Wie man vom Marathonlaufen eine psychische Störung bekommen kann
Verfasst: 08.08.2010, 19:08
Das Thema würde auch in „Gesundheit und Medizin“ passen. Immerhin beschäftigt mich die Frage, ob das Phänomen weiter verbreitet ist oder nur in wenigen Einzelfällen auftritt. Da der Auslöser bei mir eindeutig ein Marathonlauf war, habe ich mich entschlossen, es unter „Laufberichte“ zu platzieren. Die ersten Symptome zeigten sich bereits während des Laufes, aber erst nach Beendigung kam die volle Symptomatik zum Vorschein.
Unumwunden und ohne drum herum zu reden, will ich hier die nicht zu leugnende Diagnose kundtun: Ich leide an einer schweren kognitiven Dissonanz! Es erscheint mir hilfreich, eine kurze Darstellung der Entstehungsgeschichte zu geben, bevor ich in die Beschreibung der Symptome übergehe, so dass potenzielle Leidensgefährten prüfen mögen, ob sie an der gleichen Störung leiden. Vielleicht hilft bereits die Erkenntnis, dass man mit seinem Leiden nicht allein dasteht.
Der Grundstein wurde schon vor 5 Wochen gelegt.
Da war ich nämlich einen Marathon im Allgäu gelaufen: Bergig, anstrengend, heiß. Ich bin ein ökonomisch denkender Mensch und sagte mir: Warum nicht das investierte Training ausnutzen für mehr? Eine gute Fahrtstunde von mir zuhause liegt die Eifel, auch mit Aufs und Abs; am 8. August 2010 sollte dort der Marathon in Monschau stattfinden, den kannte ich bereits und wusste, dass er herausfordernd, aber doch deutlich leichter zu laufen ist als der in Oberstaufen. Also einige Berglaufverlängerungstrainings eingelegt und mich angemeldet für dieses Ereignis. Ich fühlte mich gut und überlegte, was drin sein könnte. Das Resultat, abgeleitet aus 6 Teilnahmen zuvor: 3:15 h war das Minimalziel, 3:10 schien nicht unrealistisch, und alles darunter wäre die Kür (mit der ich insgeheim spekulierte).
Der Tag des schicksalschweren Ereignisses
Der Marathon beginnt um 8 Uhr, denn er findet immer im August statt, und da hat es schon heiße Tage gegeben. Diesmal nicht, diesmal pisste es wie aus Kübeln, als ich um 6 Uhr Richtung Eifel fuhr, und ich musste das Tempo teilweise bis auf 60 km/h drosseln, da die Straße schwamm. Aber: als der Lauf gestartet wurde, war es bis auf ein leichtes Nieseln trocken. Das Wetter mit Temperaturen zwischen 12 und 15° C war perfekt. Mit Karacho ging es die ersten km bergab, die sind die leichtesten, und nach 10 km zeigte mir die Uhr eine Zwischenzeit knapp unter 44 min an. Ich kalkulierte: 46 min für den zweiten Zehner, dann 2-mal 44 min, und mit einem Schlussstück von 10 min wäre ich nicht nur im Plan, sondern hätte gar noch einen Puffer. Jau, so sollte es laufen! Die weiteren Zehnerzeiten waren dabei kein Wunschdenken, sondern gespeist aus der Topographie der Strecke und den Erfahrungen der vorherigen Läufe.
Das schwerste Stück mit dem heftigsten Anstieg wartet zwischen km 11 und 14 mit einer Hammersteigung zwischen km 12 und 13. Auf diesem Stück habe ich in vorigen Jahren teilweise Gehpausen eingelegt zur Schonung der Kräfte. Tja, heute brauchte ich die gar nicht. Die Allgäu-Erfahrung mit klar heftigeren Steigungen und das Erhaltungstraining seitdem ließen mich ohne all zu große Mühen laufend den Kamm erreichen. Irritierend nur die von Zeit zu Zeit vorgenommene Zeitkontrolle: Das würde knapp werden mit den 46 min für den zweiten Zehner, ne, nicht knapp, das war mit fortschreitenden km eigentlich nicht mehr drin. Is’ halt auch nicht so schlimm! Als ich nach 20 km bei 1:32:16 h angekommen war, verabschiedete ich mich von unter 3:10 h. Dann eben nicht, kein Beinbruch! Vielleicht gab mir das die Zeit für eine Pinkelpause, denn ob 3:10, 3:11 oder 3:12: what shall’s?
Unter 3:15 h war natürlich gebont, denn – auch das liegt wiederum an der Topographie, die die zeitraubendsten Abschnitte in der ersten Hälfte konzentriert – die zweite Hälfte ist immer schneller, bei meinen älteren Läufen hier zwischen 1 ½ min (beim schnellsten insgesamt) und ca. 6 min. Also alles easy! Nun muss man noch erwähnen, dass die zweite Hälfte leichter zu laufen ist, aber doch ein ständiges Auf und ab mit sich bringt mit einigen leicht fiesen, lang gezogenen Anstiegen. Bei km 30 hatte ich 2:19:05 auf der Uhr. Rechnen konnte ich noch: Das waren nicht 44 min wie geschätzt, das waren fast 47 min für km 20 bis 30. Ja, was war denn da los?
Wenn das so weiter ging, dann könnte ich mir die 3:15 aber auch abschminken! Und das ging so weiter: bei km 40 schlugen 3:07:04 zu Buche. Das waren ebenfalls keine 44 min, das waren 48 min (!) für den letzten Zehner! Ei der Daus! Und da bei diesen Zwischenzeiten eine km-Zeit von klar unter 4 min/km nicht wahrscheinlich war für die restlichen 2,2 km – dem steht allein schon der letzte, wirklich richtig fiese Anstieg nach fast 41 km entgegen -, war die ganze schöne Vorabbetrachtung nur noch Makulatur. Nach 3:17:25 h brutto und 3:17:20 h netto hörte ich dann endlich meinen Namen im Zieldurchlauf; denn das lassen die Veranstalter in Monschau sich nicht nehmen, jeden Finisher namentlich zu erwähnen.
Im Ziel - die letzten 200 m hatte ich den Tank noch mal leer gemacht und so richtig Gas gegeben – war ich ziemlich ausgepumpt, fühlte mich schlecht und kam gerade noch an der Kotzerei vorbei. Das legte sich dann zwar schnell, aber die Knochen spürte ich ordentlich. Also, geschont hatte ich mich nicht.
Gebot der Höflichkeit: ein Satz zum after-run-event
Der Marathon heißt zwar Monschau-Marathon, und irgendwie sind da auch alle Ortsteile beteiligt, aber der Hauptort ist Konzen, und das ist ein eher kleines Kaff mit ca. 2.000 Einwohnern. Früher haben die mal über 1.000 Marathoneinzelläufer gehabt, jetzt helfen die Nebenwettbewerbe, solche Teilnehmerzahlen zu erreichen (Staffeln, Walker). Das ist ne mächtig dicke Veranstaltung für so eine kleine Gemeinde, denke ich.
Und die machen das gut: die Organisation ist perfekt, das Rahmenprogramm, Essen, Trinken, ja auch eigenes Musikprogramm sind liebevoll arrangiert, selbst die Siegerehrung fand heuer in akzeptablem Zeitrahmen statt. Alle Helfer sind auch äußerlich gut erkennbar, die Hauptorganisatoren namentlich auf ihren speziellen T-Shirts gekennzeichnet: Lothar der Oberorganisator, Oli auch ein wichtiger Mann usw. Bemerkenswertes soziales Engagement zeigten die Angehörigen einer Großfamilie, die tutto completto das riesige Küchenbuffet übernommen hatte und die alle auf den Namen „Crew“ hören. Das stand jedenfalls auf ihren T-Shirts. Schön, dass man in heutigen Tagen auch als Familie ein solch gemeinsames Interesse teilt.
Volksleiden oder Einzelschicksal: die kognitive Dissonanz
Zurück zum Ausgangspunkt: meinem Outing!
Eine kognitive Dissonanz beschreibt ein Phänomen, wenn Dinge nicht miteinander im Einklang sind. Wenn also z. B. meine Nachbarin mich ständig anmosert, weil ich es angeblich auf ihren Köter abgesehen habe, und sie mich plötzlich eines Tages ermutigt, ihm eins über zu braten, wenn er wieder an meinem 6 Monate alten Nachwuchs herum schlabbert. Das passte dann nicht zusammen. Is’ ein rein fiktives Beispiel, weil ich weder eine Nachbarin mit Köter noch ein 6 Monate altes Balg habe.
Nicht fiktiv ist die heutige Erfahrung: Es passt nicht zusammen, wie ich gelaufen bin und was für eine Zeit heraus gekommen ist. Also nicht die Zeit als solche: ich will nicht unbescheiden sein. Wenn ich die Uhr mal außen vor ließe, wäre ich mit dem Gefühl zurück gefahren: Schön durch gelaufen, gekämpft, das Optimale heraus geholt. Aber die Umstände passen nicht zusammen. Dazu will ich die wichtigsten Erklärungsmuster mal durchgehen:
Erklärung 1: Ich werde alt.
Spontangedanke: Absolut überzeugend, is’ so, die alten Zeiten läuft man eben nicht mehr!
Dissonanz: Der Altersabfall ist generell um so heftiger, je kürzer die Strecken sind. Also müssten dann die 10 km-Zeiten besonders langsam sein. Sind sie aber nicht.
Erklärung 2: Ich habe mich geschont.
Spontangedanke: Schmarrn!
Dissonanz: Mein Kotzgefühl nach Zieldurchlauf und mein Körper zeigen mir überzeugend, dass dem nicht so ist.
Erklärung 3: Ich habe heute halt einen langsamen Tag erwischt.
Spontangedanke: Hmm, vielleicht, könnte ja sein!
Dissonanz: Ich bin als Gesamt-20.er ins Ziel gekommen (bei 454 männlichen Finishern), also kann’s nicht sooo langsam gewesen sein. Außerdem: der letzte, der mich überholt hat, tat das nach etwa 15 km, und einen jungen Belgier, der mir nach 14 km davon gelaufen ist, den habe ich nach 40 km wieder eingefangen. Ich habe also sogar noch einen Platz gewonnen, spricht folglich gegen den „langsamen Tag“.
Das passt hinten und vorn nicht zusammen! Ich bin ein Mann, ich brauche logische Bezüge: Ursache A führt zu Wirkung B, Ereignis X ist durch Vorgänger Y und Z ausgelöst worden. Sowas in der Art, aber nicht so widersprüchliche Ungereimtheiten wie diese hier!
Relativitätstheorie
Bei den Läufen hier in der Gegend läuft ganz oft einer mit ’ner Spendenbüchse rum: „Running for kids“ nennt er das, und er hat meinen höchsten Respekt, denn da sind schon etliche Summen zustande gekommen, und vielen jungen Menschen mit schweren, teils tödlichen Krankheiten konnte er finanziell helfen. Peter heißt der, der kam auch heute wieder vorbei und fragte mich, wie’s denn gelaufen sei. Ach, so wär’s ja okay, aber eigentlich wollte ich schneller laufen, meinte ich. Wir sollten doch froh sein, vor allem in unserem Alter, dass wir noch so gesund seien und überhaupt laufen könnten, meinte er dazu. Da hat er nun auch wieder Recht!
Bernd
Unumwunden und ohne drum herum zu reden, will ich hier die nicht zu leugnende Diagnose kundtun: Ich leide an einer schweren kognitiven Dissonanz! Es erscheint mir hilfreich, eine kurze Darstellung der Entstehungsgeschichte zu geben, bevor ich in die Beschreibung der Symptome übergehe, so dass potenzielle Leidensgefährten prüfen mögen, ob sie an der gleichen Störung leiden. Vielleicht hilft bereits die Erkenntnis, dass man mit seinem Leiden nicht allein dasteht.
Der Grundstein wurde schon vor 5 Wochen gelegt.
Da war ich nämlich einen Marathon im Allgäu gelaufen: Bergig, anstrengend, heiß. Ich bin ein ökonomisch denkender Mensch und sagte mir: Warum nicht das investierte Training ausnutzen für mehr? Eine gute Fahrtstunde von mir zuhause liegt die Eifel, auch mit Aufs und Abs; am 8. August 2010 sollte dort der Marathon in Monschau stattfinden, den kannte ich bereits und wusste, dass er herausfordernd, aber doch deutlich leichter zu laufen ist als der in Oberstaufen. Also einige Berglaufverlängerungstrainings eingelegt und mich angemeldet für dieses Ereignis. Ich fühlte mich gut und überlegte, was drin sein könnte. Das Resultat, abgeleitet aus 6 Teilnahmen zuvor: 3:15 h war das Minimalziel, 3:10 schien nicht unrealistisch, und alles darunter wäre die Kür (mit der ich insgeheim spekulierte).
Der Tag des schicksalschweren Ereignisses
Der Marathon beginnt um 8 Uhr, denn er findet immer im August statt, und da hat es schon heiße Tage gegeben. Diesmal nicht, diesmal pisste es wie aus Kübeln, als ich um 6 Uhr Richtung Eifel fuhr, und ich musste das Tempo teilweise bis auf 60 km/h drosseln, da die Straße schwamm. Aber: als der Lauf gestartet wurde, war es bis auf ein leichtes Nieseln trocken. Das Wetter mit Temperaturen zwischen 12 und 15° C war perfekt. Mit Karacho ging es die ersten km bergab, die sind die leichtesten, und nach 10 km zeigte mir die Uhr eine Zwischenzeit knapp unter 44 min an. Ich kalkulierte: 46 min für den zweiten Zehner, dann 2-mal 44 min, und mit einem Schlussstück von 10 min wäre ich nicht nur im Plan, sondern hätte gar noch einen Puffer. Jau, so sollte es laufen! Die weiteren Zehnerzeiten waren dabei kein Wunschdenken, sondern gespeist aus der Topographie der Strecke und den Erfahrungen der vorherigen Läufe.
Das schwerste Stück mit dem heftigsten Anstieg wartet zwischen km 11 und 14 mit einer Hammersteigung zwischen km 12 und 13. Auf diesem Stück habe ich in vorigen Jahren teilweise Gehpausen eingelegt zur Schonung der Kräfte. Tja, heute brauchte ich die gar nicht. Die Allgäu-Erfahrung mit klar heftigeren Steigungen und das Erhaltungstraining seitdem ließen mich ohne all zu große Mühen laufend den Kamm erreichen. Irritierend nur die von Zeit zu Zeit vorgenommene Zeitkontrolle: Das würde knapp werden mit den 46 min für den zweiten Zehner, ne, nicht knapp, das war mit fortschreitenden km eigentlich nicht mehr drin. Is’ halt auch nicht so schlimm! Als ich nach 20 km bei 1:32:16 h angekommen war, verabschiedete ich mich von unter 3:10 h. Dann eben nicht, kein Beinbruch! Vielleicht gab mir das die Zeit für eine Pinkelpause, denn ob 3:10, 3:11 oder 3:12: what shall’s?
Unter 3:15 h war natürlich gebont, denn – auch das liegt wiederum an der Topographie, die die zeitraubendsten Abschnitte in der ersten Hälfte konzentriert – die zweite Hälfte ist immer schneller, bei meinen älteren Läufen hier zwischen 1 ½ min (beim schnellsten insgesamt) und ca. 6 min. Also alles easy! Nun muss man noch erwähnen, dass die zweite Hälfte leichter zu laufen ist, aber doch ein ständiges Auf und ab mit sich bringt mit einigen leicht fiesen, lang gezogenen Anstiegen. Bei km 30 hatte ich 2:19:05 auf der Uhr. Rechnen konnte ich noch: Das waren nicht 44 min wie geschätzt, das waren fast 47 min für km 20 bis 30. Ja, was war denn da los?
Wenn das so weiter ging, dann könnte ich mir die 3:15 aber auch abschminken! Und das ging so weiter: bei km 40 schlugen 3:07:04 zu Buche. Das waren ebenfalls keine 44 min, das waren 48 min (!) für den letzten Zehner! Ei der Daus! Und da bei diesen Zwischenzeiten eine km-Zeit von klar unter 4 min/km nicht wahrscheinlich war für die restlichen 2,2 km – dem steht allein schon der letzte, wirklich richtig fiese Anstieg nach fast 41 km entgegen -, war die ganze schöne Vorabbetrachtung nur noch Makulatur. Nach 3:17:25 h brutto und 3:17:20 h netto hörte ich dann endlich meinen Namen im Zieldurchlauf; denn das lassen die Veranstalter in Monschau sich nicht nehmen, jeden Finisher namentlich zu erwähnen.
Im Ziel - die letzten 200 m hatte ich den Tank noch mal leer gemacht und so richtig Gas gegeben – war ich ziemlich ausgepumpt, fühlte mich schlecht und kam gerade noch an der Kotzerei vorbei. Das legte sich dann zwar schnell, aber die Knochen spürte ich ordentlich. Also, geschont hatte ich mich nicht.
Gebot der Höflichkeit: ein Satz zum after-run-event
Der Marathon heißt zwar Monschau-Marathon, und irgendwie sind da auch alle Ortsteile beteiligt, aber der Hauptort ist Konzen, und das ist ein eher kleines Kaff mit ca. 2.000 Einwohnern. Früher haben die mal über 1.000 Marathoneinzelläufer gehabt, jetzt helfen die Nebenwettbewerbe, solche Teilnehmerzahlen zu erreichen (Staffeln, Walker). Das ist ne mächtig dicke Veranstaltung für so eine kleine Gemeinde, denke ich.
Und die machen das gut: die Organisation ist perfekt, das Rahmenprogramm, Essen, Trinken, ja auch eigenes Musikprogramm sind liebevoll arrangiert, selbst die Siegerehrung fand heuer in akzeptablem Zeitrahmen statt. Alle Helfer sind auch äußerlich gut erkennbar, die Hauptorganisatoren namentlich auf ihren speziellen T-Shirts gekennzeichnet: Lothar der Oberorganisator, Oli auch ein wichtiger Mann usw. Bemerkenswertes soziales Engagement zeigten die Angehörigen einer Großfamilie, die tutto completto das riesige Küchenbuffet übernommen hatte und die alle auf den Namen „Crew“ hören. Das stand jedenfalls auf ihren T-Shirts. Schön, dass man in heutigen Tagen auch als Familie ein solch gemeinsames Interesse teilt.
Volksleiden oder Einzelschicksal: die kognitive Dissonanz
Zurück zum Ausgangspunkt: meinem Outing!
Eine kognitive Dissonanz beschreibt ein Phänomen, wenn Dinge nicht miteinander im Einklang sind. Wenn also z. B. meine Nachbarin mich ständig anmosert, weil ich es angeblich auf ihren Köter abgesehen habe, und sie mich plötzlich eines Tages ermutigt, ihm eins über zu braten, wenn er wieder an meinem 6 Monate alten Nachwuchs herum schlabbert. Das passte dann nicht zusammen. Is’ ein rein fiktives Beispiel, weil ich weder eine Nachbarin mit Köter noch ein 6 Monate altes Balg habe.
Nicht fiktiv ist die heutige Erfahrung: Es passt nicht zusammen, wie ich gelaufen bin und was für eine Zeit heraus gekommen ist. Also nicht die Zeit als solche: ich will nicht unbescheiden sein. Wenn ich die Uhr mal außen vor ließe, wäre ich mit dem Gefühl zurück gefahren: Schön durch gelaufen, gekämpft, das Optimale heraus geholt. Aber die Umstände passen nicht zusammen. Dazu will ich die wichtigsten Erklärungsmuster mal durchgehen:
Erklärung 1: Ich werde alt.
Spontangedanke: Absolut überzeugend, is’ so, die alten Zeiten läuft man eben nicht mehr!
Dissonanz: Der Altersabfall ist generell um so heftiger, je kürzer die Strecken sind. Also müssten dann die 10 km-Zeiten besonders langsam sein. Sind sie aber nicht.
Erklärung 2: Ich habe mich geschont.
Spontangedanke: Schmarrn!
Dissonanz: Mein Kotzgefühl nach Zieldurchlauf und mein Körper zeigen mir überzeugend, dass dem nicht so ist.
Erklärung 3: Ich habe heute halt einen langsamen Tag erwischt.
Spontangedanke: Hmm, vielleicht, könnte ja sein!
Dissonanz: Ich bin als Gesamt-20.er ins Ziel gekommen (bei 454 männlichen Finishern), also kann’s nicht sooo langsam gewesen sein. Außerdem: der letzte, der mich überholt hat, tat das nach etwa 15 km, und einen jungen Belgier, der mir nach 14 km davon gelaufen ist, den habe ich nach 40 km wieder eingefangen. Ich habe also sogar noch einen Platz gewonnen, spricht folglich gegen den „langsamen Tag“.
Das passt hinten und vorn nicht zusammen! Ich bin ein Mann, ich brauche logische Bezüge: Ursache A führt zu Wirkung B, Ereignis X ist durch Vorgänger Y und Z ausgelöst worden. Sowas in der Art, aber nicht so widersprüchliche Ungereimtheiten wie diese hier!
Relativitätstheorie
Bei den Läufen hier in der Gegend läuft ganz oft einer mit ’ner Spendenbüchse rum: „Running for kids“ nennt er das, und er hat meinen höchsten Respekt, denn da sind schon etliche Summen zustande gekommen, und vielen jungen Menschen mit schweren, teils tödlichen Krankheiten konnte er finanziell helfen. Peter heißt der, der kam auch heute wieder vorbei und fragte mich, wie’s denn gelaufen sei. Ach, so wär’s ja okay, aber eigentlich wollte ich schneller laufen, meinte ich. Wir sollten doch froh sein, vor allem in unserem Alter, dass wir noch so gesund seien und überhaupt laufen könnten, meinte er dazu. Da hat er nun auch wieder Recht!
Bernd