Gleveligt nytt ar!
Verfasst: 03.01.2006, 15:36
Morgens um halb sieben in Reykjavik.Es ist stockfinster, glatt und ein eiskalter Polarwind weht mir um die Ohren. Während ich in Richtung Ozean schlappe und versuche, mich nicht auf meine sieben Buchstaben zu setzen, frage ich mich, ob das mit dem Laufen wirklich so eine gute Idee war. Aber die Aussicht auf Meer und eventuell ein paar Polarlichter läßt mich weiterlaufen.
Es ist der vorletzte Tag in diesem Jahr. Die Polarnacht gewährt den Isländern nur knappe fünf Stunden Tageslicht, wobei das Licht eher einer Dämmerung entspricht und man ständig das Gefühl hat, man befinde sich in der Blauen Stunde. Wenn man Glück hat, sieht man gegen Mittag den Anflug eines Sonnenaufgangs, meist ist es aber grau wie an einem verregneten Herbsttag. Es ist für isländische Verhältnisse ziemlich warm - genau 0° Celsius. Nur der eiskalte Wind erinnert daran, daß man nicht weit vom Nordpol entfernt ist und erzeugt gefühlte - 10° Celsius.
Die Stadt ist menschenleer. Ich könnte mitten auf der sechsspurigen Straße laufen, ohne über den Haufen gefahren zu werden - eine einmalige Gelegenheit in Island. Die Isländer lieben ihr Auto und fahren viel und gern damit. Fußwege sind eigentlich völlige Geldverschwendung und werden entsprechend stiefmütterlich behandelt. Dafür sind die Straßen im Winter beheizt - da die Isländer weder Kohle, Gas, noch Öl haben bzw. importieren, heizen sie mit dem, was sie im Überfluß haben: Erdwärme. Und da diese, auf ca. 200° Celsius abgekühlt, immer noch zu heiß ist, kann man sie praktischerweise durch nichtisolierte Rohre, die unter den Straßen entlanggehen, in jedes Haus leiten. Wirklich sehr praktisch und schadstoffrei.
Nicht nur die Wärme ist (fast) kostenlos, auch der durch Wasserkraft erzeugte Strom ist billig. Deshalb müssen die Isländer bei der Weihnachtsdekoration nicht sparen. Mit dem Kitsch der Deutschen können sie zwar nicht mithalten, dafür haben sie aber länger etwas davon. Erst am sechsten Januar wird abgerüstet und bei großen Lagerfeuern - mitten in der Stadt - werden Weihnachtsbäume und alles, was man sonst noch loswerden will, entsorgt.
Nach einem Kilometer bin ich am Meer und werde von den Möwen begrüßt - meinen einzigen Fans an diesem Morgen. Die salzhaltige Meeresluft ist für meinen Schnupfen ideal, auch der Husten beruhigt sich. Warm eingemümmelt suche ich den Himmel nach Nordlichtern ab, während unser kleines Nordlicht sich sanft durch die Gegend schaukeln läßt und wieder mal alles verschläft. Erst nach fünf Kilometern bei einer HF von 150 und einer Schnecken-Pace von 6:42 schmerzen Füße und Schienbeine nicht mehr, dafür habe ich das Gefühl, als müßten meine Beine das doppelte Körpergewicht durch die Gegend schleppen! Sieben Kilo mehr in sechs Monaten - soviel habe ich in meinem ganzen Leben nicht gewogen ....
Auf dem Rückweg zwickt mich der eisige Wind in die Nase und wedelt mir fast die Tchibo-Schlappi-Mütze vom Kopf. Nordlichter sehe ich keine, ab und zu sprüht mir die Gischt eiskaltes Meerwasser ins Gesicht und gemütlich trabe ich mit Vince Clarks sphärischer Musik für die dritte Dimension im Ohr Richtung Hotel, das ich nach exakt zehn Kilometern erreiche. Mein fröhliches "Good morning" läßt die Rezeptionsdame gequält lächeln, ich fühle mich sauwohl und gebe mir sogar noch die Treppe in die dritte Etage.
Unter der leicht nach Schwefel müffelnden Dusche freue ich mich schon aufs Frühstück - und werde von unserer Vier-Sterne-Unterkunft nicht enttäuscht. Lachs und Kaviarcreme, Pfannkuchen mit Ahornsirup, Rührei und Schinken, Skyr und frisches Obst - genau das Richtige für einen Läufer! Am Nachbartisch zieht sich Quentin Tarantino Kaffee und Saft rein, zusammen mit Eli Roth, dessen neuer Horrorfilm eine Woche später in die amerikanischen Kinos kommen wird und den ich mir - wie alle Produkte solch kranker Hirne - nicht ansehen werde. Zum Glück benehmen sich Roth und Tarantino wie normale Menschen, nur die coole isländische Sicherheitscrew nervt ein bißchen. Wahrscheinlich haben sie zu oft "Kill Bill" und "Cabin Fever" gesehen. Während wir den Lachs sezieren, fragen wir uns, ob beide Regisseure nur deshalb so normal sein können, weil sie in ihren Filmen ihre kranken Phantasien ausleben....
Am nächsten Morgen traue ich mich nicht auf die Straße. Entsprechend den Nachrichten haben die Isländer dieses Jahr 500 Millionen Kronen für Flugeldur (Feuerwerk) ausgegeben. Das sind ca. 7 Millionen Euro und ein Teil davon geht an gemeinnützige Einrichtungen wie z.B. Rettungsdienste. Da es jedes Jahr Verletzte zu Silvester gibt, ist das sehr praktisch gedacht. Island hat nur knapp 300000 Einwohner - und ich kann mir gut vorstellen, daß jeder Einwohner den ganzen Tag nutzen muß, um 1700 Kronen in die Luft zu jagen. Und da möchte ich einfach nicht in die Schußlinie laufen.
Bis zum Abend nehmen die Böller und Raketen kontinuierlich zu. Alle, die keine Raketen zünden, treffen sich bei den sogenannten "Bonfires", großen Lagerfeuern mitten in der Stadt, bei denen man traditionell alles Schlechte des Jahres dem Feuer übergibt. Mit Kind und Kegel pilgern die Isländer zu den Feuern, sehen sich die staatlichen oder offiziellen Feuerwerke an, singen und feiern - bis 22.30 Uhr. Dann läuft eine Stunde lang im Fernsehen das traditionelle Comedy-Programm und die Stadt ist wie ausgestorben. Und dann treiben sich nur noch Touristen wie wir an den Feuern herum, die das Fernsehprogramm sowieso nicht verstehen und die beschußfreie Zeit nutzen.
Eine halbe Stunde vor Mitternacht bricht dann die Hölle los. Wir halten uns an die Warnung, das Hotel für die nächsten Stunden nicht zu verlassen, und beobachten das ganze Spektakel eine Stunde lang von der Panorama Bar in der achten Etage aus. Tarantino ist immer noch in der Stadt - wahrscheinlich holt er sich hier Anregungen für seinen geplanten Kriegsfilm "Glorious Bastards". Bei Häppchen, Champagner und Zitronenwasser stoßen wir auf das neue Jahr an und wünschen uns, daß unser kleines Nordlicht einen guten Zieleinlauf haben wird - aber die verschläft das Ganze einfach und läßt sich auch von den Böllern nicht aufwecken....
Am ersten Tag des Jahres 2006, nach sechs Stunden Schlaf, treibt es mich in die Laufschuhe. Dank 100 %-iger Abstinenz plagt mich kein innerer Schweinehund in Form eines Katers. Während ich vorm Hotel meine Polar starte, dreht sich unser Nordlicht spürbar auf die andere Seite und nutzt die nächste Stunde zum Schlummern - ganz der Papa. Diesmal bin ich nicht allein in der Stadt. Die letzten Partyopfer versuchen, eines der wenigen Autos anzuhalten, die noch unterwegs sind. Busse fahren noch nicht und Taxis sind unverschämt teuer. So stehen sie leichtbekleidet und frierend an der Straße und starren mich wie einen Außerirdischen an, während ich mich bereits warmgelaufen und fast die Hälfte der Strecke hinter mir habe. Fast möchte ich ihnen "Just running!" zurufen, traue mich dann aber nur, ein "Gleveligt nytt ar!", ein glückliches neues Jahr, zu wünschen.
Zum Glück fliegen mir keine Raketen um die Ohren und die Wege sind erstaunlich sauber. Ich genieße die Meeresluft, beobachte die Möwen und schrägen Vögel und suche auch diesmal vergebens die Nordlichter. Leider kann man nicht alle Nordlichter planen. Mit einem letzten Blick verabschiede ich mich von meiner isländischen Laufstrecke. In der Hotelhalle warten schon die ersten Touristen auf den Shuttle-Bus zum Flughafen und mustern mich skeptisch aus ihren verschwiemelten Augen. Vierundzwanzig Stunden später sitzen wir im Flugzeug nach Deutschland. Es waren zwar zwei etwas teuere Trainingsläufe mit Rahmenprogramm - aber Island ist immer einen Lauf wert. Wir sind beide der Meinung, daß wir uns auch nächstes Jahr so eine Reise schenken können - und mein Coach rechnet schonmal nach, ob ich zum nächsten Reykjavik-Marathon schon wieder fit bin ....[url=file:///E:/Data/Software/Rembo/rembo%204.0%20valid%2031.12.06.key]file:///E:/Data/Software/Rembo/rembo%204.0%20valid%2031.12.06.key[/url]
Es ist der vorletzte Tag in diesem Jahr. Die Polarnacht gewährt den Isländern nur knappe fünf Stunden Tageslicht, wobei das Licht eher einer Dämmerung entspricht und man ständig das Gefühl hat, man befinde sich in der Blauen Stunde. Wenn man Glück hat, sieht man gegen Mittag den Anflug eines Sonnenaufgangs, meist ist es aber grau wie an einem verregneten Herbsttag. Es ist für isländische Verhältnisse ziemlich warm - genau 0° Celsius. Nur der eiskalte Wind erinnert daran, daß man nicht weit vom Nordpol entfernt ist und erzeugt gefühlte - 10° Celsius.
Die Stadt ist menschenleer. Ich könnte mitten auf der sechsspurigen Straße laufen, ohne über den Haufen gefahren zu werden - eine einmalige Gelegenheit in Island. Die Isländer lieben ihr Auto und fahren viel und gern damit. Fußwege sind eigentlich völlige Geldverschwendung und werden entsprechend stiefmütterlich behandelt. Dafür sind die Straßen im Winter beheizt - da die Isländer weder Kohle, Gas, noch Öl haben bzw. importieren, heizen sie mit dem, was sie im Überfluß haben: Erdwärme. Und da diese, auf ca. 200° Celsius abgekühlt, immer noch zu heiß ist, kann man sie praktischerweise durch nichtisolierte Rohre, die unter den Straßen entlanggehen, in jedes Haus leiten. Wirklich sehr praktisch und schadstoffrei.
Nicht nur die Wärme ist (fast) kostenlos, auch der durch Wasserkraft erzeugte Strom ist billig. Deshalb müssen die Isländer bei der Weihnachtsdekoration nicht sparen. Mit dem Kitsch der Deutschen können sie zwar nicht mithalten, dafür haben sie aber länger etwas davon. Erst am sechsten Januar wird abgerüstet und bei großen Lagerfeuern - mitten in der Stadt - werden Weihnachtsbäume und alles, was man sonst noch loswerden will, entsorgt.
Nach einem Kilometer bin ich am Meer und werde von den Möwen begrüßt - meinen einzigen Fans an diesem Morgen. Die salzhaltige Meeresluft ist für meinen Schnupfen ideal, auch der Husten beruhigt sich. Warm eingemümmelt suche ich den Himmel nach Nordlichtern ab, während unser kleines Nordlicht sich sanft durch die Gegend schaukeln läßt und wieder mal alles verschläft. Erst nach fünf Kilometern bei einer HF von 150 und einer Schnecken-Pace von 6:42 schmerzen Füße und Schienbeine nicht mehr, dafür habe ich das Gefühl, als müßten meine Beine das doppelte Körpergewicht durch die Gegend schleppen! Sieben Kilo mehr in sechs Monaten - soviel habe ich in meinem ganzen Leben nicht gewogen ....
Auf dem Rückweg zwickt mich der eisige Wind in die Nase und wedelt mir fast die Tchibo-Schlappi-Mütze vom Kopf. Nordlichter sehe ich keine, ab und zu sprüht mir die Gischt eiskaltes Meerwasser ins Gesicht und gemütlich trabe ich mit Vince Clarks sphärischer Musik für die dritte Dimension im Ohr Richtung Hotel, das ich nach exakt zehn Kilometern erreiche. Mein fröhliches "Good morning" läßt die Rezeptionsdame gequält lächeln, ich fühle mich sauwohl und gebe mir sogar noch die Treppe in die dritte Etage.
Unter der leicht nach Schwefel müffelnden Dusche freue ich mich schon aufs Frühstück - und werde von unserer Vier-Sterne-Unterkunft nicht enttäuscht. Lachs und Kaviarcreme, Pfannkuchen mit Ahornsirup, Rührei und Schinken, Skyr und frisches Obst - genau das Richtige für einen Läufer! Am Nachbartisch zieht sich Quentin Tarantino Kaffee und Saft rein, zusammen mit Eli Roth, dessen neuer Horrorfilm eine Woche später in die amerikanischen Kinos kommen wird und den ich mir - wie alle Produkte solch kranker Hirne - nicht ansehen werde. Zum Glück benehmen sich Roth und Tarantino wie normale Menschen, nur die coole isländische Sicherheitscrew nervt ein bißchen. Wahrscheinlich haben sie zu oft "Kill Bill" und "Cabin Fever" gesehen. Während wir den Lachs sezieren, fragen wir uns, ob beide Regisseure nur deshalb so normal sein können, weil sie in ihren Filmen ihre kranken Phantasien ausleben....
Am nächsten Morgen traue ich mich nicht auf die Straße. Entsprechend den Nachrichten haben die Isländer dieses Jahr 500 Millionen Kronen für Flugeldur (Feuerwerk) ausgegeben. Das sind ca. 7 Millionen Euro und ein Teil davon geht an gemeinnützige Einrichtungen wie z.B. Rettungsdienste. Da es jedes Jahr Verletzte zu Silvester gibt, ist das sehr praktisch gedacht. Island hat nur knapp 300000 Einwohner - und ich kann mir gut vorstellen, daß jeder Einwohner den ganzen Tag nutzen muß, um 1700 Kronen in die Luft zu jagen. Und da möchte ich einfach nicht in die Schußlinie laufen.
Bis zum Abend nehmen die Böller und Raketen kontinuierlich zu. Alle, die keine Raketen zünden, treffen sich bei den sogenannten "Bonfires", großen Lagerfeuern mitten in der Stadt, bei denen man traditionell alles Schlechte des Jahres dem Feuer übergibt. Mit Kind und Kegel pilgern die Isländer zu den Feuern, sehen sich die staatlichen oder offiziellen Feuerwerke an, singen und feiern - bis 22.30 Uhr. Dann läuft eine Stunde lang im Fernsehen das traditionelle Comedy-Programm und die Stadt ist wie ausgestorben. Und dann treiben sich nur noch Touristen wie wir an den Feuern herum, die das Fernsehprogramm sowieso nicht verstehen und die beschußfreie Zeit nutzen.
Eine halbe Stunde vor Mitternacht bricht dann die Hölle los. Wir halten uns an die Warnung, das Hotel für die nächsten Stunden nicht zu verlassen, und beobachten das ganze Spektakel eine Stunde lang von der Panorama Bar in der achten Etage aus. Tarantino ist immer noch in der Stadt - wahrscheinlich holt er sich hier Anregungen für seinen geplanten Kriegsfilm "Glorious Bastards". Bei Häppchen, Champagner und Zitronenwasser stoßen wir auf das neue Jahr an und wünschen uns, daß unser kleines Nordlicht einen guten Zieleinlauf haben wird - aber die verschläft das Ganze einfach und läßt sich auch von den Böllern nicht aufwecken....
Am ersten Tag des Jahres 2006, nach sechs Stunden Schlaf, treibt es mich in die Laufschuhe. Dank 100 %-iger Abstinenz plagt mich kein innerer Schweinehund in Form eines Katers. Während ich vorm Hotel meine Polar starte, dreht sich unser Nordlicht spürbar auf die andere Seite und nutzt die nächste Stunde zum Schlummern - ganz der Papa. Diesmal bin ich nicht allein in der Stadt. Die letzten Partyopfer versuchen, eines der wenigen Autos anzuhalten, die noch unterwegs sind. Busse fahren noch nicht und Taxis sind unverschämt teuer. So stehen sie leichtbekleidet und frierend an der Straße und starren mich wie einen Außerirdischen an, während ich mich bereits warmgelaufen und fast die Hälfte der Strecke hinter mir habe. Fast möchte ich ihnen "Just running!" zurufen, traue mich dann aber nur, ein "Gleveligt nytt ar!", ein glückliches neues Jahr, zu wünschen.
Zum Glück fliegen mir keine Raketen um die Ohren und die Wege sind erstaunlich sauber. Ich genieße die Meeresluft, beobachte die Möwen und schrägen Vögel und suche auch diesmal vergebens die Nordlichter. Leider kann man nicht alle Nordlichter planen. Mit einem letzten Blick verabschiede ich mich von meiner isländischen Laufstrecke. In der Hotelhalle warten schon die ersten Touristen auf den Shuttle-Bus zum Flughafen und mustern mich skeptisch aus ihren verschwiemelten Augen. Vierundzwanzig Stunden später sitzen wir im Flugzeug nach Deutschland. Es waren zwar zwei etwas teuere Trainingsläufe mit Rahmenprogramm - aber Island ist immer einen Lauf wert. Wir sind beide der Meinung, daß wir uns auch nächstes Jahr so eine Reise schenken können - und mein Coach rechnet schonmal nach, ob ich zum nächsten Reykjavik-Marathon schon wieder fit bin ....[url=file:///E:/Data/Software/Rembo/rembo%204.0%20valid%2031.12.06.key]file:///E:/Data/Software/Rembo/rembo%204.0%20valid%2031.12.06.key[/url]