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Kühl in Kahl

Kühl in Kahl

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Die Eiszeit ist schon eine ganze Weile her. In Kahl hat man allerdings heute noch etwas davon. Zum Beispiel idyllische Seen, die der ein oder andere Gletscher auf seinem Rückzug übrig gelassen hat. Oder auch einen sandig weichen Boden, auf dem sich Geologen austoben können. Trotzdem kann das nicht der Grund dafür sein, dass es heute in Kahl so kühl ist. "Kühl, gell?", sagen denn auch die Läufer, wenn sie in Singlet und Flatterhöschen aus der Umkleide ins Freie treten. Manche sagen auch etwas anderes, zum Beispiel "Hättest Du gedacht, dass es heute so kühl ist?" oder auch "Huh, ist das kühl".

Während ich auf meinen Trainingspartner warte, ist mir beinahe ein bisschen kühl und so laufe ich zwischen Herren- und Damenumkleide hin und her. In Kahl ist das eine Strecke von immerhin 200 Metern. Die Damen sind separat in einem mintfarbenen Vereinshaus untergebracht. Es gibt keine Schilder, die darauf hinweisen und nach Jahren des Umherirrens darf ich mich endlich wie ein Insider fühlen – ich gehöre zu den wenigen Frauen, die wissen, wo sie sich ihre Startnummer ans Shirt knibbeln sollen.

Darüber hinaus gibt es nichts zu beklagen – sogar der Zieleinlauf ist frisch gemäht. Das Ziel befindet sich mitten auf einer kleinen Wiese vor dem Sportplatz und mit Erleichterung stelle ich fest, dass ich mich nicht auf den letzten Metern durch mannshohe nordbayerische Gräser schlagen muss, was hier nie ganz ausgeschlossen werden kann.

Beim Start dürfen wir uns ein bisschen wie eine Rakete fühlen, denn auf die Strecke geht es über eine steile Rampe. Trotzdem versuche ich nicht gleich zu zünden, ich habe die vage Ahnung später noch etwas Treibstoff zu brauchen.

Ich versuche mein Tempo zu finden und suche dazu die Bäume ab. Dort muss schließlich irgendwo ein Kilometerschild hängen. Doch während anderswo Schilder in Vereinsfarben das Läuferauge beleidigen, setzt man in Kahl auf Täfelchen aus Holz, die sich harmonisch in die Umgebung einfügen. Sie haben etwa Borkenkäfergröße und hängen mal rechts, mal links, vermutlich damit das Chi weiterhin ungehindert durch den Wald fließen kann. Das heißt, wo die ersten fünf Täfelchen hingen, kann ich nicht sagen, ich konnte sie einfach nicht finden.

So hetze ich ein wenig planlos vor mich hin, obwohl ich vor dem Start durchaus einen Plan hatte: unter 1:50 soll es bei diesem Halbmarathon werden. Ich sehe zwar keine Kilometermarkierungen, doch dafür sehe ich jetzt Alfred Ditzinger. Alfred ist Jahrgang 34 und läuft wie ein Uhrwerk. Er ist in der Lage, zwei Sonntage hintereinander bei einem 25-Kilometerlauf zu starten und auf die Minute in der gleichen sensationellen Zeit ins Ziel zu kommen. Er sieht gut aus, wie immer. Ich sehe Alfred und weiß: wenn ich sein Tempo laufe, bin ich zu schnell. Ich weiß es und überhole ihn trotzdem. Das Glück gehört denjenigen, die versuchen, es mit einem 71jährigen aufzunehmen.

Die Strecke ist ein Fest für robuste Sehnen und Bänder. Der besagte sandige Eiszeitboden hat sich durch den Regen erweicht und wirkt ein wenig wie eine langgezogene Sprunggrube für Weitspringer. Das heißt, er würde so wirken, wenn nicht die vielen Äste, Stöckchen und Tannenzapfen wären, die der Sturm den Bäumen entrissen hat. Man hoppelt, hüpft, kippelt, bremst und stapft und lässt dabei reichlich Kraft zwischen den Feng Shui-Kilometertäfelchen. Und trotzdem zieht es mich vorwärts, als gäbe es im Ziel nur noch vier Stück Streuselkuchen. Heute läuft’s.

Am Ende packt die Strecke noch einmal ein Stückchen Schönheit aus, es geht an einem der Seen vorbei und nichts fehlt, außer etwas Zeit, sich das Ganze näher anzusehen.

Aber für einen Läufer auf Bestzeitenkurs ist eben nichts so schön, wie die Waden eines näherkommenden Vordermannes. Ich stampfe mit rudernden Armen über die geschorene Wiese und staune über die 1:46:35 auf meiner Uhr. Auch mein Trainingspartner – längst im Ziel – hat sich eine feine Zeit erlaufen. Schnell ziehen wir uns um, denn es ist ein wenig kühl. Für unsere Leistung überreicht uns der Verein der "Deutschen Jugendkraft Kahl" ein wahres Füllhorn an Geschenken. Zunächst einmal erlässt er uns dieses mal die musikalische Untermalung in Form einer bodenlosen Combo, in den Vorjahren auch "Country Frühschoppen" genannt. Das beschleunigt unsere Regeneration um ein Vielfaches. Aber das ist noch nicht alles. Auf dem Weg zum Auto tragen wir schwer (beide stolze 2. unserer Altersklasse) an einer bunten Urkunde und einem Doppelgebinde Shampoo der Sorte "Fruit Familiy energy & vitality". Das ist weit mehr, als wir uns von einem solch kühlen Tag erträumt hatten.

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1:46:35 !!!!! :respekt: :respekt:

Du wirst doch immer schneller und versucht das nur mit deinen Berichten zu verschleiern, kommt mir jedenfalls so vor :P

Gratuliere nochmal, weiter so ! :daumen:

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Schöner Lauf und toller Bericht - wie immer! Komisch, je mehr Du läufst, desto weniger komme ich selbst dazu :wink: (klasse Ausrede, oder?)
Nur eins hast Du uns verschiegen: Wo um alles in der Welt liegt denn das kühle Kahl?

Viele Grüße

Michael

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Hi frauschmitt,
jetzt hab ich extra das Fenster zu gemacht, "damit das Chi weiterhin ungehindert um meinen Computer fließen kann."
Wieder ein Klassebericht und eine Superzeit! :daumen: :daumen: :daumen:
Dazu herzliche Glückwünsche für literarische und sportliche Meriten.
Liebe Grüße aus der Eifel____________Nele
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Lesen gefährdet die Dummheit

26.8. Maare-Mosel-Lauf 9,693 km in 49:08; 2. Platz AK; 9. Platz in der Frauenwertung
24.9. Berlin-Marathon vorne steht jetzt eine 3; 66. Platz AK

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Respekt vor der Zeit.

man sieht mal wieder, FRauSchmitt kann nicht nur schön schreiben, sondern auch noch verdammt schnell Laufen.
Da waren die Augen aber sicherlich sehr weit, als du die Zeit gesehen hat, was???, das kann ich mir gut vorstellen.
Und nun stelle man sich die Situation mal vor mit 30°C und überhaupt nicht kühl in Kahl, dann wäre diese Superzeit nicht drin gewesen. Also ein Hoch aufs kühle Wetter in Kahl

Gruß
Markus
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Na, zu so später Stunde noch einen Bericht gewagt und dann noch so facettenreich?...
Zwischen
...Eiszeit...
...idyllische(n) Seen...
...Gletscher(n)...
...Geologen...
...Singlet und Flatterhöschen...
...zwischen Herren- und Damenumkleide...
...mannshohe(n) nordbayerische(n) Gräser(n)...
...Raketen... und ...Rampen... und ...Treibstoff...
...Täfelchen aus Holz... in Borkengräfergröße...
..."Chi"...
frage ich mich ehrlich:
Warum wohl ist das Vereinshaus
mintfarben
??

Aber auf dem Weg zum Ziel über:
Sprunggrube... ...Äste, Stöckchen und Tannenzapfen ...Feng Shui-Kilometertäfelchen... ...Streuselkuchen...

gelangt man dann doch an dasselbige:
Das Doppelpack Shampoo
gottlob von der Sorte
"Fruit Familiy energy & vitality"
und bemerkenswerterweise
ohne bodenlose Combo
- Der Eindruck, 'es war nicht so besonders', lässt sich nicht leugnen, warum eigentlich, bei der Zeit?

Kühler Bericht zu cooler Bestzeit an kaltem Tag auf Eiszeitboden...

- Glückwunsch -
...hab hier nur meine Meinung formuliert. so what?

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Ein Bericht, der schön zu lesen war. Und 1:46 h ist ja nicht von schlechten Eltern (etwa 5er-Schnitt auf dem HM, alle Achtung).

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Ralf-Charly hat geschrieben:
Und natürlich Herzlichen Glückwunsch zur PB!
:respekt: :respekt: :respekt:

Vielen Dank! PB ist es allerdings nicht ganz (da steht noch eine 1:44 davor ...). Aber so eine Zeit bin ich trotzdem schon sehr lange nicht mehr gelaufen. Und die Strecke ist nicht gerade bestzeitengerühmt. Deshalb freut's mich natürlich besonders.

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Jetzt hab ich's fast vergessen:
stachelbär hat geschrieben: Wo um alles in der Welt liegt denn das kühle Kahl?

Kahl das Kühle hat das Autokennzeichen Aschaffenburg. Also so diese Ecke ist das ...

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Rechtzeitig zum (Arbeits-)Wochenbeginn wieder ein schöner Bericht von Frau Schmitt !!! Langsam habe ich allerdings den Verdacht, Frau Schmitt sucht sich die ganzen kleinen Volksläufchen raus, nur um die ganzen schönen Fruchtfamilien-Shampoo-Gebinde nach Hause schleppen zu können....
frauschmitt2004 hat geschrieben:...und nichts fehlt, außer etwas Zeit, sich das Ganze näher anzusehen.
Geht mir auch immer so ....
frauschmitt2004 hat geschrieben:... der Verein der "Deutschen Jugendkraft Kahl"
Heißen die wirklich so ????
Renn-Schnecke

... von 2 auf 100 in 11 Jahren ...

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Glückwunsch Fr. Schmitt!!!!


Super Zeit und das bei dem Boden, prima.
Bin mal beieiner Veranstaltrung von Krotzenburg mitgelaufen und kenne das wenns geregnet hat, da wären teilweise Gummistiefel besser.

Gut gelaufen, geniesse deinen Erfolg.


Gruss Mayo

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Renn-Schnecke hat geschrieben: Heißen die wirklich so ????
"Die Deutsche Jugendkraft (DJK) ist ein katholischer Sportverband in Deutschland mit etwa 500.000 Mitgliedern in 1.200 Vereinen.
Die drei Großbuchstaben DJK stehen für den Namen "Deutsche Jugendkraft" und sind keine Erfindung der Gründer des DJK-Sportverbandes. Jugendkraft war ein häufig verwendeter und selbsterklärender Begriff der Alltagssprache dieser Zeit, der auch in anderen Kulturen, Sprachen und Sportbereichen verwendet wurde (z. B. Italien: Juventus). Er meinte die Summe aller positiven, kraftvollen, kreativen Eigenschaften der Jugendzeit schlechthin, ohne dass diese damit auf den Lebensabschnitt Jugend begrenzt wären.
Bereits lange vor der Gründung von DJK-Vereinen oder –Abteilungen ist das Wort "Jugendkraft" in der sportlichen nichtkonfessionellen Jugendarbeit in Gebrauch. Vor allem im Ringersport ist der Begriff als Vereinsname um 1900 populär. Bereits 1897 wird in Berlin der Kraftturnverein Jugendkraft III (Schwerathletik, Kunstturnen, Artistiksport) gegründet. Bis 1910 finden sich mindestens 7 weitere Ringervereine mit dem Namen Jugendkraft, die allesamt nicht zur katholischen Sportbewegung gehören."

Das wusste ich natürlich auch alles nicht. Wieder was gelernt ... :gruebel:

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und wieder ein erheiternder, spannender, informativer ... und überhaupt ... von FrauSchmitt. Vielen Dank! :daumen:

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Toll, Frau Schmitt! :) :)

Und natürlich ist, wie immer, bzw. nie, also es ist Butterkuchen, oder Streuselkuchen... von ihr nicht ironisch gemeint! :wink: Cool :daumen:

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Ja schämst du dich nicht, so einen ehrwürdigen alten Herm zu zersägen?

:wink:

Herzlichen Glückwunsch zu deiner Zeit, und auch ich bekenne mich dazu, mit Vergnügen deine Berichte zu lesen.

:)

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Hallo frauschmitt!!
frauschmitt2004 hat geschrieben:

Das heißt, er würde so wirken, wenn nicht die vielen Äste, Stöckchen und Tannenzapfen wären, die der Sturm den Bäumen entrissen hat. Man hoppelt, hüpft, kippelt, bremst und stapft und lässt dabei reichlich Kraft zwischen den Feng Shui-Kilometertäfelchen. Und trotzdem zieht es mich vorwärts, als gäbe es im Ziel nur noch vier Stück Streuselkuchen. Heute läuft?s.

Dein Stil erinnert mich an das Buch "Alice im Wunderland" mit seinen phantastischen, absurden + naiven Bildern. Jedenfalls hole ich bei Deinen Berichten mit einem Schmunzeln nach, was ich bei meiner Jagd nach Bestzeiten in meiner tief versunkenen Art nur am Rande wahrnehme.
Herzlichen Glückwunsch zu Deiner sehr guten Zeit. :respekt:

Schönen Gruß

Caramba :hallo:
Success is knowing that you did your best to become the best that you are capable of becoming (John Wooden)
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