Liebe sehenden Läufer/innen,
vielen Dank für eure positive Resonanz, die von Jeffrey, dem blinden Läufer, natürlich mit Freude gelesen wurde (per Sprachausgabe).
Ich hoffte ja, dass Jeffrey die noch offenen Fragen hier selbst beantworten konnte, was leider wegen der recht aufwändigen Foren-Software in Zusammenhang mit seiner Blinden-Software nicht klappte. Jetzt hat er mir per eMail einen Beitrag (Achtung: lang!) für dieses Forum geschickt, den ich gerne hier anfüge. Mein Name kommt recht oft vor, dafür fehlen die sonst hier üblichen Smilies, ich hoffe ihr stört euch nicht daran.
Hier also Jeffrey`s Beitrag:
Hallo Lauffreunde/innen,
leider ist es mir mit meiner jetzigen Software-Version nicht möglich (weil
ich nicht unbedingt ein As am PC bin) in euerem Forum aktiv teilzunehmen.
Ja, wenn es Roland nicht gäbe...
Roland hat mir beim Mondscheinlauf, den er all monatlich führt, gesagt, dass
ihr Bezug auf mein Beitrag in unserem Forum (
www.lauftreff-franken.de )
genommen habt.
Natürlich hat es mich gefreut, aber auch ein anderes Gefühl gegeben - außer
der Freude -.
Das Interesse das gezeigt und auch rege ausgetauscht wurde, und Roland aus
seiner Sicht beantwortete, möchte ich jetzt mit ein paar Zeilen begleiten:
Ich bin seit 92 blind, mit einem Sehrest von 0,2 %. Laufen habe ich 92 als
Bereicherung für mein Leben entdeckt - vielmehr, ich wurde darauf
geführt. Dies geschah während eines Kuraufenthaltes im Taunus, nahe
Wiesbaden. Anfangs war ich doch recht unsicher, doch der Läufer, der mich
auch dazu brachte, war aufmerksam und anscheinend im Umgang mit blinden
Läufern geübt. Meine anfängliche Unsicherheit verflog schnell, und ein
anderes Gefühl trat deutlich in den Vordergrund: Freiheit ...
Diese Freiheit, die anfangs nur die zeitweilige Befreiung vom Blindenstock
war, wurde schnell von einer körperlichen Befreiung zu einer , ja,
seelischen Befreiung. Ich fand für mich heraus, dass ich während dem Laufen
Gedanken , Gefühle, Emotionen, Fragen und Kummer anders annehmen, und auch
verarbeiten konnte. Dies tat mir gut, war auf Grund meiner neuen
Lebenssituation auch wichtig geworden - und vor allem, es machte Spass.
Meine Freude am Laufen wurde aber dann nach meiner Heimkehr schnell
betrübt...
Ich musste erst mal akzeptieren, dass ich nur dann trainieren, also laufen
konnte, wenn ich einen Laufpartner hatte. Die meiste Zeit verbrachte ich
angeleint am Fahrrad eines Freundes, was als Trainingsmöglichkeit zu dem
Zeitpunkt völlig okay war.
Ja, ich fand`s so gut, dass ich mich für den damals letztmalig
veranstalteten Nürnberg-Marathon anmeldete. Mir war klar, dass ich diesen
Marathon niemals finishen würde, aber ich wollte einfach dabei sein. War
ich auch bis nach der zweiten Runde.
Insgesamt verlief das Jahr aber immer wieder frustrierend, und wurde von
lauffreien Tiefs begleitet. September 93 finischte ich dann meinen ersten
Marathon (Berlin), der ein bisschen chaotisch verlief. Mein Laufpartner lief
seinen ersten Marathon, und hatte sich mit mir zusammen vorbereitet. Unser
Tandem klappte ganz gut, ich fühlte mich mit seiner Führung relativ sicher.
Leider musste er dann bei km25, oder so, aussteigen - Wadenkrämpfe, wir
waren ja beide nicht unbedingt "gut" vorbereitet..
Dennoch konnten wir beide unseren ersten Marathon gemeinsam finishen und
feiern. Im Frühjahr 94 war ich wieder zur Kur im selben Ort - Bad
Schwalbach.
Dort konnte ich das Laufen wieder aufnehmen, und 8 Wochen gut trainieren.
In einem jungen Hannoveraner Politiker und seinem Trecking-Bike hatte ich
einen zuverlässigen Begleiter, der mich dann auch beim Wiesbadener-10km-Lauf
mit Rad begleitete - was natülich den "ZooEffekt" provozierte.
Nach der Kur stieß ich hier in Nürnberg zu einer Laufgemeinschaft, die von
Roland Blumensaat betreut, und für die M-Distanz "fit gemacht" wurde.
Roland ist Lauftherapeut und Heilpraktiker hier in Nürnberg. Er hat
unzählige Laufgruppen zusammen gebracht, betreut , und mit wichtigen
Grundlagen auf den Weg gebracht.
Sein Engagement für und rund um das Laufgeschehen hier in Nürnberg ist
nicht hoch genug zu bewerten, sein Wissen, Tipps, Infos und Ratschläge, und
natürlich seine Erfahrung sind für viele das Abc des Laufens.
Seine Gruppe nahm mich unkompliziert auf, und nach kurzer Zeit konnte fast
jeder - ich bin ja fast mit jedem gelaufen - mich an der Leine führen. So
konnte ich meinen bisher -mit Bad Füssing 04 - schönsten Marathon laufen.
Es war am 03. Juli `94, ein schöner Sommermorgen , Sonntagvormittag im
Augsburger Stadtpark.
Ein Rundenlauf - 21 x ging es um den Stadtpark. Hervorragende Bedingungen
für mich: wenig Teilnehmer, davon einige, die ich kannte. Zudem kam noch die
Verpflegungsstelle, die uns nach jeder Runde mit Erfrischung für Leib und
Seele versorgte. Fundament meiner Sicherheit beim Laufen ist mir aber Roland
gewesen.
Dies war mein erster bewusst kontrollierter Lauf - schön auf den Puls geachtet,
regelmäßig getrunken, und keine Zwischenspurts oder ähnliche Scherze.
Ich glaube wir liefen um die 4:04, oder so, und ganz wichtig war wie gut es
mir hinterher ging.
95 bin ich noch 2 Marathons gelaufen (Hamburg und Regensburg), habe aber
beim Regensburger mein absolutes negativ-Erlebnis gehabt. Schlecht
vorbereitet, mental auch völlig aus dem Gleichgewicht, und in dem Glauben
eine Zeit unter 4 Stunden laufen zu müssen, ging ich mit meinem damaligen
Laufpartner an den Start. Helmut, so hieß er, war ein super Läufer -
Zeiten unter 3 Stunden waren für ihn normal. So hätte er mich problemlos
sicher und kontrolliert führen können, auch auf schnelleren Strecken. Mein
Ehrgeiz zu groß, meine Vorbereitung zu schlecht, meine Ungeduld und meine
falsche Einstellung zum Laufen, insbesondere zum Marathon - diese Faktoren
ließen mich nach einem viel zu schnellen Start die ersten 10, 15 km
relativ gut überstehen, aber dann Schritt für Schritt einbrechen - und zwar
völlig. Ich krampfte, bekam Montezuma`s Rache zu spüren, verfluchte und
verdammte alles und jeden in meiner Nähe. Ich war physisch ausgebrannt,
geistig matt, und wurde nach dem Zieleinlauf immer wieder von Weinkrämpfen
übermannt..
Diese Erfahrung, dieses Erlebnis raubten mir zunächstmal den Spaß am
Laufen. Ich hatte den Ehrgeiz in den Vordergrund gerückt, nicht richtig in
mich hinein gehorcht, und prompt auch die Quittung dafür bekommen.
Danach war Schluss mit meinen Laufambitionen - vorläufig.
Ich bin sporadisch hin und wieder mal gelaufen, wenn sich ein Laufpartner
bot, aber die meiste Zeit habe ich ein Alibi für mich gesucht, nicht zu
laufen.
Beruflichen Stress, keine Zeit aus Gründen privater, familiärer Probleme,
oder ganz einfach "den Kopf nicht dazu gehabt" - dem inneren Schweinehund
die Oberhand gelassen...
Mittlerweile bin ich seit 2 Jahren wieder in Nürnberg, und laufe seit gut
eineinhalb Jahren regelmäßig. In meiner neuen Wohngegend habe ich mehrere
Laufstrecken in unmittelbarer Nähe. Durch Roland`s Hilfe und Unterstützung,
und über unser Forum kann ich Laufkontakte knüpfen und mein Training
angepasst gestalten. Natürlich gibt es immer wieder mal eine Absage, und
ich muss eine Trainingseinheit ausfallen lassen, dennoch habe ich genug
Möglichkeiten, um größere Ziele anzusteuern.
Im vergangenen Jahr bin ich einige HMs gelaufen, und wollte jetzt eben die
zuletzt verfluchte M-Distanz angehen. Als Lauferlebnis war
Bad Füssing ein guter Einstieg für mich über die Marathondistanz. Da passte
einfach alles: das herrliche Wetter, die mir bekannte Strecke, meine
Laufpartnerin, und die Stimmung vor, und nach dem Lauf...
Am 13. März starte ich bei meinem ersten 6-Stunden-Lauf, außerdem bin ich
noch bei 2 Marathons bis August angemeldet. So werde ich noch einige Chancen
haben meinen Regenbogen zu sehen. Der Regenbogen ist für mich Symbol für
Hoffnung, Zuversicht und seelische Harmonie - also kann der Marathon für
jedes andere angestrebtes Ziel mentale Nahrung sein, die Basis für Geduld
und Zusammenarbeit zwischen Körper und Geist.
Ich wünsche mir, und jedem, der seinem "eigenen Regenbogen" entgegenläuft,
das Beste vom Laufen - Spaß.
Ich hoffe, ich habe ein bisschen Einblick geben können, wie sich das Laufen
für mich als blinden Läufer gestaltet - wahrscheinlich nicht viel anders als
bei den meisten, die den Spaß am Laufen genießen wollen. Allerdings sehe ich
für mich den Vorteil, oder auch "Reizverstärker" darin, optisch nicht
abgelenkt werden zu können.
Die Problematik, die man vielleicht auf Grund meines Handicaps sieht, oder
vermutet, ist nur Sache des Umdenkens und Einlassens - also Routine, wie im
täglichen Leben für jeden.
Bis demnächst,
Jeffrey