Ein bischen verloren komme ich mir schon vor, so ganz allein im Startblock, ohne Foris, denen ich erzählen kann, daß ich überhaupt nicht fit bin und daß mir schon ganz schlecht ist und daß ich schon wieder auf´s Klo muß.
Und überhaupt bin ich hier irgendwie fehl am Platze, unter all den Shirts mit so sonderbaren Aufschriften wie „Zermatt Marathon“ „Bieler Lauftage“ „Alpine run“ und „WasweißichwoBerglauf hier und da...“ auf meinem Shirt steht nur Adidas, hätt auch stehen können „hab die Hosen nass“ oder so...
Ich hab auch einen Berg in der näheren Umgebung, der ist etwa 30/40 Meter hoch, und man hat 700 m Platz, um hinaufzulaufen... Ich sollte ihn Adidas nennen...
Trotzdem ist es Gänsehaut-Flair, als der weiße Rauchstreifen am Himmel zu sehen ist, ein Fallschirmspringer, der die Startpistole bringt. Und da knallt sie auch schon, und mit großem Kuhglockengebimmel und sonstigem Lärm werden wir auf die zweiundvierzigtauseneinhundertfünfundneunzig Längen- und etwas über 2100 Höhenmeter hinauf zur kleinen Scheidegg geschickt. Mein Marathon Nummer 10 beginnt und ich halte mich sehr, sehr zurück, was das Tempo betrifft denn ich habe immer dieses verdammte Höhenprofil im Hinterkopf. Das Zurückhalten fällt schwer, weil es so eine Laune macht, durch Interlaken und die anderen kleinen Orte mit viel, viel Stimmung und Flair zu toben. Und noch ist es total flach.
Ich habe mir nicht wirklich ein Zeitziel gesetzt, aber 5:30 habe ich für realistisch angesehen. Auf der Messe nach meiner Bestzeit gefragt, wollte man mir ein Armbändchen mit 5:00 aufschwatzen, ich konnte es bis 5:10 verhandeln... und nun mußte ich mich sogar zurückhalten, um nicht schneller zu sein. Diese Marschtabelle war von den Durchgangszeiten durchaus realistisch, denn sie berücksichtigte das Streckenprofil, nicht aber... doch dazu später.
Ich habe unendlich viel Spaß und die Kilometer rasen nur so vorbei, das Wetter phantastisch, die Stimmung grandios, die Kulisse sowieso... nee, dieser Lauf ist nicht von dieser Welt. Ein paar kleinere Steigungen und dann im Tal noch einmal vorbei am riesigen Wasserfall, egal, ich kann mich einfach nicht mehr länger zurückhalten, jetzt wird nochmal Tempo aufgedreht, das Leben ist schön.
Es geht weiter an einem Fluß entlang, die Holzbrücken beben im Takt der Läufer, wird schon halten... hier kommt es zum ersten Mal zu einem kleinen Stau. Nicht schön, nimmt den Takt heraus, aber ist egal, weiter... was denn, schon Lauterbrunnen? Hippie, Bianka, Sigi, Bettina... ich halte kurz an und dann hör ich auch schon meinen Namen durch den Lautsprecher (das hat der pandadriver organisiert), bin völlig happy, laufe weiter… Zeitmatte Halbmarathon – Mist, schon die Hälfte vorbei… na ja, voll in der Zeit, sogar mit Kurs auf sub5... voll motiviert drehe ich noch einmal richtig auf... die Kilometer 21 bis 25 sind überraschend flach und schattig. Es macht Laune, verdammte Laune, die Landschaft ist umwerfend, das Grün der Wiesen, das Bimmeln der Kühe, der blaue Himmel und die schneebedeckten Berge im Hintergrund. Mann, ist das kitschig und deshalb gönne ich mir den Luxus, ein paar Fotos mit dem Handy zu machen.
Nun kommt er endlich, der erste steile Anstieg, der das Feld etwas zur Ruhe kommen läßt. Ich schaue nach Oben und sehe... Läufer... steil schlängelt sich ein schmaler Wanderweg die „Wand von Wengen“ hinauf. Es strengt an, aber die Laune ist bestens, unter uns fährt eine Bahn mit Groupies zur nächsten Station hinauf, alle winken und wir winken zurück, als ich hinter mir meinen Namen höre... ach denke ich, Kathrins gibt’s wie Sand am Meer und wahrscheinlich ist eine aus der Bahn gemeint. Als die Bahn vorbei ist, höre ich wieder ein „Kathrin“ und diesmal drehe ich mich kurz um... Hans-Werner, alias Haarmänneken strahlt mich an, wir begrüßen uns freudig und wechseln ein paar Worte. Irgendwann ist er dann verschwunden, es ist wohl unser Schicksal, daß wir uns immer mal kurz begegnen... so bei nem Marathon.
Der Anstieg kostet Kraft, ohne Zweifel. Kurz vor Wengen wird es halbwegs eben und man kann wieder laufen. Das Anlaufen fällt schwer, jedoch wird man durch die Zuschauer getragen, die Stimmung ist gewaltig wie die Berge im Hintergrund, einzigartig, großartig... Wahnsinn einfach, ich schwebe durch Wengen und höre auf einmal von einer Terasse Sigi rufen... freu mich wie blöde, winke hinauf und bin auch schon am nächsten Berg, laufen, soweit es geht, es macht so eine Laune und wenn es so weiter geht, dann schaff ich die 5:10 noch ganz locker, noch 12 Kilometer und 2 Stunden Zeit...
aber ist das nicht eigentlich auch egal...?
Zeit, was ist Zeit?
Ich möchte überhaupt noch gar nicht ins Ziel, ich möchte das alles aufsaugen, die Landschaft, die Menschen auf der Strecke und die hinter den Verpflegungstischen, die freundlichen Becherreicher, die Wasserspritzer, Glockenläuter... es ist wunderschön hier. Stimmung und Stille der Landschaft wechseln sich ab, steile Passagen mit immer wieder kurzen Gefällen, die man erlaufen kann... irgendwann nach einem Waldstück erscheint die riesige Kulisse, die man von all den Bildern kennt, Wiese, Berge, Alphornbläser in der Ferne erkennt man das Ziel, so nah, doch die bunte Perlenkette, die sich durch die Landschaft schlängelt ist lang, noch sehr lang.
Beim diesem Anblick schlägt mein Herz Purzelbäume und ich spüre förmlich, wie das Endorphin jeden Teil meines Körpers erfasst. Nun geht es noch einmal ordentlich im Laufschritt voran, bergab zum nächsten Abendteuer, ein freundlich aber angestrengt schauender Mann mit der Aufschrift „Arzt“ inspiziert jeden Läufer, ob er hinaufdarf, zur Moräne, da diese heftig und von Rettungskräften schwerer erreichbar ist. Ich blinker ihn an... und darf hinauf.
Weit komme ich leider nicht, denn nun heißt es ersteinmal: Schlange stehen im Stau. Na ja, was soll`s, ist auch egal. Alle stehen hier, und die wenigen, die sich links vorbeimogeln, werden ausgepfiffen. Zurecht, wie ich meine. Eine ganze Weile stehen wir so und auch dann geht es nur noch schleichend voran. Ich schwanke ein bischen zwischen Wehmut, nun so rigeros von meinem Zeitziel Abschied nehmen zu müssen und dem Gefühl: hab ich mehr Zeit zum Genießen“, aber eigentlich macht das alles doch nur verdammte Laune. Kamerahubschrauber sorgen mit ihren Rotoren für die nötige Abkühlung, in der Ferne ist bereits der legendäre Dudelsackspieler zu vernehmen und wir steigen im Gänsemarsch Meter um Meter dem Ziel entgegen. Ich glaube, ich werde diese Momente niemals in meinem Leben vergessen.
Der Dudelsackspieler ist passiert, an der höchsten Stelle gibt es Schokoloade und andere Leckereien und freundliche Hände helfen das steile Stückchen hinunter. Nun ist es nur noch ein Fliegen ins Ziel, obwohl man an den steilen Stücken schon sehr aufpassen muß. Aber das Zieltor ist in Sichtweite, da stehen auch wieder Bianka, Sigi und Bettina, die Zielgasse ist nicht abgesperrt, sondern wunderschön familiär und wahnsinng stimmungsgeladen. Zum ersten Mal habe ich beim Zieleinlauf eines Marathons das Gefühl, jetzt losheulen zu können vor lauter Ergriffenheit und Ehrfurcht über die eigene Leistung, aber dann geht alles so wahnsinnig schnell, viel zu schnell...
...nach 05:34:57 über die Matte, Medaille um den Hals, Telefon raus, die Lieben daheim informiert... Bianka, Sigi, Bettina, Eiger, Mönch und Jungfrau, alle sind sie da, ich strahle mit der Sonne um die Wette, und die Medaille um den Hals strahlt mit.
Das Abenteuter Jungfrau Marathon ist beendet, das Zieltor längst verstaut, und mein Auto hat mich die ganzen 1150km wieder zurückgefahren... aber ich, ich bin eigentlich immer noch da Oben auf der Kleinen Scheidegg... mit meinen Gedanken und mit dem Herzen... bis ich irgendwann vielleicht einmal wieder da hinauf muß!!!
Die offiziellen Bildchen gibt es hier und hier nochmal der Link zu den pandafotos (danke Sigi, nicht nur dafür)
Dem Himmel ein Stück näher - mein Abenteuter Jungfrau
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Entscheide Dich. Und wenn Du Dich entschieden hast,
vernichte die Alternativen.