Laufen
Sonntag Morgen! Ein Blick aus dem Fenster: gigantischer Sonnenschein, letzte Dunst- und Wolkenreste, die um den See wabern, sich aber eindeutig aufzulösen bereit sind. Bei der Hunderunde: überall Läufer, die sich vorbereiten, Sachen aus Autos holen etc. Schon am Vortag war der Ort dominiert von Laufurlaubern - viele mit Familien.
Ich fühle die Problemzonen durch: Hals mit Lymphknoten? Alles super!

Fußsohle? naja ... spürbar aber im Rahmen. Kein Schmerz. Gesicht? erstmal wieder einigermaßen abgeschwollen
Es kann losgehen! Aber langsam! Erstmal frühstücken. Ich liebe Frühstücksbuffets und ich habe Geburtstag. 8.00 Uhr Frühstücksbeginn, wenn der Startschuß um 10.00 Uhr fällt?

bisschen spät - aber machste ja nix dran .... Komm - zwei Brötchen müssen gehen .. und ein klitzekleines bisschen Rührein, EIN Miniwürstchen ... (das ich dann auf den ca. ersten 8 KM noch mehrfach 'nachschmecken' durfte

), weil Sonntag ist auch alles mit Butter, Kaffe, Säfte ... mir ist bewußt, dass ich da gerade ziemlichen Blödsinn mache. Aber keine Spur von schlechtem Gewissen oder Bedenken - nö, wird schon irgendwie laufen
Beim Start trifft Klexi auf uns bzw. das Schild mit der laufen-aktuell-Aufschrift. Günthi, Fuxxx, DADA und Marathonman gesellen sich dazu und die Abenteuertruppe um Stephen gibt mir ein Geburtstagsständchen. Ich bin auf das extremste gerührt

und alle sind lockerst drauf, als ein Kanonenböller mit derartig in Mark und Bein fahrendem Getöse den Lauf einläutet. Alles Adrenalin freigesetzt, eine Schrecksekunde später (keiner tot umgefallen? scheinbar nicht!) setzt sich das Feld in Bewegung.
Ziemlich weit hinten laufe ich die erste Zeit mit Klexi durch die Spalier stehenden und anfeuernden Menschenmengen. Hinter uns die wie immer laut gröhlenden und feiernden Abenteuerläufern, die ihrerseits jedem Anfeuernden erstmal stimmgewaltige Liedeinlagen darbieten. Die Leute sind in Stimmung, laufen in Gruppe und ohne Zeitvorgabe. Bereits 150 km mit fast 4000hm in den Beinen ist der Achenseelauf wohl eher ein gemütliches Abschluß-Partyläufchen und sie schnarchsacken feiernd und singend so langsam im Schlußfeld rum, dass sogar ich es nicht schaffe, so langsam zu bleiben und mich ein wenig nach vorne arbeite
Schon am Anfang schieße ich ein paar Fotos, mein Frühstück vermeldet - aber ohne Problemdruck - immer mal wieder, dass es zwar lecker war, aber noch wie Blei im Magen liegt, der Kaffee möchte nicht mit und als ich bei KM 8 aus einem Dixiklo komme, sehe ich am gegenüberliegenden Teil des Sees - also 4-5 KM vor mir, dass sich dort schon ganze Truppen den Bergpfad hochhangeln. Spätestens jetzt sehe ich ein, dass für heute an Gewinnen und Siegesrausch nicht mehr zu denken ist. Versorge erstmal meinen Fuß mit dem mitgenommenen und bewährten GummiPölsterchen (in meiner Bauchtasche transportiere ich eine ausführliche Notfallausrüstung incl. Handy, Digicam, Fußeisgel

) Der Fuß schmerzt noch nicht, aber ich weiß aus Erfahrung, dass ich ihn sehr belaste, wenn ich schnell werde und dass ein gelegentliches Auspolstern der Hauptdruckstellen die Gefahr stark rausnimmt. Ein Schwätzchen mit einem ebenfalls fotographierenden Mitstreiter und ich bin hochgradig erstaunt, schon nach 1:05 h bei KM 10 anzukommen. Merkwürdig, dass 55 Minuten für mich ein 'fast-tot-umfallen' bedeuten, während 10 Minuten mehr mir Zeit geben für Schuhe ausziehen, Pediküre

, Pinkelpäuschen, Fotos und einem Gefühl, Kaffeeklätschchen abzuhalten.
Im Kaffeeklatschtempo laufe ich weiter - immer wieder mal Fotos machend, bei jeder Labstation trinkend und Orangenschnitzchen auslutschend (festes Essen geht noch nicht - noch immer meldet sich ab und zu mein Frühstück zurück). Niemand drängt mich und ich gebe für mich die Losung aus, dass ich so lange alle Zeit der Welt habe, solange ich vor den Abenteuerläufern bin - und die höre ich nichtmal mehr, was nur der einschätzen kann, der mitbekommen hat, WIE laut die Rumbrüllen (und es Singen nennen ;-)
Dann kommt die Bergstrecke und mit ihr Passagen, in denen man gehen muß und gehen will. Ich bin noch ziemlich locker drauf und empfinde es nicht als große Anstrengung. Zumal man wegen der Staus oft zum Gehen gezwungen ist und Hetze ausscheidet.
Es ist ein wunderschöner Weg. Viele Passgen waren nicht zu fotographieren, weil ich manchmal in Kolonne ging und wenn dann keine Überholmöglichkeit besteht, kann ich ja nicht anhalten ...
In einem Punkt muß ich meine häufig geäußerte Meinung, dass die 'hintenLäufer' vielleicht alle gar nicht so kaputt sind, revidieren. Natürlich gibt es einige, die es einfach nur locker nehmen und Party machen. Aber die weitaus meisten sind im hinteren Feld, weil sie einfach am Ende sind. Viele, die scheinbar nie eine Bergstrecke gelaufen sind (und ich würde den Achensee nur dem empfehlen, der wenigstens schonmal kleinere Bergwanderungen mitgemacht hat und weiß, wie er sich auf schmalen Pfaden mit streckenweise steilen Klippen fühlt). Manche sind am Ende, ich erlebe zwei erschöpfte Aufgeberinnen, einige haben augenscheinlich Höhenangst und schleichen bleich über eigentlich gar nicht so dramatische Stellen. Einer knurrte mich (nein, ich habe ihn ehrlich nicht behindert, sondern stand beim Fotographieren IMMER in Ausbuchtungen und allen aus den Füßen) deutlich mißmutig an: "Bei so einer Strecke noch Fotos machen, die Nerven möchte ich haben ..." Ich dachte nur: "Bei welcher Strecke denn? Ist doch grad so schön hier ..." Gesagt habe ich aber besser nix ...
Für mich war der Weg weitgehend ungefährlich. Aber als Kennerin von nassen Geröllstrecken in Berggegend weiß ich, dass ich niemals bei einem Regenlauf-Debüt dieser Strecke dabeisein möchte und könnte mir auch vorstellen, dass diese 8 KM dann nicht mehr laufbar sind. Zumindest müßte man ein bisschen Schwund einkalkulieren
Vom Wasser aus beobachten Rettungsboote die Läufer, unterwegs gibt es Posten mit Handys. Mir persönlich hat diese Strecke um ein vielfaches mehr Spaß gemacht als die flacherein Asphalt-Passagen.
Als es wieder auf Pertisau zugeht, mobilisiere ich meine Energie nochmal und laufe mit etwas mehr Tempo als zwischendurch gelegentlich *g* nach 2:48 h ins 23,3 km-Ziel.
Mehr als 1,5 Stunden vor mir war der diesjährige Sieger, der Kenianer Sawe Elisha mit einem um 4 Minuten unterbotenen Streckenrekord ins Ziel geflogen (wie Volker fotographisch herrlich festgehalten hat). Es ist mir ein Rätsel, wie jemand diese Strecke, die Treppen und Geröllpassagen etc. derartig überfliegen kann - ein Wahnsinn!
Auch wenn ich niemals wußte, wo diese offiziellen Fotoanlagen standen (woran erkennt man das?

), wurde ich gleich viermal von ihnen erwischt. Als Auswahl eins von relativ am Anfang
HIER und kurz vor Ziel
HIER. öhhh ... das geht irgendwie nicht ... muß ich nochmal weiterversuchen ...
Im Ziel fühlte ich mich supergut gelaunt. Der Sonnenbrand allerdings hatte ein Dunkelrot angenommen, der Fuß (den ich unterwegs mehrmals noch umbelastet und zweimal gekühlt hatte - rein vorsichtshalber) muckte stärker und wurde direkt in kaltes Wasser gepackt. Es war schon manchmal schlimmer, also wieder kein Drama, bei der Massage anstellen empfand ich als völlig unnötig, denn meine Beine fühlten sich komplett fit an. Die Muskeln sagten Null und nichts und auch heute habe ich nichtmal das müde Gefühl wie sonst nach längeren Läufen.
Fazit: ein wunderschöner Lauf ist das am Achensee. Aber er erscheint deutlich länger als die Kilometer sagen, ist anspruchsvoll und hochgradig abwechslungsreich. Als Geburtstagslauf gelaufen war es DER HIT!
... und danach erst, aber ...
Dieses war der zweit Streich und der letzte folgt sogleich ...