Mein Hannover-Marathon...
Verfasst: 11.05.2011, 15:55
Lang habe ich überlegt ob ich diesen Bericht schreibe und hier reinsetze. Ich hatte mich im Laufe der Zeit etwas zurückgezogen mit Berichten über mich, da das Auf- und Ab doch etwas aufwühlend war.
Jedoch haben in den letzten Jahren doch immer wieder ein paar Menschen Anteil genommen und liebe Worte gehabt, dass ich sie an meinen Gefühlen teilhaben lassen möchte.
Dieser Marathon war was ganz besonderes für mich, daher hat er eine Vorgeschichte.
Das alles ist sehr lang, aber es sprudelte einfach so aus mir heraus und für mich war jeder dieser Gedanken wichtig.
Es war genau heute vor 6 Monaten…
Als ich die Augen aufschlug standen 4 oder 5 weiß – und teilweise grün bekittelte Menschen vor mir und blickten mich ernst an.
Neben mit gottseidank das vetraute, liebe Gesicht meines Freundes.
Der Raum war gelblich-düster, ohne Fenster und man konnte nicht ausmachen ob die Zeit, die die bahnhofsähnliche Uhr, die mir gegenüber hing Tages- oder Nachtzeit anzeigte.
Um mich herum piepte es, mein Gesicht war voller Schläuche, meine Zunge klebe am Gaumen und ich hatte Schwierigkeiten beim Atmen.
Beim Anblick der Ärzte fiel mir schlagartig die vergangene Nacht wieder ein.
Wahnsinnskrämpfe haben mich geschüttelt, schweißgebadet und gleichzeitig im Schüttelfrost hatte ich mich auf dem Laminat rumgewälzt bis ich mich durchrang nach meinem Freund zu rufen.
Ein, zwei Mal…mir fehlte die Kraft…
Dann war da der Notarzt, scheinbar ging alles sehr schnell… doch mir viel zu langsam. Die Schmerzen waren unerträglich, so als ob mir bei lebendigem Leib die Gedärme rausgerissen würden. Ein unerträglicher Würgereiz, der aber keine Erleichterung brachte.
Ich bettelte nach Schmerzmitteln, nach Betäubung…nichts wirkte.
Irgendwann hörte ich wie in Trance die Anweisung: „Wir müssen aufmachen, sofort!“.
Hellwach protestierte ich…aber die Ärztin gab nur kurz zurück „wenn wir nicht sofort operieren sind sie mir in ein paar Stunden hinüber“.
Entsetzen!
Ein Telefon! – das war das einzige was ich noch wollte, abgesehen vom Tiefschlaf.
Ein Anruf bei Menschen den ich über alles liebe, eine Nachricht darüber was die mit mir machen wollten… und falls es schief geht…
Scheinbar war es morgens, die fürchterlich reißenden Krämpfe waren weg. Stattdessen war ich bewegungsunfähig und voller Angst was da passiert war.
Die Oberärztin gab einen kurzen Überblick was passiert war… Darmriss, ein Stück musste raus…wieder geflickt… gottseidank keine inneren Vergiftungen.
Ich nahm das alles bei vollem Bewusstsein auf, aber es drang nicht in mein Inneres. Das konnte nicht sein??!!!
Hatten wir gestern Abend beim „Wetten Dass“ - Gucken nicht noch darüber gesprochen welchen Lauf ich (nach langer Abstinenz) in 2011 mal wieder mitmachen könnte?
Nur wenige Stunden später und ich befinde mich auf der Intensivstation und hatte „gerade noch mal Glück gehabt“?
Die Ärzte verschwanden und mir blieb das liebe und etwas sorgenvolle Gesicht meines Freundes.
Ich wäre gerne in Tränen ausgebrochen aber ich konnte nicht, keine Kraft. Leer, tief bestürzt und doch froh eine Hand an meiner Seite zu haben, Augen die mich liebevoll anschauten und die mir sagten „ich bin bei Dir und zusammen sind wir stark!“
In mir brodelten die Gefühle wild durcheinander, aber nix konnte raus.
6 Monate später…
Es ist morgens, dreiviertel sechs und ich schlage die Augen in einem Hotelbett in Hannover auf. Ich bin hellwach, habe gut geschlafen und am Vorabend haben wir lecker im „Blockhouse“ zu Abend gegessen.
Ich bin aufgeregt, nein das reicht nicht, ehrlich habe ich „furchtbare Angst“. Angst vor meiner eigenen Courage und den Dingen die ich da vorhabe.
Ich bin hier um Marathon zu laufen! Das Dutzend, zu komplettieren und gleichzeitig den 1. nach meinem schlimmen „Aus“ im November.
Seit einigen Monaten darf ich wieder laufen. Ich habe später angefangen als erlaubt weil ich Schiß hatte… bin wochenlang gewalkt und habe minutenweise mit Laufeinlagen angefangen.
Wie im Lehrbuch habe ich gesteigert, Stückchen für Stückchen draufgepackt.
Immer länger wurden die Läufe bis ich die 30km hatte…
Ich habe es mir nicht getraut meine 6 Trainingstage von früher wieder ins Programm zu nehmen. Die Furcht vorm Ermüdungsbruch oder anderen Verletzungen war zu groß.
So musste ein abgespecktes Programm herhalten um sich einerseits gut auf lange Distanzen vorzubereiten, aber dennoch 3, oft 4 Ruhetage zu genießen.
Richtig sicher war ich meiner Sache nicht. Habe ich früher doch lieber immer etwas mehr gemacht als nötig. Wenn ich schon kein Tempotraining mag, dann doch aber immer genügend Kilometer. Die waren diesmal nicht da. Trotzdem hatte ich 4 lange Läufe von knapp über 30km geschafft. Geschafft ohne irgendwelche Probleme.
Also jetzt oder nie… ehe wieder irgendein Blödsinn dazwischen kommt.
Vor einem Marathon möchte man am liebsten alles perfekt gemacht haben.
Perfekt?
1 Woche zuvor plagte mich eine große Blase im Fußgewölbe, deren Entstehen mir schleierhaft war, da ich meine gewohnten Lieblingsschuhe, mit eingelaufenen Einlagen + Socken anhatte und mir nicht erklären konnte was anders war.
Tagelang ging ich wie auf Rasierklingen und fragte mich wie ich das wohl 42km aushalten würde? So hielt ich die ganze letzte Woche still und lief keinen Meter, zumindest nicht im Laufschritt.
Nebenbei cremte fleißig und einige Tage vor dem großen Tag war das Ding zu und überstand auch den 5km-Probedurchgang.
Wir verließen kurz nach 8 Uhr das Hotel und gingen in Richtung Start. So richtig war mich nicht bewusst was ich da tat.
Als ich das wilde, bunte Getümmel im Startbereich sah, die sich warmlaufenden Kenianer und viele andere schnittige und professionell aussehende Läuferfiguren fragte ich mich immer mehr was ich da tat. Kann ich das überhaupt?
42km? Ich??
Mein Freund hatte (äußerlich) die Ruhe weg, beruhigte mich und erzählte mir immer wieder es wäre doch nix anderes als mein 30er Trainingslauf und wenn ich nicht mehr mag soll ich ihn einfach anrufen.
Okay das war ne Option. Klar wusste ich innerlich wie unzufrieden mich das machen würde. Hatte ich doch schon eine Vorstellung heute Abend mit Medaille auf dem Sofa zu sitzen und zu strahlen.
Plötzlich raste die Zeit, wir suchten meinen Starteinstieg, ich gab meinen Pulli ab und wir mochten uns zum Abschied gar nicht so einfach loslassen.
Ein dickes Glücksküsschen, ein viel sagender Blick und schon spazierte die Menge los.
Anfangs ging es so langsam, dass Veith noch eine Weile an der Absperrung neben mir her gehen konnte bis ich in den Laufschritt verfiel. Nun musste ich nach vorne gucken und hatte keine Zeit mehr zum Grübeln.
Schnell auf die Uhr gedrückt, auf die Matte gesprungen und weiter ging es.
Die Stimmung am Start war bombig, nach wenigen Metern kam eine Gruppe die auf großen, schwarzen Blechtonnen rumtrommelte. Das hörte sich nicht mal schlecht an und gab mir einen richtigen Energieschwung.
Okay dann mal los.
Auf den ersten km eines Marathons bin ich immer sehr unsicher, mir wird die unendlich lange Strecke bewusst und blöde Zweifel machen sich breit.
Aber es lief doch gut, ich hatte nicht mal Ischiasbeschwerden in der Marathonvorbereitung, dabei gehörten die doch fast zum Plan.
So schaute ich mich um und betrachtete erstmal ein wenig die Läufer neben mir.
Ich lief ja sozusagen „inkognito“, ich hatte niemandem erzählt dass ich hier Marathon laufen will. So mache ich das seit Jahren. Es hat 11 Mal geklappt, so wollte ich natürlich auch den 12. nicht aufs Spiel setzen. So ein bisschen Ritual oder Aberglaube haben ja viele.
Von einigen Foris aus dem Forum wusste ich dass sie hier auch laufen würden.
Persönlich kannte ich davon nur 2, Reini und einmal hatte ich Holgi kennen gelernt als wir
vorm Harzgebirgslauf beim Italiener essen waren.
Ob ich sie wohl erkennen würde?
Kaum hatte ich den Gedanken zu Ende gedacht fiel mir direkt neben mir ein Läufer mit orangem Shirt und schwarzer Sonnenbrille auf.
Mensch das ist doch Reini!!???
Zumindest glaubte ich das, hat er doch das Outfit an, das ich von seinem Avatar kenne.
Naja ich war so verkleidet mit meinem Piratentuch, dass mich eh niemand erkennt… zu diesem Zeitpunkt war mir das auch recht so.
So hielt ich halt lieber die Klappe und lief weiter.
Mittlerweile hatten wir den Maschsee passiert und liefen ins Grüne.
Am 2. Verpflegungsstand griff ich auch nach den Erfrischungen, wegen der prophezeiten Wärme wolle ich vorbeugen.
Kurze Zeit später hatten wir km 10 erreicht und ich war froh endlich zweistellige Zahlen zu sehen.
Bei meine bisherigen Marathons habe ich immer die Erfahrung gemacht, dass ich mich auf der ersten Hälfte wesentlich mehr mental anstrengen muss und auf der zweiten Hälfte dann mehr körperlich als mental.
Liegt wohl daran, dass am Anfang noch so viele Kilometer übrig sind, während man bei km 30 ja schon den Großteil „im Sack“ hat.
„Bei Kilometer 30 höre ich nun auch nicht mehr auf“ war immer mein gedankliches Mantra, wenn ich schon mal so viel gelaufen bin wäre das doch blöd!
Müdigkeit und eventuelle Schmerzen übersteht man dann mit viel Zusammenreißen auch noch.
So schwirrten meine Gedanken und ich freute mich auf km 16, da würde Veith warten und schauen wie es mir geht.
Schneller als gedacht war es soweit und ich hörte plötzlich meinen Namen. 500m weiter war er dann an der Strecke und lief ich kurz an den Rand um wenige Worte zu tauschen.
Mich interessierte natürlich auch, wie es einem Freund von mir ging der vorn lief… und ich war überfroh zu hören, dass er ganz weit vorn mitlief.
Das baute mich auf.
Okay nun lief ich auf die „20“ zu und wenig später hatte ich schon fast die Hälfte geschafft!
Wenn bloß der blöde Wind nicht wäre! Die Hitze war ja irgendwie auszuhalten. Ich mag eben Wärme viel lieber als Kälte und Regen. Aber der Wind gab einem so oft das Gefühl bergauf zu laufen statt flach geradeaus.
Achja bergauf, bergab… das fehlte mir etwas. Von meinen langen Läufen war ich es gewöhnt die ersten 5km nur bergauf zu kämpfen um dann eine lange fast ebene Passage zu haben und mich dann eine Weile bergab erholen zu können.
Auch der Waldboden ist ja viel angenehmer. Das Springen über Stock und Stein lockert immer den Körper und bringt einen nicht in so eine monotone Verspannung.
Trotzdem habe ich die Hälfte der langen Läufe immer auf Asphalt gemacht um mich wenigstens etwas an die Marathonstrecke zu gewöhnen. Nicht alles eben um meine Knochen zu schonen und meine Sollbruchstelle nicht zu reizen.
Um aus der Monotonie zu kommen wechselte ich nun ab und an mal die Schrittfrequenz , das half schon!
Die Strecke in Richtung Vahrenwald (ich hoffe das heißt auch so) war recht einsam. Nur an der Kanalbrücke war stückweise Stimmung.
Sonst habe ich für einsame Marathonpassagen immer den MP3-Player dabei und putsche mich etwas mit schwungvoller Musik auf, aber mein MP3-Player hat mir trotz vorherigen Ladens heute morgen gesagt „Batterie Low“ und somit hab ich mich gar nicht mit dem Teil belastet.
Inzwischen war ich schon etwas langsamer geworden, aber das Tempo vom Anfang war wohl doch etwas zu schnell um es so lange durchzuhalten. Veith hatte mir bei km 16 schon zugerufen ich wäre viel zu schnell.
Nun hatte ich die Halbmarathonmarke mit 1:58: irgendwas passiert und war damit zufrieden.
Inzwischen hatten wir den Kanal 2x überquert und ich sah dem erneuten Treffen mit Veith entgegen, der bei km 26 oder 27 warten wollte.
So langsam schwanden schon ein paar Kräfte, aber so richtig hatte ich keine körperlichen Defizite zu beklagen. Nicht mal meine Blase unterm Fuß muckte. Dabei hatte ich damit gerechnet ab km 20 mit „offenem“ Fuß zu laufen.
Schön! Ist doch alles gut!
Von weitem sah ich schon das gelbe Shirt und das blaue Tuch von Veith leuchten, der an einer total zuschauerarmen Stelle der Strecke mit meinem alten Mountainbike stand.
Klasse! Das Outfit ist super, man sieht es sofort. Im Gegensatz zu mir – ich bin wie so viele andere auch in schwarzem Shirt + Hose gelaufen.
Heute morgen habe ich noch überlegt, aber das schwarze Adidas-Shirt war viel luftiger als das schicke in türkisblau, also praktisch gedacht.
Bei km 26 war so wenig los, dass Veith eine Weile neben mir herfahren konnte und wir eine kurze Zeit erzählten.
Normal kann ich beim Laufen viel quatschen und selbst bei Bergaufpassagen des heimischen Trainingslaufes geht mir oft die Luft nicht aus wenn ich was zu erzählen habe.
Heute merkte ich aber schon, dass es anstrengender war als sonst, also beließ ich es bei einigen Sätzen.
Veith hielt sich dann im Hintergrund um mich und andere Läufer nicht zu stören.
Ab und an tauchte er immer mal wieder auf um nach mir zu sehen. Ich freute mich jedes Mal wenn ich das gelbe Shirt leuchten sah.
Mir machte der Wind inzwischen ganz schön zu schaffen und sicher auch, dass ich so einige Trainingsläufe (vor allem die schnelleren) ausgelassen hatte.
Aber so schnell bin ich ja nicht klein zu kriegen, also kämpfte ich weiter. Ein Blick auf die Pulsuhr sagte mir, dass ich gar nicht so hochpulsig lief wie ich glaubte.
An jedem Verpflegungsstand hielt ich an um Wasser und ab und an auch Cola zu trinken, mir ein wenig Wasser über den Kopf zu schütten. Beim Trinken bin ich dann immer kurz ins Gehen verfallen, im Laufen trinken hat bei mir noch nie geklappt und auch wenn sich die Sekunden zu Minuten summieren war mir das dann doch egal.
Lieber gesund und ohne Kreislaufprobleme ins Ziel!
Mittlerweile hatte ich auch schon 3 Stücke Bananen vertilgt, soviel esse ich sonst nie beim Marathon, aber ich bildete mir halt ein es half.
Nach den Erfrischungsständen sah ich immer aus wie ein begossener Pudel, Kopftuch nass, Shirt nass, aber es war angenehm.
Kurz fiel mir ein, dass ich neulich einen Laufbericht gelesen hatte, wo jemand auch vom „Wasser über den Kopf schütten“ geschrieben hatte und aus Versehen Cola gegriffen hatte…
Ich wusste nicht mehr von wem der Bericht stammte, aber ich musste vor mich hin lachen.
Plötzlich piepte mein Handy, was ich in einem weichen Oberarmtäschchen trug.
Das konnte nur eins bedeuten! Mein Lauffreund ist im Ziel und schreibt mir das Resultat.
Ach wie spannend! Wie mag es ihm nur ergangen sein?
Nachgucken war mir jetzt aber zu umständlich.
Bei Kilometer 33 fuhr dann Veith wieder eine Weile neben mir her und ich hatte Gelegenheit zu fragen wie mein Lauffreund abgeschnitten hatte.
Ich kannte seine Pläne, seinen großen Wunsch die Zeit von vor 6 Jahren annähernd zu erreichen und ich wünschte es ihm von Herzen.
Das gute Ergebnis puschte mich wieder ein Stück nach vorn und in dem Moment wusste ich- -auch wenn es noch so schwer würde, ich laufe das Ding zu Ende!
Schreib ihm ne SMS er soll seiner Mari die Daumen drücken rief ich Veith zu, der die Gelegenheit auch gleich wahrnahm, aber stattdessen persönlich gratulierte und von meinem Marathonstart berichtete.
Nun konnte ich nicht mehr anders! Jetzt muss ich anständig nach Hause kommen!
Irgendwann kamen eine Menge Läufer die mich auf einer kleinen Anhöhe überholten.
Verwundert überlegte ich wie man nach so vielen Kilometern noch so abziehen kann, bis mir einfiel, dass ja die Halbmarathonis ein Stück Strecke mit uns liefen. Der Gedanke war dann schon wieder beruhigend. So langsam krieche ich also doch nicht.
Es wurde echt schwer, die große Schleife in den Herrenhäuser Gärten machte mir anfangs zu schaffen und ich suchte nun auch immer mehr den Schatten der Bäume.
Oft hörte ich den Krankenwagen und plötzlich war er vor uns und wirbelte uns jede Menge vom Staub der Wege in die Augen.
Mit winzig kleinen Augen, damit sich keine Staubkörner auf meine Kontaktlinsen setzen konnten lief ich weiter.
Von den Schönheiten der Gärten nahm ich nix mehr wahr. Trance-Laufen war das jetzt.
Bei km 38 platzte dann irgendwie ein Knoten und ich wurde wieder schneller.
Veith fuhr wohl immer irgendwo in meiner Nähe und achtete auf mich, aber ich konzentrierte mich ganz auf die letzten Kilometer.
Nach und nach wurde es wieder lauter, man hörte die Leute Stimmung machen und auch irgendwo in der Nähe einen Sprecher.
Dann rückte ein blaues aufgeblasenes Tor in mein Sichtfeld und die Gewissheit das Ziel kann nicht mehr weit sein.
Irgendwie habe ich zum Schluß die Kilometerschilder verpasst. Keine Ahnung wie viel noch zu laufen war. Aber egal, was jetzt noch kommt ist ein Witz gegen das bisher Gelaufene.
Der Sprecher sagte was von 1000 Metern.
1000 Meter? Was? Immer noch? Ach obwohl! 1000 Meter sind doch auch nur 6 Minuten und die sind ruckzuck rum.
Noch um die Kurve und da war es, das Zielbanner!
Ab über die Zeitmatte und unter dem Banner durch…
Ich habs geschafft!
Ich hab es echt geschafft, unglaublich!
Die Uhr über der Straße zeigte 4:08 irgendwas. 4:08!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
Ich hatte mir insgeheim eine Zeit unter 4:15 gewünscht, das war ja Wahnsinn.
Ach herrjeee,..meine eigene Uhr hatte ich ja noch gar nicht gestoppt, die stand bei 4:07.
Klasse mann, 4:07 hatte ich doch auch 2009 in Potsdam. Und da hatte ich mich schon so gefreut.
Voll erschöpft und leicht orientierungslos latschte ich der großen Masse hinterher und sah mich nach Veith um.
Logisch hier im Zielbereich würde es wohl schwer fallen sich zu finden, aber irgendwo wird er mich schon aufsammeln… dachte ich gerade, da blitzte das gelbe Shirt hinter dem Drahtzaun und plötzlich liefen mir die Tränen.
Die aufgestauten Tränen die schon so lange raus wollten. Die sich oft schon bei dem Gedanken an ein eventuelles Finish angekündigt hatten.
Mich durchströmte eine Welle der Wärme. War doch Veith schon monatelang so eine stabile Stütze. Jedes Tief, jede Laune, jede Krise hat er mit mir gemeistert, mich getröstet, mich aufgebaut und alles um mich herum organisiert.
Und nun?
Jetzt ist er selbst bei meinem Lauftick mit dabei, hilft mir, unterstützt mich, lacht und leidet mit mir.
Immer habe ich das Gefühl er hält mich behütend in seiner Hand.
Ich lief zum Drahtzaun um ihm zu signalisieren dass ich hier bin und es mir gut geht.
Wild winkend gibt er mir zu verstehen er kommt zu mir. Wie das ????
Überall Zäune…
Vor mir ein kleines Mädel dass mir die Medaille umhängt, ich bin stolz! Sehr stolz endlich wieder ich selbst zu sein und nicht mehr die Behinderte mit der Bauch-OP.
Keine Ahnung wie Veith es angestellt hat, aber wenige Minuten später steht er neben mir und wir fallen uns in die Arme!
Endlich!
Das hatte ich mir so sehr gewünscht.
Jedoch haben in den letzten Jahren doch immer wieder ein paar Menschen Anteil genommen und liebe Worte gehabt, dass ich sie an meinen Gefühlen teilhaben lassen möchte.
Dieser Marathon war was ganz besonderes für mich, daher hat er eine Vorgeschichte.
Das alles ist sehr lang, aber es sprudelte einfach so aus mir heraus und für mich war jeder dieser Gedanken wichtig.
Es war genau heute vor 6 Monaten…
Als ich die Augen aufschlug standen 4 oder 5 weiß – und teilweise grün bekittelte Menschen vor mir und blickten mich ernst an.
Neben mit gottseidank das vetraute, liebe Gesicht meines Freundes.
Der Raum war gelblich-düster, ohne Fenster und man konnte nicht ausmachen ob die Zeit, die die bahnhofsähnliche Uhr, die mir gegenüber hing Tages- oder Nachtzeit anzeigte.
Um mich herum piepte es, mein Gesicht war voller Schläuche, meine Zunge klebe am Gaumen und ich hatte Schwierigkeiten beim Atmen.
Beim Anblick der Ärzte fiel mir schlagartig die vergangene Nacht wieder ein.
Wahnsinnskrämpfe haben mich geschüttelt, schweißgebadet und gleichzeitig im Schüttelfrost hatte ich mich auf dem Laminat rumgewälzt bis ich mich durchrang nach meinem Freund zu rufen.
Ein, zwei Mal…mir fehlte die Kraft…
Dann war da der Notarzt, scheinbar ging alles sehr schnell… doch mir viel zu langsam. Die Schmerzen waren unerträglich, so als ob mir bei lebendigem Leib die Gedärme rausgerissen würden. Ein unerträglicher Würgereiz, der aber keine Erleichterung brachte.
Ich bettelte nach Schmerzmitteln, nach Betäubung…nichts wirkte.
Irgendwann hörte ich wie in Trance die Anweisung: „Wir müssen aufmachen, sofort!“.
Hellwach protestierte ich…aber die Ärztin gab nur kurz zurück „wenn wir nicht sofort operieren sind sie mir in ein paar Stunden hinüber“.
Entsetzen!
Ein Telefon! – das war das einzige was ich noch wollte, abgesehen vom Tiefschlaf.
Ein Anruf bei Menschen den ich über alles liebe, eine Nachricht darüber was die mit mir machen wollten… und falls es schief geht…
Scheinbar war es morgens, die fürchterlich reißenden Krämpfe waren weg. Stattdessen war ich bewegungsunfähig und voller Angst was da passiert war.
Die Oberärztin gab einen kurzen Überblick was passiert war… Darmriss, ein Stück musste raus…wieder geflickt… gottseidank keine inneren Vergiftungen.
Ich nahm das alles bei vollem Bewusstsein auf, aber es drang nicht in mein Inneres. Das konnte nicht sein??!!!
Hatten wir gestern Abend beim „Wetten Dass“ - Gucken nicht noch darüber gesprochen welchen Lauf ich (nach langer Abstinenz) in 2011 mal wieder mitmachen könnte?
Nur wenige Stunden später und ich befinde mich auf der Intensivstation und hatte „gerade noch mal Glück gehabt“?
Die Ärzte verschwanden und mir blieb das liebe und etwas sorgenvolle Gesicht meines Freundes.
Ich wäre gerne in Tränen ausgebrochen aber ich konnte nicht, keine Kraft. Leer, tief bestürzt und doch froh eine Hand an meiner Seite zu haben, Augen die mich liebevoll anschauten und die mir sagten „ich bin bei Dir und zusammen sind wir stark!“
In mir brodelten die Gefühle wild durcheinander, aber nix konnte raus.
6 Monate später…
Es ist morgens, dreiviertel sechs und ich schlage die Augen in einem Hotelbett in Hannover auf. Ich bin hellwach, habe gut geschlafen und am Vorabend haben wir lecker im „Blockhouse“ zu Abend gegessen.
Ich bin aufgeregt, nein das reicht nicht, ehrlich habe ich „furchtbare Angst“. Angst vor meiner eigenen Courage und den Dingen die ich da vorhabe.
Ich bin hier um Marathon zu laufen! Das Dutzend, zu komplettieren und gleichzeitig den 1. nach meinem schlimmen „Aus“ im November.
Seit einigen Monaten darf ich wieder laufen. Ich habe später angefangen als erlaubt weil ich Schiß hatte… bin wochenlang gewalkt und habe minutenweise mit Laufeinlagen angefangen.
Wie im Lehrbuch habe ich gesteigert, Stückchen für Stückchen draufgepackt.
Immer länger wurden die Läufe bis ich die 30km hatte…
Ich habe es mir nicht getraut meine 6 Trainingstage von früher wieder ins Programm zu nehmen. Die Furcht vorm Ermüdungsbruch oder anderen Verletzungen war zu groß.
So musste ein abgespecktes Programm herhalten um sich einerseits gut auf lange Distanzen vorzubereiten, aber dennoch 3, oft 4 Ruhetage zu genießen.
Richtig sicher war ich meiner Sache nicht. Habe ich früher doch lieber immer etwas mehr gemacht als nötig. Wenn ich schon kein Tempotraining mag, dann doch aber immer genügend Kilometer. Die waren diesmal nicht da. Trotzdem hatte ich 4 lange Läufe von knapp über 30km geschafft. Geschafft ohne irgendwelche Probleme.
Also jetzt oder nie… ehe wieder irgendein Blödsinn dazwischen kommt.
Vor einem Marathon möchte man am liebsten alles perfekt gemacht haben.
Perfekt?
1 Woche zuvor plagte mich eine große Blase im Fußgewölbe, deren Entstehen mir schleierhaft war, da ich meine gewohnten Lieblingsschuhe, mit eingelaufenen Einlagen + Socken anhatte und mir nicht erklären konnte was anders war.
Tagelang ging ich wie auf Rasierklingen und fragte mich wie ich das wohl 42km aushalten würde? So hielt ich die ganze letzte Woche still und lief keinen Meter, zumindest nicht im Laufschritt.
Nebenbei cremte fleißig und einige Tage vor dem großen Tag war das Ding zu und überstand auch den 5km-Probedurchgang.
Wir verließen kurz nach 8 Uhr das Hotel und gingen in Richtung Start. So richtig war mich nicht bewusst was ich da tat.
Als ich das wilde, bunte Getümmel im Startbereich sah, die sich warmlaufenden Kenianer und viele andere schnittige und professionell aussehende Läuferfiguren fragte ich mich immer mehr was ich da tat. Kann ich das überhaupt?
42km? Ich??
Mein Freund hatte (äußerlich) die Ruhe weg, beruhigte mich und erzählte mir immer wieder es wäre doch nix anderes als mein 30er Trainingslauf und wenn ich nicht mehr mag soll ich ihn einfach anrufen.
Okay das war ne Option. Klar wusste ich innerlich wie unzufrieden mich das machen würde. Hatte ich doch schon eine Vorstellung heute Abend mit Medaille auf dem Sofa zu sitzen und zu strahlen.
Plötzlich raste die Zeit, wir suchten meinen Starteinstieg, ich gab meinen Pulli ab und wir mochten uns zum Abschied gar nicht so einfach loslassen.
Ein dickes Glücksküsschen, ein viel sagender Blick und schon spazierte die Menge los.
Anfangs ging es so langsam, dass Veith noch eine Weile an der Absperrung neben mir her gehen konnte bis ich in den Laufschritt verfiel. Nun musste ich nach vorne gucken und hatte keine Zeit mehr zum Grübeln.
Schnell auf die Uhr gedrückt, auf die Matte gesprungen und weiter ging es.
Die Stimmung am Start war bombig, nach wenigen Metern kam eine Gruppe die auf großen, schwarzen Blechtonnen rumtrommelte. Das hörte sich nicht mal schlecht an und gab mir einen richtigen Energieschwung.
Okay dann mal los.
Auf den ersten km eines Marathons bin ich immer sehr unsicher, mir wird die unendlich lange Strecke bewusst und blöde Zweifel machen sich breit.
Aber es lief doch gut, ich hatte nicht mal Ischiasbeschwerden in der Marathonvorbereitung, dabei gehörten die doch fast zum Plan.
So schaute ich mich um und betrachtete erstmal ein wenig die Läufer neben mir.
Ich lief ja sozusagen „inkognito“, ich hatte niemandem erzählt dass ich hier Marathon laufen will. So mache ich das seit Jahren. Es hat 11 Mal geklappt, so wollte ich natürlich auch den 12. nicht aufs Spiel setzen. So ein bisschen Ritual oder Aberglaube haben ja viele.
Von einigen Foris aus dem Forum wusste ich dass sie hier auch laufen würden.
Persönlich kannte ich davon nur 2, Reini und einmal hatte ich Holgi kennen gelernt als wir
vorm Harzgebirgslauf beim Italiener essen waren.
Ob ich sie wohl erkennen würde?
Kaum hatte ich den Gedanken zu Ende gedacht fiel mir direkt neben mir ein Läufer mit orangem Shirt und schwarzer Sonnenbrille auf.
Mensch das ist doch Reini!!???
Zumindest glaubte ich das, hat er doch das Outfit an, das ich von seinem Avatar kenne.
Naja ich war so verkleidet mit meinem Piratentuch, dass mich eh niemand erkennt… zu diesem Zeitpunkt war mir das auch recht so.
So hielt ich halt lieber die Klappe und lief weiter.
Mittlerweile hatten wir den Maschsee passiert und liefen ins Grüne.
Am 2. Verpflegungsstand griff ich auch nach den Erfrischungen, wegen der prophezeiten Wärme wolle ich vorbeugen.
Kurze Zeit später hatten wir km 10 erreicht und ich war froh endlich zweistellige Zahlen zu sehen.
Bei meine bisherigen Marathons habe ich immer die Erfahrung gemacht, dass ich mich auf der ersten Hälfte wesentlich mehr mental anstrengen muss und auf der zweiten Hälfte dann mehr körperlich als mental.
Liegt wohl daran, dass am Anfang noch so viele Kilometer übrig sind, während man bei km 30 ja schon den Großteil „im Sack“ hat.
„Bei Kilometer 30 höre ich nun auch nicht mehr auf“ war immer mein gedankliches Mantra, wenn ich schon mal so viel gelaufen bin wäre das doch blöd!
Müdigkeit und eventuelle Schmerzen übersteht man dann mit viel Zusammenreißen auch noch.
So schwirrten meine Gedanken und ich freute mich auf km 16, da würde Veith warten und schauen wie es mir geht.
Schneller als gedacht war es soweit und ich hörte plötzlich meinen Namen. 500m weiter war er dann an der Strecke und lief ich kurz an den Rand um wenige Worte zu tauschen.
Mich interessierte natürlich auch, wie es einem Freund von mir ging der vorn lief… und ich war überfroh zu hören, dass er ganz weit vorn mitlief.
Das baute mich auf.
Okay nun lief ich auf die „20“ zu und wenig später hatte ich schon fast die Hälfte geschafft!
Wenn bloß der blöde Wind nicht wäre! Die Hitze war ja irgendwie auszuhalten. Ich mag eben Wärme viel lieber als Kälte und Regen. Aber der Wind gab einem so oft das Gefühl bergauf zu laufen statt flach geradeaus.
Achja bergauf, bergab… das fehlte mir etwas. Von meinen langen Läufen war ich es gewöhnt die ersten 5km nur bergauf zu kämpfen um dann eine lange fast ebene Passage zu haben und mich dann eine Weile bergab erholen zu können.
Auch der Waldboden ist ja viel angenehmer. Das Springen über Stock und Stein lockert immer den Körper und bringt einen nicht in so eine monotone Verspannung.
Trotzdem habe ich die Hälfte der langen Läufe immer auf Asphalt gemacht um mich wenigstens etwas an die Marathonstrecke zu gewöhnen. Nicht alles eben um meine Knochen zu schonen und meine Sollbruchstelle nicht zu reizen.
Um aus der Monotonie zu kommen wechselte ich nun ab und an mal die Schrittfrequenz , das half schon!
Die Strecke in Richtung Vahrenwald (ich hoffe das heißt auch so) war recht einsam. Nur an der Kanalbrücke war stückweise Stimmung.
Sonst habe ich für einsame Marathonpassagen immer den MP3-Player dabei und putsche mich etwas mit schwungvoller Musik auf, aber mein MP3-Player hat mir trotz vorherigen Ladens heute morgen gesagt „Batterie Low“ und somit hab ich mich gar nicht mit dem Teil belastet.
Inzwischen war ich schon etwas langsamer geworden, aber das Tempo vom Anfang war wohl doch etwas zu schnell um es so lange durchzuhalten. Veith hatte mir bei km 16 schon zugerufen ich wäre viel zu schnell.
Nun hatte ich die Halbmarathonmarke mit 1:58: irgendwas passiert und war damit zufrieden.
Inzwischen hatten wir den Kanal 2x überquert und ich sah dem erneuten Treffen mit Veith entgegen, der bei km 26 oder 27 warten wollte.
So langsam schwanden schon ein paar Kräfte, aber so richtig hatte ich keine körperlichen Defizite zu beklagen. Nicht mal meine Blase unterm Fuß muckte. Dabei hatte ich damit gerechnet ab km 20 mit „offenem“ Fuß zu laufen.
Schön! Ist doch alles gut!
Von weitem sah ich schon das gelbe Shirt und das blaue Tuch von Veith leuchten, der an einer total zuschauerarmen Stelle der Strecke mit meinem alten Mountainbike stand.
Klasse! Das Outfit ist super, man sieht es sofort. Im Gegensatz zu mir – ich bin wie so viele andere auch in schwarzem Shirt + Hose gelaufen.
Heute morgen habe ich noch überlegt, aber das schwarze Adidas-Shirt war viel luftiger als das schicke in türkisblau, also praktisch gedacht.
Bei km 26 war so wenig los, dass Veith eine Weile neben mir herfahren konnte und wir eine kurze Zeit erzählten.
Normal kann ich beim Laufen viel quatschen und selbst bei Bergaufpassagen des heimischen Trainingslaufes geht mir oft die Luft nicht aus wenn ich was zu erzählen habe.
Heute merkte ich aber schon, dass es anstrengender war als sonst, also beließ ich es bei einigen Sätzen.
Veith hielt sich dann im Hintergrund um mich und andere Läufer nicht zu stören.
Ab und an tauchte er immer mal wieder auf um nach mir zu sehen. Ich freute mich jedes Mal wenn ich das gelbe Shirt leuchten sah.
Mir machte der Wind inzwischen ganz schön zu schaffen und sicher auch, dass ich so einige Trainingsläufe (vor allem die schnelleren) ausgelassen hatte.
Aber so schnell bin ich ja nicht klein zu kriegen, also kämpfte ich weiter. Ein Blick auf die Pulsuhr sagte mir, dass ich gar nicht so hochpulsig lief wie ich glaubte.
An jedem Verpflegungsstand hielt ich an um Wasser und ab und an auch Cola zu trinken, mir ein wenig Wasser über den Kopf zu schütten. Beim Trinken bin ich dann immer kurz ins Gehen verfallen, im Laufen trinken hat bei mir noch nie geklappt und auch wenn sich die Sekunden zu Minuten summieren war mir das dann doch egal.
Lieber gesund und ohne Kreislaufprobleme ins Ziel!
Mittlerweile hatte ich auch schon 3 Stücke Bananen vertilgt, soviel esse ich sonst nie beim Marathon, aber ich bildete mir halt ein es half.
Nach den Erfrischungsständen sah ich immer aus wie ein begossener Pudel, Kopftuch nass, Shirt nass, aber es war angenehm.
Kurz fiel mir ein, dass ich neulich einen Laufbericht gelesen hatte, wo jemand auch vom „Wasser über den Kopf schütten“ geschrieben hatte und aus Versehen Cola gegriffen hatte…
Ich wusste nicht mehr von wem der Bericht stammte, aber ich musste vor mich hin lachen.
Plötzlich piepte mein Handy, was ich in einem weichen Oberarmtäschchen trug.
Das konnte nur eins bedeuten! Mein Lauffreund ist im Ziel und schreibt mir das Resultat.
Ach wie spannend! Wie mag es ihm nur ergangen sein?
Nachgucken war mir jetzt aber zu umständlich.
Bei Kilometer 33 fuhr dann Veith wieder eine Weile neben mir her und ich hatte Gelegenheit zu fragen wie mein Lauffreund abgeschnitten hatte.
Ich kannte seine Pläne, seinen großen Wunsch die Zeit von vor 6 Jahren annähernd zu erreichen und ich wünschte es ihm von Herzen.
Das gute Ergebnis puschte mich wieder ein Stück nach vorn und in dem Moment wusste ich- -auch wenn es noch so schwer würde, ich laufe das Ding zu Ende!
Schreib ihm ne SMS er soll seiner Mari die Daumen drücken rief ich Veith zu, der die Gelegenheit auch gleich wahrnahm, aber stattdessen persönlich gratulierte und von meinem Marathonstart berichtete.
Nun konnte ich nicht mehr anders! Jetzt muss ich anständig nach Hause kommen!
Irgendwann kamen eine Menge Läufer die mich auf einer kleinen Anhöhe überholten.
Verwundert überlegte ich wie man nach so vielen Kilometern noch so abziehen kann, bis mir einfiel, dass ja die Halbmarathonis ein Stück Strecke mit uns liefen. Der Gedanke war dann schon wieder beruhigend. So langsam krieche ich also doch nicht.
Es wurde echt schwer, die große Schleife in den Herrenhäuser Gärten machte mir anfangs zu schaffen und ich suchte nun auch immer mehr den Schatten der Bäume.
Oft hörte ich den Krankenwagen und plötzlich war er vor uns und wirbelte uns jede Menge vom Staub der Wege in die Augen.
Mit winzig kleinen Augen, damit sich keine Staubkörner auf meine Kontaktlinsen setzen konnten lief ich weiter.
Von den Schönheiten der Gärten nahm ich nix mehr wahr. Trance-Laufen war das jetzt.
Bei km 38 platzte dann irgendwie ein Knoten und ich wurde wieder schneller.
Veith fuhr wohl immer irgendwo in meiner Nähe und achtete auf mich, aber ich konzentrierte mich ganz auf die letzten Kilometer.
Nach und nach wurde es wieder lauter, man hörte die Leute Stimmung machen und auch irgendwo in der Nähe einen Sprecher.
Dann rückte ein blaues aufgeblasenes Tor in mein Sichtfeld und die Gewissheit das Ziel kann nicht mehr weit sein.
Irgendwie habe ich zum Schluß die Kilometerschilder verpasst. Keine Ahnung wie viel noch zu laufen war. Aber egal, was jetzt noch kommt ist ein Witz gegen das bisher Gelaufene.
Der Sprecher sagte was von 1000 Metern.
1000 Meter? Was? Immer noch? Ach obwohl! 1000 Meter sind doch auch nur 6 Minuten und die sind ruckzuck rum.
Noch um die Kurve und da war es, das Zielbanner!
Ab über die Zeitmatte und unter dem Banner durch…
Ich habs geschafft!
Ich hab es echt geschafft, unglaublich!
Die Uhr über der Straße zeigte 4:08 irgendwas. 4:08!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
Ich hatte mir insgeheim eine Zeit unter 4:15 gewünscht, das war ja Wahnsinn.
Ach herrjeee,..meine eigene Uhr hatte ich ja noch gar nicht gestoppt, die stand bei 4:07.
Klasse mann, 4:07 hatte ich doch auch 2009 in Potsdam. Und da hatte ich mich schon so gefreut.
Voll erschöpft und leicht orientierungslos latschte ich der großen Masse hinterher und sah mich nach Veith um.
Logisch hier im Zielbereich würde es wohl schwer fallen sich zu finden, aber irgendwo wird er mich schon aufsammeln… dachte ich gerade, da blitzte das gelbe Shirt hinter dem Drahtzaun und plötzlich liefen mir die Tränen.
Die aufgestauten Tränen die schon so lange raus wollten. Die sich oft schon bei dem Gedanken an ein eventuelles Finish angekündigt hatten.
Mich durchströmte eine Welle der Wärme. War doch Veith schon monatelang so eine stabile Stütze. Jedes Tief, jede Laune, jede Krise hat er mit mir gemeistert, mich getröstet, mich aufgebaut und alles um mich herum organisiert.
Und nun?
Jetzt ist er selbst bei meinem Lauftick mit dabei, hilft mir, unterstützt mich, lacht und leidet mit mir.
Immer habe ich das Gefühl er hält mich behütend in seiner Hand.
Ich lief zum Drahtzaun um ihm zu signalisieren dass ich hier bin und es mir gut geht.
Wild winkend gibt er mir zu verstehen er kommt zu mir. Wie das ????
Überall Zäune…
Vor mir ein kleines Mädel dass mir die Medaille umhängt, ich bin stolz! Sehr stolz endlich wieder ich selbst zu sein und nicht mehr die Behinderte mit der Bauch-OP.
Keine Ahnung wie Veith es angestellt hat, aber wenige Minuten später steht er neben mir und wir fallen uns in die Arme!
Endlich!
Das hatte ich mir so sehr gewünscht.