Vorsicht: der Bericht ist extrem lang - Bilder und so wird es in meinem Blog geben!
Das Rad ist bereits am Vortag von mir eingecheckt worden und verbringt eine Nacht unter einer gesponsorten gelben Plastikfolie, der Körper ist voll gestopft mit Kohlehydraten – ich bin nervös und angespannt!
Der Wecker schellt um 4:15h – welch unchristliche Zeit! 4 Brote mit Honig sind meine Grundlage für das längste Rennen seit langer Zeit! Die Sachen hab ich ja schon am Vortag gepackt, so dass Bibi und ich ohne weitere Vorbereitung gegen 5:30h zum Startbereich aufbrechen können.
Dort ist schon ne Menge los – viele Zuschauer, die ihre Freunde zum Start begleiten, eine Horde von unzähligen ehrenamtlichen Helfern (neudeutsch: volunteers) bieten hier ein unfassbares Bild! In einem abgelegenen Zelt wird mir meine Startnummer mit einem wasserfesten Stift auf meinen Oberarm gepinselt – meine Altersklasse wird als Buchstabe auf meine linke Wade gepinselt. Die Vorbereitung vollende ich mit einem letzten Check am Rad (die Folie wurde die Nacht vom Wind runtergeweht und der nächtliche Regen hat meinen Sattel durchnässt!) bevor ich mich in meinen Neoprenanzug zwänge. Die Favoriten sind schon eine Weile auf der Schwimmstrecke und ich bin nervös wie noch nie vor einem Wettkampf. Bibi wünscht mir noch mal alles Gute für den Tag bevor ich mich in den Athletenbereich begebe – es gibt nun kein Zurück mehr!
Die einzelnen Startgruppen werden im Abstand von 5 Minuten ins Wasser gelassen – bis zum Start sind es dann noch 75 Meter – dort liegt ein Boot vom BRK und eine Wasserleine, die nach einem Böllerschuss angehoben wird. Mein Schwimmtraining war gut – meine Startgruppe (die letzte Einzelstartergruppe am heutigen Tage) ist enorm groß und ich hab keine Lust auf das Hauen und Stechen am Anfang – also paddel ich in zweiter Reihe und warte auf den Kanonenschuss. Mein Pulsmesser zeigt meinen Erregungsgrad – 144 Schläge pro Minute (das ist heftiger als bei einem ruhigen Lauftraining!) – der Schuss knallt, das Band hebt sich und ich paddel los: keiner vor mir, keiner neben mir, kein Hauen, kein Stechen, kein, Treten – bin ich noch richtig? Kopf aus dem Wasser: nein, ich bin nur gut dabei und habe freie Bahn! Der Main-Donau-Kanal ist grünlich-trüb und ich kann keinen Meter sehen, aber das ist total egal – gut 1,7 km in die eine Richtung, dann in die andere und dann noch ne Wende und ein paar hundert Meter. Ich finde meinen Rhythmus – es ist herrlich!! *ZACK* das war ein Fuß! Wo kam der denn her? Bootsblick: ach, ein Brustschwimmer der vorherigen Gruppe und da sind auch schon Starter, die 10 Minuten vor mir starteten – vorbei und weiter. Kanuten und Rettungsboote sorgen für die notwendige Sicherheit und dass keiner abkürzt – die Kanuten machen einen Superjob und hindern schrägen Schwimmern wie mich daran in den Gegenverkehr zu geraten.
Die Wendemarke ist erreicht: zwei, drei Brustzüge zur Orientierung und dann wieder in den alten Rhythmus. Es geht hervorragend! – kurz vor der zweiten Wendemarke gerate ich in eine große Gruppe von Schwimmern, die bis zu einer halben Stunde vor mir starteten. Leider beginnt hier das Hauen und Stechen: viele, die die rund 3,5 km nicht richtig zu schwimmen angefangen haben, versuchen mich nun mit körperlicher Gewalt daran zu hindern, an ihnen vorbeizuschwimmen: aber das stört kaum: beim Schwimmziel warten Helfer auf die Athleten und ziehen diese ans Ufer, bis sie stehen können – „Suppa, Buam!“ Der Weg zum Wechselbeutel beschert mir den heutigen Maximalpuls – 172 Schläge. Das An- und Auskleiden mache ich bewusst gemütlich bis gemächlich – 7 Minuten – und doch vergesse ich was: Sonnencreme und mein Schweißband: Zweiteres werde ich nicht vermissen, den Sonnenbrand bekomm ich später gratis fürs Vergessen!
Mein Rad finde ich schnell, Helm auf und raus aus der Wechselzone. Meinen Radcomputer hab ich natürlich vergessen zu resetieren – sch…Technik – kostet mich fast ne Minute, bis ich das hinter mir hab und auf dem Bock sitze – keine Geschwindigkeitsanzeige?!?!?! Rückblende: am Tag zuvor hab ich mein Rad gesäubert und den Sensor des Radcomputers dabei verrückt – zum Rad hin: beim Drehen des Rades klackerte es und ich hab den Sensor wieder rausgerückt: zu weit, um ein Signal empfangen zu können….
Was nun tun? Anhalten und justieren? Mit dem Fuß was versuchen? Ne, lassen wir das – ich fahre jetzt nach Puls und Gefühl! Der Moderator gibt bekannt, dass es auf der Radstrecke windstill ist und das Wetter so sonnig wie bisher bleibt: Windstill???? Hat der den Gegenwind nicht bemerkt, der mir auf den ersten Kilometern entgegen bläst? Da kommt der erste Hügel, dem noch einige folgen werden: warmkurbeln ist die Devise – locker!
Das erste große Zuschauernest ist die Biermeile in Eckersmühlen: Biertische mit begeisterten Zuschauern: der immense Krach stachelt mich richtig an: Kinder halten die Hände zum Abklatschen hin – ob das nicht weh tut bei 30-40km/h?
Der erste große Berg stellt sich uns im Wald vor bei Laffenau entgegen: nicht steil, aber die erste Probe, ob die Beine schon wach sind – sie sind wach! Am Selingstedter Berg werden die Radfahrer von Unmengen Zuschauern und einer ambitionierten Moderatorin den Berg hochgepeitscht! Chapeau!
Die Abfahrt und die Kilometer bis Greding sind ein Kinderspiel! Nach einer Kurve in Greding geht es aber steil bergan – wie gut, dass ich mich vorher hierüber informiert hab: wer zu spät schaltet, dem geht es dreckig! Irgendwie macht es mir aber auch Spaß!
Die Abfahrt danach ist super! Die drei Haarnadelkurven, die sich mir entgegenstellen, sind auch kein Problem – das ist Radfahren in seiner schönsten Form!
Hinter Weinsfeld werde ich zum ersten Mal überrundet: Chris McCormick, der spätere Sieger, und Thomas Hellriegel (Hawaii-Sieger 1997) fliegen förmlich an mir vorbei! Der Tross aus Motorrädern, Begleitfahrzeugen, Kamerateams fasziniert mich! Die nachfolgende Steigung nehme ich wie benommen!
Das Highlight war schon immer der Solarer Berg, der sich gut einen Kilometer vorab durch eine Geräuschkulisse ankündigt. Die Zuschauer stehen hier dicht an dicht und man fährt auf eine Wand aus bunten Gestalten zu, die erst im letzten Moment Platz machen. Im Fernsehen bei der Tour de France hab ich so oft gesagt, dass es unverantwortlich sei, dass sich die Zuschauer so verhalten: ich behaupte nun das Gegenteil: IST DAS GEIL!!!! Danke an jeden Zuschauer, der/die mich angebrüllt hat, die neben mir hergelaufen sind, die mich an- und hochgepeitscht haben! Auch als Lanzarotesieger Eneko LLanos (der 5 Wochen nach seinem größten Erfolg hier den zweiten Platz belegen wird) zur Überrundung an mir vorbeizieht ist genug Platz da. Und schon ist die erste Runde vorbei: Mann, war das klasse! Mein Tempo liegt deutlich über 30km/h – Wahnsinn! Bibi feuert mich in Eckersmühlen an, auch in der zweiten Runde alles zu geben! Kein Problem! Ich drücke etwas aufs Tempo – ein Fehler, wie ich noch feststellen werde!
Mein Magen hat sich schon mehrfach gemeldet: um einen Energieriegel zu essen brauch ich fast 50km - die Energiegels hab ich dicke, das Iso-Getränk des Sponsors ist auch nicht ganz lecker und mein Magen grummelt und drückt und tut weh! Die Hose ist zu eng: ich Depp hab den Kordelzug der Radhose zu fest angezogen: aber auch nach der Öffnung verschafft es mir keine Linderung! Auf km 120 fahre ich eine Penaltybox an und die Offiziellen danken, ich müsste eine Zeitstrafe wegen Windschattenfahrens absitzen: nix da: nur mal fürs große Geschäft auf die Box: außer ein paar Tönchen kommt da aber nix! Wieder rauf auf den Bock – mir geht es nicht gut! Mein Bauch, meine Beine und vor allem mein Rücken! Das Liegen auf dem aerodynamischen Lenker fordert seinen Tribut: die Steigungen gehen auf der zweiten Runde nicht mehr so leicht, die Zuschauer werden weniger – es ist hart! Sehr hart! Nach 175km biege ich auf in Richtung Roth zur zweiten Wechselzone: Soll ich mir den Marathon sparen? Nochmals 42,2 Kilometer hinter mich bringen? Mein Rücken, mein Bauch….das ist langsam kein Spaß mehr hier!!
Mein Rad wird von einem Betreuer entgegengenommen, mir wird der Kleiderbeutel gereicht und im Wechselzelt wird mir auch geholfen! Klasse Orga! Mit frischer Verpflegung geht es auf die Laufstrecke! Bibi empfängt mich und erntet ein gezwungenes Lächeln von mir: „wie geht es Dir?“ fragt sie mich glatt – „bin total am Ende, aber es wird schon hingehen!“ sag ich, gebe ihr noch mein Verpflegungspäckchen vom Rad, was ich noch im Trikot hatte und laufe los. Die Strecke geht um eine Rechtskurve und steigt dann ……..wie jetzt??? Ja, sie steigt an! Es geht bergauf!!!! Was soll das denn?? Ich kann nicht mehr und will nicht mehr!! Da kommen mir schon einige entgegen, die aufgegeben haben. Aber mir geht es nicht schlecht genug, um aufzugeben! Aber ich gehe mehr als dass ich laufe! Nach ein paar Kilometern schmiegt sich die Strecke an den Main-Donau-Kanal – geradeaus, öde, kilometerweit einsehbar und komplett in der Sonne. Das mach ich nicht mehr mit! Ich will nicht mehr! Ich gehe mehr als dass ich laufe….ich habe geistig mit der Strecke abgeschlossen – gleich steig ich aus! Vor zwei Jahren ist ein Bekannter vom Lauftreff bei Laufkilometer 8 ausgestiegen – ich versteh in zu gut! Kilometer für Kilometer schleppe ich mich voran, liege gute 30 Minuten über Plan und kämpfe ums Überleben! An km 15 kommt mir Melanie, ehemalige Wunderläuferteamkollegin, entgegen und brüllt mich an „Gib Gas!“ – Moment….die ist doch nur rund 4-5km hinter mir….die holt mich noch ein?!?!? Kann das sein? Bin ich sooo langsam? Neinneinneinneinnein! So, Butter bei die Fische! Entweder, Du hörst sofort auf, oder kneifst den verdammten Ar…zusammen und setzt dein fettes Hinterteil SOFORT in Bewegung! LAUFEND! Die Füße geben einen gleichmäßigen Ton von sich „Trapptrapptrapp“, die Landschaft zieht schneller als vorhin an mir vorbei – ich laufe! Ich laufe! Das tut nicht so weh, wie gedacht. Warum nicht gleich so?
Ich gehe nur noch an den Verpflegungsstellen – Nahrungsaufnahme und Trinken ist immens wichtig! Am km 22 schaue ich auf die Gesamtzeit: wenn ich für den Rest ca. 2 Stunden hinter mich bringe, dann knacke ich die 12h-Marke – ÄHEM, was? Das kann nicht sein! So schnell? Das kann nicht sein! Meine Uhr muss kaputt sein – vielleicht ist die doch nicht wasserdicht! Ich frage eine Zuschauerin nach der Uhrzeit und meine Stoppuhr stimmt!!!! Jetzt kneif die Backen zusammen! Auf km 31 dann das Kuriosteste Ereignis dieses Wettkampfes: ein Ersthelfer spricht mich an, ob ich der Gregor Jonas wäre – besagter Ersthelfer ist ein Kollege aus unserer Berliner Geschäftsstelle – wie klein die Welt doch ist!
Die letzten Kilometer waren traumhaft und es geht weiter noch 6 Kilometer: noch ein Energiegel und die Steigung der ersten Kilometer ist nun ein Bergablauf – eine andere Route führ zum Zielbereich: noch zwei Kilometer und ich überhole enorm viele Athleten! Ich höre schon das Ziel: der Puls geht an einem Hügel nochmals kurz hoch: den Hügel geh ich ganz bewusst: Puls runterbringen um dann frisch aussehend ins Ziel zu kommen. Das Spalier der Zuschauer vor dem Zielbereich empfängt mich sehr freundlich und lautstark! Rein in den Zielbereich, der die letzten 50-100 Meter einnimmt: auf einem herrlichen Teppich passiert man die Tribünen, die voller Menschen sind! Ich nehme nicht wahr, welche laute Musik gespielt wird, nehme kaum Zuschauer wahr, bin in mich versunken, bin so glücklich wie noch nie bei einem Wettkampf! Der Blick auf die Uhr verheißt Gutes: 11:38h! Die Fäuste recke ich gen Himmel, brülle, schreie meine Emotionen heraus, muss mir gar eine Glücksträne verdrücken! ICH HAB ES GESCHAFFT!!!! ICH BIN IM ZIEL MEINES BISHER HÄRTESTEN RENNENS!!!!
Ein alkoholfreies Weizenbier, eine Laugenstange dienen mir als Zielverpflegung – auf mehr habe ich keine Lust – nix Süßes mehr! Bibi empfängt mich am Absperrgitter und ich erhalte die größte Belohnung! Einen Glückwunschskuss! So einfach macht man Eisenmänner glücklich!
Mein härtester Wettkampf bisher!!!
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Mir nach, ich kenne den Weg!!!