Hallo kormaleon,
die 10%-Regel vereinigt mehrere Grundregeln des Ausdauertrainings in sich, ist aber kein allgemein und vor allem nicht in jeder Situation gültiges "Gesetz". Die Grundregeln des Ausdauertrainings, die jede für sich genommen den Charakter einer unumstößlichen Gesetzmäßigkeit besitzen, beschreiben, wie sich Ausdauerzuwachs (ohne Störung durch Überlastung oder Verletzung) erreichen lässt. In der so genannten 10%-Regel stecken direkt oder indirekt folgende Grundregeln des Ausdauertrainings:
1. Prinzip des wirksamen Reizes
2. Prinzip der ansteigenden Belastung
3. Prinzip vom optimalen Verhältnis zwischen Belastung und Erholung
4. Prinzip der Wiederholung und Dauerhaftigkeit
zu 1: Leistungszuwachs setzt voraus, dass die aktuelle Trainingsbelastung eine bestimmte Schwelle überschreitet. Oder anders ausgedrückt: Der Organismus des Sportlers muss mit einer bestimmten Intensität (und für gewisse Zeit) gereizt werden, damit er nach Anpassung eine höhere Leistungsstufe erreicht.
zu 2: Nur eine fortlaufende Anhebung der Belastung kann auf Dauer die beständige Anpassung des biologischen Systems „Mensch“ in Richtung besseres Ausdauerniveau sichern. Die Anforderungen können über verschiedene Leistungsparameter gesteigert werden, u.a. eben auch über die Laufdauer bzw. Laufstrecke
zu 3: Die Erholung (Regeneration) ist für den Ausdauergewinn gleichermaßen wichtig, wie die Trainingsbelastung selbst. Belastung und nachfolgende Erholung bilden eine untrennbare Einheit! Wird zu stark gesteigert - etwa von einer Woche auf die andere - dann kann sich der Körper nicht ausreichend schnell und ausreichend gut erholen.
zu 4: Um mehr Laufleistung bereit zu stellen, muss sich das biologische System „Körper“ anpassen. Zur Stabilisierung und Optimierung dieser Umstellung ist eine vielfache Wiederholung der Trainingsreize erforderlich. Nur so erreichen alle an der Ausdauerleistung beteiligten Funktionssysteme das neue, höhere Niveau.
Mit der 10%-Regel versucht man nun dem Ausdauersportler eine einfache Handlungsanweisung zu geben, damit er sich den Kopf nicht über alles mögliche zerbrechen muss. Die Regel besagt, dass man
"von einer Trainingswoche zur nächsten, die Belastung um nicht mehr als 10% steigern soll".
Dort steht Belastung und damit verbindet sich die erste Schwierigkeit. Belastung kann man nicht nur durch mehr Strecke (mehr Wochenumfang) "erzeugen", sondern auch durch Läufe mit mehr Intenstität (Dauerläufe bei höherem Tempo, Intervallarbeit, usw.) Bei Einsteigern geht es jedoch vor allem darum - bei immer langsamem Lauf - von Woche zu Woche eine höhere Reichweite (Laufdauer) zu erzielen. Dabei lässt sich die 10%-Regel in der Weise anwenden, dass man von einer zur nächsten Woche die Gesamtdauer oder Gesamtstrecke, um nicht mehr als 10% erhöhen sollte. Beispiel:
Woche 1: 30 / 35 / 45 min = 110 min
Davon 10% = 11 min
Das bedeutet nun, der Läufer/die Läuferin könnte in Woche 2 die Laufdauer um 10 min anheben. Ob er/sie das auf einen Lauf konzentriert, also so:
Woche 2: 30 / 45 / 45 min = 120 min
oder auf mehrere Läufe verteilt, also so:
Woche 2: 35 / 40 / 45 min = 120 min
ist dabei zunächst egal. Die Erhöhung um 10 min bildet einen recht starken Reiz. Bliebe der Sportler/die Sportlerin unter dieser von der 10%-Regel "erlaubten" Wert, würde also zum Beispiel um insgesamt nur 5 min erhöhen in Woche 2, dann hätte das einen schwächeren Trainingsreiz zur Folge. Im ersten Fall wird die erzielte Anpassung größer sein.
Nun darf die 10%-Regel natürlich nie unkritisch - sozusagen lösgelöst von der eigenen Befindlichkeit - und schon gar nicht ununterbrochen und in jeder Trainingssituation angewendet werden.
Heißt: Wenn ich mich schwach fühle, krank fühle, nicht ausreichend erholt fühle, dann darf mich diese Regel nicht zwingen trotzdem weiter zu laufen oder überhaupt zu laufen, nur um in der laufenden Woche auf mehr Strecke zu kommen.
Heißt weiter: Es darf nicht in jeder Woche zu jeder weiteren Woche gesteigert werden. Je nach Ausdauertrainiertheit, werde ich jede dritte oder jede vierte Woche mit dem Pensum deutlich runter gehen, um das Erreichte zu sichern/stabilisieren und eventuelle Regenerationsverzögerungen, die sich über die vergangenen Wochen summiert haben, aufzuholen. Es muss auch beachtet werden, dass es um die Gesamt
belastung geht und nicht nur um die Gesamtstsrecke. Wenn jemand also schon so weit ist auch Läufe mit mehr Tempo zu absolvieren oder auch mal einen Lauf in hügeligem Gelände zu absolvieren, dann muss er die davon eingebrachte Belastung bedenken.
Und natürlich darf man die 10%-Regel nicht bis zum Sankt Nimmerleinstag auf die Gesamtlaufstrecke anwenden. Beispiel: Angenommen ein Marathonläufer trainiert in der Woche 100 km. Das ist ein Pensum, wie es unter Umständen für eine Zielzeit von 3 Stunden auf die 42,195 km erforderlich ist. Also schon verdammt schnell. Wenn der jetzt von Woche zu Woche um 10% steigert, dann ergäbe sich folgender Streckenzuwachs:
Woche 1: 100 km
Woche 2: 110 km
Woche 3: 120 km
Woche 4: Regenerationswoche
Woche 5: 130 km
Woche 6: 140 km
Woche 7: 150 km
Woche 8: Regenerationswoche
Woche 9: 165 km
Woche 10: 180 km
Woche 12: 198 km
Nach weniger als 3 Monaten - so er es denn unverletzt und ohne Schwächeanfälle überstünde, was aber kaum möglich ist - wäre der Mann bei 200 km angekommen. Das ist aber ein Pensum, das sein Körper vielleicht gar nicht, zumindest aber erst nach längerer Zeit des läuferischen Aufbaus verkraften kann ... Dieses absurde Beispiel soll verdeutlichen, wo die Grenzen der 10%-Regel liegen und vor allem, dass sie eines beim Läufer / der Läuferin überhaupt nicht ersetzen kann:
Nachdenken!
Ich wünsche dir viel Spaß und Erfolg beim Steigern
Gruß Udo