5 Uhr 45. Ach ne, was soll denn dieses doofe Gebimmele. Schnell ausmachen. Oh! Autsch! Verdammte Kacke, was soll das? So ganz allmählich werde ich wach. Wirklich nicht meine Uhrzeit, und dann auch noch ein fremdes Bett. Nee, ehrlich, warum bin ich nicht zu Hause in meinem eignen, tollen, breiten Bett? Und warum tut mir der untere Rücken so saumäßig weh? Ich sortiere meine Gedanken, für mich als Eule um diese Uhrzeit eine weltmeisterliche Leistung. Welcher Tag ist heute? Sonntag. Wo bist du? In einem Hotelzimmer in Flensburg. Warum klingelt der Wecker des Handys so früh? Weil du heute einen Halbmarathon laufen willst.
Ganz langsam kommen die Erinnerungen wieder, es ist ja noch sooooo früh. Flensburg, Halbmarathon, mein Ziel: Pace 6:00 min/km. Es soll mein zweiter Wettkampf und auch mein zweiter Halbmarathon werden. Ich habe jetzt 6 Wochen halbwegs zielgerichtet nach Steffny darauf hingearbeitet. Na ja, der ein oder andere Lauf fiel aus, es gibt ja auch noch anderes neben dem Sport. Dafür habe ich mit Tempoläufen zum Schluß nicht gegeizt. Die 10er Trainingsläufe mit meiner netten Nachbarstochter waren ganz schön heftig aber immer toll. Meist sind wir breit grinsend nach 61 oder 63 Minuten wieder zu Hause gewesen, die letzten 3 Kilometer immer mit Pace 5:40
Ganz langsam bewege ich meine Beine aus dem Bett. Das tut verdammt weh, ich habe mich wohl auf der ungewohnt weichen Matratze richtig verlegen. Wann ist mir das denn das letzte mal passiert? Vor 7 Jahren in der Nähe von Wuppertal oder Köln. Schmerzgebeugt stehe ich da in aller Herrgottsfrühe und versuche, mich gerade aufzurichten. Das klappt auch nach mehreren Anläufen. Dafür habe ich leichte Kopfschmerzen, die schlimmer werden, je höher ich den Kopf hebe. Also gebeugt mit schmerzendem Rücken oder gerade mit Kopfweh. Toll, das kann ja heiter werden. Ich überlege lange, ob ich wirklich laufen soll. Die lange Vorbereitung ... was werden die Freunde sagen ... meine Familie zu Hause ... meine Motivation für die nächsten Läufe ... mein Ehrgeiz ... mein Schweinehund ...
Strecken, dehnen, Zähne putzen, anziehen (Straßenkleidung), und los gehts. Wenigstens die Startnummer solltest du dir abholen. Ich bin der wohl einer der Ersten in der Alten Post, die Orga-Leute laufen noch sehr wuselig durcheinander, mir wird geholfen, 1. Stock, rechts. Nr. 3220, wußte ich ja schon. Oh, mein Kopf. Dafür wird der Rücken ein bischen besser.
Eigentlich wollte ich meine Startunterlagen bereits gestern, am Samstag abholen. Dafür hätte ich den ICE 2 Stunden früher nehmen müssen und hätte meine Kinder an diesem Wochenende nur sehr kurz gesehen. So war es besser, am Samstag zu Hause mit der Familie zu Mittag essen (Maulis mit Kartoffelsalat und Zwiebeln ) dann mit dem Zug über Hamburg (sprich "Hamburch") ins ziegelsteinrote, windmüllernde, heckenumsäumte Norddeutsche. Und eigentlich wollte ich dann abends an der Hotelbar nur ein Happen essen und 2 klitzekleine Pils trinken. Für die Bettschwere, ist ja so ungewöhnlich früh für mich. Aber der nette Däne mit seiner dänischen Tenorstimme, war genauso gesprächig wie ich und wir hatten uns sehr viel zu erzählen. So wie es nun hin und wieder an einer Hotelbar vorkommen kann. Es waren wohl 5 "klitzekleine" Pils gewesen. Und ein Glas Rotwein war wohl auch dabei. Zum Glück fiel mir noch vor elf Uhr ein, daß ich ja eigentlich zum Laufen ins schöne Flensburg gekommen war.
Jetzt hatte ich also eine Startnummer, einen Kleidersack, ein paar Sicherheitsnadeln, eine Erklärung für meine Rückenschmerzen und eine weitere für mein Kopfweh. Ohh, wie blöd kann ein Mensch nur sein!
Zurück im Hotel habe ich schnell 2 Brötchen gefrühstückt und mit ein wenig Kaffee versucht, irgendwie wach zu werden. Es hat geklappt. Noch eine Stunde auf dem Bett entspannt, danach einige Dehnübungen, Laufklamotten an und los gehts. Der Kopf brummt immer noch, also im Hotel und bei den diversen Rot-Kreuz und anderen Sani-Zelten nachgefragt, aber keiner hat eine Aspirin. Einlaufen - Dehnen (nein, nicht Dänen ) Gymnastik. Ich nehme mir vor, mein Ziel, den HM mit Pace 5:59 zu laufen, nicht weiter zu verfolgen. Ich werde gaaanz langsam laufen, mehr geben Rücken und Kopf nicht her.
9 Uhr, Startschuß. Ca. 500 LäuferInnen haben sich eingefunden, richtig familiär. Ich habe mich ob meines neuen Ziels in der letzten oder vorletzten Reihe aufgestellt. 50 Sekunden nach dem Startschuß laufe ich über die Startlinie und lasse auch die Polar mitlaufen. Der erste Kilometer ist flach, ich lasse es sehr langsam angehen. Da steht das Schild mit der 1 drauf, die Polar zeigt 6:30. Es geht bergauf, nicht von schlechten Eltern, warum überhole ich hier schon einige Läufer? Ich habe sehr schnell meinen langsamen aber stetigen Rhytmus gefunden, die Steigung interessiert mich nicht. Kilometer 3, die Polar sagt 19:30, die Strecke ist jetzt fast flach. Aber die Läufer um mich herum sind mir jetzt ein bischen zu langsam.
Da, blonde Haare, ein Pferdeschwanz, 50 Meter vor mir. Leicht das Tempo anziehen, ankommen, Tempo geht. Ein neues Opfer, weißes Shirt und rote Glatze, wieder einige Meter weiter vorn. Geschafft! Ein Läufer der Urologie der Unität ??? mit dem Spruch "wie läuft es bei Ihnen?". Ich mag jetzt nicht an meine nächste Vorsorge erinnert werden und überhole.
Bei Kilometer fünf laufe ich auf Pace 6:00, hänge aber 1min30 aufgrund meines Trödelns und des ersten Anstiegs. Ich überhole ständig andere Läufer, rolle das Feld von hinten auf. Mit Ausnahme einiger Staffelläufer und der 2 oder 3 Zuspätkommer hat mich keiner auf den ganzen 21 Kilometern überholt. Drei oder vier Ausnahmen, aber die habe ich alle noch kassiert.
Kilometer 7, Vorstadtgegend, aktuelle Pace 6:00, ich hänge 1:30(zum ursprünglichen Ziel), die Kopfschmerzen sind weg, der Rücken tut micht mehr weh, die Beine sind leicht, der Atem geht regelmäßig und, für einen Ex-Raucher, sehr leicht. Kilometer 10, Tempo stabil, ich habe 30 Sekunden zum Plan aufgeholt. Kuhweiden bei einem Stadtmarathon? Abwärts auf geschotterten, rutschigen Waldwege? Klar, auf den letzten Metern vor Dänemark, so bei Kilometer 12.
Wann ich den ursprünglichen Plan wieder ausgegraben habe und mein zwischenzeitliches "Langsamer Trainigslauf" wieder verworfen habe, kann ich nicht mehr sagen. Jedenfalls fing es in Dänemark an zu REGNEN. Fieser Nieselregen mit Gegenwind. Eigentlich war die ganz Strecke Gegenwind, mal mehr, mal weniger. Aber einem RainRunner tut der Regen gut. Während des Regens habe ich mich noch sehr nett mit einem aus Stuttgart stammendem Herrn unterhalten, der offensichtlich in Dänemark lebt (warum sollte er sonst jeden Apfelbaum im Regen grüßen?) aber ein Shirt von Spiridon Frankfurt trug.
Als der Regen aufhörte hatte ich meinen Trödel-Malus der ersten 3 Kilometer wieder aufgeholt und war bei meinem ursprünglichen Plan von <6:00 min/km. Der Weg zurück nach Deutschland war angenehm bergab, leider kam dann die schon diskutierte Steigung, die irgendwie nicht enden wollte. Es waren nur ein paar wenige Höhenmeter, aber hinter jeder Kurbe sah es so aus, als ob die Schinderei ein Ende hätte. Pustekuchen. Es ging einfach weiter. Ja, ging. Die meisten der Läufer sind lieber gegangen. Ich bin wirklich stolz, ich konnte weiterlaufen. Eine Läuferin eines Lüneburger Lauftreffs oder Vereins wartete dort mehrfach auf eine Vereinskollegin. So konnte ich dran bleiben und hatte immer neue "Subziele". Dran bleiben, nicht abreißen lassen, du schaffst das, da vorne ... das waren meine Vokabeln unterwegs.
Endlich kam, ab Kilometer 17, der große Showdown. Abstieg nach Flensburg - die 40 oder 50 Höhenmeter sollten auch wieder aufgegessen werden. Zu dumm, während der letzten 3 Kilometer mit schönem Gefälle gab es fast nur Gegenwind und fast keine Zuschauer. Egal, ich hatte eine Marathoni neben mir, wir haben uns abwechselnd gezogen, sodaß auch diese Kilometer ihren Reiz hatten. Wenn mir meine Oberschenkel nicht ab Kilometer 17 oder 18 ständig mitgeteilt hätten, daß sie eigentlich lieber krampfen wollten, wären es wohl noch ein paar Sekunden weniger geworden.
Das Ziel naht, nur sehr wenige Zuschauer, aber meine Zeit stimmt. Trotz Hotelbar, Dänen und Bier, rückenschmerzender Matratze und anderen Widrigkeiten waren es genau 2:06:25 (netto). Acht Wochen zuvor, in Kassel bei meinem ersten HM waren es noch 2:15:45 (netto). Mein Ziel habe ich erreicht: ich war schneller als 6:00 min/km beim HM.
Mein Rendezvous mit MarionR war auch sehr nett . Die anderen haben uns wohl einfach im Stich gelassen. So haben wir dort allein (recht spaßig) sehr lecker gegessen.
Ach, ich bin es richtig glücklich. Ziel erreicht, mal schauen, was sonst noch so kommt.
Uwe
Pace 5:59 - das Flenst
12008
06.04.08 HM in Berlin
27.04.08 HM Genußlauf Müllheim
01.06.08 HM in Kassel
29.06.08 HM Stadtlauf München
2007 HM Kassel, HM Flensburg, 10 km Baunatal
06.04.08 HM in Berlin
27.04.08 HM Genußlauf Müllheim
01.06.08 HM in Kassel
29.06.08 HM Stadtlauf München
2007 HM Kassel, HM Flensburg, 10 km Baunatal