Banner

An der schönen blauen Erft oder: Wo Runnersworld den Rekord hält

An der schönen blauen Erft oder: Wo Runnersworld den Rekord hält

1
Es ist schön, dass es Dinge gibt, die dem menschlichen Leben Ordnung und Struktur geben: wie Weihnachten z. B., kommt garantiert, aber – Unordnung in der Ordnung – immer dann, wenn man’s noch nicht erwartet, oder wie Fußball, jedes Jahr im Frühsommer gibt’s einen neuen Deutschen Meister, und der heißt Bayern München, manchmal aber auch nicht, damit man sich nicht zu sehr an die Routine gewöhnt.

Der Läufer hat es gut. Für ihn gibt’s zusätzlich Laufveranstaltungen, die das Jahr unterteilen. Der Erftlauf z. B.: wenn November ist, ist Erftlauf, und wenn Erftlauf ist, ist November. Aber auch hier: Ordnung mit Variation, früher hat’s immer geregnet, die Wege waren verschlammt, und Kleinkinder, die nur völlig verdreckte Läuferbeine sehen konnten, wuchsen im Glauben auf, Neuss sei fest in kenianischer Hand. Mittlerweile, und dieses Jahr ist auch so eines, gilt das nicht mehr, ja, klares Wetter, kühle Temperaturen und Sonnenschein ließen einen der schönsten Läufe der letzten Jahre heranreifen.

Für mich ist es die 12. Beteiligung hier. Das weiß ich, weil ich ein Transparenzfanatiker bin und vor vielen Jahren eine Excel-Liste angelegt habe, in die ich alle meine Wettkämpfe eintrage. Der Erftlauf schließt damit zum Hamburg-Marathon mit ebenfalls 12 Teilnahmen auf.

2 Wochen nach Bottrop will ich unter einer Stunde laufen und vielleicht auch etwas schneller, eine 58 vorne wäre prima. Im Startpulk sehe ich viele bekannte Gesichter, die meisten davon seit Jahren dabei. Einige sprechen mich auf die 100 km von Winschoten an. Läufer verfolgen offensichtlich das Geschehen um sie herum. Mit ein paar Minuten Verzögerung geht es endlich los. Ich finde ganz gut mein Tempo und laufe nach einigen Hundert Metern neben Matthias. „Was machst du denn hier hinten? Sieh mal zu, dass du nach vorne kommst“, rufe ich ihm zu. „Erst mal ruhig angehen…“, aber etwas später „gehorcht“ er doch und wird eine halbe Minute vor mir ins Ziel einlaufen.

Das Wetter ist fantastisch. Nach wenigen Minuten ist der Körper durchgewärmt, und die Luft sorgt für genau das richtige Maß an Kühlung. Der Motor kommt gut auf Drehzahl. Es macht Spaß, in diesem Tempo zu laufen. Etwas später ziehe ich die Handschuhe aus, die ich sicherheitshalber angezogen habe. An den Händen friere ich eben leicht. Kurz bevor ich die 5 km-Marke passiere, ruft ein Helfer: 19:30. Das passt. Wenn ich leicht unter einem 4-er Schnitt bleibe, sollten die 59 zu knacken sein.

Nun kommen die langen Geraden auf asphaltierten Straßen bzw. Splitt. Vor mir sehe ich Gerd, der Abstand wird kürzer. Gerd und ich, wir Zwei treffen uns häufig bei Wettkämpfen. Nach dem Start setzt er sich immer ab, und Gradmesser für unseren jeweiligen Trainingsstand ist, wann ich ihn überhole. Na ja, immer klappt das auch nicht. Heute aber schon, im Vorbeilaufen denke ich an letztes Jahr. Da hatte ich nach 3 km überholt, wurde aber ungefähr da, wo ich jetzt vorbei laufe, wieder eingeholt, da ich Herzrhythmusstörungen bekam, radikal Tempo herausnehmen musste und mit der ständigen Überlegung, ob ich überhaupt zu Ende laufen sollte, durchkam. Es war glücklicherweise der letzte Lauf, bei dem ich diese Beeinträchtigung hatte. (Anmerkung: Damit keiner auf die Idee kommt, ich sei lebensmüde gewesen, will ich erwähnen, dass ich mich gründlich von mehreren Ärzten hatte untersuchen lassen und organisch alles in Ordnung war. Die vermutliche Ursache war Elektrolytmangel.)

Heute dagegen läuft es bestens, ich bin voller Kraft und lege sogar leicht an Tempo zu. Die Sonne scheint mir einen Schub Extramotivation zu geben, kein Wunder, laufe ich doch in der Woche ausschließlich im Dunkeln. Nach und nach lasse ich weitere Läufer hinter mir, die ihr Tempo nicht mehr halten können. Bei der 10-er Marke zeigt der Blick auf die Uhr mir 38:46. So, das würde reichen, selbst bei einem glatten 4-er Schnitt. Allerdings: ich laufe immer noch kraftvoll und habe nicht das Gefühl, die Region erreicht zu haben, in der Kampf angesagt ist.

Ich nehme mir nun vor, bis km 13 nicht zu stark zu beschleunigen, um Kraft aufzusparen für die Schlusskilometer. Im Visier ist jetzt sogar eine tiefe 58. Leider helfen mir die km-Angaben nicht so viel, denn die Schilder stehen diesmal äußerst ungenau. (So folgt einem 12. Kilometer in 4:05 ein 13. in 3:36, und so ungleichmäßig laufe ich nicht; im Gegenteil, Laufkollegen unterstellen mir immer, ich hätte ein inneres Uhrwerk.)

Trotz meines Vorsatzes werde ich etwas schneller. Kurz hinter dem km-Schild 12 geht es in einer scharfen 180°-Kurve auf dem gegenüberliegenden Weg zurück. Ein Stückchen weiter, und man kommt am Eingang zur Sportanlage vorbei, dort, wo nach weiteren 2 km die Laufstrecke hineinmündet und endet. Im letzten Jahr spielten im meinem Kopf die Fragen „Läufst du jetzt durch? Oder biegst du gleich rechts ab?“ Pingpong, und wahrscheinlich nur, weil ich eine einmal angefangene Sache auch zu Ende bringe, gewann Frage 1 das Spiel.

Diesmal ist es anders, kein Gedanke ans Abbiegen. Vielleicht 30 Meter vor mir sehe ich einen Läufer; der einzige, der noch in Sichtweite ist. In der Nähe der Sportanlage stehen natürlich einige Zuschauer, und ich höre jemanden rufen: „Bernd, den holst du noch.“ Das sehe ich auch so, denn der Abstand ist konstant geringer geworden. Dennoch dauert es fast noch einen Kilometer, bis hinter km-Schild 13, bis ich dran und vorbei bin. Jetzt noch etwas Zickzacklaufen auf blattbedeckten Waldwegen, dann bin ich auch schon auf dem Weg links an der Waldwiese vorbei. Ich weiß, gleich kommt das 14-er Schild.

Da ist es auch schon, nun noch mal Gas geben, denn die Zwischenzeit ist 54:07. Das müsste jetzt ja sogar eine 57-er Zeit werden. Als ich vom schlaglochübersäten Feldweg wieder nach links abbiege, kommt mir der große Läuferpulk entgegen. Sie haben noch 2 ½ km vor sich. Jetzt heißt es: links halten und keinen Zusammenstoß riskieren, denn sonderlich breit ist der Weg eigentlich nicht.

Lange muss ich so allerdings nicht laufen, denn schon biegt die Laufstrecke wieder ab, diesmal hinein in die Anlage. Es geht auf einem breiten Weg geradeaus, dann über eine umrandende Grasfläche nach rechts auf die Stadionbahn und noch vielleicht 100 Meter bis zum Ziel.

Auf meinem Weg zum Umkehrpunkt sehe ich Matthias gen Ziel einlaufen, und dort der Läufer, der mir ebenfalls seitlich versetzt entgegenkommt, das ist mein alter Freund Werner. Werner ist in diesem Jahr noch M50, wechselt nächstes Jahr aber in meine Alterklasse. Verflucht schnell ist der Saukerl, und meistens vor mir im Ziel. Da muss ich nächstes Jahr wieder mehr Tempotraining machen für die Unterdistanzen. Denn soviel schneller ist er wiederum nicht, als dass er unerreichbar wäre.[INDENT]Kleiner Exkurs (aus: „Philosophisches zu Wesen und Psyche des homo corriendo“):
„Ein gar zwiespältiges Verhältnis verbindet den Läufer mit konkurrierenden Angehörigen der eigenen Spezies. Dünken diese um viele Minuten schneller als er selbst, so ergibt er sich in sein Schicksal und seufzet „Kismet“, sieht er doch keine Aussicht auf Umdrehung der gottgegebenen Reihenfolge. Ist der mitlaufende Konkurrent aber nur um wenige Sekunden vor ihm selbst im Ziele, so gerät er ins Grübeln und er fällt Marterqualen anheim, wieso er’s nicht hat können anders richten.“)
[/INDENT]Diese Gedanken bewegen mich aber erst später, jetzt geht’s rechtsrum auf die Stadionbahn, und nun wird noch mal alles gegeben, was geht. Und siehe da, dank eines fulminanten letzten Kilometers bleibt die Uhr schließlich bei 57:40 stehen. Wow, selbst zu meinen schnellsten Zeiten war ich hier gerade mal ca. eine Minute schneller. Ich bin zufrieden, dieser Lauf bei schönem Sonnenschein hat Spaß gemacht.

Laufveranstaltungen bringen Struktur ins Läuferleben. Beim Erftlauf gehört dazu auch die Siegerehrung. Man hat 2 Möglichkeiten. Entweder man läuft etwas langsamer und kann dann beruhigt nach Hause fahren, wann man will, oder man läuft schneller und muss dann warten. Denn die Zeit bis zur Siegerehrung ist lang, und im Zelt ist es kalt. Das ist in jedem Jahr so. Da gibt’s keine Ausnahme, auch nicht bei Sonnenschein. Das heißt, wenn’s endlich so weit ist, ist es dunkel. Da scheint die Sonne sowieso nicht mehr.

Also warte ich, glücklicherweise nicht ganz so lange wie vor 3 Wochen in Düsseldorf, wo ich irgendwann entnervt nach Hause gefahren bin und wo ich mich später im Internet, wundersam um 20 Jahre verjüngt, als 2. der M35 wieder gefunden habe.

Heute ist es wie immer dunkel und sind bereits alle gegangen bis auf die, die noch aufs Siegertreppchen steigen wollen, als endlich die Urkunden geliefert werden und die ersten 3 der Altersklassen ihren verdienten Lohn empfangen. Stolz mit einem Handtuch bewaffnet, fahre ich nach Hause.

Ach ja: den Streckenrekord (45:38 min) beim Neusser Erftlauf hält seit 1991 Martin Grüning, früher mal ein ganz Schneller, heute freizeit-joggender Redakteur bei Runnersworld.

Bernd
Das Remake
Infos zum Laufen und Vereinsgedöns gibt's auf www.sgnh.de

2
wieder einmal herzliche gratulation zu bericht und laufleistung. ein wahnsinn, was du so drauf hast, bewundernswert und vorbildhaft für mich. :-))
lieber laufend leben, als stehend sterben
2009: einfach abhaken und vergessen
2008: 10 km - 0:41:15 PB; HM - 1:29:46 PB; M - 3:18:43 PB

3
Ja, Burny das wars also - hatte mich schon gewundert, dass Du in dem anderen Erft-Thread so schnell wech warst.

Dachte mir schon: 16. von fast 500 und 1. in der AK und streberhafte 57:xx sind wohl für einen Weltmeister nix mehr, aber dann doch noch hier wieder aufgetaucht...

Schön! ABER:
Der Erftlauf z. B.: wenn November ist, ist Erftlauf, und wenn Erftlauf ist, ist November.
Ein Freund von mir sagt seit Jahren: ""Erftlauf ist, 4C° und Nieselregen"" - also war gestern gar kein Erftlauf! :baeh:

gruss hennes

4
Erst einmal GRATULATION!!und Danke für den tollen Bericht. Habe Dich schon auf der Ergebniss-Liste bewundert!!
Da wir Frauen vor Euch Männer geehrt wurden, durften wir etwas früher nach Hause fahren. Es ist zwar nicht so schön für die restliche Siegerehrung, aber wie Du schon geschrieben hast, war es im Zelt a....kalt.
Liebe Grüße und weiterhin viel Erfolg.Vielleicht sieht mal bei einer Veranstaltung.
Flottemotte

5
burny hat geschrieben:wo ich mich später im Internet, wundersam um 20 Jahre verjüngt, als 2. der M35 wieder gefunden habe.
...vor meinem ersten Wettkampf hatte ich mich gefreut, in der M40 zu starten in der völlig irrigen Meinung, dort werde nicht so schnell gelaufen wie in der M35. Irrtum! Wenn ich Deinen Bereicht lese, schwindet zusehends auch die Hoffnung, die M55 sei leistungsmäßig nicht so stark vertreten. Herzlichen Glückwunsch zu der Wahnsinnszeit und zu dem perfekten Lauf!
Gruß Thomas
PBs: 5km: 19:03 - 5,6km: 21:25 - 10km: 41:25 - HM: 1:26:39 - M: 3:11:15 - 50km: 4:09:09
Bild
Bild

6
Herzlichen Glückwunsch zum AK-Sieg - Wahnsinnszeit!
Vielen Dank für diesen wunderschönen und unterhaltsamen Bericht.
Gruß
Ralph

7
Hennes hat geschrieben:""Erftlauf ist, 4C° und Nieselregen"" - also war gestern gar kein Erftlauf! :baeh:
Also erstmal: Das muß heißen "und mindestens Nieselregen", denn klatschnass schon vorm Start oder Eis und Schnee, das hatte der "alte" Erftlauf genauso.

Aber:

Es is' nix mehr so wie früher!

Selbst beim Erftlauf nicht (und guck mal in die Nüss-Grevenbroicher Zeitung und schau, was die Sprösslinge da so geschrieben haben von wegen Leistungsniveau).

Früher gab's auch noch Altgläser von Frankenheim mit Jahreszahl drauf (gut, dafür war dann kein Alt drin), hab' ich noch einige von, aber heutzutage?

Erftlauf mit Sonnenschein, baah!
Aber Spaß macht's trotzdem! :nick: :zwinker4: :nick:

Flotte Motte hat geschrieben: Da wir Frauen vor Euch Männer geehrt wurden, durften wir etwas früher nach Hause fahren.
Das sei euch gegönnt. Als es erstmal angefangen hatte, ging's ja auch recht zügig, es dauert nur immer so entsetzlich lange, bis es endlich mal soweit ist.

@Schoaf, @Melrose, @Thestral: :hallo: Danke für eue Komplimente und freut mich, wenn's euch gefallen hat. :hallo:

Bernd
Das Remake
Infos zum Laufen und Vereinsgedöns gibt's auf www.sgnh.de
Gesperrt

Zurück zu „Foren-Archiv“