Wien: Ein (fast) perfekter Marathon
Verfasst: 07.05.2006, 21:15
Es ist kurz vor 09.00 Uhr. Ich stehe etwas über 50 Meter entfernt von der Startlinie des 23. Vienna City Marathon und bin nervös. Erstens, weil ich mir vorgenommen habe, unter 3.30 zu laufen und zweitens, weil ich die letzten drei Marathons schon bei km 30 schrecklich eingegangen bin und mit äußerster Mühe eine Zeit knapp unter 4.00 Stunden "derkratzt" habe
Meine Frau (Gudrun) läuft diesmal nicht, ist aber - bewaffnet mit zwei Kameras - zum Start mitgekommen und wird mich an ein paar Stellen an der Strecke als ganz persönliches Groupie unterstützen
Die letzte Nacht war schrecklich. Kurz nach 22.00 Uhr startete ich einen vergeblichen Versuch einzuschlafen. Um 6.00 Uhr morgens kam es mir vor, ich hätte alle halbe Stunde den Wecker kontrolliert. Außerdem musste ich zwei Mal für kleine Jungs (war also optimal hydriert
). Jedenfalls hatte ich das Gefühl, ich hätte die Nacht durchgemacht.
Zurück zum Start in der Wagramer Straße: Punkt 09.00 Uhr geht es los. Ich höre zwar keinen Startschuss, aber da alle lostraben bewege ich eben auch meinen A.... und natürlich die Beine und finde recht rasch einen guten Trab über die Reichsbrücke in Richtung Praterstern und dann hinein in die berüchtigte Prater Hauptallee, die sich als schnurgerades Band durch den wunderschönen grünen Park zieht. Meine km-Zeiten liegen bei 4.55 Minuten, also perfekt und ich frage mich, was überhaupt die ganze Panik soll. Ich habe heuer schon 1.400 km in den Beinen, bin vollkommen gesund, habe vor vier Wochen meine HM-Bestzeit von 1.38.26 auf 1.35.10 gedrückt
so what?
Noch in der Hauptalle treffe ich auf einen Gsiberger (für Nicht-Österreicher: Ein Vorarlberger) mit dem ich die nächsten zehn km gemeinsam laufe. Am Donaukanal entlang, über die Friedensbrücke zum Schwedenplatz (kurzer Einwurf: Dort gibt's beim Molin-Pradel das beste Eis überhaupt
) und dann sehe ich das erste Mal meine Gudrun, die ein Foto von mir schießt und ich freue mich einfach riesig.
Vorbei an der Urania (ein wunderschöner Jugendstilbau von Otto Wagner) geht es in die Ringstraße wo sich die Zuschauer stauen und ordentlich Krach machen.
Danach kommt eines der härteren Stücke. Die Wienzeile, die sich über sechs Kilometer entlang Richtung Westen zieht und eine nicht deutlich merkbare, aber schleichende, Steigung hat. Aber Gudrun ist bei km 15 zur Stelle und ich habe wieder einen Grund mich zu freuen.
Bei km 16 schnappe ich mir zum ersten Mal einen Becher Wasser und verliere dabei meinen Gsiberger Laufkumpel, der - wie ich - seinen 10. Marathon läuft.
Ich schau mich mehrmals um , aber er ist weg - wie sich viel später auf einem Gegenverkehrsstück herausstellt, fast zwei km hinter mir. Schade
Aber als individualistischer Spinner bin ich Sololäufe gewöhnt.
Ach ja, das hätte ich beinah vergessen: Es herrschte ideales Laufwetter. Beim Start hatte es 12 Grad, im Ziel rund 16, heiter bis wolkig, wenig Wind - Läuferherz, was willst du mehr? Eine neue Bestzeit natürlich
sage ich mir und gebe über die Mariahilferstraße Richtung HM-Ziel am Heldenplatz ordentlich Gas.
Wieder an der Ringstraße ist die Hölle los (da muss ich natürlich mein Lieblings-Smiley einblenden
), Live-Musik von den Wiener Philharmonikern, die eine öffentliche Generalprobe mit Werken von Mozart geben, vorbei an den berühmten Museen mit der Statue der Maria Theresia dazwischen, am Heldenplatz wo die Halbmarathonläufer ihre letzten Meter ins Ziel absolvieren, Parlament, Rathaus und Burgtheater, Universität - das alles zieht an mir vorbei (oder besser gesagt ich an ihnen) und dann hinein in die Liechtensteinstraße, die ich hasse. Warum? Keine Ahnung!
Sie ist nicht mal besonders hässlich, aber ich mag sie einfach nicht - deshalb kommen auch wieder erste Gedanken über mögliche Einbrüche auf, die ich zu verscheuchen versuche. Ich weiß, bei km 24 steht eine Freundin mit Mann und Kind und ich bin so schell an ihnen vorbei, dass es nur für einen kurzen Zuruf und ein Winken reicht.
Richtung Stadtmitte, wieder am Donaukanal entlang, hat meine Gudrun bei km 26 Verstärkung bekommen. Unsere Freunde und Trauzeugen (Irene & Carlo) sind da, Filmen und Fotografieren und Gudrun hält einen Multifruchtriegel für mich bereit (Danke Hofer/Aldi) den ich als Brennstoff brauche. Ich schnappe zu, erwische im Vorbeisausen aber nur das Papier
. Der Riegel bleibt - vorerst - in Gudruns Hand. Flexibilität ist alles: Ich disponiere im Geist sofort auf "halbe Banane am nächsten Versorgungstand" um, als ich plötzlich hinter mir eine sehr vertraute Stimme höre: "Wolfgang, ich bin da!" In einem Supersprint hat mich meine Frau eingeholt und reicht mir den Riegel. Man sieht: So ein Lauftraining ist für viele Dinge nützlich 
Bevor ich wieder in den Prater einbiege kommen mir die späteren Siegerinnen entgegen (Österreichs Susanne Pumper wird mit neuer Ö-Rekordzeit von 2.32.XX Dritte hinter zwei Japanerinnen, die ein paar Minuten unter 2.30 bleiben).
Bis km 35 geht es mir bestens, ich bin in der geplanten Zeit und freue mich darüber, dass es jetzt nicht mehr allzu lange dauert. Die Hauptallee wird übrigens auch von den Philharmonikern beschallt - zwischendurch wären mir ein paar Stones, Aerosmith oder Within Temptation-Fetzer lieber. Der Hund an der Sache ist nämlich - aus dem Prater hinaus geht es bis zum Schluss hin wieder bergauf - nicht allzu viel, aber bei diesen Distanzen werden auch aus Hügelchen Berge
. Dafür kann man jeden noch so kleinen Energieanfall brauchen.
Prompt geht mir bei den Kilometern 39 und 40 der Saft aus. Ich muss gefährlich viel Tempo rausnehmen (gefährlich für meine Zielzeit
) und quäle mich dahin. Meine Hoffnung gilt jetzt km 41 wo Gudrun und Freunde warten um mich ein letztes Mal anzufeuern. Mir geht's einfach nur noch Scheiße!!! Aber plötzlich taucht vor mir ein Bekannter auf, der mit einer Staffel den ersten Abschnitt gelaufen ist und mir noch einmal einen emotionalen Energieschub verpasst, indem er ein Stück mit mir mitläuft und mich damit antreibt.
Irgendwo lässt sich doch noch der Turbo zünden. Ich fliege vorbei an Tausenden Zusehern, an Gudrun, Irene, Carlo, biege ein auf den Heldenplatz und bremse mich erst nach den Zielmatten ein. 3.30.37 - so ein Mist. Wie schon beim HM, wo ich mein Ziel, knapp unter 1.35 zu laufen, um elf Sekunden verpasst habe, war ich auch diesmal ein paar Takte zu langsam. Aber, extra-dickes ABER: Ich habe meine bisherige Marathon-Bestzeit um 25 Minuten und 19 Sekunden unterboten. Ich trau es mich daher auch hinzuschreiben: Danke Peter Greif, nach dessen Plänen ich seit Oktober trainiere
, danke Gudrun
, danke Freunde
, danke dass ich gesund ins Ziel gekommen bin.
Meine Muskulatur brennt etwas und ich spüre erst jetzt, dass ich ordentlich salzig bin im Gesicht; und als ich zum LKW mit den Bekleidungssäcken komme, bekommt das Salz noch Nachschub, weil Gudrun da ist, mich lange drückt und mir jetzt die Freudentränen herunterrinnen.
Danach geht es ab in die Dusche und später ins Kent, ein türkisches Restaurant mit sensationeller Küche
Ach - und ehe ich es vergesse: Ich habe während des Laufes immer wieder an LA und die zahlreichen Foris gedacht, von denen ich zwar niemanden persönlich kenne, die mir aber doch ans Herz gewachsen sind. Vor allem OLI und sein toller Marathon-Erfolg letzte Woche ist mir ein paar Mal in den Sinn gekommen (Gratulation daher noch nachträglich an dieser Stelle).
Jetzt hocke ich zu Hause vor dem PC, hab einen hoffentlich interessanten Bericht zum Wien Marathon gebastelt und freue mich über meine schöne Zeit
und ein (fast) perfektes Rennen. Und eines garantiere ich schon jetzt: Die 3.30er Schallmauer wird heuer in Ulm beim zweiten Einstein-Marathon fallen.
Liebe Grüße
El Corredor

Meine Frau (Gudrun) läuft diesmal nicht, ist aber - bewaffnet mit zwei Kameras - zum Start mitgekommen und wird mich an ein paar Stellen an der Strecke als ganz persönliches Groupie unterstützen

Die letzte Nacht war schrecklich. Kurz nach 22.00 Uhr startete ich einen vergeblichen Versuch einzuschlafen. Um 6.00 Uhr morgens kam es mir vor, ich hätte alle halbe Stunde den Wecker kontrolliert. Außerdem musste ich zwei Mal für kleine Jungs (war also optimal hydriert

Zurück zum Start in der Wagramer Straße: Punkt 09.00 Uhr geht es los. Ich höre zwar keinen Startschuss, aber da alle lostraben bewege ich eben auch meinen A.... und natürlich die Beine und finde recht rasch einen guten Trab über die Reichsbrücke in Richtung Praterstern und dann hinein in die berüchtigte Prater Hauptallee, die sich als schnurgerades Band durch den wunderschönen grünen Park zieht. Meine km-Zeiten liegen bei 4.55 Minuten, also perfekt und ich frage mich, was überhaupt die ganze Panik soll. Ich habe heuer schon 1.400 km in den Beinen, bin vollkommen gesund, habe vor vier Wochen meine HM-Bestzeit von 1.38.26 auf 1.35.10 gedrückt

Noch in der Hauptalle treffe ich auf einen Gsiberger (für Nicht-Österreicher: Ein Vorarlberger) mit dem ich die nächsten zehn km gemeinsam laufe. Am Donaukanal entlang, über die Friedensbrücke zum Schwedenplatz (kurzer Einwurf: Dort gibt's beim Molin-Pradel das beste Eis überhaupt

Vorbei an der Urania (ein wunderschöner Jugendstilbau von Otto Wagner) geht es in die Ringstraße wo sich die Zuschauer stauen und ordentlich Krach machen.

Bei km 16 schnappe ich mir zum ersten Mal einen Becher Wasser und verliere dabei meinen Gsiberger Laufkumpel, der - wie ich - seinen 10. Marathon läuft.
Ich schau mich mehrmals um , aber er ist weg - wie sich viel später auf einem Gegenverkehrsstück herausstellt, fast zwei km hinter mir. Schade

Ach ja, das hätte ich beinah vergessen: Es herrschte ideales Laufwetter. Beim Start hatte es 12 Grad, im Ziel rund 16, heiter bis wolkig, wenig Wind - Läuferherz, was willst du mehr? Eine neue Bestzeit natürlich

Wieder an der Ringstraße ist die Hölle los (da muss ich natürlich mein Lieblings-Smiley einblenden


Richtung Stadtmitte, wieder am Donaukanal entlang, hat meine Gudrun bei km 26 Verstärkung bekommen. Unsere Freunde und Trauzeugen (Irene & Carlo) sind da, Filmen und Fotografieren und Gudrun hält einen Multifruchtriegel für mich bereit (Danke Hofer/Aldi) den ich als Brennstoff brauche. Ich schnappe zu, erwische im Vorbeisausen aber nur das Papier


Bevor ich wieder in den Prater einbiege kommen mir die späteren Siegerinnen entgegen (Österreichs Susanne Pumper wird mit neuer Ö-Rekordzeit von 2.32.XX Dritte hinter zwei Japanerinnen, die ein paar Minuten unter 2.30 bleiben).
Bis km 35 geht es mir bestens, ich bin in der geplanten Zeit und freue mich darüber, dass es jetzt nicht mehr allzu lange dauert. Die Hauptallee wird übrigens auch von den Philharmonikern beschallt - zwischendurch wären mir ein paar Stones, Aerosmith oder Within Temptation-Fetzer lieber. Der Hund an der Sache ist nämlich - aus dem Prater hinaus geht es bis zum Schluss hin wieder bergauf - nicht allzu viel, aber bei diesen Distanzen werden auch aus Hügelchen Berge

Prompt geht mir bei den Kilometern 39 und 40 der Saft aus. Ich muss gefährlich viel Tempo rausnehmen (gefährlich für meine Zielzeit

Irgendwo lässt sich doch noch der Turbo zünden. Ich fliege vorbei an Tausenden Zusehern, an Gudrun, Irene, Carlo, biege ein auf den Heldenplatz und bremse mich erst nach den Zielmatten ein. 3.30.37 - so ein Mist. Wie schon beim HM, wo ich mein Ziel, knapp unter 1.35 zu laufen, um elf Sekunden verpasst habe, war ich auch diesmal ein paar Takte zu langsam. Aber, extra-dickes ABER: Ich habe meine bisherige Marathon-Bestzeit um 25 Minuten und 19 Sekunden unterboten. Ich trau es mich daher auch hinzuschreiben: Danke Peter Greif, nach dessen Plänen ich seit Oktober trainiere



Meine Muskulatur brennt etwas und ich spüre erst jetzt, dass ich ordentlich salzig bin im Gesicht; und als ich zum LKW mit den Bekleidungssäcken komme, bekommt das Salz noch Nachschub, weil Gudrun da ist, mich lange drückt und mir jetzt die Freudentränen herunterrinnen.
Danach geht es ab in die Dusche und später ins Kent, ein türkisches Restaurant mit sensationeller Küche

Ach - und ehe ich es vergesse: Ich habe während des Laufes immer wieder an LA und die zahlreichen Foris gedacht, von denen ich zwar niemanden persönlich kenne, die mir aber doch ans Herz gewachsen sind. Vor allem OLI und sein toller Marathon-Erfolg letzte Woche ist mir ein paar Mal in den Sinn gekommen (Gratulation daher noch nachträglich an dieser Stelle).
Jetzt hocke ich zu Hause vor dem PC, hab einen hoffentlich interessanten Bericht zum Wien Marathon gebastelt und freue mich über meine schöne Zeit

Liebe Grüße
El Corredor