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Zurück im Land des Leidens

Verfasst: 27.05.2007, 11:02
von spike
Oh Gott bin ich nervös am Start, so aufgeregt, euphorisch geradezu erlöst bereit. Ich stell mich an die vordere Reihen des B-Blocks, gute Einteilung, klare Strukturen, Ordner die Acht geben. Saubere Sache hier in dieser schönsten Stadt Deutschlands. Ich kam nicht herum dieses Kompliment auszustoßen als ich am Donnerstag mit meinen super lieben Gastgebern durch Regensburg spazierte. Gastgeberin E. hat mich auch an den Start gebracht der ganz gut zu erreichen war.
Nun steh ich also da, tipple nervös herum und warte auf den Startschuss, der nach kurzem anzählen und klatschen fällt. Schnell ist man über der Startlinie, auf der breiten Straße verteilen sich die Läufer ohne Probleme und man kann gut von Beginn weg sein Tempo laufen. Etwas wenig vor mir läuft der Mann mit dem grünen Ballon, Er ist für die 3:30 Läufer der Tempomacher.
Nach wenigen Kilometer geht’s zum ersten mal rein in die Altstadt, diesen Teil habe ich mir gut angesehen, so das ich auch der Abwasserrinne die etwas vertieft verläuft von Anfang an aus dem weg gehe. Schwup sind wir auch schon wieder raus aus der Stadt. Regensburg ist nun mal nicht so groß. Dahinter beginnt die große Ödnis, kleine Vorortquartiere, Industriegebiet und dann die berüchtigte Strasse raus zum Wendepunkt bei Illkofen.
Alles ist Wunderbar, bis auf die Tatsache das ich merke das ich mich wohl zuwenig die innen Seite der Oberschenkel mit Melkfett eingeschmiert habe. Zum ersten Mal lauf ich nämlich in ganz kurzen Hosen so dass da Haut auf Haut anfängt zu scheuern. Doch der Tag ist so frisch, die Luft herrlich zum atmen und obwohl ich etwas wenig geschlafen habe fühle ich mich sehr wach und genieße die weite der Landschaft mit ihren satten Wiesen und sanften Hügeln am Horizont.
Bei Kilometer 10 lauf ich sorglos auf den Saniwagen zu, in tiefster Gewissheit das die sicher was zum schmieren da haben. Doch nach kurzem Gespräch winken diese ab, keine Vaseline an Bord. Sollte mich das beunruhigen? Ich fühl mich gut und leicht und noch ist nichts passiert, war ja nur reine Vorsorge. Am nächsten Wagen dieselbe Antwort was mich doch etwas irritiert, nichts zu schmieren die Jungs da. Na gut weiter geht’s, doch schon etwas unruhiger.
Es herrscht ganz leichter Wind die Sonne scheint, einige Schleierwolken am Himmel, Ruhe über dem Land, ein friedlicher Lauf mit netten Zuschauern die herzlichst bei der Sache sind. Ich bin frohen Mutes und noch immer angetan von der Stimmung hier.
Links über der Donau sehen wir in der Fernedas Walhalla ein Tempelnachbau sehr schnukklig zum ansehen. Das Tempo empfinde ich als angenehm und obwohl ich mich nicht an ihm orientierte tanzt der grüne Ballon immer noch kurz vor mir.
Der Pumukel läuft locker Barfuss zwischen uns hindurch, trinkt mal was an einem Mini Vorortfest, um dann gleich wieder fröhlich winkend und gefeiert von den wenigen Zuschauern an uns vorbei zu ziehen. Seine Marathonzeit schätze ich deutlich gegen drei Stunden und mach mir keinen Kopf wegen ihm, ist sein Tag seine Show, genies es Junge.
Mein Idyllisches Bild gerät langsam ins wanken, denn zwischen meinen Beinen reibts sich heftiger. Es geht mal um die Ecke, welch Abwechslung und zusehends nähern wir uns einem weitern Posten, bei dem ich ein Funkgerät umgehängt erkenne. Auch er hat nichts dabei. Da wir bald wieder zurück kommen werden, bitte ich ihn doch was zu organisieren, denn ich lauf langsam etwas krumm O-beinig.
Wir erreichen tatsächlich mal den Ort der Wende. Zuvor sind uns die Führenden entgegengelaufen, zwei Black man’s vorneweg ungerührt, der Dritte Weise schon sichtlicher bei der Sache.
Kurz vor der Wende mitten auf der Strasse entdecke ich P. auf der anderen Seite stehen, sie hat tatsächlich Wort gehalten und ist hier aufgetaucht. Kurz gedreht, mit Freude wird sie schnell geküsst und nach einem schnippischen Wortspiel bin ich weg.
Es ist als hätte jemand den Schalter umgelegt, mir ist gar nicht mehr nach laufen. Ich würde jetzt lieber da weiter machen wo ich mit ihr um 2 Uhr morgens aufgehört habe :D , aber was soll’s ich will ja ins Ziel und bin hier um wieder ein Marathoni zu werden.
Meine Laufleistung lässt ein wenig nach. Ein anderes Gefühl schleicht sich ein, irgendwoher kenn ich es, und es ist nicht gut, gar nicht gut, denn es heist Hunger! Shit hätte ich mal im Club nicht nur von den sinnlichen Früchten gekostet, eindeutig zu wenig gegessen am Vorabend, was für ein blöder Anfänger ich bin.
Doch vorerst erscheint mein Sani-man wieder auf der Bildfläche, ich freu mich schon auf eine ordentliche Portion schmiere. Doch der steht mit zwei Pflastern da, die natürlich nicht halten auf der verschwitzten Haut, ja sind denn die hier alle ….Naja man soll ja positiv denken auf einem Marathon. Also entschließe ich mich zu einer alternative Variante der Beschaffung und gehe über Fahrradfahrer anzusprechen. Ein sehr freundliches Paar rettet mich mit einer dicken Portion Sonnencreme, das tut’s vorerst auch.
Der grüne Ballon ist natürlich weit weggetanzt und die liebliche Sonne heizt bereits gewaltig, das laue Windchen macht die Luft noch trockener als sie eh schon ist, mit dem Resultat das schon einige bei HM gingen und das Tatütatta der Krankenwagen seine Auftakt nimmt. Ich quäle mich zum nächsten Verpflegungsposten wo es Gott sei dank Bananen gibt. Mein Schnitt ist dahin (bei lockeren 1:45 gewendet), das Loch in mir noch lange nicht gestopft, doch hilft es ein wenig um mich Richtung 30 zu schleppen. Meine Hoffnung die Halbmarathonis tragen einen Angeschlagenen Marathonversucher dann schon mit ins Ziel. Die dahingerafften am Boden liegenden! Läufer vermehren sich wie Fliegen, so ein sterben hab ich noch nicht gesehen an einem Lauf. Von den versprochenen zusätzlichen Verpflegungsposten keine Spur. 5 Km Abstände der VP´s bei der mittlerweile Hitze und Trockenheit sind eine Ewigkeit, man verdurstet regelrecht bis dahin. Nur wenige vereinzelte Duschen bringen etwas Linderung, ob privat organisiert oder offiziell?
Die HM-Welle erwischt mich wie ein rasselnder Wecker am Montagmorgen. Plötzlich ist alles anders, das fast Alleinige vor sich hinlaufen geht nahezu nahtlos über in eine Massenveranstaltung. Vorher auf fast leeren Strassen, es sind nur etwas mehr als 1000 Marathonis und etwa gefühlsmäßig gleich viele Zuschauer außerhalb Regensburg, kontrastiert nun mit der schwafelnden Menge.
Meine geplagte Läuferseele dankt für s erste. Allerdings wird’s jetzt an den VP´s richtig eng. So misch ich mich unter die HMler, die gerade ihre Wende hinter sich haben und schätzungsweise eine Zielzeit von 1:50 anlaufen, also wird’s richtig voll. Keine Ahnung wo ich in der Zeit steh, das ist auch das letzte was mich zurzeit interessiert, mir geht’s echt schon dreckig. Wir Marathonis sind zu diesem Zeitpunkt hinter 30ig. Auch hier schwächeln schon einige HMler, meine Mitleidgenossen erkenn ich nicht mehr, genauso wenig wie sie die ab jetzt zahlreicheren Zuschauer unterscheiden können.
Mein Aufschwung währt nicht lange, im Gegenteil ich muss erkennen das gar nichts mehr geht, und bevor ich wie einer der vielen am Straßenrand liege, gehe ich ca. 1,5Km bis endlich der VP am KM36 erscheint.
Ich sauf wie ein Kamel am Abend in der Oase, leider gibt’s keine Cola auf die ich jetzt riessen Lust hätte. Am Ende des Standes, nach dem ich alle Tische abklappert habe verkündet eine Helferin “letzter Stand vor dem Ziel!“ Sie meint es wohl positiv während ich die Hiobsbotschaft einfach nicht glauben kann. Zum Glück gibt es zwischendurch noch einen. Man sollte lieber nicht solche Aussagen machen wenn man noch nie einen Marathon gelaufen ist, schon gar nicht bei diesem ach so schönen Tag an dem die Sonne jetzt mächtig sticht.
Frisch durchtränkt, es stehen immer auch genügend Wassereimer da um den erhaltenen Schwamm zu tunken, entschließe ich mich trotz der Gefahr des Austrocknens wieder anzulaufen, oder eher des anwatschelns. Ich versuche noch eine Mitläuferin die ich immer von Startweg mal gesehen habe zu motivieren, doch ich verlier sie schnell aus den Augen.

Es geht ins Finale und es wird richtig hart. Als erstes erwartet uns die eiserne Brücke auf der es gehörig schwankt, ich erinnere mich verschwommen dass mal davon in einem Bericht die Rede war. Die Schönheit der dahinfliesenden Donau stimmt mich milder, überhaupt kommt jetzt der attraktivste Teil der Strecke, den ich leider gar nicht mehr genießen kann. Wenigstens sind hier Zuschauer so das es mir etwas leichter fällt nicht auf den Gedanken zu kommen wieder zu gehen, denn das wäre das Ende. Dann das Highlight über die steinerne Brücke wirklich Super auch wenn mir der Untergrund gar nicht gefällt. Das Kopfsteinpflaster schmerzt jetzt ungebremst durch die dünne Sohle meiner DS-Trainer, die wohl auch zu wenig eingelaufen sind, ich Idiot, was mach ich nur für Anfängerfehler? Tja nach Biel 2005 war laufen Tod bei mir, Mental mit allem anderem beschäftigt, gefangen in der Arbeitslosen- später Hartz4 Falle, und ziemlich orientierungslos waren Wettkämpfe nicht gerade angesagt. Regelmäßig ging’s dann erst wieder mit Training ab Spätherbst 2006 los, so dass ich ganz Glücklich bin schon wieder soweit zu sein.
Runter von der Brücke, mein Gastgeber T. ruft meinen Namen und ich bin erstaunt dass er mich überhaupt gesehen hat. Mein lächeln ist echt säuerlich, ich mach wohl keinen guten Eindruck mehr.
Die letzten Kilometer laufe ich unter zunehmendem Gestöhn und Gefluche, sowie der Trainer der Jugendfußballmannschaft des Sohnes meiner Gastgeber, am Tag zuvor beimLokalspiel, das sie leider verloren haben. Trotz dessen alles gebenden Verbaleinsatzes. Wobei ich froh war das Gastgeberin E. bei mir war und immer wieder übersetzt hat, eine Sprache sprechen die hier :confused: .
Selbst in dieser Schönstadtphase sehe ich einen Läufer am Boden, verdammt was ist den heute los, Wahnsinn, scheiß Bilder prägen sich in meinen Kopf.
Ich verfluche die Streckenführung, denn obwohl ich wusste, das es hinter der Altstadt nochmals durch Niemandsstraßen geht ist es wie eine Strafrunde laufen. Kaum Zuschauer und das 40er Schild will einfach nicht auftauchen. Zu meinem erstaunen überhol ich sogar Halbmarathonis. Hier fallen viele vom Glauben ab und gehen. Liegt es am Segen den ich am Vortag bei der Marathonmesse im Dom geholt hab, dass es bei mir weitergeht? Wie schön haben die Spatzen da gesungen. Anhalten ist nicht mehr, denn seit KM 38 dämmert mir langsam, das ich es noch unter 4 Stunden. schaffen könnte. Einfach nicht stehen bleiben, bloß nicht ins gehen verfallen, ich würde niemals mehr anlaufen und dann... nein. Ich brüll mich an, schrei mich innerlich nach vorne.Je näher ich dem Ziel komme desto mehr lass ich den Schmerz raus. Mein Gesicht verzehrt im Pein, meine Füße fangen Feuer, meine Beine sind steif, abrollen ein Fremdwort, die Oberschenkel ribschen wieder, der Schweiß ist kalt. Der Blick im Tunnel nach vorn, da irgendwo weit vorne der 41er, Hoffnung keimt auf. Rechne, ja das klappt, Anflug von Glück, kein schweben kein fliegen über die letzten Kilometer wie sonst. Pure Quälerei, verschleierter Blick. Immer wieder: „komm schon du schaffst das“, noch ne Kurve, dahinter muss doch das Ziel liegen, nein wieder nicht. „Es ist nicht mehr weit, komm schon, nicht mehr lange halt durch, gut so“. Meine Haltung ist grässlich meine Augen mit Wasser gefüllt, tiefster Wille der Vollendung.
Endlich das Ziel in Sicht, die Krankenwagen am heulen, die aufgeregten Helfer am Absperrungen auf und zu machen. Hektik, Orientierung, schit kein separater Zieleinlauf für Marathonis, nur für die Senioren EM, also mit den Halbmarathonis rein auch egal. Ein Sprecher den man nicht mehr versteht imSirengeheul. Den letzten KM gestoppt die Gewissheit es reicht!
Ein letztes Mal schrei ich den Schmerz raus. Knall mir die Faust auf die Brust,
ein wahrhaftig tiefes, aufrichtig goldenes Gefühl des Stolzes überwältigt mich.
Ich bin im Ziel! Ich bin wieder Marathoni! Ich bin wieder zurück, bin wieder da wo ich hingehöre!
Über die Matte, Uhr stoppen, knapp unter 3:59, erleichterung über Alles.

Ich bin wieder zu Hause!!!

Wanke auf die Frau mit den Medaillen zu, breche vor ihr zusammen auf alle Viere, völlig kaputt. Super das sofort jemand da ist mir hoch hilft, nachfragt wies mir geht. Es ist aber nicht mein Kreislauf der unten ist, ich hab einfach keine Kraft mehr in den Beinen, das Medaillengirl gratuliert mir, hängt mir das Band um, ich strahl sie an, stammle, Danke. Kann kaum sprechen so trocken ist mein Mund.
Irgendjemand ruft „trinken hinten beim Colawagen“ Colawagen, keine Tische mit trinken?? Oh Gott wir müssen anstehen, in einen Pulk Leute rein, Panik kommt auf, muss was saufen also durch. Unendliche scheinende Minuten bis mir jemand eine Flasche Cola reicht, ich schnapp mir noch eine Mineral und endlich umdrehen, raus aus dem Gewühl. In Zeitlupe zitternd hinlegt in den Schatten, Ruhe und trinken nur noch trinken.

Danach geht’s zu den Kleidersäcken, gut organisiert auch wenn die Marathoni Aufbewahrung hinter den HMler stehen. Viel eher stört mich da die duscherei, freudig ins daneben liegende Westbad gestackt, unterwegs noch rasch per Handy meine Rückkehr zu den Gastgebern organisiert. Dann die große negativ Überraschung, das Bad ist vollgestopft mit Menschen die durch das Labyrinth der Umkleidekabinen die Duschen suchen. Nichts mehr mit gemütlich Zeit im Schwimmbecken verbringen, ich bin nur froh als nach 10 Minuten anstehen der erste Wasserstrahl über meine Haut schießt. Dann nur noch raus aus der dampfend schwitzenden Enge, ich brauch Luft.

Marathon ist und bleibt meine Lieblingsdistanz. auch wenn der Rennsteig mein Lauf ist. Nächstes Jahr werde ich wieder Thüringer Luft atmen, so nah dran hab ich sein rufen nur allzu deutlich gehört!

Kinders ich bin seit dem Lauf nicht wieder gejoggt, werde sicher wieder anfangen, locker auf den nächsten M hin trainieren. Die Zeiten wo ich damit mein fehlendes Selbstwertgefühl ersetzt habe sind nun endgültig vorbei.
So freu ich mich auf den nächsten Marathon und dann flieg ich wieder ins Ziel, versprochen!

Verfasst: 27.05.2007, 11:15
von Laufschnecke
Hi Spike,

ein leidensvoller Marathon aber klasse dass du dich bis ins Ziel gequält hast. Respeckt vor deinem Kampfgeist. Viele hätten aufgegeben aber du nicht.

Wünsche gute Besserung
Gruß Laufschnecke

Verfasst: 27.05.2007, 13:39
von Marienkäfer
Was für ein emotionaler und spannender Bericht, man leidet richtig mit. Toll dass und wie du durchgehalten hast! :daumen:

:hallo:


Vaseline haben die Sanis also auch nicht. Wie ich schon mal erfahren mußte, haben sie auch kein Kühlgel oder Eisspray :sauer: - was machen sie eigentlich?

Verfasst: 27.05.2007, 15:59
von Martinwalkt
lang nichts mehr von dir gehört spike und jetzt mal ein langer bericht , Danke

und mach es einfach wie ich: Immer eine minipackung vaseline beim marathon und länger mitnehmen.

Verfasst: 27.05.2007, 18:35
von oLi
Hallo Spike,

ein Doppel-Plus für diesen Kämpferbericht!

Ehrlich und schonungslos, mit dem unbedingten Willen zum Erfolg. Das macht einen Marathoni aus, vor allem, wenn er "von ganz unten" wieder anfängt.
Hat wirklich was von Rocky an sich. Und am Ende gibt's die Siegerfanfare.

Herzlichen Glückwunsch zum bestandenen Wiedereinstieg und vor allem zur überstandenen Sinnkrise.

Freu mich schon, weitere Berichte von Dir zu lesen.
oLi