Schwein gehabt
Verfasst: 02.06.2009, 17:48
Okay, okay, ich geb's zu. Das hier ist Schleich-, äh Laufwerbung für den Schlaubetalmarathon. Natürlich völlig uneigennützig. Denn eigentlich schieße ich mir damit selber ins Knie. Je mehr da mitlaufen, desto geringer sind meine Chancen, 'nen Blumentopp zu gewinnen. Bevor sich jetzt aber spontan noch ein paar Leute anmelden, um mir den Blumentopp wegzuschnappen, muss ich hier mal warnen: das Schlaubetal ist gefährlich! Und wie!
Sonntagmorgen, 5.35 Uhr. Unser Wecker wiegt 14 Kilo und man kann ihn nicht an die Wand schmeißen. Papa versucht zu verhandeln: eine Stunde Schlaf gegen eine Stunde am Rechner spielen und Buch vorlesen. Die bilateralen Verhandlungen sind erfolgreich und Kind simuliert Tiefschlaf. Exakt 5 Minuten. Ich bekomme einen Tritt in den Rücken und Papa die Hand ins Gesicht. Wir geben auf. Beim Frühstück um 6.45 Uhr bin ich mal ganz mutig. Hagebuttentee, Frühstücksei und Mettbrötchen, genau die richtige Vorbereitung für einen langen Lauf im Schlaubetal. Man weiß ja nie, wo man ankommt. Es ist 8.15 Uhr und ich steh im Wald. Oder besser am See im Wald. Der Akku von meinem Handy ist leer, deshalb kann ich auch nicht Kathrinchen anrufen. Ich nehme es trotzdem mit - das Handy. Beruhigt immer ungemein. Kann man zur Not ja auch in die Genitalien eines potenziellen Angreifers rammen.
Der Weg ist etwas matschig - nach der Schlammschlacht am Kyffhäuser und auf dem Rennsteig ist das aber ein Witz. Wie eine Gazelle springe ich locker in grellorangem Shirt und Rennsteiglauf-Buff durchs Gehölz. Meine Polar miept jämmerlich, sucht den Sensor. Ach, deshalb läuft es sich heute so leicht! Habe ihn wohl nach der Schuhwäsche nicht wieder rangepfriemelt. Kein Problem, denke ich, da muß ich ja nur gucken, wie schnell ich bin, dann kann ich die Kilometer ausrechnen. Könnte ich - wenn ich den Sensor hätte. Na egal, dann eben Freistil heute. Nach 5 Kilometern grüßt die alte Holzeule und erinnert mich daran, daß ich hier in einem Naturschutzgebiet bin. Beim Blick zur Eule latsche ich fast auf ein besonders großes Exemplar von Weinbergschnecke. Glück gehabt, denn die schleimt auch unter Naturschutz.
Da mir das Vogelgezwitscher, der Kuckuck und die Buntspechte zu laut sind, laß ich mich lieber mit Techno berieseln. Plötzlich stören Disharmonien meinen Lauf. Es wird nicht das letzte Mal sein, daß ich die Pausentaste drücke. Da stehen einfach so zwei Kraniche rum, die sich lautstark anblöken. Während ich so dastehe und den beiden zusehe, wie sie sich gegenseitg anbaggern, machen sich die Schlaubetaler Kampfmücken über meine Waden her. Ich wünsche ihm, daß er sie rumkriegt und renne weiter. An der Ragower Mühle spähe ich vorsichtig nach den Wachgänsen, die sind diesmal aber hinter Gittern. Ich laufe jetzt direkt an der Schlaube entlang. Der Wald ist herrlich. Es surrt und summt und duftet und ich werde ganz besoffen von dem vielen Leben.
Ich laufe einen schmalen Pfad entlang. Links geht's abwärts zur Schlaube, rechts geht's etwas steil hinauf. Keine Menschenseele weit und breit, außer mir ist hier kein Schwein. Moment, kein Schwein? Aus dem Augenwinkel sehe ich plötzlich neben mir einen plüschigen kleinen Frischling, der sich ängstlich ins Gras drückt. In der gleichen Sekunde realisiere ich: wo ein Frischling ist, ist die Bache nicht weit. Direkt vor mir flitzt ein zweiter Frischling den Hang hoch. Während ich wie hypnotisiert weiterlaufe, was wirklich bescheuert ist, folgt mein Blick Nummer 2. Und da sehe ich sie: Mutti. Und Mutti ist echt sauer. Sie täuscht einen Angriff in meine Richtung vor und ruft ihre Ferkel. Mit einer HF von gefühlten 250 Schlägen renne ich panikartig weiter, besessen von dem Größenwahn, schneller als Mutti zu sein. Doch sie setzt Prioritäten. Statt dem grellorangen Tuch nachzulaufen, sammelt sie lieber ihre Racker ein und dreht ab. Schwein gehabt. Den Berg nach Kupferhammer erklimme ich in einem Tempo, das weltrekordverdächtig ist. Vielleicht hat Mutti ja doch noch Lust auf eine kleine Treibjagd.
Apropos Jagd. Wenige Kilometer später muß ich wieder die Pausentaste drücken. Auf dem Rundweg nach Siehdichum, direkt am See, stößt einer ins Horn. Leider kenne ich mich da nicht so aus und weiß nicht, ist das nun Hallali oder Sau tot? Wird hier gerade die Jagdsaison eröffnet und wenn ja, auf wen? Langsam kommen mir Zweifel, ob das grellorange Shirt so eine gute Idee war. Wenig später knallt es und so ist wenigstens eine der Fragen geklärt. Das Schwein hat mich nicht gekriegt, nun erwischt mich der Jäger, denke ich so und lege einen Zahn zu. Was völlig sinnlos ist, aber mir fällt nichts besseres ein. Endlich bin ich an der Straße zum Gasthaus Siehdichum und überlege, ob ich zur Bremsdorfer Mühle oder zum Schervenzsee laufe. Lieber nach links zum Schervenzsee und von der Straße runter. Nachdem ich Schwein und Jäger überlebt habe, will ich nicht unbedingt vom Auto überfahren werden.
Am Schervenzsee fällt mir das Warnschild Angelgewässer auf und so darf ich die nächsten 2 Kilometer Slalom laufen, da die Angler nicht nur das Gewässer, sondern auch den Weg in Beschlag nehmen. Das ist mir für heute zuviel Mensch und ich drehe um. Auf dem Rückweg mache ich vorsichtshalber die Musik aus, um das Treiben der Jäger zu orten. Aber es ist wieder Ruhe eingekehrt und ein Schwanenpärchen gondelt friedlich über den See.
Als ich wieder an der Stelle mit der wilden Sau vorbeikomme, sehe ich mich erstmal gründlich um. Sollte der Frischling immer noch daliegen, ist etwas faul. Dann interessiert sich vielleicht schon Meister Isegrimm dafür und denkt, ich will ihm sein Essen klauen. Ich muß an Rotkäppchen denken und mir läuft ein Schauer über den Rücken. Zum Glück ist kein Schwein da und wahrscheinlich auch kein Wolf. Leicht sensibilisiert fällt mir jetzt auf, wieviele Schweinekuhlen und aufgewühlte Flächen direkt an der Laufstrecke sind. Während ich auf dem Hinweg träumend dahinschwebte, habe ich sicher ahnungslos das Mißfallen der Schweinebande erregt. Ich laufe etwas schneller. Habe das Gefühl, beobachtet zu werden. 10 Minuten zu früh bin ich wieder an meinem Startpunkt. Überglücklich darüber, daß ich degenerierter Stadtmensch diesen Dschungellauf überstanden habe, hopse ich mal eben in den See und habe an diesem Tag zum zweiten Mal eine HFmax. Das Wasser ist gefühlte 4°C kalt. Aber die letzte Chance, mich um die Ecke zu bringen, ist vertan. Gestählt steige ich aus den Fluten und bin wahnsinnig stolz, daß ich das Abenteuer Leben in diesem GEFÄHRLICHEN Schlaubetal gemeistert habe.
PS.: Sonntagabend brach ein Unwetter über uns herein. Ich hatte damit eigentlich schon am Vormittag gerechnet.
Sonntagmorgen, 5.35 Uhr. Unser Wecker wiegt 14 Kilo und man kann ihn nicht an die Wand schmeißen. Papa versucht zu verhandeln: eine Stunde Schlaf gegen eine Stunde am Rechner spielen und Buch vorlesen. Die bilateralen Verhandlungen sind erfolgreich und Kind simuliert Tiefschlaf. Exakt 5 Minuten. Ich bekomme einen Tritt in den Rücken und Papa die Hand ins Gesicht. Wir geben auf. Beim Frühstück um 6.45 Uhr bin ich mal ganz mutig. Hagebuttentee, Frühstücksei und Mettbrötchen, genau die richtige Vorbereitung für einen langen Lauf im Schlaubetal. Man weiß ja nie, wo man ankommt. Es ist 8.15 Uhr und ich steh im Wald. Oder besser am See im Wald. Der Akku von meinem Handy ist leer, deshalb kann ich auch nicht Kathrinchen anrufen. Ich nehme es trotzdem mit - das Handy. Beruhigt immer ungemein. Kann man zur Not ja auch in die Genitalien eines potenziellen Angreifers rammen.
Der Weg ist etwas matschig - nach der Schlammschlacht am Kyffhäuser und auf dem Rennsteig ist das aber ein Witz. Wie eine Gazelle springe ich locker in grellorangem Shirt und Rennsteiglauf-Buff durchs Gehölz. Meine Polar miept jämmerlich, sucht den Sensor. Ach, deshalb läuft es sich heute so leicht! Habe ihn wohl nach der Schuhwäsche nicht wieder rangepfriemelt. Kein Problem, denke ich, da muß ich ja nur gucken, wie schnell ich bin, dann kann ich die Kilometer ausrechnen. Könnte ich - wenn ich den Sensor hätte. Na egal, dann eben Freistil heute. Nach 5 Kilometern grüßt die alte Holzeule und erinnert mich daran, daß ich hier in einem Naturschutzgebiet bin. Beim Blick zur Eule latsche ich fast auf ein besonders großes Exemplar von Weinbergschnecke. Glück gehabt, denn die schleimt auch unter Naturschutz.
Da mir das Vogelgezwitscher, der Kuckuck und die Buntspechte zu laut sind, laß ich mich lieber mit Techno berieseln. Plötzlich stören Disharmonien meinen Lauf. Es wird nicht das letzte Mal sein, daß ich die Pausentaste drücke. Da stehen einfach so zwei Kraniche rum, die sich lautstark anblöken. Während ich so dastehe und den beiden zusehe, wie sie sich gegenseitg anbaggern, machen sich die Schlaubetaler Kampfmücken über meine Waden her. Ich wünsche ihm, daß er sie rumkriegt und renne weiter. An der Ragower Mühle spähe ich vorsichtig nach den Wachgänsen, die sind diesmal aber hinter Gittern. Ich laufe jetzt direkt an der Schlaube entlang. Der Wald ist herrlich. Es surrt und summt und duftet und ich werde ganz besoffen von dem vielen Leben.
Ich laufe einen schmalen Pfad entlang. Links geht's abwärts zur Schlaube, rechts geht's etwas steil hinauf. Keine Menschenseele weit und breit, außer mir ist hier kein Schwein. Moment, kein Schwein? Aus dem Augenwinkel sehe ich plötzlich neben mir einen plüschigen kleinen Frischling, der sich ängstlich ins Gras drückt. In der gleichen Sekunde realisiere ich: wo ein Frischling ist, ist die Bache nicht weit. Direkt vor mir flitzt ein zweiter Frischling den Hang hoch. Während ich wie hypnotisiert weiterlaufe, was wirklich bescheuert ist, folgt mein Blick Nummer 2. Und da sehe ich sie: Mutti. Und Mutti ist echt sauer. Sie täuscht einen Angriff in meine Richtung vor und ruft ihre Ferkel. Mit einer HF von gefühlten 250 Schlägen renne ich panikartig weiter, besessen von dem Größenwahn, schneller als Mutti zu sein. Doch sie setzt Prioritäten. Statt dem grellorangen Tuch nachzulaufen, sammelt sie lieber ihre Racker ein und dreht ab. Schwein gehabt. Den Berg nach Kupferhammer erklimme ich in einem Tempo, das weltrekordverdächtig ist. Vielleicht hat Mutti ja doch noch Lust auf eine kleine Treibjagd.
Apropos Jagd. Wenige Kilometer später muß ich wieder die Pausentaste drücken. Auf dem Rundweg nach Siehdichum, direkt am See, stößt einer ins Horn. Leider kenne ich mich da nicht so aus und weiß nicht, ist das nun Hallali oder Sau tot? Wird hier gerade die Jagdsaison eröffnet und wenn ja, auf wen? Langsam kommen mir Zweifel, ob das grellorange Shirt so eine gute Idee war. Wenig später knallt es und so ist wenigstens eine der Fragen geklärt. Das Schwein hat mich nicht gekriegt, nun erwischt mich der Jäger, denke ich so und lege einen Zahn zu. Was völlig sinnlos ist, aber mir fällt nichts besseres ein. Endlich bin ich an der Straße zum Gasthaus Siehdichum und überlege, ob ich zur Bremsdorfer Mühle oder zum Schervenzsee laufe. Lieber nach links zum Schervenzsee und von der Straße runter. Nachdem ich Schwein und Jäger überlebt habe, will ich nicht unbedingt vom Auto überfahren werden.
Am Schervenzsee fällt mir das Warnschild Angelgewässer auf und so darf ich die nächsten 2 Kilometer Slalom laufen, da die Angler nicht nur das Gewässer, sondern auch den Weg in Beschlag nehmen. Das ist mir für heute zuviel Mensch und ich drehe um. Auf dem Rückweg mache ich vorsichtshalber die Musik aus, um das Treiben der Jäger zu orten. Aber es ist wieder Ruhe eingekehrt und ein Schwanenpärchen gondelt friedlich über den See.
Als ich wieder an der Stelle mit der wilden Sau vorbeikomme, sehe ich mich erstmal gründlich um. Sollte der Frischling immer noch daliegen, ist etwas faul. Dann interessiert sich vielleicht schon Meister Isegrimm dafür und denkt, ich will ihm sein Essen klauen. Ich muß an Rotkäppchen denken und mir läuft ein Schauer über den Rücken. Zum Glück ist kein Schwein da und wahrscheinlich auch kein Wolf. Leicht sensibilisiert fällt mir jetzt auf, wieviele Schweinekuhlen und aufgewühlte Flächen direkt an der Laufstrecke sind. Während ich auf dem Hinweg träumend dahinschwebte, habe ich sicher ahnungslos das Mißfallen der Schweinebande erregt. Ich laufe etwas schneller. Habe das Gefühl, beobachtet zu werden. 10 Minuten zu früh bin ich wieder an meinem Startpunkt. Überglücklich darüber, daß ich degenerierter Stadtmensch diesen Dschungellauf überstanden habe, hopse ich mal eben in den See und habe an diesem Tag zum zweiten Mal eine HFmax. Das Wasser ist gefühlte 4°C kalt. Aber die letzte Chance, mich um die Ecke zu bringen, ist vertan. Gestählt steige ich aus den Fluten und bin wahnsinnig stolz, daß ich das Abenteuer Leben in diesem GEFÄHRLICHEN Schlaubetal gemeistert habe.
PS.: Sonntagabend brach ein Unwetter über uns herein. Ich hatte damit eigentlich schon am Vormittag gerechnet.