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Waldhessen 07: 1 Lauf-6 Stunden-3 Perspektiven

Waldhessen 07: 1 Lauf-6 Stunden-3 Perspektiven

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Waldhessenlauf (6 Stunden), Rotenburg/Fulda, 24.03.2007
-6 Stunden - 1 Lauf - 3 Perspektiven-
Die Vorzeichen standen ungünstig. Aber ich wollte unbedingt hin. Auch fast ohne Training, ohne Chance auf ein achtbares Ergebnis und erst recht ohne Chance auf eine neue Bestmarke. Aber mit viel Lust, mir bekannte und (noch)unbekannte Läufer aus der Ultraszene und von Laufen-Aktuell zu treffen, die einzigartige Athmosphäre solcher Veranstaltungen zu schnuppern und mir einen Tag Laufurlaub zu gönnen - notfalls auch ohne zu laufen.
Seit mehreren Wochen hatte ich die Seuche am Bein. Wadenzerrung Nr. 1, Erkältung, Wadenzerrung Nr. 2, wieder aufgebrochene Wadenzerrung Nr. 2 - die damit verbundenen Laufpausen reihten sich fast nahtlos aneinander. Noch kein Dreißiger in diesem Jahr, der letzte Lauf über 20 km bereits Anfang Februar, die letzten 2 Wochen vor dem Start gar nicht mehr gelaufen, insgesamt gerade mal 47 km in den letzten 6 Wochen vor dem Start. Im wahrsten Sinne des Wortes erschwerend kam hinzu, dass ich aufgrund von wenig Training und reichlich Süßkram figürlich wieder in den Bereich eines unaustrainierten Schwergewichtsboxers gerutscht war.
Mit diesen Voraussetzungen hatte ich wohl auf der Runde im Rotenburger Schlosspark eigentlich nichts zu suchen. Aber ich hatte mich schon so lange darauf gefreut. Also rückte ich die gesellige Komponente des Drumherums für mich in den Vordergrund, freute mich auf eine liebevoll organisierte Veranstaltung und das Carboloading in der Pizzeria am Abend vorher.
Ich setzte mir daher keine Ziele, sondern mich stattdessen ins Auto und fuhr zu Laufkumpel Jens, wo wir mich und mein Gepäck umluden und gemeinsam die 230 km nach Rotenburg fuhren. Jens' Frau Julia musste krankheitsbedingt zu Hause bleiben. Am frühen Abend erreichten wir unser Ziel, die Jugendherberge direkt am Schlosspark, der wiederum im Zentrum von Rotenburg am linken Ufer der Fulda liegt. Es blieb noch Zeit für Begrüßungen, Smalltalks und einen kleinen Bummel durch das schnuckelige Fachwerkörtchen, bevor es dann zum Italiener im Schlosspark ging. Wir waren mit Gabi, Peter und Eric verabredet, die mir bis daher nicht näher bekannt waren. Es war ein netter Abend bei Läufergesprächen, Ricotta-Calzone, Tiramisu und Weizenbier, den ich anschließend noch für ein halbes Stündchen am Laufen-Aktuell-Tisch ausklingen ließ.
Da viele Läufer in der Jugendherberge übernachteten, wurde beim gemeinsamen Frühstück viel gefachsimpelt, bevor es an die letzten Startvorbereitungen ging. Nachdem die Eigenverpflegungsstände im Park deponiert waren, schickte Harald Heyde die 68 Teilnehmer um 10:00 Uhr in die erste Runde. Vorbei an der Rundenzählstation, dem Dixiklo und den Selbstversorgungsständen führte sie in kleinen Schleifen durch den Schlosspark, vorbei am Italiener, entlang dem Ufer der Fulda, einen kleinen Anstieg hinauf zum Schlosshof, wieder leicht runter und dann auf einer langen Geraden wieder zur Startlinie.
Die Runde war 1145 Meter lang und bis auf einen kurzen Abschnitt am gepflasterten Schlosshof geteert und flach. Ich hatte mich in der Hoffnung, Wadenprobleme zu vermeiden, dazu entschieden, zunächst mit den alten Schuheinlagen zu laufen und wollte es locker im 6:30-Tempo angehen lassen. Während der ersten Runden schoss ich einige Fotos und lief ein Stück mit Roland Harter. Es machte Spass, zumal das Wetter mitspielte. Geschätzte 5-10° C und kein Niederschlag. Die Beine verhielten sich zunächst brav und ich ließ es gleichmäßig rollen. In Runde 6 oder 7 machte sich dann mein linker Spreizfuss schmerzhaft bemerkbar. Also legte ich in Runde 8 einen kleinen Pitstop ein und wechselte links einlagentechnisch von alt auf neu.
Es ging weiter, aber etwas langsamer als bisher. Ein paar Runden später machte sich dann nicht nur der Trainingsrückstand langsam bemerkbar, sondern auch das, was ich befürchtet und erwartet habe: die rechte Wade zickte wieder rum. Erneuter, längerer Pitstop in Runde 12, bevor es dann zunächst mit Wadenbandage teils laufend, teils gehend weiter ging. Aber es hatte keinen Sinn, sich so Runde um Runde durch den Park zu hangeln. Und meiner Frau hatte ich ja auch versprochen, bei Wadenproblemen aufzuhören, da der Urlaub anstand. Also beendete ich die Angelegenheit nach 15 Runden, gut 17 Kilometern.
Da ich ja mit Problemen und einem frühen Ausstieg rechnen mußte, hielt sich meine Enttäuschung in Grenzen.
Und nun?? Vier Stunden nur rumstehen wollte ich nicht. Also machte ich mich nützlich, löste Sigi Bullig an der Rundenzählstation ab und sah den Lauf jetzt für die nächsten Stunden aus der Perspektive des Helfers. Ich sagte die Nummern der vorbeikommenden männlichen Läufer an, die dann in den PC eingegeben wurden, rief aufmunternde Worte zu und reichte den Läufern Marathonfähnchen an. Sah, wie nach zunehmender Renndauer immer mehr Läufer zu Spaziergängern wurden. Wurde Zeuge von Auf's und Ab's, Verschiebungen in der Rangfolge, unterschiedlichen Läufercharacteren und kleinen Leidensgeschichten.
Da war die Läuferin, die lange mit großen, eleganten Schritten ihre Bahnen zog, dann plötzlich schwächelte und Gehpausen einlegte und schließlich doch wieder ans Laufen kam.
Da war Conni, die spätere Siegerin, die stets souverän mit einem Lachen im Gesicht ihre Runden zog, als wäre das alles ein Klacks.
Da war der Läufer, der offensichtlich motorisch stark gehandicapt war. Er war sehr langsam, aber er war dabei. Hut ab.
Da war Eric, der seinen 100. Marathon und mehr lief und sich nach der Marathonrunde erst einmal ein Bierchen gönnte.
Da war Roland, der nicht nur seinen ersten Marathon lief, sondern mit mehr als 51 Kilometern auch seinen ersten Ultra erfolgreich meisterte.
Da war der stets von seiner Familie motivierte Läufer, der -vielleicht aufgrund einer verlorenen Wette- seinen ersten Marathon versuchte, ihn jedoch nicht ganz in den 6 Stunden schaffte. Aber er lief die Runde nach dem Schlußsignal noch für sich zu Ende, schaffte dadurch die Marathondistanz und wurde so für diesen Tag wohl zum Helden für seine Familie.
Dies war eine ganz andere Perspektive als die des aktiven Läufers, die aber auch seinen Reiz hatte.
In der letzten Stunde verlagerte ich die Perspektive noch einmal, wurde zum Supporter und ging auf Fotojagd. Auch so konnte ich mich noch gut nützlich machen und weiter die Veränderungen im Feld beobachten.
Ich sah, wie Jens noch den bis dahin Vierten kassieren und die Position nach und nach sichern konnte.
Hörte amüsiert, wie Martin mit Riesenschritten walkend Marschlieder in den Rotenburger Himmel schmetterte.
Und half hinterher noch dabei, die Restmeterfähnchen an den Mann und die Frau zu bringen, bis der Fanfarenstoß um 16:00 Uhr Läuferfreud und -leid ein Ende setzte.
Geduscht wurde anschließend im nahe gelegenen Hallenbad, bevor es dann in der Jugendherberge ein gemeinsames Essen und die Siegerehrung gab.
Mein Fazit: es war mein erster Lauf in Rotenburg, aber bestimmt nicht der letzte. Die Veranstaltung war liebevoll und gut organisiert, familiär, preiswert und ein Lauf der kurzen Wege. Auch wenn es für mich erwartungsgemäß nicht wie gewünscht lief, habe ich den Trip nach Waldhessen nicht bereut. Denn Spaß gemacht hat es trotzdem, zumal ich wieder nette Leute kennengelernt und andere wiedergetroffen habe.
:hallo: Stefan


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gut gebrülllt ähhhh geschrieben Lauflöwe! :daumen:
Schön das du es so gelassen sehen konntest und dich noch nützlich gemacht hast. Habe mich immer gefreut an dir vorbei zu walken.

Gruß Martin
mit freundlichem Gruß aus Hamburg


Martinwalkt
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Lauflöwe hat geschrieben:Mein Fazit: ...
Die Veranstaltung war ... ein Lauf der kurzen Wege...
Na, Stefan, das hast Du aber sehr wörtlich genommen... :D

Schön, dass es Dir dennoch gefallen hat
und Danke für den aufschlussreichen Bericht! :daumen:
...hab hier nur meine Meinung formuliert. so what?

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Vielen Dank für Bericht und Bilder, ich finde das Klasse Stefan, daß Du nicht den Kopp in den Sand gesteckt hast sondern das Beste draus gemacht hast :daumen: Sicherlich auch für Dich Motivation, wieder mal ordentlich zu brüllen. Hast Du Dich mal mit Schnitte in Verbindung gesetzt, wegen der Zerrung? Ich bin meine fast los :daumen:

Dein Bericht motiviert mich übrigens ungemein, beim BerlinMarathon mal als Helfer mitzumachen, ich hatte das bis jetzt nur im Hinterkopf (laufterminlich passt es bei mir dieses Jahr wieder nicht)...
☼ ☼ ☼
Entscheide Dich. Und wenn Du Dich entschieden hast,
vernichte die Alternativen.

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:danke: für diesen mehrschichtigen Perspektivenbericht! Immer auch mal was anderes und neue Blickwinkel - so mag ich das :daumen:

.. und deshalb hoffe ich, dass du es mir nicht übel nimmst oder genervt die Augen verdrehst, wenn ich mich durch dich inspiriert fühle, zu einer kleinen Erzählung oder Predigt auszuholen. Diese könnte auch ganz woanders stehen - oft vermutlich auch an meinen eigenen Dummheiten und Unvorsichtigkeiten. Dass es gerade jetzt rausdrängt, liegt an Freizeit, akuter Plauderlust ... wie das so ist manchmal ... ;-) Man liest es hier ja immer wieder ähnlich:
Lauflöwe hat geschrieben:
Seit mehreren Wochen hatte ich die Seuche am Bein. Wadenzerrung Nr. 1, Erkältung, Wadenzerrung Nr. 2, wieder aufgebrochene Wadenzerrung Nr. 2 - die damit verbundenen Laufpausen reihten sich fast nahtlos aneinander.
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Ein paar Runden später machte sich dann nicht nur der Trainingsrückstand langsam bemerkbar, sondern auch das, was ich befürchtet und erwartet habe: die rechte Wade zickte wieder rum.
Immer wieder fällt mir bei sowas meine erste "Sportverletzung" vor inzwischen über 4 Jahren ein. Gelaufen bin ich damals noch nicht, sondern wollte es mal mit Badminton versuchen. Ungefähr 10 Minuten lang im ersten Versuch, dann humpelte ich schmerzverzerrt vom Hallenboden und fand mich am anderen Tag beim Orthopäden wieder.

"Muskelfaserriss in der Wade" lautete dessen Diagnose und - vermutlich hatte der Arzt beim Studium zwischen Theologie und Medizin geschwankt :D es folgte eine kleine Predigt seinerseits, die ich sinngemäß mal wiedergeben möchte:

"Die Wade wird jetzt ca. 3 Tage lang schmerzen" hub er an. "Dann immer weniger und nach einer Woche werden Sie meinen, alles ist wieder in Ordnung. Es ist eine Standardverletzung, die ich hier täglich mehrfach in der Praxis sehe. Fast alle kommen vom Tennis, Squash, Badminton - aber auch Läufer, Fußballer, Basektballer etc. sind dabei. Und mindestens 50% machen denselben Fehler: Sie legen viel zu früh wieder los. Dann habe ich sie ein paar Wochen später wieder hier: Muskel wieder angerissen.
Diesmal dauert es natürlich etwas länger, bis er wieder schmerzfrei ist. Aber wieder legen sie zu früh los und es dauert nicht lange, dann hat der größte Teil meiner Pappenheimer sich eine Sollbruchstelle für's Leben eingefangen.

Ich sollte eigentlich froh darüber sein, denn so bleibt meine Praxis samt Kundschaft immer gesichert. Aber wenn sie wirklich möchten, dass das, was Sie da haben, eine einmalige Verletzung und Episode bleibt, die vollständig und folgenlos ausheilt, dann müssen Sie beachten:" (der Mann war rhetorisch recht begabt und legte so eine crescendoartige dramatische Steigerung in seine Worte)

"Halten Sie die Beine MINDESTENS! 4 Wochen lang sportfrei. Bewegen soll sein. Aber nur schwimmen, anstrengungslos radfahren, dann irgendwann anfangen zu massieren, ganz vorsichtig - und nicht zu früh - dehnen. Spazierengehen und immer schön in Bewegung bleiben. Aber ohne jegliche Form einer Belastung, die irgendwie in Richtung richtiger Sport geht.

Irgendwann sagen alle, das ist ja nur eine Zerrung und beschönigen das. Aber oft genug ist es - wie bei Ihnen - eben eine kaputte Muskelfaser. Und die will auch nach Schmerzfreiheit in Ruhe ausheilen. 4 Wochen! Wenn Sie auf Nummer Sicher gehen wollen auch sechs Wochen. NICHTS. GAR NICHTS! Dann langsam - langsam sage ich - wieder anfangen. Und ich bin mal gespannt, zu welcher Hälfte Sie gehören und ob ich Sie in ein paar Wochen wiedersehe."

Nunja - ich gehöre eigentlich zur unvernünftigeren Hälfte. Aber diese eindrucksvolle Predigt tat das ihre. Ich habe mich dran gehalten und glaube, das war gut so.

Gute Besserung und kuriere das wirklich! komplett aus! Jeder neue Nachriss (und an eine kleine Zerrung glaube ich bei deiner Schilderung nicht) läßt es nur länger dauern im Endeffekt.

Predigtende - sorry, aber mir war danach :peinlich:

:hallo: Lizzy

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:hallo: Stefan,
dein Nick muss aber hoffentlich noch nicht in "Humpel"-Löwe abgeändert werden oder :confused: :D
Nix für ungut :giveme5: Danke für den interessanten Bericht und die vielen Foddos. Ich drücke dir die Daumen, dass die gute Sylter Luft im Urlaub deine Beschwerden hinfortweht :nick:
Liebe Grüße :winken:
Angie
What was hard to suffer, is sweet to remember.Seneca

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@ Lizzy:
Lizzy hat geschrieben: .. und deshalb hoffe ich, dass du es mir nicht übel nimmst oder genervt die Augen verdrehst, wenn ich mich durch dich inspiriert fühle, zu einer kleinen Erzählung oder Predigt auszuholen.

Keineswegs - das war sehr anschaulich und lehrreich gepredigt :zwinker5:
Vielen Dank für Deine Mühe.
Lizzy hat geschrieben: Gute Besserung und kuriere das wirklich! komplett aus! Jeder neue Nachriss (und an eine kleine Zerrung glaube ich bei deiner Schilderung nicht) läßt es nur länger dauern im Endeffekt.

Ich verspreche vorsichtig zu sein! :nick: War ich ja auch schon. Die 2 Wochen vor dem Sechsstünder habe ich ja rein gar nichts mehr gemacht.
Blöderweise sind es 3 unterschiedliche Stellen gewesen, wo sich die Wade gemeldet hat. Ich glaube, die sind durch die Schuheinlagen "tief drinnen" schon komplett verspannt und bräuchten mal 'ne Massage-Serie.
In Rotenburg habe ich zum Glück wohl rechtzeitig Feierabend gemacht; der Wade geht es soweit ganz gut. Ich kann normal gehen, werde aber frühestens nächste Woche mal ein paar Meter locker traben und ansonsten mal mehr auf dem Rad machen.

Glückwunsch übrigens zur Ultrapremiere! :daumen:


@ Angie: Wir telefonieren mal wegen Urlaubs-Insidertipps, ja? Pe-emmst Du mir mal Deine Festnetznummer?

:hallo: Stefan


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NRW von A-Z (ein Laufprojekt quer durch's Alphabet)

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Klasse Bericht, der so richtig Lust macht auch mal ... (ja ja, ich weiß, aaaaber irgendwann mal).

Gute Besserung und schönen Urlaub.

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Lizzy hat geschrieben:"Muskelfaserriss in der Wade" lautete dessen Diagnose und - vermutlich hatte der Arzt beim Studium zwischen Theologie und Medizin geschwankt :D es folgte eine kleine Predigt seinerseits, die ich sinngemäß mal wiedergeben möchte:

"4 Wochen! Wenn Sie auf Nummer Sicher gehen wollen auch sechs Wochen."
Nun hast du mir aber einen kleinen Schrecken eingejagt. :uah:
Aber ein Faserriss ist keine Zerrung. Faserriss hat bei mir auch 5 Wochen gedauert, wie angegeben.
Eine Zerrung ist aber sehr viel harmloser. Kathrin ist z.B. damit letztes Wochenende Bestzeit gelaufen. Ich bin aber trotzdem froh, wenn ich Stefans Geschichte lese, dass ich auf die Waldhessen-Teilnahme verzichtet habe.
Jetzt habe ich aber keine Zeit mehr zum Pausieren, ich habe am 15.4. einen Marathon zu laufen. :D :teufel:
"If I had no sense of humor, I would long ago have committed suicide." (Gandhi)
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