen meiner Achillessehne, dem Morgengrauen, der Einsamkeit, der UEFA, der Europäischen Idee und dem grenz- und sogar rheinüberschreitenden Frieden.
Es ist 4:30 Uhr, als ich die Weisenauer Eisenbahnbrücke überquere, unter mir Vater Rhein, vor mir das goldene goldische Määnz, 5 Stunden Nettolaufzeit und eine nächtliche Marathondistanz in den Beinen. Am Winterhafen liegen alkoholisierte Grillpartyleichen, im neuen orientalischen Strandcafe sitzen plaudernd die letzten Gäste. Es ist Freitagmorgen, über allem drohnt der Dom, und ich setze mich zufrieden und im Wissen, ein großes historisches Ereignis würdig begangen buw. Belaufen zu haben, an den Straßenrand neben Schädlers VW-Bus, in dem ich mich nach der Ankunft der beiden anderen Helden nach Hause in die Neustadt kutschieren lasse.
Denn eines ist gewiss: ich bin ja nicht verrückt. Und deshalb werde ich auf gar keinen Fall diese 4 Kilometer heimwärts laufen...
Oder:
Ab heute laufe ich auf Europäischer Bühne
Es gibt ja selbst heute noch Menschen, die einen Sinn in dem sehen, was sie tun. Auch wenn dieser von ihren Zeitgenossen mitunter nicht nachvollzogen werden kann. Sei’s drum. Um derartige Heroen geht es hier. Drei nicht mehr ganz taufrische Jungs, die es sich zum Ziel gesetzt haben, gegen Vorurteile zu kämpfen, für Völkerverständigung einzutreten und einem großen historischen Moment zu einem würdigen Rahmen zu verhelfen.
Der große historische Moment: ein kleines, nicht gallisches, aber rheinhessisches Dorf trotzt nicht nur den über ein Jahr fortwährenden Angriffen führender bundesdeutschen Truppen, sondern darf nun sogar den Großen der Welt zeigen, was es heißt, stilvoll zu gewinnen: Der Fassenachtsverein spielt um die UEFA-Kapp. Na gut, erst mal in der UEFA-Kapp-Qualifikation. Sei’s drum.
In der Commerzfeind-Arena in der Finanzbeschiss-Metropole am unbedeutenden Rheinzufluss sind wir Teil der schunkelnden Masse, die dem 4:0-Sieg gegen das weltberühmte Starensemble vom armenischen Vizemeister und Pokalsieger FC Milka Ashtarak bejubeln. Somit verhelfen wir nebenbei diesem baufälligen Stadion (hätte die Fa. Ernst Neger das Dach gedeckt, wäre das Finale des Konfetti-Cups nicht zur weltgrößten Duschvorführung geworden) zu seiner UEFA-Premiere.
Aber das 90-minütige La-Ola-ieren stellt für uns Drei heute nur das „warm-up“ dar. Und damit kommen wir zu den Themen „Völkerverständigung“ und „Kampf gegen Vorurteile“. Indem wir im finstersten Hessen und vor den Augen der Welt Europa zeigen, was gute Laune ist, haben wir einen entscheidenden Beitrag zur demnächst anstehenden Ausrufung des Weltfriedens geleistet. Eindrucksvoll, in aller Bescheidenheit gesagt.
Der Dokta, der Schädler und meine Wenigkeit geben uns damit aber noch nicht zufrieden. Wir wollen darüber hinaus den Beweis antreten, dass die landläufigen Vorurteile gegen den Määnzer an sich und den Nullfünfer im Speziellen völlig an den (bei mir zugegebenermaßen nicht vorhandenen) Haaren herbeigezogen sind. Nein, wir sind nicht diese Verrückten, als die wir gerne dargestellt werden. Und um zu zeigen, dass wir vollkommen normal sind, haben wir beschlossen, uns nicht dem Unsinn einer Fortbewegung auf Rädern gleich welcher Anzahl zu bedienen, um den Heimweg anzutreten. Nein, wir werden den Weg nach Mainz auf die einzig vernünftige und somit normalste aller Arten zurücklegen: laufend.
Die Begleitumstände sind optimal: um 23:00 Uhr, nach langem Arbeitstag, bei vollkommener Dunkelheit abseits des Stadiongeländes, immer noch gut über 20° Außentemperatur und aufgrund mangelhafter Getränkeversorgung ab der zweiten Halbzeit unzureichend hydriert machen wir uns auf den Weg. Von ungläubigen Kommentaren begleitet passieren wir die völlig überfüllte S-Bahn-Station und verabschieden uns in die finsteren Wälder. Der Schädler soll sich hier auskennen, heißt es. Tut er aber nicht wirklich. Sei’s drum. Dafür hat er aber Kartenmaterial dabei, welches wir im schwachen Schein unserer Stirnlampen in den nächsten Stunden noch zur Genüge studieren sollen. Wir sind wohlgemut, springen grazil wie das uns hin und wieder begegnende Rehwild über Stock und Stein und erfreuen uns unseres Daseins und Fortkommens. Wir halten uns parallel zu den Bahngleisen. Nur leider nicht parallel zu den richtigen Gleisen. Als die Flugzeuge Richtung Rhein-Main-Airport auf der falschen Seite unseres Weges zu landen beginnen, beunruhigt uns das zunächst noch wenig. Vernunftbegabte Wesen, die wir sind, stellen wir aber ein paar Kilometer weiter fest, dass der Bahnhof Zeppelinheim nicht eben an der uns vorschwebenden Strecke liegt. Da wir nun aber schon einmal hier sind, beschließen wir, die Sehenswürdigkeiten der Umgebung laufend zu erkunden und gelangen so zum Südostende des Flughafengeländes. OK. Kein Problem. Jetzt wissen wir wenigstens wieder, wo wir sind, und in welcher Richtung die geliebte Heimat liegt. Also umrunden wir auf idyllischer Trasse zwischen Autobahn, Terminals und Lärmschutzwänden den Flughafen. Naja, jetzt weiß ich endlich, wie groß der wirklich ist.
Irgendwann müssen wir uns rechts halten, um nach Raunheim zu gelangen. Soweit die Theorie. Die Praxis führt uns allerdings ans Ortsschild von Kelsterbach und somit nordwestlicher als geplant. Ein unzweifelhaftes Indiz für einen kleinen Umweg. OK. Kein Problem. Dann laufen wir eben nach links, wieder in den Wald hinein. Es rollt. Wir sind zuversichtlich, irgendwann doch noch einmal heimzukommen. Nochmal links. Und plötzlich, nach nur wenigen weiteren Kilometern gelangen wir wieder an die Autobahn. OK. Kein Problem. Hier waren wir schon mal. Also wissen wir wenigstens, welchen Weg wir nicht noch einmal einzuschlagen brauchen. Weiter geht’s.
So langsam aber sicher erahne ich, was den Unterschied zwischen einem stinknormalen Marathoni (wie mir) und einem Ultra (wie meinen beiden Begleitern) ausmacht: die mentale Härte. Der Dokta, insbesondere aber der Schädler lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. Dabei legt er einen unerschütterlichen Optimismus, leider aber keine pfadfinderische Kompetenz an den Tag (bzw. in die Nacht). Da den beiden Ultri (oder wie heißt der Plural von „Ultra“) die Wasservorräte zur Neige gehen, beschließen wir, anstatt der Mainüberquerung zu einem mir bekannten Fahrradweg, Raunheim anzusteuern. Dort soll es Unmengen an 24-Stunden-Tankstellen geben, an denen um diese Uhrzeit Trinkgelage der ausgiebigsten Art stattzufinden pflegen. So wird von einem nicht näher benannten Teilnehmer berichtet. Ein paar Sackgassen (bzw. Sackwaldwege) vor und zurück und schon erreichen wir diese sagenumwobene Metropole.
Tankstellen gibt es, ja. Nur geöffnet hat keine mehr. Dafür aber finden wir eine andere wasserführende Fatamorgana: ein kleines griechisches Straßencafe, vor welchem noch Gäste sitzen. Es ist 2:30 Uhr, wir sind ja erst dreieinhalb Stunden unterwegs. Damit meine Freunde ihren Flüssigkeitshaushalt auffrischen können, machen wir ein Päuschen. Und schon lerne ich eine weitere Eigenart des Ultraläufers kennen: man trinkt am besten Weizenbier und nutzt die Zeit nebenbei zur Nikotinaufnahme. Tja, ich bin eben nur Sprinter, also bleibe ich bei der Apfelschorle zur Zigarette.
Der halbstündige Aufenthalt in diesem Etablissement sowie die Blicke und Reaktionen der übrigen Gäste zeigt uns aber, dass unsere Mission erfolgreich verläuft: niemand hält uns für verrückt. Man erkennt offensichtlich, dass es vollkommen normal ist, wenn nachts um halb drei verschwitzte und in Nullfünfklamotten gewandete begnadete Körper sich niederlassen, um wenigstens den Stoffwechsel auf Trab zu halten. Ein Erfolg auf der ganzen Linie.
Ob ich es auch als Erfolg verbuchen soll, dass auf den ersten Kilometern nach dieser Verpflegungsstation meine Achillessehnenprobleme der letztjährigen Alpenwanderung wieder auftauchen, darüber bin ich mir zunächst noch nicht ganz im Klaren. Von Raunheim gelangen wir nach Rüsselsheim und dort tatsächlich an den unbedeutenden Rheinzufluss: ich hätte nie gedacht, dass der Anblick des Mains mich derart erfreuen könnte. Vom Dahinplätschern dieses Bachs mitgerissen und nochmals die unglaublichen Ruman-Auer-Noveski-Tore des Vorabends reüssierend, verfalle ich in mein eigenes Tempo, das mich nicht nur meine Kumpanen, sondern auch meine Schmerzen abhängen lässt. Ich warte noch zweimal auf die Gefährten, um gemeinsam mit ihnen die Lieblichkeit der nächtlichen Automobilherstellerarchitektureindrücke zu genießen und in Bischofsheim die Rückkehr auf den Mainufer-Radweg zu feiern.
Dann allerdings treibt mich das Heimweh und der unbedingte Wille, die Mission zu Ende zu bringen, letztlich unaufhaltsam voran. OK. Ich bin eben nur ein Marathoni. Ich beherrsche den ultramäßigen Genusstrab nicht. Ich denke an Greifs Endbeschleunigung und verspüre die unwiderstehliche Anziehungskraft der richtigen Rheinseite. Die letzten 8 Kilometer widme ich im Stillen meiner Achillessehne, dem Morgengrauen, der Einsamkeit, der UEFA, der Europäischen Idee und dem grenz- und sogar rheinüberschreitenden Frieden.
Es ist 4:30 Uhr, als ich die Weisenauer Eisenbahnbrücke überquere, unter mir Vater Rhein, vor mir das goldene goldische Määnz, 5 Stunden Nettolaufzeit und eine nächtliche Marathondistanz in den Beinen. Am Winterhafen liegen alkoholisierte Grillpartyleichen, im neuen orientalischen Strandcafe sitzen plaudernd die letzten Gäste. Es ist Freitagmorgen, über allem drohnt der Dom, und ich setze mich zufrieden und im Wissen, ein großes historisches Ereignis würdig begangen buw. Belaufen zu haben, an den Straßenrand neben Schädlers VW-Bus, in dem ich mich nach der Ankunft der beiden anderen Helden nach Hause in die Neustadt kutschieren lasse.
Denn eines ist gewiss: ich bin ja nicht verrückt. Und deshalb werde ich auf gar keinen Fall diese 4 Kilometer heimwärts laufen...