Jungfrau 2010 - Yes I can!
Verfasst: 14.09.2010, 10:02
Hier verstarb der Lieblings-Elefant von Attila, dem Hunnenkönig. Oder Omar Sharif, oder Shabala, oder wie hiess dieser Kerl doch gleich? Auf jeden Fall darf auf dem Gedenkschild nicht sowas stehen wie: Hier verstarb die Läuferin, die zu dumm war, ihre Kräfte einzuteilen.
Der geneigte Leser merkt schon jetzt, zu dem Zeitpunkt herrschte Ausnahmezustand und gähnende Leere im Hirn der Erstellerin dieses Berichtes. Aber scrollen wir doch mal zurück. So ca. 3, 5 Stunden.
Kapitel 1: Start Interlaken – Die Todgeweihten grüssen sich. Die Berggazellen auch.
Eine schrecklich hibbelige Marianne steht neben ihrem erfahrenen Jungfrauenbegeher wowbagger-Heiko. Genau dieser soll sie heute zu ihrem grossen Erfolg begleiten. Aber umringt von all diesen drahtigen, durchtrainierten Läuferinnen und Läufern beschleichen mich – wie jedes Mal – grosse Zweifel an der Richtigkeit meines Tuns. Aber egal, ich bin da, wir sind da, die Sonne scheint, der Himmel ist blau, und schliesslich soll das ja ein ausserordentlicher Tag werden.
Der Startschuss erfolgt, wie immer vom Donnerknall der Kanonen auf der benachbarten Wiese unterlegt, und relativ schnell setzt sich die Läuferschar in Bewegung. Natürlich lassen wir uns wider jeglichen intelligenten Vorsätzen mitreissen, der erste Kilometer ist in 5:37 durchgefetzt (jaaaa, für mein Befinden ist das schnell). Aber die Beine sind leicht, frisch und wild und wollen bewegt werden, die Vernunft hat keine Chance. Also geht es auf den nächsten Kilometern fast in demselben Tempo weiter. Scroll.
Kapitel 2: Wilderswil - Ich schau dich an, doch leider muss ich gehen
Wir befinden uns unterdessen ca. 5 Kilometer weiter, und haben soeben in Bönigen einen Blick auf den wunderschönen, türkisfarbenen Brienzersee werfen können, und nun geht’s wieder zurück Richtung Lütschine, in die richtige Richtung, nämlich dort, wo die Berge sind. An der Strecke ist mächtig was los, jede Menge Leute, die einen anfeuern, und am Strassenrand stehen die berühmten Männern, die mit einer Mordsausdauer ihre Trycheln schwingen. Da jubelt das Herz einer wahren Kuhschweizerin.
Heiko neben mir scheints weniger zu berühren, ich werde den Eindruck nicht los, dass der Anlass für ihn bereits nicht mehr ganz so spassig ist. Ein Blick auf die Durchschnittszeit bestätigt dies. Zwar bewegen wir uns jetzt in der „Vernunfts-Pace“, aber der Unterschied zu vorher ist deutlich fühlbar und meine wilden Beine wehren sich gegen das Tempo. Nach zwei weiteren Kilometern treffe ich eine folgenschwere Entscheidung. Da ich mit meiner Familie abgemacht hatte, dass sie irgendwo bei Kilometer 10 in Wilderswil an der Strecke auf mich warten würden, möchte ich vorauslaufen. So hab ich genügend Zeit, ein bisschen zu quatschen und von den Lieben noch ein bisschen motiviert zu werden, und werde dann mit Heiko zusammen weiterlaufen, sobald er mich eingeholt hat. So weit so gut, ich glaube, wowbagger lässt mich nur zu gerne ziehen, dann ist er dieses lästig scharrende Zugpferd los.
Ich wetze also los, quer durch Wilderswil. Auch hier mächtig viel los, der Applaus und die Musik lässt mich nur so dahinfliegen. Natürlich nicht, ohne mit Argusaugen links und rechts die Leute nach den bekannten Gesichtern durchzuscreenen. Jetzt kommt schon die erste Steigung. Das find ich jetzt etwas seltsam, dass ich meine Leute immer noch nicht gefunden habe, aber vielleicht warten sie ja weiter hinten. Ich düse in meinem Berg-Tippelschritt fast mühelos die Steigung hoch. Und bin schon in Gesteigwiler. Auch da niemand, den ich kennen würde. Als die Strecke dann einsam und vor allem weg von allen Zufahrtsstrassen der Lütschine entlang weiterführt, macht sich grosse Enttäuschung in mir breit, denn ich realisiere, dass ich meine Lieben heute bei dem Lauf nicht mehr treffen werde. Noch grössere Enttäuschung macht sich breit, als ich ausrechne, dass sich vermutlich der Abstand zwischen Heiko und mir bereits auf 5-6 Minuten ausgedehnt hat. Solange möchte ich nicht warten, ich fürchte mich zu sehr vor dem heissen Atem des Besenwagens. Also laufe ich weiter. Scroll.
Kapitel 3: Lauterbrunnen – The legend of the fall
Wir befinden uns jetzt nur noch ein paar Minuten vor der Startszene.
Die Halbmarathonmarke bei 2:14 längst passiert, und kurz mit Heiko SMS ausgetauscht. Er ist ziemlich weit hinter mir, Warten würde keinen Sinn mehr machen. Nun hab ich das Tal bei Lauterbrunnen passiert, die fantastischen Staubbachfälle intensiv bewundert, und die ersten 26 Kilometer sind Geschichte. Mein Ziel, bis „zur Wand“ zu laufen hab ich erreicht. Nun geht’s aufwärts. Wie sehr aufwärts, das hätte ich nicht gedacht. Nach den verhältnismässig flachen Einstiegskilometern geht’s nun brutal aufwärts, im Zickzack den Wald hoch. Kaum einer kann da noch laufen, es wird mehr oder wenig zügig marschiert.
Ich fühl mich immer noch fit und munter, und lasse mich zu mehreren Ueberholmanövern hinreissen. Ha, das bisschen Berg macht mir doch nichts aus. Und dann passiert es. War es die Banane, die ich unvernünftigerweise beim letzten Verpflegungspunkt gegessen hatte? Oder doch noch die Folgen des Bienenstiches vor einer Woche? Mein Magen verwandelt sich in in einen brodelnden Feuertopf, Schwindel im Kopf. Nach einer weiteren Kurve kommt das nur zu gut bekannte Brummen in den Ohren dazu. Höchste Alarmstufe. Wenn ich mich nicht sofort hinsetze, wird dieser Lauf für mich schneller fertig sein, als ich es je in meinen schlimmsten Träumen gedacht hätte. Auf einem Stein lass ich mich nieder. Die Läufer gehen mit ausdrucklosen Gesichtern an mir vorbei, jeder ist am kämpfen. Ich klaube meine Traubenzucker hervor, trinke meine Isoplörre und hoffe darauf, dass sich mein Kreislauf, der genau so leer ist wie mein Kopf, wieder normalisiert. Ich weiss nicht, wie lange ich da gesessen bin.
Irgendwann mal kämpf ich mich wieder auf die Beine, sie halten. Aber an Tempo machen ist nicht zu denken. Ich bummle quasi im Spaziertempo den Berg hoch, werde reihenweise durchgereicht. Aber irgendwann mal bin ich doch oben, in Wengen. Da wird’s wieder flacher, und im Dorf wage ich es sogar, wieder leicht anzulaufen. Die Beine finden das erstaunlicherweise schön, mein Magen weniger, der gefällt sich in seiner Rolle als feuerspeiender Vulkan in Zickenlaune. Bis ins Ziel werde ich bei den Laufpassagen meinen Hüftgurt jeweils abziehen und wie eine Handtasche über die Schulter hängen, denn der Bauch verträgt keinerlei Druck mehr. Scroll.
Kapitel 4: Wengen bis Wixi – Spiel mir das Lied von Tod.
Ja, Marathonläufer sind einsame Kerle. Jeder kämpft sich vorwärts, jeder Schritt, den man macht, bringt einem dem Ziel näher. Wenn auch langsam. Sehr langsam. Die Krönung ist das Schild irgendwo hinter Wengen, ca. 10 Kilometer vor dem Ziel. Ich weiss nicht, welcher Sadist sich das ausgedacht hat, aber auf jeden Fall hat er sich hoffentlich im Wald versteckt und kann sich nun an der Wirkung seiner Tat ergötzen. Auf dem Schild steht nämlich: „Gratulation, Sie haben soeben die Hälfte der Höhenmeter geschafft! Nur noch 900 HM bis zum Ziel“. Eigentlich hätte man da auch einen Panzer nehmen können und ein bisschen über die Läufer fahren, die Wirkung wäre kaum geringer gewesen.
Obligate Sinneskrisen lösen sich ab mit schlicht und einfach gähnender Leere im Hirn. Die Beine sind müde, die Waden steinhart. Ich vermisse meinen MP3-Player. Wenigstens findet sich irgendwann mal ein netter Local Hero, der den Jungfrau-Marathon zum zehnten Mal läuft, und mich mit diversen Geschichtchen vor dem körperlichen und geistigen Koma rettet.
Dann kommt sie endlich, die Verzweigung zum Skilift Wixi. Der letzte Durchgangspunkt, den man unbedingt vor 14:25 Uhr erreichen muss. Immer noch über eine Viertelstunde Luft zum Besenwagen. Den kritischen Blick des Arztes lass ich ruhig über mich ergehen, es geht mir sogar etwas besser, der Magen hat sich durch die Cola vom letzten Verpflegungsstand ein bisschen besänftigen lassen.
Kapitel 5: Bis zum Ziel – not running up that hill
Nach der Passage Wixi macht sich das erste Mal seit Stunden sowas wie Emotionen breit. Und was für welche! Mir wird bewusst, dass ich dieses Ding heute schaffen werde. Grosse Erleichterung, die aus was für Gründen auch immer in Form von Tränen und Schluchzen raus wollen. Aber hier wird nicht geweint, und schon gar nicht vor dem Ziel. Ich reihe mich ein in die Perlenschnur der Läufer. Das Tempo ist – jaja, ich weiss, das hatten wir schon – zu langsam für meinen Geschmack. Bisher war ja die Strecke immer auf befestigten Strassen, aber das hier ist ein echter Bergweg mit viel Geröll, und das macht vielen Leuten Mühe. Diesmal bleibe ich aber vernünftig, und geniesse stattdessen den ruhigen Aufstieg samt der wirklich sensationellen Aussicht auf die schneebedeckten Viertausender. Meine Beine erholen sich, die Kraft kommt zurück. Es ist schon fast peinlich, aber mir geht’s blendend! Anderen nicht so, viele Läufer müssen sich hinsetzen. Leider kommen wir sogar in den „Genuss“, eine Helikopterrettung vor Ort miterleben zu dürfen. Der Läufer dürfte allerdings vom Gefühl, in luftiger Höhe nur an einem Seil befestigt vom Helikopter weggetragen zu werden kaum mehr was mitgekriegt haben.
Dann endlich der Dudelsackspieler. Es ist ja nicht mehr Roman Kaeslin. Der ist leider diesen April im Alter von 78 Jahren gestorben. Die diesjährige Medaille ist geschmückt mit seinem Konterfei.
Der letzte Kilometer geht runter, die Beine laufen problemlos an. Ich könnte jubeln.
Irgendwo kurz vor dem Ziel hab ich plötzlich Heiko an meiner Seite. Ich brauche zwei, drei Sekunden plus seine Erklärung, bis ich kapiert habe, dass er aufgegeben hatte, und oben auf mich gewartet hatte.
Das stimmt mich grad etwas traurig, nichts desto Trotz geniesse ich den Zieleinlauf.
Endlich geschafft! Ein Traum ist wahr geworden. Die Uhr steht bei 6:13:59 still. Das Glücksgefühl ist unbeschreiblich.
The end.
Ein toller, wunderbarer Anlass, der schon ein paar Tage später nach einer Wiederholung schreit. Aber die super Organisation, die Strecke, und die ganze Stimmung ist einfach nur perfekt. Vielen Dank auch nochmals an Heiko, der mir durch seine verrückten Berichte überhaupt den Mut gegeben hat, sowas zu wagen.
Danke fürs Mitlesen und viele Grüsse, Marianne
Der geneigte Leser merkt schon jetzt, zu dem Zeitpunkt herrschte Ausnahmezustand und gähnende Leere im Hirn der Erstellerin dieses Berichtes. Aber scrollen wir doch mal zurück. So ca. 3, 5 Stunden.
Kapitel 1: Start Interlaken – Die Todgeweihten grüssen sich. Die Berggazellen auch.
Eine schrecklich hibbelige Marianne steht neben ihrem erfahrenen Jungfrauenbegeher wowbagger-Heiko. Genau dieser soll sie heute zu ihrem grossen Erfolg begleiten. Aber umringt von all diesen drahtigen, durchtrainierten Läuferinnen und Läufern beschleichen mich – wie jedes Mal – grosse Zweifel an der Richtigkeit meines Tuns. Aber egal, ich bin da, wir sind da, die Sonne scheint, der Himmel ist blau, und schliesslich soll das ja ein ausserordentlicher Tag werden.
Der Startschuss erfolgt, wie immer vom Donnerknall der Kanonen auf der benachbarten Wiese unterlegt, und relativ schnell setzt sich die Läuferschar in Bewegung. Natürlich lassen wir uns wider jeglichen intelligenten Vorsätzen mitreissen, der erste Kilometer ist in 5:37 durchgefetzt (jaaaa, für mein Befinden ist das schnell). Aber die Beine sind leicht, frisch und wild und wollen bewegt werden, die Vernunft hat keine Chance. Also geht es auf den nächsten Kilometern fast in demselben Tempo weiter. Scroll.
Kapitel 2: Wilderswil - Ich schau dich an, doch leider muss ich gehen
Wir befinden uns unterdessen ca. 5 Kilometer weiter, und haben soeben in Bönigen einen Blick auf den wunderschönen, türkisfarbenen Brienzersee werfen können, und nun geht’s wieder zurück Richtung Lütschine, in die richtige Richtung, nämlich dort, wo die Berge sind. An der Strecke ist mächtig was los, jede Menge Leute, die einen anfeuern, und am Strassenrand stehen die berühmten Männern, die mit einer Mordsausdauer ihre Trycheln schwingen. Da jubelt das Herz einer wahren Kuhschweizerin.
Heiko neben mir scheints weniger zu berühren, ich werde den Eindruck nicht los, dass der Anlass für ihn bereits nicht mehr ganz so spassig ist. Ein Blick auf die Durchschnittszeit bestätigt dies. Zwar bewegen wir uns jetzt in der „Vernunfts-Pace“, aber der Unterschied zu vorher ist deutlich fühlbar und meine wilden Beine wehren sich gegen das Tempo. Nach zwei weiteren Kilometern treffe ich eine folgenschwere Entscheidung. Da ich mit meiner Familie abgemacht hatte, dass sie irgendwo bei Kilometer 10 in Wilderswil an der Strecke auf mich warten würden, möchte ich vorauslaufen. So hab ich genügend Zeit, ein bisschen zu quatschen und von den Lieben noch ein bisschen motiviert zu werden, und werde dann mit Heiko zusammen weiterlaufen, sobald er mich eingeholt hat. So weit so gut, ich glaube, wowbagger lässt mich nur zu gerne ziehen, dann ist er dieses lästig scharrende Zugpferd los.
Ich wetze also los, quer durch Wilderswil. Auch hier mächtig viel los, der Applaus und die Musik lässt mich nur so dahinfliegen. Natürlich nicht, ohne mit Argusaugen links und rechts die Leute nach den bekannten Gesichtern durchzuscreenen. Jetzt kommt schon die erste Steigung. Das find ich jetzt etwas seltsam, dass ich meine Leute immer noch nicht gefunden habe, aber vielleicht warten sie ja weiter hinten. Ich düse in meinem Berg-Tippelschritt fast mühelos die Steigung hoch. Und bin schon in Gesteigwiler. Auch da niemand, den ich kennen würde. Als die Strecke dann einsam und vor allem weg von allen Zufahrtsstrassen der Lütschine entlang weiterführt, macht sich grosse Enttäuschung in mir breit, denn ich realisiere, dass ich meine Lieben heute bei dem Lauf nicht mehr treffen werde. Noch grössere Enttäuschung macht sich breit, als ich ausrechne, dass sich vermutlich der Abstand zwischen Heiko und mir bereits auf 5-6 Minuten ausgedehnt hat. Solange möchte ich nicht warten, ich fürchte mich zu sehr vor dem heissen Atem des Besenwagens. Also laufe ich weiter. Scroll.
Kapitel 3: Lauterbrunnen – The legend of the fall
Wir befinden uns jetzt nur noch ein paar Minuten vor der Startszene.
Die Halbmarathonmarke bei 2:14 längst passiert, und kurz mit Heiko SMS ausgetauscht. Er ist ziemlich weit hinter mir, Warten würde keinen Sinn mehr machen. Nun hab ich das Tal bei Lauterbrunnen passiert, die fantastischen Staubbachfälle intensiv bewundert, und die ersten 26 Kilometer sind Geschichte. Mein Ziel, bis „zur Wand“ zu laufen hab ich erreicht. Nun geht’s aufwärts. Wie sehr aufwärts, das hätte ich nicht gedacht. Nach den verhältnismässig flachen Einstiegskilometern geht’s nun brutal aufwärts, im Zickzack den Wald hoch. Kaum einer kann da noch laufen, es wird mehr oder wenig zügig marschiert.
Ich fühl mich immer noch fit und munter, und lasse mich zu mehreren Ueberholmanövern hinreissen. Ha, das bisschen Berg macht mir doch nichts aus. Und dann passiert es. War es die Banane, die ich unvernünftigerweise beim letzten Verpflegungspunkt gegessen hatte? Oder doch noch die Folgen des Bienenstiches vor einer Woche? Mein Magen verwandelt sich in in einen brodelnden Feuertopf, Schwindel im Kopf. Nach einer weiteren Kurve kommt das nur zu gut bekannte Brummen in den Ohren dazu. Höchste Alarmstufe. Wenn ich mich nicht sofort hinsetze, wird dieser Lauf für mich schneller fertig sein, als ich es je in meinen schlimmsten Träumen gedacht hätte. Auf einem Stein lass ich mich nieder. Die Läufer gehen mit ausdrucklosen Gesichtern an mir vorbei, jeder ist am kämpfen. Ich klaube meine Traubenzucker hervor, trinke meine Isoplörre und hoffe darauf, dass sich mein Kreislauf, der genau so leer ist wie mein Kopf, wieder normalisiert. Ich weiss nicht, wie lange ich da gesessen bin.
Irgendwann mal kämpf ich mich wieder auf die Beine, sie halten. Aber an Tempo machen ist nicht zu denken. Ich bummle quasi im Spaziertempo den Berg hoch, werde reihenweise durchgereicht. Aber irgendwann mal bin ich doch oben, in Wengen. Da wird’s wieder flacher, und im Dorf wage ich es sogar, wieder leicht anzulaufen. Die Beine finden das erstaunlicherweise schön, mein Magen weniger, der gefällt sich in seiner Rolle als feuerspeiender Vulkan in Zickenlaune. Bis ins Ziel werde ich bei den Laufpassagen meinen Hüftgurt jeweils abziehen und wie eine Handtasche über die Schulter hängen, denn der Bauch verträgt keinerlei Druck mehr. Scroll.
Kapitel 4: Wengen bis Wixi – Spiel mir das Lied von Tod.
Ja, Marathonläufer sind einsame Kerle. Jeder kämpft sich vorwärts, jeder Schritt, den man macht, bringt einem dem Ziel näher. Wenn auch langsam. Sehr langsam. Die Krönung ist das Schild irgendwo hinter Wengen, ca. 10 Kilometer vor dem Ziel. Ich weiss nicht, welcher Sadist sich das ausgedacht hat, aber auf jeden Fall hat er sich hoffentlich im Wald versteckt und kann sich nun an der Wirkung seiner Tat ergötzen. Auf dem Schild steht nämlich: „Gratulation, Sie haben soeben die Hälfte der Höhenmeter geschafft! Nur noch 900 HM bis zum Ziel“. Eigentlich hätte man da auch einen Panzer nehmen können und ein bisschen über die Läufer fahren, die Wirkung wäre kaum geringer gewesen.
Obligate Sinneskrisen lösen sich ab mit schlicht und einfach gähnender Leere im Hirn. Die Beine sind müde, die Waden steinhart. Ich vermisse meinen MP3-Player. Wenigstens findet sich irgendwann mal ein netter Local Hero, der den Jungfrau-Marathon zum zehnten Mal läuft, und mich mit diversen Geschichtchen vor dem körperlichen und geistigen Koma rettet.
Dann kommt sie endlich, die Verzweigung zum Skilift Wixi. Der letzte Durchgangspunkt, den man unbedingt vor 14:25 Uhr erreichen muss. Immer noch über eine Viertelstunde Luft zum Besenwagen. Den kritischen Blick des Arztes lass ich ruhig über mich ergehen, es geht mir sogar etwas besser, der Magen hat sich durch die Cola vom letzten Verpflegungsstand ein bisschen besänftigen lassen.
Kapitel 5: Bis zum Ziel – not running up that hill
Nach der Passage Wixi macht sich das erste Mal seit Stunden sowas wie Emotionen breit. Und was für welche! Mir wird bewusst, dass ich dieses Ding heute schaffen werde. Grosse Erleichterung, die aus was für Gründen auch immer in Form von Tränen und Schluchzen raus wollen. Aber hier wird nicht geweint, und schon gar nicht vor dem Ziel. Ich reihe mich ein in die Perlenschnur der Läufer. Das Tempo ist – jaja, ich weiss, das hatten wir schon – zu langsam für meinen Geschmack. Bisher war ja die Strecke immer auf befestigten Strassen, aber das hier ist ein echter Bergweg mit viel Geröll, und das macht vielen Leuten Mühe. Diesmal bleibe ich aber vernünftig, und geniesse stattdessen den ruhigen Aufstieg samt der wirklich sensationellen Aussicht auf die schneebedeckten Viertausender. Meine Beine erholen sich, die Kraft kommt zurück. Es ist schon fast peinlich, aber mir geht’s blendend! Anderen nicht so, viele Läufer müssen sich hinsetzen. Leider kommen wir sogar in den „Genuss“, eine Helikopterrettung vor Ort miterleben zu dürfen. Der Läufer dürfte allerdings vom Gefühl, in luftiger Höhe nur an einem Seil befestigt vom Helikopter weggetragen zu werden kaum mehr was mitgekriegt haben.
Dann endlich der Dudelsackspieler. Es ist ja nicht mehr Roman Kaeslin. Der ist leider diesen April im Alter von 78 Jahren gestorben. Die diesjährige Medaille ist geschmückt mit seinem Konterfei.
Der letzte Kilometer geht runter, die Beine laufen problemlos an. Ich könnte jubeln.
Irgendwo kurz vor dem Ziel hab ich plötzlich Heiko an meiner Seite. Ich brauche zwei, drei Sekunden plus seine Erklärung, bis ich kapiert habe, dass er aufgegeben hatte, und oben auf mich gewartet hatte.
Das stimmt mich grad etwas traurig, nichts desto Trotz geniesse ich den Zieleinlauf.
Endlich geschafft! Ein Traum ist wahr geworden. Die Uhr steht bei 6:13:59 still. Das Glücksgefühl ist unbeschreiblich.
The end.
Ein toller, wunderbarer Anlass, der schon ein paar Tage später nach einer Wiederholung schreit. Aber die super Organisation, die Strecke, und die ganze Stimmung ist einfach nur perfekt. Vielen Dank auch nochmals an Heiko, der mir durch seine verrückten Berichte überhaupt den Mut gegeben hat, sowas zu wagen.
Danke fürs Mitlesen und viele Grüsse, Marianne