sebah hat geschrieben:Gut zu wissen das ohne einen ärztlichen Check das Pulsorientierte Training keinen Sinn macht. Wie lange sollte man denn am Anfang laufen? 1 Stunde? Ist es schlimm wenn man zwischendrin gehen muss?
Hallo Sebastian,
herzlich willkommen im Forum
Meine Nackenhaare wollen sich einfach nicht mehr hinlegen. Die haben sich aufgestellt, als ich davon las, dass du deine Laufkarriere ausgerechnet mit dem Kauf eines Pulsmessers eingeleitet hast. Dann diesen hanebüchenen Unsinn mit dem "optimalen Puls zum Fettverbrennen" und jetzt auch noch das in obigem Zitat.
Kein Mensch braucht einen Pulsmesser, wenn anfängt zu laufen. Mehr: Er braucht auch später keinen, es sei denn, er will sein Training auf pulsbasierte Trainingsteuerung aufbauen. Das kann man machen, ist sogar für die meisten Läufer eine ziemlich effektive Sache, man muss es aber nicht. Am Anfang ist die Verwendung eines Pulsmessers nicht nur überflüssig, sondern in vielen Fällen nicht möglich. Am Anfang zeigt der Puls keinen linearen Anstieg bei Belastung, sondern er springt von Nichtbelastung auf einen hohen Wert. Er reagiert überschießend, weil das Nervensystem die Höhe der Belastung noch nicht einordnen kann und erst mal auf Nummer sicher geht (= die Herzfrequenz auf einen viel zu hohen Wert einstellen). Weiter: Um sinnvoll mit einem Pulsmesser trainieren zu können, muss man seinen Maximalpuls kennen. Dazu läuft man Testprogramme, die so anstrengend sind, dass sie das Herz tatsächlich zu 100% ausbelasten (wenigstens für ein paar Sekunden). Das ist aber auch nichts, was man einem Einsteiger zumuten kann. Ohne den Belastungstest kann man den Maximalpuls höchstens abschätzen, bzw. abschätzen lassen, was aber nicht empfehlenswert ist. Dazu kommt, dass jemand der von Beginn an mit einem Pulswecker am Handgelenk rumrennt, nie lernt auf seinen Körper zu hören. Denn nur der Körper sendet verlässliche Signale der Art "das passt so, das ist zu wenig, das ist zuviel oder das tut mir weh!".
Der ärztliche Check hat mit dem Pulsmesser gar nichts zu tun. Ab dem 30 Lebensjahr wird Laufeinsteigern empfohlen die Unbedenklichkeit des Ausdauertrainings von einem Arzt bestätigen zu lassen. Dazu führt der Arzt (am besten ein Sportarzt) einige Kontrolluntersuchungen durch. Zum Beispiel ein Belastungs-EKG und ein Blutbild. So sehr ich die Sinnhaftigkeit einer ärztlichen Freigabe unterstütze, so wenig leuchtet mir die Altersangabe "30" dafür ein. Natürlich können sich bis zum 30. Lebensjahr schon Krankheiten ergeben haben, die der Betreffende mit 20 noch nicht hatte. Aber es geht beim EKG vor allem darum, Unregelmäßigkeiten der Herzarbeit zu finden und die können angeboren sein. Ich will damit keine Panik verbreiten, denn immerhin ist dergleichen höchst selten. Außerdem gehöre ich einer Altersgruppe an, in deren Jugend kein Mensch auf die Idee kam sich vor sportlicher Betätigung jedweder Art einer vorbeugenden Untersuchung zu unterziehen. Heute ist man aber auch in dieser Hinsicht weiter. So wie niemand mehr (oder doch?) seinen Müll einfach gedankenlos nur in eine Tonne steckt, so sollte man sich auch nicht mehr gedankenlos in körperliche Abenteuer stürzen. Der Vergleich gefällt mir selber nicht richtig. Ich will damit nur sagen: Jeder Teilbereich des Lebens hat sich weiterentwickelt und immer mehr KANN und SOLLTE beachtet werden, um die Lebensgrundlagen zu erhalten.
Zu dir: Du kannst deinen Pulsmesser als Stoppuhr ruhig benutzen, aber lass den Brustgurt im Schrank. Die Pulsmessung ist (noch) sinnlos.
Dann ist da deine Frage wie lange man am Anfang laufen sollte. Und du kommst gleich mit einer Stunde als Vorschlag rüber. Auf jeden Fall solltest du nicht länger laufen, als du ohne eine Gehpause zu machen bei langsamem Tempo laufen kannst. In deinem Alter und bei nicht so gravierendem Übergewicht, ist wahrscheinlich dass du 30 Minuten ohne große Problem und ohne Pause zustande bringst. Wenn das tatsächlich geht, dann wäre das eine Einstiegsgröße. Wie man das Training organisieren könnte dazu weiter unten mehr.
Wenn das nicht ohne Pause oder nur mit Hängen und Würgen möglich sein sollte, diese 30 min pausenfrei zu laufen, dann wärst du ein Kandidat für spezielle Laufprogramme die mit wechselweisem Laufen-Gehen operieren. Aber nur dann.
Falls du die 30 min packst, wovon ich jetzt ausgehe, könntest du eine erste Trainingswoche wie folgt organisieren:
Woche 1: 20 / 25 / 30 (alles in min)
Drei Trainingstage also, wobei zwischen zwei Lauftagen mindestens ein Tag Pause eingehalten wird. Das Tempo ist langsam. Langsam heißt, dass du dich mit einem Begleiter noch unterhalten könntest. Deine Lunge - die Atemfrequenz und Atemtiefe - wird dir also sagen, ob du richtig läufst.
In der 2. Woche verlängerst du dann die Strecke, aber um nicht mehr als 10% maximal. Das berechnet man so:
20+25+30= 75 davon 10% = 7,5; also bist du mit 5 min Verlängerung auf der sicheren Seite:
Woche 2: 25 / 25 / 30
Woche 3: 25 / 25 / 35
Woche 4: wie Woche 1
Woche 5: 25 / 30 / 35
Woche 6: 30 / 30 / 35
Woche 7: 30 / 30 / 40
Woche 8: wie Woche 5
Woche 9: 30 / 35 / 40
usw.
Der Sinn dieses Plans ergibt sich aus folgenden Überlegungen: Dein Bewegungsapparat braucht Zeit, um sich an die Belastung der Laufschritte zu gewöhnen. Ein schnelleres Vorgehen (mehr Zuwachs von Woche zu Woche) kann toleriert werden, muss aber nicht. Das hängt von der Robustheit deines Körpers ab, die du aber nicht kennst. Die 10%-Regel bedeutet ein sanftes Vorgehen, das wahrscheinlich zu keinen Beschwerden führen wird.
In jeder vierten Woche reduziert man die Belastung um die vollständige Regeneration sicherzustellen, auch das ist oben berücksichtigt. Auf diese Weise dauert es länger bis du die angepeilte Stunde erreicht hast, aber dafür bleibst du höchstwahrscheinlich auch von Problemen verschont.
Wenn du bei einer Stunde langsamem Dauerlauf angekommen bist, kann man das Training umstellen. Dann ist auch sicher der Zeitpunkt gekommen, wo deine Herzfrequenz mit einem proportionalen Anstieg reagiert, wenn du das Lauftempo erhöhst. Dann bedeuten 15% mehr Tempo auch 15% höhere Herzfrequenz. Dann bist du in allen Bereichen so weit belastbar, dass du deine Hfmax mit einem Test ermitteln kannst - wenn du das willst.
Nun noch zum Abnehmen: Am Anfang wird sich das "bisschen Training" kaum auf dein Gewicht auswirken. Dazu folgende einfache Rechnung: In Woche 1 läufst du 75 min. Angenommen du verbrauchst dabei 1.000 kcal (was zwar noch etwas hoch gegriffen sein dürfte, aber annähernd hinkommt). Um ein Kilo Körpermasse abzuspecken, muss man aber ungefähr 8.000 kcal verbrauchen. Und zwar ohne sie durch Essen und Trinken wieder aufzunehmen. Wenn du also 1.000 kcal in der Woche verbrauchst, kannst du durchs Laufen ungefähr125 g Masse abnehmen. Wirst du aber nicht! Wieso? Ganz einfach: Weil du sie durchs Essen wieder ersetzen wirst. Was viele nicht verstehen ist: Aus mehr Arbeit macht der Körper ganz automatisch mehr Hunger.
Nun nehmen aber viele am Anfang ihrer Laufaktivitäten doch etwas ab. Leider stagniert das Gewicht dann, wenn ein, zwei Kilo weg sind. Wie viele Kilos, hängt von der Größe des Übergewichts ab. Warum ist das so und wieso widerspricht das nicht meinen Aussagen im vorherigen Absatz? Durch das Lauftraining wirst du deine Muskelmasse hauptsächlich in den Beinen (aber auch im Bauch, Rücken, Po) vermehrt nutzen. Sie wird aktiviert, vergrößert sich sogar ein wenig. Damit steigt der Grundumsatz des Körpers. Das sind jene etwa 1.800 bis 2.000 kcal, die der Körper jeden Tag zur Erhaltung der Lebensfunktionen verbraucht. Mehr Muskeln, bzw. gestraffte Muskeln erhöhen ihren Grundumsatz.
Aus dem Dargestellten ist nur ein Schluss zu ziehen: Wirklich abnehmen wird nur der, der seine Ernährung den Notwendigkeiten anpasst. Wer also Ernährungssünden auf gelgentliches Genießen reduziert und nicht seine Ernährung darauf aufbaut. Wer täglich bei MacD. isst oder sich von Muttern fett bekochen lässt oder literweise Bier in sich reinschüttet, kann rennen wie er will und so lange er will, er wird nicht abnehmen.
Nur mal so als Beispiel: Ich habe während des Trainings zu meinem zweiten Marathon 6 Kilo zugenommen, obwohl ich ca. 60 bis 70 km jede Woche lief, teilweise auch mit höherem Tempo. Natürlich habe ich nur deshalb zugenommen, weil ich glaubte ich könne bei dem Laufumfang essen und trinken so viel ich will ... Das war 2003. Inzwischen habe ich 77 Marathons und Ultras auf dem Kerbholz und bin dünner (und auch nach Grundlagenstudium etwas besser informiert).
Ich wünsche dir alles Gute bei deinem Laufeinstieg.
Übrigens findest du zu all diesen Themen auch reichlich Infos auf unserer
Laufseite, wenn du willst.
Gruß Udo