Von sauren Shirts, hefigen Fröschen und Elvis' Pudel
Verfasst: 19.03.2007, 21:10
Heute geht es zum 31. Mal "Rund um den Winterstein". Nicht für mich – gottlob, ich muss nur einmal. Das ist auch völlig ausreichend, denn der Lauf im Taunus ist 30 km lang und nicht gerade flach. Der Name täuscht nämlich – wenn man am Fuß eines Berges läuft, muss man eben auch über den Fußrücken. Der misst, stur gerechnet, 321 Höhenmeter, das Hoch und Runter dazwischen nicht mitgezählt.
Normalerweise schreckt so etwas die Läufermassen ab. Aber heute denken alle an Paris. Oder Hamburg, Rotterdam, London oder eine der andere Frühjahrsmarathonstrecken. Da kommt ein 30er immer gelegen, Höhenmeter hin oder her. So stehe ich also mit etwa 700 anderen am Start. Einer davon ist mein Bekannter. Er versucht wie ich auch an einen Frühjahrsmarathon zu denken, aber es gelingt nicht, weil uns jemand die Sinne vernebelt. Irgendwo steht jemand, der riecht wie ein alter, nicht richtig getrockneter Regenschirm, den man in Essigessenz getaucht hat. Ich bin ratlos. Wenn es sich für einen 30er nicht lohnt, sein Shirt vorher zu waschen – wann dann? Wir versuchen, der sauren Wolke zu entkommen. Viel Chancen haben wir nicht, denn das Feld ist dicht gedrängt. Obendrein besteht die Gefahr, näher an den Teekessel zu kommen und das wäre verheerend. Der Teekessel hat nämlich die anatomische Besonderheit, nach einem Kilometer Laufen ein rhythmisches schrilles Pfeifen auszustoßen. Das drei Stunden lang hören – dann doch lieber essigsaure Nasenscheidewände.
Endlich geht es los und eine dichte Karawane walzt durch den kleinen Ort. Schon bald geht es sanft bergan. Meine Beine sind bleischwer. Es ist kühl und zu allem Überfluss beginnt es jetzt zu regnen. Es verspricht, ein reizender Lauf zu werden.
Normalerweise rede ich nie bei einem Volkslauf, aber mein Bekannter läuft jetzt neben mir und so führen wir eine typische Energiespar-Läuferkommunikation. "Jetzt hört’s auf zu regnen." "Jetzt fängt’s wieder an." "Da kommt die Steigung." Und ganz wichtig: "Jetzt zieht sich’s aber ganz schön." Zum Glück bin ich darauf gefasst, dass es sich zieht. Auch wenn ich nicht so genau weiß, wer "es" ist. Das Berg? Das Strecke? Das ganze Leben? Egal - das was sich zieht, ist aus Asphalt und auf dem kann man sehr gut nach oben wanken. In drei Kilometern müssen 170 Höhenmeter genommen werden und das geht erstaunlich gut. Die schweren Beine werden am Berg leichter. Sachen gibt’s ...
Ich schaue mir jede Kilometerzeit genau an, damit wir nicht zu schnell werden. Zu groß ist mein Respekt vor hügeligen 30 Kilometern.
Wir laufen jetzt lange an einem militärischen US-Sicherheitsbereich vorbei. Diese Zäune mit ihren Warnschildern sehen immer ein bisschen garstig aus und so denke ich zur Ablenkung an Elvis. Ich denke sonst nie an Elvis, aber wir sind ja hier in Friedberg. Da darf man das. Elvis‘ Pudel hieß Cherry und hatte eine ähnliche Frisur, wie das Mädchen, das jetzt vor mir läuft. So fügt sich in meiner seltsamen Gedankenwelt alles zusammen.
Ein Verpflegungsstand reißt mich aus meinen Träumen. Es gibt sehr süßen Tee und er tut gut. Wir sind jetzt bei km 17 und ich überlege, wann ich den Gelfrosch von Dr. Feil mümmeln soll, der in meiner Tasche knistert. Ich warte noch einen Kilometer, dann stopfe ich mir in jede Backentasche eine Hälfte. Er schmeckt heute gruselig. Irgendwie nach Hefe. Ich hoffe, dass er wenigstens etwas nutzt und schiebe mich schmatzend weiter.
Wir wechseln jetzt wieder unsere SMSartigen Sätze. "Noch einen Kilometer". "Was is dann?" "Dann kommt der letzte Anstieg". Bei km 21 ist man am höchsten Punkt. Von da an geht es bergab. Zwischendurch erhalten nur noch kleine Anstiege die Freundschaft mit der Strecke. Oben angekommen geht mein Bekannter für kleine Läufer und ich nutze die Gelegenheit, hefige Gel-Froschreste mit meinem eigenen Getränk aus meinen Backentaschen zu spülen. Bäh! Beim Wiederanlaufen merke ich, dass die Beine noch wollen. Das ist ein gutes Zeichen. Mein Bekannter schließt auf und ich sehe auf die Uhr. Bei km 20 lagen wir bei 1:59. Wir waren artig und nicht zu schnell. Jetzt kann uns nichts mehr passieren. Ich gebe Gas.
Der Rest ist unklar. Ich laufe und es fühlt sich trotzdem nicht so an, als ob ich es bin. Es ist zu schnell dafür. Vielleicht läuft mich jemand anders? Ich schaue neben mich, aber mein Bekannter sieht nicht so aus, als könnte er außer sich noch jemand anderen laufen. Es ist rätselhaft. Ich watze und watze. Noch drei Kilometer. Den ganzen Weg zurück durch den Ort. Es ist sehr windig, wie auf dem Hinweg. Aber jetzt ist alles wurscht. Ein Kilometerschild ist umgeweht. "Wieviel?" ruft mein Bekannter. "Einer". Der Läufer neben uns hebt einen Daumen. Alle denken dasselbe, ein Wort genügt. Nur noch ein Kilometer. Wir stürmen ins Ziel. Die Uhr sagt 2:49:04. Die letzten 10km sind wir im 5er Schnitt gelaufen.
Die Henry-Benrath Schule, in der wir uns trockenlegen, ist eine von den Schulen, bei deren Anblick man dankbar ist, erwachsen zu sein. Alles sieht renovierungsbedüftig aus, manches kaputt, vieles beschmiert. Aber Läufer können es sich überall gemütlich machen und so setzt man sich hin, wo gerade Platz ist und kaut an einem Streuselkuchen. Gerade noch dachte ich, ich würde so bald nichts essen können, aber Streuselkuchen sind eben Überredungskünstler. Die letzten Kilometer bleiben allerdings rätselhaft. Es muss mich jemand anders gelaufen haben. Wer immer es war, vielleicht liest er ja hier mit. Für diesen Fall aus vollem Herzen: Danke.
Normalerweise schreckt so etwas die Läufermassen ab. Aber heute denken alle an Paris. Oder Hamburg, Rotterdam, London oder eine der andere Frühjahrsmarathonstrecken. Da kommt ein 30er immer gelegen, Höhenmeter hin oder her. So stehe ich also mit etwa 700 anderen am Start. Einer davon ist mein Bekannter. Er versucht wie ich auch an einen Frühjahrsmarathon zu denken, aber es gelingt nicht, weil uns jemand die Sinne vernebelt. Irgendwo steht jemand, der riecht wie ein alter, nicht richtig getrockneter Regenschirm, den man in Essigessenz getaucht hat. Ich bin ratlos. Wenn es sich für einen 30er nicht lohnt, sein Shirt vorher zu waschen – wann dann? Wir versuchen, der sauren Wolke zu entkommen. Viel Chancen haben wir nicht, denn das Feld ist dicht gedrängt. Obendrein besteht die Gefahr, näher an den Teekessel zu kommen und das wäre verheerend. Der Teekessel hat nämlich die anatomische Besonderheit, nach einem Kilometer Laufen ein rhythmisches schrilles Pfeifen auszustoßen. Das drei Stunden lang hören – dann doch lieber essigsaure Nasenscheidewände.
Endlich geht es los und eine dichte Karawane walzt durch den kleinen Ort. Schon bald geht es sanft bergan. Meine Beine sind bleischwer. Es ist kühl und zu allem Überfluss beginnt es jetzt zu regnen. Es verspricht, ein reizender Lauf zu werden.
Normalerweise rede ich nie bei einem Volkslauf, aber mein Bekannter läuft jetzt neben mir und so führen wir eine typische Energiespar-Läuferkommunikation. "Jetzt hört’s auf zu regnen." "Jetzt fängt’s wieder an." "Da kommt die Steigung." Und ganz wichtig: "Jetzt zieht sich’s aber ganz schön." Zum Glück bin ich darauf gefasst, dass es sich zieht. Auch wenn ich nicht so genau weiß, wer "es" ist. Das Berg? Das Strecke? Das ganze Leben? Egal - das was sich zieht, ist aus Asphalt und auf dem kann man sehr gut nach oben wanken. In drei Kilometern müssen 170 Höhenmeter genommen werden und das geht erstaunlich gut. Die schweren Beine werden am Berg leichter. Sachen gibt’s ...
Ich schaue mir jede Kilometerzeit genau an, damit wir nicht zu schnell werden. Zu groß ist mein Respekt vor hügeligen 30 Kilometern.
Wir laufen jetzt lange an einem militärischen US-Sicherheitsbereich vorbei. Diese Zäune mit ihren Warnschildern sehen immer ein bisschen garstig aus und so denke ich zur Ablenkung an Elvis. Ich denke sonst nie an Elvis, aber wir sind ja hier in Friedberg. Da darf man das. Elvis‘ Pudel hieß Cherry und hatte eine ähnliche Frisur, wie das Mädchen, das jetzt vor mir läuft. So fügt sich in meiner seltsamen Gedankenwelt alles zusammen.
Ein Verpflegungsstand reißt mich aus meinen Träumen. Es gibt sehr süßen Tee und er tut gut. Wir sind jetzt bei km 17 und ich überlege, wann ich den Gelfrosch von Dr. Feil mümmeln soll, der in meiner Tasche knistert. Ich warte noch einen Kilometer, dann stopfe ich mir in jede Backentasche eine Hälfte. Er schmeckt heute gruselig. Irgendwie nach Hefe. Ich hoffe, dass er wenigstens etwas nutzt und schiebe mich schmatzend weiter.
Wir wechseln jetzt wieder unsere SMSartigen Sätze. "Noch einen Kilometer". "Was is dann?" "Dann kommt der letzte Anstieg". Bei km 21 ist man am höchsten Punkt. Von da an geht es bergab. Zwischendurch erhalten nur noch kleine Anstiege die Freundschaft mit der Strecke. Oben angekommen geht mein Bekannter für kleine Läufer und ich nutze die Gelegenheit, hefige Gel-Froschreste mit meinem eigenen Getränk aus meinen Backentaschen zu spülen. Bäh! Beim Wiederanlaufen merke ich, dass die Beine noch wollen. Das ist ein gutes Zeichen. Mein Bekannter schließt auf und ich sehe auf die Uhr. Bei km 20 lagen wir bei 1:59. Wir waren artig und nicht zu schnell. Jetzt kann uns nichts mehr passieren. Ich gebe Gas.
Der Rest ist unklar. Ich laufe und es fühlt sich trotzdem nicht so an, als ob ich es bin. Es ist zu schnell dafür. Vielleicht läuft mich jemand anders? Ich schaue neben mich, aber mein Bekannter sieht nicht so aus, als könnte er außer sich noch jemand anderen laufen. Es ist rätselhaft. Ich watze und watze. Noch drei Kilometer. Den ganzen Weg zurück durch den Ort. Es ist sehr windig, wie auf dem Hinweg. Aber jetzt ist alles wurscht. Ein Kilometerschild ist umgeweht. "Wieviel?" ruft mein Bekannter. "Einer". Der Läufer neben uns hebt einen Daumen. Alle denken dasselbe, ein Wort genügt. Nur noch ein Kilometer. Wir stürmen ins Ziel. Die Uhr sagt 2:49:04. Die letzten 10km sind wir im 5er Schnitt gelaufen.
Die Henry-Benrath Schule, in der wir uns trockenlegen, ist eine von den Schulen, bei deren Anblick man dankbar ist, erwachsen zu sein. Alles sieht renovierungsbedüftig aus, manches kaputt, vieles beschmiert. Aber Läufer können es sich überall gemütlich machen und so setzt man sich hin, wo gerade Platz ist und kaut an einem Streuselkuchen. Gerade noch dachte ich, ich würde so bald nichts essen können, aber Streuselkuchen sind eben Überredungskünstler. Die letzten Kilometer bleiben allerdings rätselhaft. Es muss mich jemand anders gelaufen haben. Wer immer es war, vielleicht liest er ja hier mit. Für diesen Fall aus vollem Herzen: Danke.