Wo laufen sie denn - mein zweiter Ultra
Verfasst: 27.09.2007, 11:54
Sonntagmorgen, halb sieben. Heute wird geerntet, was ich in den letzten 3 Monaten trainiert habe. Mein Coach bereitet mir ein opulentes Frühstück. Da ich feststellen mußte, daß weder Menge noch Bestandteile des Frühstücks irgendeinen Einfluß auf meine Magenprobleme während des Marathons haben, will ich wenigstens nicht Hunger leiden
. Also genehmige ich mir als Aperitif ein Glas Kombucha (guter Jahrgang, mild, kein Abgang), als Hauptgetränk den obligatorischen Liter grünen Tee, gefolgt von einem Glas Orangensaft als Digestif. Das Menü wird eröffnet mit einem Glas selbstgemachten Soja-Joghurts, gefolgt von einer Schale Dinkelgrütze in Sojamilch und meiner Geheimwaffe: eine Schale Reis mit Salz. Nochmal kurz entspannen, dann suche ich meine sieben Sachen zusammen und mache mich landfein.
Denn heute geht's aufs Land, genauer gesagt in die Schorfheide, zu meinem 15. Marathon. In der Schorfheide bin ich schon als Steppke durch den Wald getigert, habe Schützenlöcher und russische Namen an den Buchen untersucht, mich mal ein paar Kilometer verlaufen und die eine oder andere Heidelbeere vernascht. Kann also nichts schiefgehen, die Ecke kenne ich
. Dachte ich.
Pünktlich eine halbe Stunde vor dem Start komme ich in Altkünkendorf an. Auf dem Weg hierher sehe ich ab und zu den Wolletzsee durch die Bäume blitzen. Einmal um den See rum, das sollte doch zu schaffen sein. Ich pelle mich aus der Jogginghose, trage unten kurz und oben lang (es war doch etwas kalt diese Woche
), stopfe Taschentücher (falls es mich wieder wie am Tollensesee erwischt
), Geld (für das Powergel, das ich vergessen habe zu kaufen), Salz und den Autoschlüssel in die Gesäßtasche und mache mich auf den Weg zum unangenehmen Örtchen. Erleichtert hole ich meine Startnummer ab und freue mich über das Tütchen Powergel in der Startertüte. Nochmal Glück gehabt, denn zu kaufen gibt es außer Würstchen und Kuchen nichts und beides macht sich etwas schlecht, um es während der 42195 Meter mitzuschleppen.
Am Start sehe ich einige Läufer aus meiner früheren, bescheidenen Laufanfängerzeit (ups, ist ja schon 18 Jahre her), auch den Vorjahressieger vom Marathon. Nur Semifax sehe ich erstmal nicht. Es ist halb elf, eigentlich sollte es jetzt losgehen, aber außer mir stehen nur wenige Läufer im Startbereich, die meisten kommen gerade erst vom Umziehen. 20 Minuten später erklärt uns der Veranstalter, daß die Strecke geändert wurde, da sie im letzten Jahr nur 42 Kilometer kurz war. Dafür ist sie dieses Jahr 260 Meter zu lang. Also traben wir alle locker vom Start aus 260 Meter zu einer virtuellen Startlinie, die Zeitmessung wird per Funk gestartet und schon geht es los. Da beim Marathon relativ wenige mitlaufen, hat der ganze Wettkampf eher etwas von einem entspannten langen Sonntagslauf in der Laufgruppe. Chico, eine schwarze Promenadenmischung Marke Wischmopp begleitet die Gruppe und erregt den Ärger sämtlicher Dorfköter im Ort. Ich versuche, mein Lampenfieber in den Griff zu bekommen, irgendwie bin ich bei Wettkämpfen immer aufgeregt, egal, ob es um die schnellste Warteschlange im Supermarkt oder 42195 Meter in der kürzesten Zeit geht.
Die Aufregung und der Lauf werden abrupt unterbrochen, als wir nach 3 Kilometern an der ersten Verpflegungsstelle ankommen. Wir wären zu spät in den Wald abgebogen, sollten alle zurück zum Start, uns eine Stunde ausruhen und dann nochmal starten :eek:! Die meisten wollen das nicht glauben, manche sind stinksauer
. Langsam trabe ich mit Chico, seinem Herrchen und ein paar anderen Läufern, die sich ebenso schnell mit der Situation abgefunden haben, zurück zum Start. Nun gut, ich hatte heute eh nichts anderes vor und bin jetzt warmgelaufen. Der Veranstalter startet erstmal noch die anderen Läufe, dann kümmert er sich persönlich darum, daß die Streckenposten an der richtigen Stelle stehen. Und das kann dauern, mindestens eine halbe Stunde. Langsam fängt mein Magen an, zu knurren, kein Wunder, das Frühstück liegt 5 Stunden zurück. Die Durchsage, daß natürlich ab sofort die Verpflegung für die Marathonläufer bereit steht, sorgt für gute Stimmung. Ich habe noch keinen Läufer gesehen, der sich vor dem Marathon einen Teller Erbsensuppe reingezogen hat. Ich hole mir meine Banane aus dem Auto und esse die Hälfte, den Rest hebe ich lieber für weitere Zwischenfälle der komischen Art auf. Da ich noch Zeit habe, sehe ich mir die Dorfkirche an, die für den Lauf zur Umkleide umfunktioniert wurde. Auf dem Altar welken noch ein paar Blätter vom Erntedankfest vor sich hin und ich stelle mir vor, wie diese heilige Stätte heute mit der einen oder anderen nackten Tatsache konfrontiert wird
.
Endlich, 2 Stunden nach dem geplanten Start geht es los. Offensichtlich haben sich noch genug Unerschütterliche gefunden, die einen zweiten Start wagen wollen. Wieder das gleiche Spiel mit den 260 Metern, dann machen wir uns auf den Weg. Ich stelle fest, daß ich zu warm angezogen bin. Leider kann ich, im Gegensatz zu meinen männlichen Mitstreitern, nichts ausziehen und so schwitze ich vor mich hin und freue mich auf jede Verpflegungsstation. Die Mittagssonne brennt unbarmherzig vom Himmel, zum Glück laufen wir lange Strecken im Wald. Trotzdem habe ich Durst, mächtigen Durst. Bei den Temperaturen hätten sie mehr Wasserstellen einrichten sollen. Die Waldwege wechseln sich ab mit Schotterwegen, Sandmeeren und Kopfsteinpflaster. Es ist alles dabei, was des Läufers Fuß nicht begehrt. Was der Veranstalter diplomatisch mit "rauf und runter"gemeint hat, erfahre ich jetzt am eigenen Leibe. So hügelig hatte ich die Schorfheide garnicht in Erinnerung. Am vierten Berg dämmert es mir dann: wenn mich meine rudimentären Kenntnisse aus der Heimatkunde nicht täuschen, hat die Eiszeit hier einige Brocken vor sich hergeschoben und eine tolle Endmoräne zustandegebracht. Vielleicht hätte ich mir vorher mal das Streckenprofil ansehen sollen
.
Trotz der Berge läuft alles gut. Mein Magen läßt mich in Ruhe und ich wage sogar das Experiment und trinke etwas von dem isotonischen Getränk, das sie uns anbieten. Da bei diesem Lauf sowieso alles anders ist, kann ich mit den Experimenten auch gleich weitermachen und schütte mir am Verpflegungspunkt Wasser ins Gesicht. Das ist zwar jedes Mal wie eine kalte Dusche, aber es ist angenehm. An JEDEM Verpflegungspunkt sagt man mir, daß ich die zweite Frau wäre. Jaaahaaaa, ich weiß. Das ist bei 9 gemeldeten Teilnehmerinnen nicht sehr ungewöhnlich. Trotzdem beginnt sich ein Gedanke langsam in meinem Kopf festzusetzen: du könntest doch zur Abwechslung mal einen Marathon gewinnen. Der Größenwahn hat mich gepackt. Ich weiß nicht mal, ob ich diese Strecke überhaupt überleben werden, aber wenn, dann wenigstens als schnellste Frau
. Was mal wieder der Beweis dafür ist, daß beim Laufen logisches Denken schlichtweg unmöglich ist. Auf meine Polar schaue ich schon lange nicht mehr, ich will nicht wissen, daß meine HF bei 170 liegt oder wieviel Minuten ich pro Kilometer brauche. Einfach nur laufen. Vor jedem Berg atme ich tief ein und aus, bergab versuche ich,mich zu erholen. Das hat beim Rennsteig ganz gut geklappt.
Mittlerweile schmerzen meine Füße, die schlechten Wege fordern ihren Tribut. Außerdem tun mir die Knie weh, völlig unklar, warum. Dann schmerzt der Hintern vom Bergauflaufen. Und als ob das alles nicht schon genug wäre, kommt bei Kilometer 26 ein neuer Leidensweg. Quer übers Feld, auf einem steinigen, ansteigenden Sandweg in sengender Hitze. Langsam reicht es mir. Nur der nächste Läufer, den ich nach langem, einsamen Lauf mal wieder vor mir entdecke, zieht mich über diese Tortour. Noch weiter vorn sehe ich einen zweiten Läufer. Oder ist es eine Läuferin? Der Laufstil sieht sehr weiblich aus. Egal, wieder rein in den Wald, welch eine Wohltat. Nach etlichen Bergen, Schotterwegen, Wurzeln, Sand und 29 Kilometern hab ich sie endlich, die ERSTE Frau auf der Strecke
. Keine Ahnung, wo ich die Energie herhole, aber ich schaffe es, sie zu überholen und denke, nichts wie weg hier, sieh zu, daß du Land gewinnst. Ich baue meinen Vorsprung aus, sicher ist sicher, wer weiß, ob sie 5 Kilometer vorm Ziel nicht noch zum Greifschen Endspurt ansetzt und sich revanchiert. Die Strecke geht jetzt direkt am See entlang, auf einem Waldweg, gespickt mit Wurzeln. Kein Problem, solche Wege kenne ich aus dem Schlaubetal. Andere haben weniger Übung - direkt vor mir haut es einen Läufer fast den Abhang runter. Ich frage, ob alles okay ist und biete ihm mein Pflaster an. Aber er ist sofort wieder auf den Beinen, sammelt sich kurz (ein) und folgt mir.
Zur Abwechslung geht es mal wieder übers Feld, diesmal sorgt gute Gülle für dicke Luft
. Ich kann kaum atmen. Am nächsten Streckenposten empfängt mich mein einziger Fan, der mir auch gleich erzählen muß, daß seine Mutti am nächsten Streckenposten steht. Ich bedanke mich höflich für die Wegweisung und richte seiner Mutti einen schönen Gruß vom Sohnemann aus. Nebenbei sammle ich noch zwei Läufer ein,oder waren es drei, oder vier? An den Verpflegungspunkten höre ich jetzt jedesmal, daß ich die erste Frau bin. Das ist mir auch schon aufgefallen. Und ich arbeite daran, daß das auch so bleibt. Aber bei Kilometer 36 ist der Tank leer. Die Beine sind wie Gummi, der Kreislauf fängt an zu streiken. Das sind exakt die 6 Kilometer vom Fehlstart, die mir jetzt fehlen. Mir fällt das Tütchen Powergel aus der Startertüte ein
, das ich natürlich mitgenommen habe. Zum Nachspülen nehme ich das Iso-Irgendwas-Getränk in der Tüte, das ich mir ab Kilometer 30 bei jedem zweiten Verpflegungspunkt schnappe. Ist zwar etwas unhandlich, aber so muß ich nicht an jedem Verpflegungspunkt anhalten und kann im Laufen trinken. Die nächsten zwei Berge gehe ich hoch, bis die Ressourcen wieder aufgeladen sind. Am nächsten Verpflegungspunkt sagt man mir, daß ich "doch noch richtig gut aussehe" - so charmant bin ich noch nie angeschwindelt worden. Bei Kilometer 40 kommt die letzte Gemeinheit: am Waldrand entlang über einen Ackerweg. Und das, wo die Sonne brennt und man sowieso kaum noch die Füße hochbekommt, um nicht über die Grassoden und Traktorfurchen zu stolpern.
Nee, das könnse jetzt aber nich ernst meinen, denke ich
. Der Weg will und will kein Ende nehmen. Dann taucht das Kilometerschild mit der großen 41 auf und es geht endlich wieder in den Wald. An der Strecke stehen jetzt vereinzelt Leute, man ist nicht mehr mit sich und der Strecke allein. Eine kleine Püppi, vielleicht 4 Jahre alt, ruft mit einer Ausdauer "Prima! Prima! Prima!". Ich bin zu Tränen gerührt, rappel mich nochmal auf und laufe über Kopfsteinpflaster auf die Kirche von Altkünkendorf zu. Da muß das Ziel sein. Fast wäre ich an der letzten Abbiegung vorbeigelaufen, aber eine Zuschauerin zeigt mir den Weg und so laufe ich locker ins Ziel, zumindest hoffe ich, daß es so aussieht. Der Jubel ist natürlich groß - die erste Frau ist angekommen. Und das auf dieser anspruchsvollen Strecke mit insgesamt 450 Höhenmetern! Nach 3 Stunden und 52 Minuten habe ich die Endmoräne bezwungen, wahrlich keine tolle Zeit, aber zum ersten mal nach fast 2 Jahren bin ich unter den 4 Stunden geblieben. Ich gebe meine Startnummer mit dem integrierten Chip ab, lasse mir gratulieren zum Sieg und will erst mal nur eines: Essen und Trinken! Diesmal ging es ganz schön an die (Stoffwechsel)Substanz und ich stürze mich auf Erbsensuppe, Iso-Getränk und Wasser. 3 Minuten später trifft die zweite Frau ein, die Vorjahressiegerin, wie ich jetzt erfahre.
Ich gratuliere ihr und sie erzählt mir, daß sie keine Chance gehabt hätte, mich einzuholen. Na, hätte ich das vorher gewußt, hätte ich mich nicht so beeilen müssen. Selbst Roland Winkler erzählt mir, daß er eigentlich an mir dranbleiben wollte, aber ich wäre so "abgezogen" auf den letzten Kilometern. Mit stolzgeschwellter Brust hole ich mir erstmal ein Bier, alkoholfrei, versteht sich. Wir warten auf die dritte Frau, um zur Siegerehrung schreiten zu können. Zwischendurch werden die Männer geehrt, der Sieger hat es in genau 3 Stunden geschafft. Kurz vor 17 Uhr ist dann die dritte Dame im Ziel und erklärt sich bereit und willens, sofort geehrt zu werden. Es gibt ein Shirt vom Lauf, ein Buch über Ausdauersport, ein Abo für die Laufzeit, eine Urkunde und einen großen Blumenstrauß, für mich. Der Veranstalter entschuldigt sich nocheinmal für den Fauxpas am Anfang und verspricht Besserung. Er gratuliert allen, die diese anspruchsvolle Strecke geschafft haben und dabei diese schöne Landschaft genießen konnten. Leider habe ich von der Landschaft nicht allzuviel gesehen, da ich ständig aufpassen mußte, wo ich hintrete. Aber die Ecke kenne ich ja! Mittlerweile sehr gut ....
Tja, und die Moral von der Geschicht? Man kann zur Abwechslung mal einen Marathon gewinnen, das motiviert mächtig gewaltig. Nur sollte man sich vorher mal die Zeiten ansehen, die die anderen in den Jahren davor gelaufen sind, oder wenigstens das Streckenprofil. Dann könnte man vielleicht vorher schon eine Ahnung haben, was das Wörtchen "anspruchsvoll" bedeutet. Außerdem könnte man die richtigen Schuhe einpacken, dann schmerzen auch nicht die Kniee. Vielleicht sollte man auch lange UND kurze Laufsachen einpacken, um sich beim Laufen nicht totzuschwitzen. Und etwas mehr Essen einpacken, für den Fall, daß es mal wieder länger dauert ....

Denn heute geht's aufs Land, genauer gesagt in die Schorfheide, zu meinem 15. Marathon. In der Schorfheide bin ich schon als Steppke durch den Wald getigert, habe Schützenlöcher und russische Namen an den Buchen untersucht, mich mal ein paar Kilometer verlaufen und die eine oder andere Heidelbeere vernascht. Kann also nichts schiefgehen, die Ecke kenne ich

Pünktlich eine halbe Stunde vor dem Start komme ich in Altkünkendorf an. Auf dem Weg hierher sehe ich ab und zu den Wolletzsee durch die Bäume blitzen. Einmal um den See rum, das sollte doch zu schaffen sein. Ich pelle mich aus der Jogginghose, trage unten kurz und oben lang (es war doch etwas kalt diese Woche


Am Start sehe ich einige Läufer aus meiner früheren, bescheidenen Laufanfängerzeit (ups, ist ja schon 18 Jahre her), auch den Vorjahressieger vom Marathon. Nur Semifax sehe ich erstmal nicht. Es ist halb elf, eigentlich sollte es jetzt losgehen, aber außer mir stehen nur wenige Läufer im Startbereich, die meisten kommen gerade erst vom Umziehen. 20 Minuten später erklärt uns der Veranstalter, daß die Strecke geändert wurde, da sie im letzten Jahr nur 42 Kilometer kurz war. Dafür ist sie dieses Jahr 260 Meter zu lang. Also traben wir alle locker vom Start aus 260 Meter zu einer virtuellen Startlinie, die Zeitmessung wird per Funk gestartet und schon geht es los. Da beim Marathon relativ wenige mitlaufen, hat der ganze Wettkampf eher etwas von einem entspannten langen Sonntagslauf in der Laufgruppe. Chico, eine schwarze Promenadenmischung Marke Wischmopp begleitet die Gruppe und erregt den Ärger sämtlicher Dorfköter im Ort. Ich versuche, mein Lampenfieber in den Griff zu bekommen, irgendwie bin ich bei Wettkämpfen immer aufgeregt, egal, ob es um die schnellste Warteschlange im Supermarkt oder 42195 Meter in der kürzesten Zeit geht.
Die Aufregung und der Lauf werden abrupt unterbrochen, als wir nach 3 Kilometern an der ersten Verpflegungsstelle ankommen. Wir wären zu spät in den Wald abgebogen, sollten alle zurück zum Start, uns eine Stunde ausruhen und dann nochmal starten :eek:! Die meisten wollen das nicht glauben, manche sind stinksauer


Endlich, 2 Stunden nach dem geplanten Start geht es los. Offensichtlich haben sich noch genug Unerschütterliche gefunden, die einen zweiten Start wagen wollen. Wieder das gleiche Spiel mit den 260 Metern, dann machen wir uns auf den Weg. Ich stelle fest, daß ich zu warm angezogen bin. Leider kann ich, im Gegensatz zu meinen männlichen Mitstreitern, nichts ausziehen und so schwitze ich vor mich hin und freue mich auf jede Verpflegungsstation. Die Mittagssonne brennt unbarmherzig vom Himmel, zum Glück laufen wir lange Strecken im Wald. Trotzdem habe ich Durst, mächtigen Durst. Bei den Temperaturen hätten sie mehr Wasserstellen einrichten sollen. Die Waldwege wechseln sich ab mit Schotterwegen, Sandmeeren und Kopfsteinpflaster. Es ist alles dabei, was des Läufers Fuß nicht begehrt. Was der Veranstalter diplomatisch mit "rauf und runter"gemeint hat, erfahre ich jetzt am eigenen Leibe. So hügelig hatte ich die Schorfheide garnicht in Erinnerung. Am vierten Berg dämmert es mir dann: wenn mich meine rudimentären Kenntnisse aus der Heimatkunde nicht täuschen, hat die Eiszeit hier einige Brocken vor sich hergeschoben und eine tolle Endmoräne zustandegebracht. Vielleicht hätte ich mir vorher mal das Streckenprofil ansehen sollen

Trotz der Berge läuft alles gut. Mein Magen läßt mich in Ruhe und ich wage sogar das Experiment und trinke etwas von dem isotonischen Getränk, das sie uns anbieten. Da bei diesem Lauf sowieso alles anders ist, kann ich mit den Experimenten auch gleich weitermachen und schütte mir am Verpflegungspunkt Wasser ins Gesicht. Das ist zwar jedes Mal wie eine kalte Dusche, aber es ist angenehm. An JEDEM Verpflegungspunkt sagt man mir, daß ich die zweite Frau wäre. Jaaahaaaa, ich weiß. Das ist bei 9 gemeldeten Teilnehmerinnen nicht sehr ungewöhnlich. Trotzdem beginnt sich ein Gedanke langsam in meinem Kopf festzusetzen: du könntest doch zur Abwechslung mal einen Marathon gewinnen. Der Größenwahn hat mich gepackt. Ich weiß nicht mal, ob ich diese Strecke überhaupt überleben werden, aber wenn, dann wenigstens als schnellste Frau

Mittlerweile schmerzen meine Füße, die schlechten Wege fordern ihren Tribut. Außerdem tun mir die Knie weh, völlig unklar, warum. Dann schmerzt der Hintern vom Bergauflaufen. Und als ob das alles nicht schon genug wäre, kommt bei Kilometer 26 ein neuer Leidensweg. Quer übers Feld, auf einem steinigen, ansteigenden Sandweg in sengender Hitze. Langsam reicht es mir. Nur der nächste Läufer, den ich nach langem, einsamen Lauf mal wieder vor mir entdecke, zieht mich über diese Tortour. Noch weiter vorn sehe ich einen zweiten Läufer. Oder ist es eine Läuferin? Der Laufstil sieht sehr weiblich aus. Egal, wieder rein in den Wald, welch eine Wohltat. Nach etlichen Bergen, Schotterwegen, Wurzeln, Sand und 29 Kilometern hab ich sie endlich, die ERSTE Frau auf der Strecke

Zur Abwechslung geht es mal wieder übers Feld, diesmal sorgt gute Gülle für dicke Luft


Nee, das könnse jetzt aber nich ernst meinen, denke ich

Ich gratuliere ihr und sie erzählt mir, daß sie keine Chance gehabt hätte, mich einzuholen. Na, hätte ich das vorher gewußt, hätte ich mich nicht so beeilen müssen. Selbst Roland Winkler erzählt mir, daß er eigentlich an mir dranbleiben wollte, aber ich wäre so "abgezogen" auf den letzten Kilometern. Mit stolzgeschwellter Brust hole ich mir erstmal ein Bier, alkoholfrei, versteht sich. Wir warten auf die dritte Frau, um zur Siegerehrung schreiten zu können. Zwischendurch werden die Männer geehrt, der Sieger hat es in genau 3 Stunden geschafft. Kurz vor 17 Uhr ist dann die dritte Dame im Ziel und erklärt sich bereit und willens, sofort geehrt zu werden. Es gibt ein Shirt vom Lauf, ein Buch über Ausdauersport, ein Abo für die Laufzeit, eine Urkunde und einen großen Blumenstrauß, für mich. Der Veranstalter entschuldigt sich nocheinmal für den Fauxpas am Anfang und verspricht Besserung. Er gratuliert allen, die diese anspruchsvolle Strecke geschafft haben und dabei diese schöne Landschaft genießen konnten. Leider habe ich von der Landschaft nicht allzuviel gesehen, da ich ständig aufpassen mußte, wo ich hintrete. Aber die Ecke kenne ich ja! Mittlerweile sehr gut ....
Tja, und die Moral von der Geschicht? Man kann zur Abwechslung mal einen Marathon gewinnen, das motiviert mächtig gewaltig. Nur sollte man sich vorher mal die Zeiten ansehen, die die anderen in den Jahren davor gelaufen sind, oder wenigstens das Streckenprofil. Dann könnte man vielleicht vorher schon eine Ahnung haben, was das Wörtchen "anspruchsvoll" bedeutet. Außerdem könnte man die richtigen Schuhe einpacken, dann schmerzen auch nicht die Kniee. Vielleicht sollte man auch lange UND kurze Laufsachen einpacken, um sich beim Laufen nicht totzuschwitzen. Und etwas mehr Essen einpacken, für den Fall, daß es mal wieder länger dauert ....