New York Marathon 2003 – Der Lauf meines Lebens
Verfasst: 16.11.2003, 22:27
Angefangen hat es vor genau 1. Jahr – im November 2002. Ich beschloß damals mit dem Laufen zu beginnen, da mich durch meine sitzende Tätigkeit oft Rückenschmerzen plagten und ich mir durch die Bewegung etwas mehr Linderung versprach. Im Alter von 5 Jahren hatte ich mit dem Fußball spielen begonnen und habe mit 20 damit aufgehört. Mehr als 4 Jahre hatte ich dann gar keinen Sport getrieben. Nun sollte es also wieder losgehen.
Bereits nach einem Monat regelmäßigem Laufens habe ich mich dafür entschlossen für den New York Marathon zu trainieren, damit wollte ich Freunde des FDNY unterstützen und Spenden sammeln, die ich nach meiner Zielankunft an Billy Green überreichen wollte. Billy Green hat den 11. September 2001 überlebt – 4 Kameraden seiner Schicht nicht. Nun sammelt er Spenden für die Kinder seiner Freunde und meine Freundin Mira und ich helfen ihm dabei – www.fdnyengine6.org !
Nun aber los. Nach einer langen Vorbereitung, Knieproblemen, Leistungsdiagnostiken, Besuchen bei Orthopäden usw. stehe ich nun heute am Start des ING NYC Marathon 2003. Vor 20 Minuten sind wir auf dem Gelände direkt vor der Verranzano Bridge abgesetzt wurden. Der Busfahrer hatte sich zuerst noch mehrmals verfahren und wir ahnten schon schlimmes, doch nun habe ich es geschafft. Dank der bis dato sehr guten Organisation der mehr als 12.000 freiwilligen Helfer stehe ich im Block der „blauen Läufer“ mit der Startnummer 33356. Ich hatte mich in Deutschland mit einer vorgenommenen Zielzeit von 04:30:00 angemeldet – mein ERSTER Marathon meines Lebens!
Ich habe meine Tasche mit den Kleidungsstücken am UPS Wagen Nr. 61 bereits mehr als 1 Stunde vor Startbeginn abgegeben, nun trage ich nur noch einen alten Pulli, den ich beim Startschuß wegschmeißen wollte. Vor den Toiletten hatten sich lange Schlangen gebildet und ich nutze bereits eines der Klos, um noch unnötigen Ballast loszuwerden. Das war gerade rechtzeitig, denn jetzt ist der Andrang bereits riesig. Ich trinke jetzt auch kaum noch was, da auf Tö bereits alles gut hydriert aussah und ich mich nun völlig losgelöst auf den Start konzentrieren wollte. Ich laufe die Straße auf und ab, möchte in Bewegung bleiben. Überall sitzen die Läufer, einige Konzentriert, andere blödeln mit Ihren Laufpartnern herum. Ich versuche locker zu bleiben. Überall stehen die Toilettenhäuschen und es ist jetzt bereits kaum noch vor Gestank auszuhalten. Von der so berüchtigten kilometerlangen Pinkelrinne ist nichts zu sehen. Darauf hatte ich mich doch so gefreut, aber sie scheint abgeschafft worden zu sein.
Ich fühle mich gut und lege jetzt schnell meinen Pullover ab, es sind zwar noch 30 Minuten bis zum offiziellen Start des Hauptfeldes, aber ich will lieber nichts verpassen. Es ist sehr warm und das im November. So um die 22° C und die Sonne scheint. Auf einmal setzt sich eine Menschenmasse in Bewegung. „Wo kommen die denn jetzt alle her“, frage ich mich noch und dann lasse ich mich mitreißen. Der ein oder andere nutzt die Zeit, um auf eine der freigewordenen Toiletten zu eilen, andere setzten sich ebenfalls mit mir in Bewegung. Irgendwer hat den Anfang gemacht, jetzt tippeln wir im Entenmarsch zum Start. Die Startlinie kann ich jetzt noch nicht sehen. Wir müssen da vorne wohl noch um die Ecke, denn die riesige Brücke befindet sich in meinem Rücken. Ich höre Menschen jubeln und andere klatschen vor mir in die Hände. Ich versuche ruhig zu bleiben, meine Pulsuhr im Blick: 89 Schläge/Minute! Eigentlich habe ich sie auch nur für das Stoppen der Zeit dabei. In dem Jahr der Vorbereitung habe ich immer besser gelernt auf meinen Körper zu hören und ich habe mich nur selten getäuscht. Mehr Angst, als vor einem zu schnellen Lauf, habe ich vor Seitenstechen, doch auch hier habe ich viele Taktiken in meinen Trainingsläufen erlernt und weiß, wie ich sie in den Griff bekommen kann.
Die Straße vor mir ist übersäht mit Kleidungsstücken, leeren Trinkbechern, Essen und was man noch alles so mitschleppt. Die Busse, mit denen wir angekommen sind zeigen uns den Weg zum Start; sie wurden extra so aufgestellt! Noch einmal um die Ecke da vorne, links in Richtung Brücke. Da ist sie nun zu sehen. Wir beginnen bereits zu laufen und ich habe das erste Mal den freien Blick auf die Verranzano Brücke. Eigentlich sehe ich nur Menschen und das überwältigt mich total. Da vorne kann ich die Startlinie erkennen. Ich versuche in den „Tritt“ zu kommen. Von den Bussen schallt Musik und was könnte besser passen als „New York, New York“ von Frank Sinatra? Wir fangen an mitzusingen und wie er es schon vorsingt, hilft es mir bereits jetzt den ersten Schritt auf die offizielle Laufstrecke zu setzen. „Wenn Du es hier schaffen kannst, dann kannst Du es überall schaffen“, so singt Frank und ich nehme es mit auf die 26.2 Meilen des New York Marathon.
Gänsehaut fährt mir die ganze Zeit über den Rücken und in all der Euphorie vergesse ich fast meine Stoppuhr in Gang zu bringen. Naja, es sich sicher erst 5-6 Sekunden seit dem Überschreiten der Startlinie vergangen, also ist noch nichts verloren. Hoffentlich klappt alles mit dem Time-Chip!? Bereits in Deutschland hatte ich mich dazu entschlossen meine Digicam mitzunehmen. Ich hatte sie mir hauptsächlich für den Lauf gekauft, denn ich wollte es im Bild festhalten. Dafür war die Casio Exilim S2 der genau richtige Partner: klein, schmal und sehr leicht!
Ich sehe die Menschen vor mir auf der Brücke, schmeiße noch einen Blick zurück – auch alles voll mit Menschen. Unter uns laufen die Starter mit den roten Nummern auf der zweiten Ebene der Brücke. Ich hole die Cam aus der Tasche und schieße das erste Bild. Ich fühle mich super gut und falle in einen gemütlichen Schritt. Nur nicht zu schnell angehen, ankommen ist mein Ziel. Jeder Idiot kann zu schnell loslaufen – der bin ich aber nicht! Ich brauche mich aber auch nicht künstlich zurückhalten, denn das Feld bewegt sich in einem guten Tempo zum eingewöhnen. Über der Brücke schweben Hubschrauber und ich denke an meine Freundin, die noch auf dem Hotelzimmer sitzt, geplagt von Kopfschmerzen verfolgt sie den Lauf am Fernseher, um sich gegen 11:15 Uhr mit Teilnehmern unserer Reisegruppe an die Strecke zu begeben, unter anderem um Herbert Steffny anzufeuern, welcher in der M50 Klasse startet und zu unserem Reisebegleiter Team von interair gehörte. Er hämmerte uns den Spruch mit dem Idioten, auf dem Willkommenstreffen ein. Ich habe ihn behalten.
Nun bin ich am höchsten Punkt der Brücke angekommen und ich habe freien Blick auf das Feld vor und hinter mir: atemberaubend! Der Blick nach links zeigt in doch einiger Entfernung die Skyline von Manhattan und weißt mir den Weg. Ich habe keine Angst vor der Entfernung. Ich bin heute das 4 Mal in meinem Leben in New York und ich fühle mich hier „Sau-Wohl“. Zudem wartet meine Freundin im Zielbereich auf mich und ich will sie wieder sehen. Ich fühle mich also motiviert und mit den Spenden im Gepäck bewegen wir uns auf Brooklyn zu. In den anderen 4 Stadtteilen war ich so gut wie noch gar nicht, nun habe ich endlich mal die Zeit dafür und ich werde sie mir auch nehmen. Bereits kurz hinter der Brücke kann ich Menschen am Straßenrand sehen. Sie halten Schilder in der Hand auf denen „Welcome to Brooklyn“ steht. Sie klatschen, schreien und freuen sich einfach. Es müssen bereits mehr als 20.000 Läufer diesen Streckenteil passiert haben, doch der Jubel der Zuschauer ist Beispielhaft und push“t“ ohne Ende. Ich freue mich über die Herzlichkeit, mit der wir empfangen werden und laufe mit einem breiten Grinsen weiter, die Kamera immer am Anschlag, auf der Suche nach schönen Motiven.
Auf der Brücke hatte ich die „1-Meilen-Markierung“ übersehen, doch nun kam schon die für Meile 2. Wir haben bis hierher 22 Minuten benötigt, also rund 11 pro Meile. 10 Minuten wollte ich laufen, also war ich zumindest nicht zu schnell angegangen und somit wiederum kein IDIOT! Ich freue mich also weiter und schnappe mir an der ersten Station zwei Becher Wasser, einen für den Durst und den anderen für den Kopf. Das tut gut und ich setzte meinen Lauf fort. Ich bin mir noch nicht ganz schlüssig, wo ich auf der Strasse laufen soll. Zu dicht an den Zuschauen verleitet mich sicher immer dazu „abzuklatschen“, doch mit der Kamera in der rechten Hand wäre das nicht möglich. Entscheide mich also für die rechte Straßenseite, jedoch etwas zur Mitte hingezogen, somit bin ich auch in greifbarer Nähe zu den Versorgungspunkten, die jede Meile aufgebaut sind. Meine Blicke schweifen von links nach rechts, ich schaue mir die begeisterte Menge an und wünsche mir, dass sie mich so ins Ziel tragen (hier sei nebenbei erwähnt, dass sie das auch taten – danke dafür, das Publikum an der Strecke ist der helle Wahnsinn). Ich spule eine nach der anderen Meile ab. An jeder Versorgungsstation nehme ich mir Wasser, für mich und den Kopf. Ab und zu ist auch ein Gatorade drin, ein bisschen Geschmack tut mir ganz gut. Wir laufen an kleinen Häusern vorbei, so untypisch für New York, doch so typisch für die USA. Gerade ist ein Läufer auf eine Treppe gelaufen und hat sich dort mit einem Fan fotografieren lassen. Ich hätte auch gerne ein paar dieser Andenken für mich gehabt, doch ich muß mich immer wieder dazu zwingen mich auf das Laufen zu konzentrieren. Zwischendurch mache ich immer wieder Bilder von den Menschen.
An der nächsten Kreuzung kann ich das erste Feuerwehrfahrzeug des FDNY erkennen. Das FDNY hat seine eigene Läufergruppe und stolz haben sich die Kameraden mit Bannern und Plakaten an der Strecke postiert. Den Leiterwagen an die Kreuzung gefahren und die Leiter auf die Mitte der Kreuzung geschwenkt. Im Korb der Leiter stehen 4 Feuerwehrmänner und warten auf ihren Kameraden. Knips – schnell ein Bild von ihnen gemacht und dann um die Ecke. Bevor wir über den East River nach Manhattan rein laufen, kommen wir in den zweiten Stadtteil Queens. Der Übergang muß irgendwo fließend von statten gegangen sein, denn ich konnte ihn nicht erkennen. Auf einmal bemerke ich eine völlig andere Stimmung. Ich fühle mich noch immer topfit. Es sind ca. 10 Meilen gelaufen, die 10 km Marke habe ich bei 01:07:49 passiert, beim Eberlauf in Vorsfelde war ich meinen ersten 10-km Wettkampf in 00:49:57 gelaufen, wir sind also langsam unterwegs. Doch immer mehr merke ich, dass eine Zielzeit nicht mehr von Interesse ist und ich beschließe nun, mich auf die Kulisse zu konzentrieren, die Zeiten will ich nur noch obligatorisch dokumentieren. Nun noch einmal zur Stimmung in diesem Abschnitt. Auf einmal sehe ich an den Straßenseiten nur noch wenige Zuschauer, doch diese sind alle in schwarz gekleidet, tragen Hüte, unter denen lange Locken hervorschauen. Wir laufen durch ein Jüdisches Viertel und ich kann die Blicke nicht von den Menschen lassen. Ich sehe keine Jungs auf der Strasse, stattdessen fallen mir kleine Mädchen auf, die alle die gleichen gestrickten Kleider tragen. Hier bestätigt sich noch einmal da, was ich aus Manhattan bereits kenne. Die Vielfalt der Menschen und Rassen macht diese Stadt so einzigartig. Hier trifft sich die Welt! Ich knipse noch das eine und andere Bild und schon hat sich das Gesicht der Strassen wieder geändert. Nun stehen nur noch Afro-Amerikaner an der Straße. Sie haben aus Mülltonnen Schlagzeuge gebaut und trommeln und mit Krach in die richtige Richtung. Es dröhnt in meinen Ohren und ich will schnell weiter.
Ich trabe langsam weiter und wir kommen auf eine breite Strasse zu, die Häuser links und rechts stehen etwas zurückgesetzt. Ich sehne mich nach etwas frischem, war schon ein paar Meilen vorher kurz davor etwas Süßes eines Zuschauers anzunehmen, doch war mir dann nicht schlüssig. Jetzt fehlt mir etwas zum Erfrischen. Es liegen Bananenschalen, Orangen- und Zitronenstücken auf der Strasse unter mir. Leider ist den Verpflegungsständen wohl das Obst ausgegangen, denn ich laufe zur Zeit wohl so an Stelle 20.000 und dafür hat es wohl nicht mehr gereicht. Ich richte meinen Blick wieder auf und denke nicht weiter drüber nach, es muß auch so gehen und ich wäre mir nicht einmal sicher, ob mein Magen die Säure überhupt vertragen hätte. Wir laufen auf eine Überführung zu. Wieder fangen einige an langsamer zu werden und fallen vom Lauf- in den Gehschritt zurück. Ich bahne mir meinen Weg und weiche ganz nach rechts an den Rand der Fahrbahn aus. Es ist nur ein kurzer Berg-an-Lauf, doch da ich Berge beim Laufen mag, schadet es mir nicht, macht mir sogar noch spaß, da ich meine Beinmuskeln anders belasten kann. Bereits im Training bin ich bei den kleinen Hügeln rings um meinen Ort stets schneller geworden.
Ich bin also auf der Überführung und drehe meinen Kopf nach rechts. Die Skyline von Manhattan breitet sich vor mir aus und wir laufen bereits auf Höhe des Empire State Building, d.h. 32. Strasse. Wir werden über die Queensborough Bridge nach Manhattan reinlaufen und diese liegt auf Höher der 57. Strasse, es ist also nicht mehr weit. Gerade dachte ich aber auch noch, dass die Überführung bereits Teil der Brücke dorthin wäre, doch wie ich jetzt sehen kann, habe ich mich da getäuscht. Ich laufe auf zwei Läufer auf, ca. jeweils um die 50 und schon mit einem ziemlich schweren Schritt unterwegs. Ich fühle mich noch immer gut, freue mich aber auch schon auf die Verpflegungsstation mit den Gels bei Meile 18. Etwas spät, aber ich werde mir zumindest eines einstecken. Nun zurück zu den beiden Läufern, denn um die beiden Herren tänzelt die ganze Zeit eine drahtige Frau mit Videokamera in der Hand und dreht, und dreht, und dreht. Ziemlich locker die Gute...
Ich hatte mich doch nicht getäuscht. Wir sind noch einmal schnell von der Überführung nach unten gelaufen doch es geht gleich wieder hoch. Nun liegt sie mir zu Füßen. Da vorne müssen wir nur noch links abbiegen. Die Menschen stapeln sich förmlich in dieser Kurve. Ich hole weit aus, als wollte ich den Schwung der langen Linkskurve mit auf die Brücke nehmen. Hier läuft keine mehr, so weit außen wie ich! Auf der Ideallinie befinde ich mich definitiv nicht. Wieder das gleiche Bild. Aus dem Lauf- in den Gehschritt und dieses Mal mehr als die Hälfte der Läufer. Viele sind am Pusten und auch ich merke die Anstrengung das erste Mal in meinen Beinen. Bis hierher hatte ich keine Probleme, wenn man mal von den üblichen Problemen im Knie absieht, aber nach mehr als 15 Meilen, bin ich sozusagen TopFit und freue mich auf den ersten Einlauf nach Manhattan. Dort ist bestimmt der Bär los, was man hier auf der Brücke nicht behaupten kann. Wir sind alleine!! Keine Zuschauer und nur die eine Brückenseite ist geöffnet. Wir laufen an einer Person vorbei, die scheinbar Probleme mit dem Kreislauf hat, doch es haben sich schon einige Läufer gefunden, die ihr helfen. Ich laufe weiter, noch immer habe ich die beiden Herren und die Kameradame vor mir. Jetzt kommt auch schon ein Helfer mit einem Erste Hilfe Koffer gelaufen. Einigen Läufern geht es auf unserer Seite zu langsam und sie steigen auf die andere, freie Seite, doch patrollierende Polizisten pfeifen sie zurück auf die freigegebene Seite. Den höchsten Punkt habe ich nun geschafft und noch immer kommt es mir unheimlich vor, der Beifall der tausenden Zuschauer fehlt und einige in meiner Nähe versuchen sich lautstark gegenseitig anzufeuern. Wir laufen jetzt bergab und ich muß zugeben, es tut mir gut. Ich bin im Training nie mehr als 32 km am Stück gelaufen und dieser Marke werde ich mich bald nähern. Ich kann schon das Ende der Brücke sehen, dort stehen wieder so viele Menschen und ich höre bereits den Beifall, das Schreien – wir sind in Manhattan. Ich laufe wieder ganz außen, den längsten Weg, aber ich will mir jetzt neuer Kraft bei den Zuschauern holen. Die Kamera habe ich in die linke Hand genommen und ich klatsche zwei, drei Personen ab und muß mich ein wenig zügeln, nicht den Helden aus Queens zu spielen, man sieht mir sicher an, dass wir schon einige Kilometer hinter uns haben. Meine HM-Zeit lag bei 02:27:36, in Nürnberg bin ich 01:56:32 gelaufen, war auch mein erster HM, doch wie schon erwähnt, Zeiten sind nun nicht mehr entscheidend.
Ich nehme mit vor konzentriert weiterzulaufen, denn irgendwo hier muß auch Mira an der Strecke stehen, aber auf welcher Seite?? Wir hatten keinen genauen Treffpunkt ausgemacht, das war wohl ein Fehler und auf meine Cola würde ich wohl verzichten müssen, auf die ich mich schon so sehr gefreut habe. Dennoch werde ich es versuchen, sie zu sehen. Irgendwo muß doch die Fahne von interair zu sehen sein.
Meile 18 – ich nehme ein paar Schlucke Gatorade und schnappe mir ein Gel. Ich wollte gerne Cola Geschmack haben, doch nach kurzer Diskussion mit der Helfer erfahre ich, dass auch diese bereits aus sind und ich Brombeere nehmen muß. Viele reißen es sofort auf und quetschen sich das Zeug in den Mund, doch sie haben kein Wasser zum Nachspülen dabei. Ich werde es bis zu nächsten Wasserstation in der Hand halten und erst kurz vorher einnehmen. Ich laufe, schon etwas geschwächte, zwischen den teilweise entleerten Gel-Tüten umher, trete teilweise auf noch volle Gels, die sich in weitem Bogen über die Strasse entleeren. Meine Freundin habe ich noch immer nicht gesehen. Ich laufe noch einen Block weiter und sehe, dass wir uns bereits auf Höhe der 91. Strasse befinden. Hier werde sie nicht mehr stehen, nur noch 10 Blöcke und wir laufen durch Harlem in die Bronx, den 5. Stadtteil unserer Tour. Die Zuschauer an der Strecke werden weniger. Die Häuser sind einfach und es ist nicht mehr mit Midtown oder gar Downtown zu vergleichen. Ich mache nur noch wenige Bilder, was nicht daran liegt, dass ich von dieser Gegend keine Bilder machen möchte, ich vergesse es immer öfter. Mein Blutzuckerspiegel ist wohl ziemlich stark abgefallen und ich muß mich wirklich bemühen klar denken zu können.
Viele Zuschauer sitzen nur noch regungslos am Straßenrand und es ist nicht mehr mit den Menschmassen auf der 1. Avenue zu vergleichen. Viele scheint der Marathon nicht zu interessieren und sie kreuzen die Straße ohne Rücksicht auf die Läufer, gerade hätte ich beinahe schon eine Frau mit ihrem Kind angerempelt. Ich setze meinen Lauf fort, die Karte des Weges im Kopf versuche ich mir einzureden, dass es nun nicht mehr weit ist. Noch 7 Meilen und ich habe auch das nur kurze Stück, welches wir durch die Bronx laufen vor Augen, doch leider kenne ich den Maßstab der Karte nicht und ich könnte mich über die Länge sehr täuschen. Schon wieder eine Brücke, sie kreuzt wieder den East River und bringt uns in die Bronx. Viele haben nach der letzten Brücke gar nicht mehr mit dem Laufen begonnen und auch hier staut es sich am Anfang wieder. Mein Puls liegt jetzt bei 143, gestartet war ich mit 130. Einige Zuschauer rufen, dass das nun die letzte Brücke ist. Ich denke kurz drüber nach, auch unter dem Gesichtspunkt, dass wir von der Bronx wieder nach Manhattan müssen, also Brücke, lasse ich mich davon nicht verwirren. Ich nehme jetzt jede Wasserstation mit, trinke immer nur noch ein paar Schlucke und kippe mir den Rest über den Kopf. Es ist noch immer sehr warm und mein Kopf fängt langsam an zu dröhnen. Das Wasser tut gut und bringt Linderung. Da vorne kann ich Rescue 3 sehen, ich erinnere mich an meine rechte Hand mit der Kamera, zücke diese und schieße ein Bild. Ich denke nur noch wenig, die Beine schmerzen, doch ich habe ein Ziel und das heißt ankommen und zwar im Laufschritt. Also Dennis: „Quäl Dich Du Sau“, und ich quäle mich. Quälen heißt bei mir, quälen im Kopf, die Beine werden es schon richten. Luft habe ich hier noch ohne Ende, doch wie schon gesagt, die Muskeln...
Es ist doch nur ein kurzer Ausflug in die Bronx gewesen. Wir laufen bereits schon wieder über eine kleine Brücke nach Manhattan rein, d.h. erst einmal wieder nach Harlem, direkt auf die 5. Avenue, die Strasse der Reichen und Nobelläden, doch hier ist davon nichts zu sehen. Ich lasse die Wasserstation bei Meile 21 aus. Ich habe keinen Durst mehr und ich wundere mich sowieso, warum ich in meinen Trainingsläufen immer mind. 1 oder 2 mal austreten musste und es hier gänzlich ausgeblieben ist, obwohl ich schon einen Wasserbauch haben müsste. Ist egal, kümmert mich nicht weiter, bin ich nämlich froh drüber und so viele Möglichkeiten habe ich auch nicht gesehen. Vor uns kann ich bereits Bäume sehen und ich freue mich auf den Central Park, aber warum müssen wir jetzt links laufen? Ich dachte immer, die 5. Avenue läuft direkt links am Central Park entlang, doch weit gefehlt. Hier wir die 5th einfach von einem kleinen Park unterbrochen und bis zum größten Park NYs sind es noch über eine Meile. Okay, ich nehme es gelassen und freue mich über die vielen Zuschauer, die sich hier wieder eingefunden haben und sicherlich auch schon ca. 4 Stunden Beifall klatschen und ihre Schilder hochhalten. Daumen hoch für Euch alle!!
Noch einmal Wasser und ein ganzen Becher Gatorade. Immer wieder sehe ich Läufer, die ich auch beim Start schon vor mir hatte. Auf einmal kreuzen Zwei meinen Weg. Beide in schwarz gekleidet, Mann und Frau, mein Alter und frisch verheiratet. Ich bin über die Leichtigkeit verwundert, mit der die Frau vor mir herläuft. Genau das kann ich jetzt gebrauchen, ich lasse mich ein bisschen ziehen und da sie zusammen laufen, schlagen sie eine Schneise, in der ich gut laufen kann. Habe auch kein schlechtes Gewissen, ist doch mein erster Marathon. Ich habe vergessen meinen Namen auf das Shirt zu schreiben und somit bleiben die Rufe: „You are looking good, Dennis“, „Good job, Dennis“ aus. Für das evtl. nächste Mal dann also ein Shirt mit meinem Namen, das steht fest! An der 101. Strasse beginnt der Central Park und ich fühle mich wieder gut. Herbert Steffny hatte uns davor gewarnt hier bereits einen kleinen Sprint bis ins Ziel einzulegen, da es im Park noch viele kleine Hügel gibt, die es auf den letzen Meilen ziemlich in sich haben sollen. Ich bleibe also bei meinem Tempo, 10 Minuten pro Meile!
Hier stehen auch die Zuschauer wieder sehr gedrängt und ich weiß, ich kann es jetzt schaffen. Die Läufer vor mir werden immer langsamer und es macht nun schon echt Mühe immer auszuweichen. Ich nehme es so, wie es ist und ich bin sehr erstaunt darüber, wie viele Menschen es doch bis hierher geschafft haben. Alle diese Läufer sind schon jetzt Gewinner, auch wenn sie hier aussteigen sollten. Wir sind schon verdammt weit gelaufen. Ich beschließe noch ein Bild zu machen, obwohl ich weiß und es unmittelbar auf dem kleinen TFT-Bildschirm der Kamera sehen kann, die Atmosphäre kann ich nicht einfangen. Die Bäume sind noch immer grün und hüllen die 5th Avenue zu einem Tunnel ein, durch den ich jetzt laufe. Bereits 2 Tage zuvor bin ich ab dem Guggenheim Museum die Meilen 24 und 25 im Central Park gelaufen, vielleicht hätte ich sie im schlimmsten Fall sonst am Marathon Sonntag gar nicht gesehen. Nun bin ich aber froh, bis hierher gekommen zu sein und der Rest wird ein Heimspiel. Wir biegen alle links in den Central Park. Auch hier - Menschen ohne Ende, als Läufer und auch Zuschauer. Wir werden noch einmal richtig ge"push"t und man kann es an den Gesichtern vieler Läufer sehen, ohne die Zurufe wären spätestens hier 3/4 ausgestiegen. Es ist hart und meine Beine schmerzen, doch ich will nicht langsamer werden. Nehme mir vor schneller zu werden, da ich im Training auch die Erfahrung gemacht habe, dann wieder etwas aufzulockern, ich belaste dann andere Muskeln.
Ich laufe viele Kurven, an die ich mich gar nicht mehr erinnern kann. Am Freitag kam mir noch alles so kurz vor und nun stelle ich mir echt die Frage, ob ich nicht doch wieder langsamer werden sollte, doch mein Schweinehund ist auf meiner Seite und ruft mal wieder: "Quäl Dich Du Sau!" Und Dennis quält sich. Am südlichsten Punkt des CP verlassen wir diesen wieder kurz und biegen rechts auf die 59. Strasse. Tosender Jubel umhüllt mich, man merkt, dass es dem Ende zugeht. Die Uhr habe ich noch im Blick, versuche mich aber mehr darauf zu konzentrieren nicht zu fallen, da hier die Straße ziemlich schlecht ist. Ich schaue kurz auf und neben mir läuft doch echt ein Läufer, der auf seiner Jacke "Fortuna Bösdorf" stehen hat. Bösdorf ist von dem Ort wo ich wohne gerade mal 5 km entfernt. Sollte ich mich irren und es gibt noch einen weiteren Ort in Deutschland mit dem gleichen Namen? Ich bin total überrascht, konzentriere mich aber so auf das Laufen, dass ich vergesse ihn anzusprechen und werde es wohl nicht mehr erfahren.
Das kurze Stück auf der 59. Strasse haben wir hinter und gebracht und ich laufe nun wieder mit den vielen anderen Läufern in den Central Park ein. Die ersten Schilder mit 500 m tauchen auf und ich weiß nun, gleich hat alles ein Ende. Ich kann endlich die Medaille in meinen Händen halten und werde der glücklichste Mensch sein. Werde ich das??? Links und rechts ziehen an mir die VIP-Tribünen vorbei und ich kann das Ziel bereits sehen. Schnell noch das eine oder andere Bild, auch von der Uhr, welche die Brutto Zeit festhält: 04:49:50! Ich gehe kurz in mich und denke: "Nur noch 10 Sekunden, dann sind 04:50:00 überschritten"! Ich behalte die Uhr im Blick, lege einen kurzen Sprint ein. Die Uhr noch immer im Griff reiße ich die Arme hoch und schaue in den Himmel. Ich habe es geschafft und bin eine von Euch - ein Finisher.
Nach dem Zieldurchlauf überfällt mich schnell die Ernüchterung, denn auf einmal ist alles vorbei. Ich nehme eine Alu-Decke entgegen, keine Medaille weit und breit. Bin ich hier etwa auch schon wieder zu spät, wie mit den Bananen? Ich komme schnell von dem Gedanken ab und denke an das vergangene Jahr. Vor ziemlich genau einem Jahr habe ich mit dem Laufen begonnen, Tonnen an Nudeln in mich reingefressen, drei Paar Schuhe ein- und kaputtgelaufen, die letzten 12 Wochen habe ich fast 700 km zurückgelegt, oft meine Freundin zuhause sitzen lassen, bei Nacht, Regen und Wind auf Feldwegen unterwegs, und nun ist das alles vorbei??? Ja, das ist es und ich bin schon dabei meinen nächsten Plan zu schmieden, denn London im Frühjahr würde mich auch sehr reizen....
[ Dieser Beitrag wurde von Distanza am 20.11.2003 editiert. ]
Bereits nach einem Monat regelmäßigem Laufens habe ich mich dafür entschlossen für den New York Marathon zu trainieren, damit wollte ich Freunde des FDNY unterstützen und Spenden sammeln, die ich nach meiner Zielankunft an Billy Green überreichen wollte. Billy Green hat den 11. September 2001 überlebt – 4 Kameraden seiner Schicht nicht. Nun sammelt er Spenden für die Kinder seiner Freunde und meine Freundin Mira und ich helfen ihm dabei – www.fdnyengine6.org !
Nun aber los. Nach einer langen Vorbereitung, Knieproblemen, Leistungsdiagnostiken, Besuchen bei Orthopäden usw. stehe ich nun heute am Start des ING NYC Marathon 2003. Vor 20 Minuten sind wir auf dem Gelände direkt vor der Verranzano Bridge abgesetzt wurden. Der Busfahrer hatte sich zuerst noch mehrmals verfahren und wir ahnten schon schlimmes, doch nun habe ich es geschafft. Dank der bis dato sehr guten Organisation der mehr als 12.000 freiwilligen Helfer stehe ich im Block der „blauen Läufer“ mit der Startnummer 33356. Ich hatte mich in Deutschland mit einer vorgenommenen Zielzeit von 04:30:00 angemeldet – mein ERSTER Marathon meines Lebens!
Ich habe meine Tasche mit den Kleidungsstücken am UPS Wagen Nr. 61 bereits mehr als 1 Stunde vor Startbeginn abgegeben, nun trage ich nur noch einen alten Pulli, den ich beim Startschuß wegschmeißen wollte. Vor den Toiletten hatten sich lange Schlangen gebildet und ich nutze bereits eines der Klos, um noch unnötigen Ballast loszuwerden. Das war gerade rechtzeitig, denn jetzt ist der Andrang bereits riesig. Ich trinke jetzt auch kaum noch was, da auf Tö bereits alles gut hydriert aussah und ich mich nun völlig losgelöst auf den Start konzentrieren wollte. Ich laufe die Straße auf und ab, möchte in Bewegung bleiben. Überall sitzen die Läufer, einige Konzentriert, andere blödeln mit Ihren Laufpartnern herum. Ich versuche locker zu bleiben. Überall stehen die Toilettenhäuschen und es ist jetzt bereits kaum noch vor Gestank auszuhalten. Von der so berüchtigten kilometerlangen Pinkelrinne ist nichts zu sehen. Darauf hatte ich mich doch so gefreut, aber sie scheint abgeschafft worden zu sein.
Ich fühle mich gut und lege jetzt schnell meinen Pullover ab, es sind zwar noch 30 Minuten bis zum offiziellen Start des Hauptfeldes, aber ich will lieber nichts verpassen. Es ist sehr warm und das im November. So um die 22° C und die Sonne scheint. Auf einmal setzt sich eine Menschenmasse in Bewegung. „Wo kommen die denn jetzt alle her“, frage ich mich noch und dann lasse ich mich mitreißen. Der ein oder andere nutzt die Zeit, um auf eine der freigewordenen Toiletten zu eilen, andere setzten sich ebenfalls mit mir in Bewegung. Irgendwer hat den Anfang gemacht, jetzt tippeln wir im Entenmarsch zum Start. Die Startlinie kann ich jetzt noch nicht sehen. Wir müssen da vorne wohl noch um die Ecke, denn die riesige Brücke befindet sich in meinem Rücken. Ich höre Menschen jubeln und andere klatschen vor mir in die Hände. Ich versuche ruhig zu bleiben, meine Pulsuhr im Blick: 89 Schläge/Minute! Eigentlich habe ich sie auch nur für das Stoppen der Zeit dabei. In dem Jahr der Vorbereitung habe ich immer besser gelernt auf meinen Körper zu hören und ich habe mich nur selten getäuscht. Mehr Angst, als vor einem zu schnellen Lauf, habe ich vor Seitenstechen, doch auch hier habe ich viele Taktiken in meinen Trainingsläufen erlernt und weiß, wie ich sie in den Griff bekommen kann.
Die Straße vor mir ist übersäht mit Kleidungsstücken, leeren Trinkbechern, Essen und was man noch alles so mitschleppt. Die Busse, mit denen wir angekommen sind zeigen uns den Weg zum Start; sie wurden extra so aufgestellt! Noch einmal um die Ecke da vorne, links in Richtung Brücke. Da ist sie nun zu sehen. Wir beginnen bereits zu laufen und ich habe das erste Mal den freien Blick auf die Verranzano Brücke. Eigentlich sehe ich nur Menschen und das überwältigt mich total. Da vorne kann ich die Startlinie erkennen. Ich versuche in den „Tritt“ zu kommen. Von den Bussen schallt Musik und was könnte besser passen als „New York, New York“ von Frank Sinatra? Wir fangen an mitzusingen und wie er es schon vorsingt, hilft es mir bereits jetzt den ersten Schritt auf die offizielle Laufstrecke zu setzen. „Wenn Du es hier schaffen kannst, dann kannst Du es überall schaffen“, so singt Frank und ich nehme es mit auf die 26.2 Meilen des New York Marathon.
Gänsehaut fährt mir die ganze Zeit über den Rücken und in all der Euphorie vergesse ich fast meine Stoppuhr in Gang zu bringen. Naja, es sich sicher erst 5-6 Sekunden seit dem Überschreiten der Startlinie vergangen, also ist noch nichts verloren. Hoffentlich klappt alles mit dem Time-Chip!? Bereits in Deutschland hatte ich mich dazu entschlossen meine Digicam mitzunehmen. Ich hatte sie mir hauptsächlich für den Lauf gekauft, denn ich wollte es im Bild festhalten. Dafür war die Casio Exilim S2 der genau richtige Partner: klein, schmal und sehr leicht!
Ich sehe die Menschen vor mir auf der Brücke, schmeiße noch einen Blick zurück – auch alles voll mit Menschen. Unter uns laufen die Starter mit den roten Nummern auf der zweiten Ebene der Brücke. Ich hole die Cam aus der Tasche und schieße das erste Bild. Ich fühle mich super gut und falle in einen gemütlichen Schritt. Nur nicht zu schnell angehen, ankommen ist mein Ziel. Jeder Idiot kann zu schnell loslaufen – der bin ich aber nicht! Ich brauche mich aber auch nicht künstlich zurückhalten, denn das Feld bewegt sich in einem guten Tempo zum eingewöhnen. Über der Brücke schweben Hubschrauber und ich denke an meine Freundin, die noch auf dem Hotelzimmer sitzt, geplagt von Kopfschmerzen verfolgt sie den Lauf am Fernseher, um sich gegen 11:15 Uhr mit Teilnehmern unserer Reisegruppe an die Strecke zu begeben, unter anderem um Herbert Steffny anzufeuern, welcher in der M50 Klasse startet und zu unserem Reisebegleiter Team von interair gehörte. Er hämmerte uns den Spruch mit dem Idioten, auf dem Willkommenstreffen ein. Ich habe ihn behalten.
Nun bin ich am höchsten Punkt der Brücke angekommen und ich habe freien Blick auf das Feld vor und hinter mir: atemberaubend! Der Blick nach links zeigt in doch einiger Entfernung die Skyline von Manhattan und weißt mir den Weg. Ich habe keine Angst vor der Entfernung. Ich bin heute das 4 Mal in meinem Leben in New York und ich fühle mich hier „Sau-Wohl“. Zudem wartet meine Freundin im Zielbereich auf mich und ich will sie wieder sehen. Ich fühle mich also motiviert und mit den Spenden im Gepäck bewegen wir uns auf Brooklyn zu. In den anderen 4 Stadtteilen war ich so gut wie noch gar nicht, nun habe ich endlich mal die Zeit dafür und ich werde sie mir auch nehmen. Bereits kurz hinter der Brücke kann ich Menschen am Straßenrand sehen. Sie halten Schilder in der Hand auf denen „Welcome to Brooklyn“ steht. Sie klatschen, schreien und freuen sich einfach. Es müssen bereits mehr als 20.000 Läufer diesen Streckenteil passiert haben, doch der Jubel der Zuschauer ist Beispielhaft und push“t“ ohne Ende. Ich freue mich über die Herzlichkeit, mit der wir empfangen werden und laufe mit einem breiten Grinsen weiter, die Kamera immer am Anschlag, auf der Suche nach schönen Motiven.
Auf der Brücke hatte ich die „1-Meilen-Markierung“ übersehen, doch nun kam schon die für Meile 2. Wir haben bis hierher 22 Minuten benötigt, also rund 11 pro Meile. 10 Minuten wollte ich laufen, also war ich zumindest nicht zu schnell angegangen und somit wiederum kein IDIOT! Ich freue mich also weiter und schnappe mir an der ersten Station zwei Becher Wasser, einen für den Durst und den anderen für den Kopf. Das tut gut und ich setzte meinen Lauf fort. Ich bin mir noch nicht ganz schlüssig, wo ich auf der Strasse laufen soll. Zu dicht an den Zuschauen verleitet mich sicher immer dazu „abzuklatschen“, doch mit der Kamera in der rechten Hand wäre das nicht möglich. Entscheide mich also für die rechte Straßenseite, jedoch etwas zur Mitte hingezogen, somit bin ich auch in greifbarer Nähe zu den Versorgungspunkten, die jede Meile aufgebaut sind. Meine Blicke schweifen von links nach rechts, ich schaue mir die begeisterte Menge an und wünsche mir, dass sie mich so ins Ziel tragen (hier sei nebenbei erwähnt, dass sie das auch taten – danke dafür, das Publikum an der Strecke ist der helle Wahnsinn). Ich spule eine nach der anderen Meile ab. An jeder Versorgungsstation nehme ich mir Wasser, für mich und den Kopf. Ab und zu ist auch ein Gatorade drin, ein bisschen Geschmack tut mir ganz gut. Wir laufen an kleinen Häusern vorbei, so untypisch für New York, doch so typisch für die USA. Gerade ist ein Läufer auf eine Treppe gelaufen und hat sich dort mit einem Fan fotografieren lassen. Ich hätte auch gerne ein paar dieser Andenken für mich gehabt, doch ich muß mich immer wieder dazu zwingen mich auf das Laufen zu konzentrieren. Zwischendurch mache ich immer wieder Bilder von den Menschen.
An der nächsten Kreuzung kann ich das erste Feuerwehrfahrzeug des FDNY erkennen. Das FDNY hat seine eigene Läufergruppe und stolz haben sich die Kameraden mit Bannern und Plakaten an der Strecke postiert. Den Leiterwagen an die Kreuzung gefahren und die Leiter auf die Mitte der Kreuzung geschwenkt. Im Korb der Leiter stehen 4 Feuerwehrmänner und warten auf ihren Kameraden. Knips – schnell ein Bild von ihnen gemacht und dann um die Ecke. Bevor wir über den East River nach Manhattan rein laufen, kommen wir in den zweiten Stadtteil Queens. Der Übergang muß irgendwo fließend von statten gegangen sein, denn ich konnte ihn nicht erkennen. Auf einmal bemerke ich eine völlig andere Stimmung. Ich fühle mich noch immer topfit. Es sind ca. 10 Meilen gelaufen, die 10 km Marke habe ich bei 01:07:49 passiert, beim Eberlauf in Vorsfelde war ich meinen ersten 10-km Wettkampf in 00:49:57 gelaufen, wir sind also langsam unterwegs. Doch immer mehr merke ich, dass eine Zielzeit nicht mehr von Interesse ist und ich beschließe nun, mich auf die Kulisse zu konzentrieren, die Zeiten will ich nur noch obligatorisch dokumentieren. Nun noch einmal zur Stimmung in diesem Abschnitt. Auf einmal sehe ich an den Straßenseiten nur noch wenige Zuschauer, doch diese sind alle in schwarz gekleidet, tragen Hüte, unter denen lange Locken hervorschauen. Wir laufen durch ein Jüdisches Viertel und ich kann die Blicke nicht von den Menschen lassen. Ich sehe keine Jungs auf der Strasse, stattdessen fallen mir kleine Mädchen auf, die alle die gleichen gestrickten Kleider tragen. Hier bestätigt sich noch einmal da, was ich aus Manhattan bereits kenne. Die Vielfalt der Menschen und Rassen macht diese Stadt so einzigartig. Hier trifft sich die Welt! Ich knipse noch das eine und andere Bild und schon hat sich das Gesicht der Strassen wieder geändert. Nun stehen nur noch Afro-Amerikaner an der Straße. Sie haben aus Mülltonnen Schlagzeuge gebaut und trommeln und mit Krach in die richtige Richtung. Es dröhnt in meinen Ohren und ich will schnell weiter.
Ich trabe langsam weiter und wir kommen auf eine breite Strasse zu, die Häuser links und rechts stehen etwas zurückgesetzt. Ich sehne mich nach etwas frischem, war schon ein paar Meilen vorher kurz davor etwas Süßes eines Zuschauers anzunehmen, doch war mir dann nicht schlüssig. Jetzt fehlt mir etwas zum Erfrischen. Es liegen Bananenschalen, Orangen- und Zitronenstücken auf der Strasse unter mir. Leider ist den Verpflegungsständen wohl das Obst ausgegangen, denn ich laufe zur Zeit wohl so an Stelle 20.000 und dafür hat es wohl nicht mehr gereicht. Ich richte meinen Blick wieder auf und denke nicht weiter drüber nach, es muß auch so gehen und ich wäre mir nicht einmal sicher, ob mein Magen die Säure überhupt vertragen hätte. Wir laufen auf eine Überführung zu. Wieder fangen einige an langsamer zu werden und fallen vom Lauf- in den Gehschritt zurück. Ich bahne mir meinen Weg und weiche ganz nach rechts an den Rand der Fahrbahn aus. Es ist nur ein kurzer Berg-an-Lauf, doch da ich Berge beim Laufen mag, schadet es mir nicht, macht mir sogar noch spaß, da ich meine Beinmuskeln anders belasten kann. Bereits im Training bin ich bei den kleinen Hügeln rings um meinen Ort stets schneller geworden.
Ich bin also auf der Überführung und drehe meinen Kopf nach rechts. Die Skyline von Manhattan breitet sich vor mir aus und wir laufen bereits auf Höhe des Empire State Building, d.h. 32. Strasse. Wir werden über die Queensborough Bridge nach Manhattan reinlaufen und diese liegt auf Höher der 57. Strasse, es ist also nicht mehr weit. Gerade dachte ich aber auch noch, dass die Überführung bereits Teil der Brücke dorthin wäre, doch wie ich jetzt sehen kann, habe ich mich da getäuscht. Ich laufe auf zwei Läufer auf, ca. jeweils um die 50 und schon mit einem ziemlich schweren Schritt unterwegs. Ich fühle mich noch immer gut, freue mich aber auch schon auf die Verpflegungsstation mit den Gels bei Meile 18. Etwas spät, aber ich werde mir zumindest eines einstecken. Nun zurück zu den beiden Läufern, denn um die beiden Herren tänzelt die ganze Zeit eine drahtige Frau mit Videokamera in der Hand und dreht, und dreht, und dreht. Ziemlich locker die Gute...
Ich hatte mich doch nicht getäuscht. Wir sind noch einmal schnell von der Überführung nach unten gelaufen doch es geht gleich wieder hoch. Nun liegt sie mir zu Füßen. Da vorne müssen wir nur noch links abbiegen. Die Menschen stapeln sich förmlich in dieser Kurve. Ich hole weit aus, als wollte ich den Schwung der langen Linkskurve mit auf die Brücke nehmen. Hier läuft keine mehr, so weit außen wie ich! Auf der Ideallinie befinde ich mich definitiv nicht. Wieder das gleiche Bild. Aus dem Lauf- in den Gehschritt und dieses Mal mehr als die Hälfte der Läufer. Viele sind am Pusten und auch ich merke die Anstrengung das erste Mal in meinen Beinen. Bis hierher hatte ich keine Probleme, wenn man mal von den üblichen Problemen im Knie absieht, aber nach mehr als 15 Meilen, bin ich sozusagen TopFit und freue mich auf den ersten Einlauf nach Manhattan. Dort ist bestimmt der Bär los, was man hier auf der Brücke nicht behaupten kann. Wir sind alleine!! Keine Zuschauer und nur die eine Brückenseite ist geöffnet. Wir laufen an einer Person vorbei, die scheinbar Probleme mit dem Kreislauf hat, doch es haben sich schon einige Läufer gefunden, die ihr helfen. Ich laufe weiter, noch immer habe ich die beiden Herren und die Kameradame vor mir. Jetzt kommt auch schon ein Helfer mit einem Erste Hilfe Koffer gelaufen. Einigen Läufern geht es auf unserer Seite zu langsam und sie steigen auf die andere, freie Seite, doch patrollierende Polizisten pfeifen sie zurück auf die freigegebene Seite. Den höchsten Punkt habe ich nun geschafft und noch immer kommt es mir unheimlich vor, der Beifall der tausenden Zuschauer fehlt und einige in meiner Nähe versuchen sich lautstark gegenseitig anzufeuern. Wir laufen jetzt bergab und ich muß zugeben, es tut mir gut. Ich bin im Training nie mehr als 32 km am Stück gelaufen und dieser Marke werde ich mich bald nähern. Ich kann schon das Ende der Brücke sehen, dort stehen wieder so viele Menschen und ich höre bereits den Beifall, das Schreien – wir sind in Manhattan. Ich laufe wieder ganz außen, den längsten Weg, aber ich will mir jetzt neuer Kraft bei den Zuschauern holen. Die Kamera habe ich in die linke Hand genommen und ich klatsche zwei, drei Personen ab und muß mich ein wenig zügeln, nicht den Helden aus Queens zu spielen, man sieht mir sicher an, dass wir schon einige Kilometer hinter uns haben. Meine HM-Zeit lag bei 02:27:36, in Nürnberg bin ich 01:56:32 gelaufen, war auch mein erster HM, doch wie schon erwähnt, Zeiten sind nun nicht mehr entscheidend.
Ich nehme mit vor konzentriert weiterzulaufen, denn irgendwo hier muß auch Mira an der Strecke stehen, aber auf welcher Seite?? Wir hatten keinen genauen Treffpunkt ausgemacht, das war wohl ein Fehler und auf meine Cola würde ich wohl verzichten müssen, auf die ich mich schon so sehr gefreut habe. Dennoch werde ich es versuchen, sie zu sehen. Irgendwo muß doch die Fahne von interair zu sehen sein.
Meile 18 – ich nehme ein paar Schlucke Gatorade und schnappe mir ein Gel. Ich wollte gerne Cola Geschmack haben, doch nach kurzer Diskussion mit der Helfer erfahre ich, dass auch diese bereits aus sind und ich Brombeere nehmen muß. Viele reißen es sofort auf und quetschen sich das Zeug in den Mund, doch sie haben kein Wasser zum Nachspülen dabei. Ich werde es bis zu nächsten Wasserstation in der Hand halten und erst kurz vorher einnehmen. Ich laufe, schon etwas geschwächte, zwischen den teilweise entleerten Gel-Tüten umher, trete teilweise auf noch volle Gels, die sich in weitem Bogen über die Strasse entleeren. Meine Freundin habe ich noch immer nicht gesehen. Ich laufe noch einen Block weiter und sehe, dass wir uns bereits auf Höhe der 91. Strasse befinden. Hier werde sie nicht mehr stehen, nur noch 10 Blöcke und wir laufen durch Harlem in die Bronx, den 5. Stadtteil unserer Tour. Die Zuschauer an der Strecke werden weniger. Die Häuser sind einfach und es ist nicht mehr mit Midtown oder gar Downtown zu vergleichen. Ich mache nur noch wenige Bilder, was nicht daran liegt, dass ich von dieser Gegend keine Bilder machen möchte, ich vergesse es immer öfter. Mein Blutzuckerspiegel ist wohl ziemlich stark abgefallen und ich muß mich wirklich bemühen klar denken zu können.
Viele Zuschauer sitzen nur noch regungslos am Straßenrand und es ist nicht mehr mit den Menschmassen auf der 1. Avenue zu vergleichen. Viele scheint der Marathon nicht zu interessieren und sie kreuzen die Straße ohne Rücksicht auf die Läufer, gerade hätte ich beinahe schon eine Frau mit ihrem Kind angerempelt. Ich setze meinen Lauf fort, die Karte des Weges im Kopf versuche ich mir einzureden, dass es nun nicht mehr weit ist. Noch 7 Meilen und ich habe auch das nur kurze Stück, welches wir durch die Bronx laufen vor Augen, doch leider kenne ich den Maßstab der Karte nicht und ich könnte mich über die Länge sehr täuschen. Schon wieder eine Brücke, sie kreuzt wieder den East River und bringt uns in die Bronx. Viele haben nach der letzten Brücke gar nicht mehr mit dem Laufen begonnen und auch hier staut es sich am Anfang wieder. Mein Puls liegt jetzt bei 143, gestartet war ich mit 130. Einige Zuschauer rufen, dass das nun die letzte Brücke ist. Ich denke kurz drüber nach, auch unter dem Gesichtspunkt, dass wir von der Bronx wieder nach Manhattan müssen, also Brücke, lasse ich mich davon nicht verwirren. Ich nehme jetzt jede Wasserstation mit, trinke immer nur noch ein paar Schlucke und kippe mir den Rest über den Kopf. Es ist noch immer sehr warm und mein Kopf fängt langsam an zu dröhnen. Das Wasser tut gut und bringt Linderung. Da vorne kann ich Rescue 3 sehen, ich erinnere mich an meine rechte Hand mit der Kamera, zücke diese und schieße ein Bild. Ich denke nur noch wenig, die Beine schmerzen, doch ich habe ein Ziel und das heißt ankommen und zwar im Laufschritt. Also Dennis: „Quäl Dich Du Sau“, und ich quäle mich. Quälen heißt bei mir, quälen im Kopf, die Beine werden es schon richten. Luft habe ich hier noch ohne Ende, doch wie schon gesagt, die Muskeln...
Es ist doch nur ein kurzer Ausflug in die Bronx gewesen. Wir laufen bereits schon wieder über eine kleine Brücke nach Manhattan rein, d.h. erst einmal wieder nach Harlem, direkt auf die 5. Avenue, die Strasse der Reichen und Nobelläden, doch hier ist davon nichts zu sehen. Ich lasse die Wasserstation bei Meile 21 aus. Ich habe keinen Durst mehr und ich wundere mich sowieso, warum ich in meinen Trainingsläufen immer mind. 1 oder 2 mal austreten musste und es hier gänzlich ausgeblieben ist, obwohl ich schon einen Wasserbauch haben müsste. Ist egal, kümmert mich nicht weiter, bin ich nämlich froh drüber und so viele Möglichkeiten habe ich auch nicht gesehen. Vor uns kann ich bereits Bäume sehen und ich freue mich auf den Central Park, aber warum müssen wir jetzt links laufen? Ich dachte immer, die 5. Avenue läuft direkt links am Central Park entlang, doch weit gefehlt. Hier wir die 5th einfach von einem kleinen Park unterbrochen und bis zum größten Park NYs sind es noch über eine Meile. Okay, ich nehme es gelassen und freue mich über die vielen Zuschauer, die sich hier wieder eingefunden haben und sicherlich auch schon ca. 4 Stunden Beifall klatschen und ihre Schilder hochhalten. Daumen hoch für Euch alle!!
Noch einmal Wasser und ein ganzen Becher Gatorade. Immer wieder sehe ich Läufer, die ich auch beim Start schon vor mir hatte. Auf einmal kreuzen Zwei meinen Weg. Beide in schwarz gekleidet, Mann und Frau, mein Alter und frisch verheiratet. Ich bin über die Leichtigkeit verwundert, mit der die Frau vor mir herläuft. Genau das kann ich jetzt gebrauchen, ich lasse mich ein bisschen ziehen und da sie zusammen laufen, schlagen sie eine Schneise, in der ich gut laufen kann. Habe auch kein schlechtes Gewissen, ist doch mein erster Marathon. Ich habe vergessen meinen Namen auf das Shirt zu schreiben und somit bleiben die Rufe: „You are looking good, Dennis“, „Good job, Dennis“ aus. Für das evtl. nächste Mal dann also ein Shirt mit meinem Namen, das steht fest! An der 101. Strasse beginnt der Central Park und ich fühle mich wieder gut. Herbert Steffny hatte uns davor gewarnt hier bereits einen kleinen Sprint bis ins Ziel einzulegen, da es im Park noch viele kleine Hügel gibt, die es auf den letzen Meilen ziemlich in sich haben sollen. Ich bleibe also bei meinem Tempo, 10 Minuten pro Meile!
Hier stehen auch die Zuschauer wieder sehr gedrängt und ich weiß, ich kann es jetzt schaffen. Die Läufer vor mir werden immer langsamer und es macht nun schon echt Mühe immer auszuweichen. Ich nehme es so, wie es ist und ich bin sehr erstaunt darüber, wie viele Menschen es doch bis hierher geschafft haben. Alle diese Läufer sind schon jetzt Gewinner, auch wenn sie hier aussteigen sollten. Wir sind schon verdammt weit gelaufen. Ich beschließe noch ein Bild zu machen, obwohl ich weiß und es unmittelbar auf dem kleinen TFT-Bildschirm der Kamera sehen kann, die Atmosphäre kann ich nicht einfangen. Die Bäume sind noch immer grün und hüllen die 5th Avenue zu einem Tunnel ein, durch den ich jetzt laufe. Bereits 2 Tage zuvor bin ich ab dem Guggenheim Museum die Meilen 24 und 25 im Central Park gelaufen, vielleicht hätte ich sie im schlimmsten Fall sonst am Marathon Sonntag gar nicht gesehen. Nun bin ich aber froh, bis hierher gekommen zu sein und der Rest wird ein Heimspiel. Wir biegen alle links in den Central Park. Auch hier - Menschen ohne Ende, als Läufer und auch Zuschauer. Wir werden noch einmal richtig ge"push"t und man kann es an den Gesichtern vieler Läufer sehen, ohne die Zurufe wären spätestens hier 3/4 ausgestiegen. Es ist hart und meine Beine schmerzen, doch ich will nicht langsamer werden. Nehme mir vor schneller zu werden, da ich im Training auch die Erfahrung gemacht habe, dann wieder etwas aufzulockern, ich belaste dann andere Muskeln.
Ich laufe viele Kurven, an die ich mich gar nicht mehr erinnern kann. Am Freitag kam mir noch alles so kurz vor und nun stelle ich mir echt die Frage, ob ich nicht doch wieder langsamer werden sollte, doch mein Schweinehund ist auf meiner Seite und ruft mal wieder: "Quäl Dich Du Sau!" Und Dennis quält sich. Am südlichsten Punkt des CP verlassen wir diesen wieder kurz und biegen rechts auf die 59. Strasse. Tosender Jubel umhüllt mich, man merkt, dass es dem Ende zugeht. Die Uhr habe ich noch im Blick, versuche mich aber mehr darauf zu konzentrieren nicht zu fallen, da hier die Straße ziemlich schlecht ist. Ich schaue kurz auf und neben mir läuft doch echt ein Läufer, der auf seiner Jacke "Fortuna Bösdorf" stehen hat. Bösdorf ist von dem Ort wo ich wohne gerade mal 5 km entfernt. Sollte ich mich irren und es gibt noch einen weiteren Ort in Deutschland mit dem gleichen Namen? Ich bin total überrascht, konzentriere mich aber so auf das Laufen, dass ich vergesse ihn anzusprechen und werde es wohl nicht mehr erfahren.
Das kurze Stück auf der 59. Strasse haben wir hinter und gebracht und ich laufe nun wieder mit den vielen anderen Läufern in den Central Park ein. Die ersten Schilder mit 500 m tauchen auf und ich weiß nun, gleich hat alles ein Ende. Ich kann endlich die Medaille in meinen Händen halten und werde der glücklichste Mensch sein. Werde ich das??? Links und rechts ziehen an mir die VIP-Tribünen vorbei und ich kann das Ziel bereits sehen. Schnell noch das eine oder andere Bild, auch von der Uhr, welche die Brutto Zeit festhält: 04:49:50! Ich gehe kurz in mich und denke: "Nur noch 10 Sekunden, dann sind 04:50:00 überschritten"! Ich behalte die Uhr im Blick, lege einen kurzen Sprint ein. Die Uhr noch immer im Griff reiße ich die Arme hoch und schaue in den Himmel. Ich habe es geschafft und bin eine von Euch - ein Finisher.
Nach dem Zieldurchlauf überfällt mich schnell die Ernüchterung, denn auf einmal ist alles vorbei. Ich nehme eine Alu-Decke entgegen, keine Medaille weit und breit. Bin ich hier etwa auch schon wieder zu spät, wie mit den Bananen? Ich komme schnell von dem Gedanken ab und denke an das vergangene Jahr. Vor ziemlich genau einem Jahr habe ich mit dem Laufen begonnen, Tonnen an Nudeln in mich reingefressen, drei Paar Schuhe ein- und kaputtgelaufen, die letzten 12 Wochen habe ich fast 700 km zurückgelegt, oft meine Freundin zuhause sitzen lassen, bei Nacht, Regen und Wind auf Feldwegen unterwegs, und nun ist das alles vorbei??? Ja, das ist es und ich bin schon dabei meinen nächsten Plan zu schmieden, denn London im Frühjahr würde mich auch sehr reizen....
[ Dieser Beitrag wurde von Distanza am 20.11.2003 editiert. ]