Banner

Dead Sea Ultra – tiefer geht nicht

Dead Sea Ultra – tiefer geht nicht

1
Dead Sea Ultra – tiefer geht nicht

Morgens am Tag des Abflugs: schrapp, schrapp, schrapp, die Nachbarschaft kratzt den Raureif von den Autoscheiben. Das bis in den April nachhängende Winterwetter werden wir wohl hinter uns lassen. Und sonst? Trotz diverser Infos durch den Veranstalter, das Reiseunternehmen und diverse Laufberichte bleiben Fragen. Es wird spannend.

Der Lauf findet am 11. April 2008 zum 15. Mal statt und geht von Amman, der Hauptstadt Jordaniens, über 48,7 Km hinunter ans Tote Meer. Während der Startpunkt rund 900 Meter über dem Meeresspiegel liegt, befindet sich das Ziel 400 Meter darunter: also runde 1300 Meter Gefälle. Hier ist der tiefste Punkt der Erdoberfläche. Wer tiefer will muss tauchen oder unter Tage gehen.

Soweit die unbekleideten Fakten. Obwohl die vage Hoffnung besteht, dass es bergab prinzipiell flotter laufen sollte als sonst, bleibt doch Skepsis. Das Gefälle zieht sich über einen Streckenabschnitt von rund 32 Km Länge und ist stellenweise ganz schön steil. Eigentlich keine so verlockenden Aussichten für jemanden, der sonst lieber berauf unterwegs ist.

Um der am Toten Meer manchmal schon im April ganz schön happigen Hitze wenigstens ein bisschen auszuweichen, erfolgt der Start um 7 Uhr morgens. Amman – das antike Philadelphia – ist heute zu einer Großstadt von gut 2 Millionen Einwohnern angewachsen. Die einstigen 7 Hügel reichen längst nicht mehr aus. So starten wir von einer Sporthalle aus, die schon etwas außerhalb, beim „7. Zirkel“, liegt. In Anbetracht der noch zu erwartenden Temperaturen sind die meisten Läufer und Läuferinnen recht leicht bekleidet. Dafür ist es aber noch ziemlich frisch. Gerade mal um die 10°C als wir kurz nach 6 Uhr in die Halle drängeln. Da stört es gar nicht, wenn man ein bisschen im Gedränge steht. Zunächst müssen alle – auch die Teilnehmer auf den kürzeren Strecken – ihre Startnummer scannen lassen und sind dann für den Start registriert. Chipmessung gibt es nicht, zumindest für die Ultras wäre sie auch überflüssig. Bei gut hundert Startern ist der Weg zur Linie kurz.

Die Läufer über die kürzeren Distanzen – Marathon, Halbmarathon und 10 Km – werden mit Bussen zu den jeweiligen Startbereichen gebracht, die Ziellinie ist dann wieder für alle die selbe. So ist gut was los in der Halle und wir sind dann doch froh, als die 10K-Läufer, der Löwenanteil, auf den Weg gebracht ist. Es ist ein recht gemischtes Völkchen, das da frierend herumtrippelt. Jordanier, Amerikaner, Engländer, Franzosen, eine Gruppe aus Italien, diverse Spanier und sicher noch etliche andere Nationalitäten sind vertreten. Die größte ausländische Gruppe spricht Deutsch. Schließlich rückt unsere Startzeit heran und wir wandern ein paar Meter hinunter zur Straße und stellen uns zum Start auf.

Sofort stürzen sich etliche Fotografen auf das Häuflein mit den Füßen scharrender Läufer. Einige genießen die Aufmerksamkeit sichtlich. Der Startschuss fällt dann Punkt 7 Uhr und wir starten durch. Die Strecke verläuft durchgehend auf der gut asphaltierten Straße. In Amman wird dafür die ganz rechte Fahrbahn der insgesamt sechsspurigen Straße gesperrt. Weiter unten sind es nur noch vier Spuren, dafür haben wir die eine Richtung ganz für uns. Glücklicherweise ist in der ersten Stunde noch nicht ganz soviel Verkehr, so dass man ganz passabel aus dem Stadtbereich herauskommt. Noch nie ist es mir passiert, dass ich bei einem Lauf aus der offenen Schiebetür eines Lieferwagens mit der Filmkamera aufgenommen werde. Hier scheinen etliche solche Filmteams unterwegs zu sein. Ich winke freundlich.

Die ersten Kilometer sind ein bisschen wellig, aber sehr gut zu laufen. Die Temperatur liegt jetzt bei etwa 12°C und es macht Spaß. Leider zieht sich der Tross doch sehr schnell auseinander, so dass ich meine ersten Mitläufer bald verliere. Längere Zeit läuft eine blonde Läuferin mit kurzen Shorts und ärmellosem Oberteil auf gleicher Höhe und ich sehe viele freundlich lächelnde und winkende einheimische Männer am Straßenrand... Aber ich kann mich nicht beklagen, auch mir winken Leute zu und freundlich sind sie sowieso. Manchmal winkt ein ganzer Bus voll. Zuschauer gibt es praktisch nicht, dafür alle drei Km Wasser in Fläschchen (anfangs der reine Luxus, weiter unten jedes Mal hoch willkommen). Irgendwo soll es auch Bananen gegeben haben, ich hab sie leider verpasst. Die einheimischen Bananen sind klein und von außen meist unscheinbar und fleckig, schmecken aber super lecker (sehr empfehlenswert). Ich hab für den Lauf meine gewohnten Riegel mitgebracht und bin hinsichtlich der Nahrung autark. Praktisch ist, dass jeder Kilometer markiert ist. Dabei wird rückwärts gezählt, d.h. die noch zu laufenden Kilometer.

Nach etwa zehn Kilometern senkt sich die Strecke und es geht stramm bergab. Wir haben den Stadtbereich verlassen und man sieht ab und zu Schafe oder Ziegen seitlich der Straße, später auch schon mal ein Kamel oder zwei. Regelmäßig werden Militärposten passiert, die die Straße sichern und uns gleich mit. Die Straße auf der wir jetzt unterwegs sind führt direkt zur Grenze zwischen Jordanien und der seit dem Sechstagekrieg israelisch besetzten West-Bank. Die Grenze verläuft durch das Tote Meer und den Jordan. Die Aufpasser sind freundlich, einige grüßen zurück. Für Jordanische Verhältnisse sind sie jedoch relativ zurückhaltend, denn was in diesem Land vor allem auffällt ist die große Freundlichkeit und Offenheit seiner Bewohner. „Wellcome to Jordan“ ist eine stehende Redensart gegenüber ausländischen Besuchern.

Bald nach Beginn des Abstiegs zweigt links die Königsstraße ab, schon vor über 3000 Jahren eine bedeutende Handelsstraße, die als Fortsetzung der Seidenstraße galt. Hier waren schon Abraham und Nebukadnezar, Jakob und Moses unterwegs. Heute bringt die Königsstraße Besucher zu den beiden wichtigsten Sehenswürdigkeiten des Landes: Petra, die in den Fels gemeißelte Nekropole der Nabatäer, und das Wadi Rum. In dessen eindrucksvoller Wüstenlandschaft lag während des arabischen Befreiungskampfes das Hauptquartier von Lawrence von Arabien. Heute gibt es hier ein attraktives Kletterrevier für mutige Touristen.

Auch Kontrollstellen für die Läufer finden sich relativ oft an der Strecke. Die Startnummer und die Zeit werden erfasst und obwohl ich nicht gerade der erste bin, der heute vorbeirennt, wird sehr freundlich zurückgegrüßt. Alle (durchweg freiwilligen) Helfer der Veranstaltung sind ausgesprochen nett und einsatzwillig. Je weiter man von Amman weg kommt, umso bergiger und karger wird die Landschaft. In den steilsten Bereichen windet sich die Straße in weiten Kurven um die Bergflanken. An mehreren Stellen gibt es kleine Raststellen mit Verkaufsbuden, an manchen werden später auch Spießchen gebraten und es riecht sehr lecker. Wer wollte, könnte sich auch hier verpflegen. Ganz so gemütlich will ich es aber doch nicht angehen. Ich laufe jetzt sehr konzentriert, achte brav auf Körperspannung und sauberen Laufstil. Relativ kurze Schritte und kräftiger Armeinsatz helfen, das starke Gefälle besser zu überstehen.

Nach meinem relativ zurückhaltenden Start nehme ich jetzt ordentlich Tempo auf und versuche, es möglichst rund laufen zu lassen, d.h. nicht übermäßig abzubremsen. Als ich an einigen Stellen aber Richtung 4er Schnitt gen Tal galoppiere, wird mir doch etwas mulmig. Ich will ans Tote Meer und nicht „Tot ans Meer“ und ziehe vorsichtshalber nun doch etwas die Zügel an. Man kann hier leicht überziehen. Der Kollege, der bei der ersten Pinkelpause so vehement an mir vorbeigebraust ist, beispielsweise wird weiter unten schön langsam wieder eingesammelt. Links der Laufstrecke erstreckt sich eine bergige Felslandschaft, in der auch der Mount Nebo liegt. Hier soll Moses gestorben sein, nachdem er das gelobte Land erblickt hatte, jenseits des Jordans.

Schon nach eineinhalb Stunden treffe ich auf den ersten Läufer auf der Marathondistanz. Bald werden es mehr. Ganz hinten im Feld sind recht viele die nur noch gehen, statt zu laufen. Später kommen noch die Halbmarathonis dazu und noch weiter unten komme ich mir vor wie beim Volkswandertag. Die meisten scheinen aber recht guter Dinge zu sein und unterhalten sich lebhaft während ich alleine an ihnen vorbeilaufe. Obwohl die Strecke im letzten Drittel sehr lange Geraden hat, sieht man leider nicht so recht, wo die anderen Ultras sind, denn sie verschwinden unter den langsameren der kürzeren Distanzen. Die Marathonis, die mein Tempo laufen, sind natürlich längst über alle Berge.

Die Temperatur steigt zunächst langsam, dann scheint sie rapide zu klettern. In vielen Bereichen ist die Landschaft wüstenhaft und felsig. Magere Ziegen knabbern an den spärlichen Pflanzen. Ich gieße mir schon bald mit schöner Regelmäßigkeit Wasser über Kopf und Oberkörper. Schließlich spielt sich ein kleines Ritual ein: erst ein kräftiger Schluck aus der Pulle, dann ein wenig auf die Mütze (mit Nackentuch seh' ich recht zünftig aus), dann etwas oberhalb der Startnummer auf die Heldenbrust, die Oberarme und in den Nacken. Nach einer kleinen Weile dann den Rest getrunken und weg mit der Pulle. Es widerstrebt mir, eine Plastikflasche an den Straßenrand zu werfen, aber es geht hier nicht anders. (Ein Läufer mit Müllsack im Schlepptau wäre immerhin originell)

Man sollte versuchen, sich nicht gleich zu Beginn schon richtig Wasser in die Schuhe zu kippen, sonst drohen üble Blasen. Es reicht wirklich aus, regelmäßig ein bisschen anzufeuchten um die Verdunstungskühle in der trockenen Luft zu nutzen. Erst vier Kilometer vor Schluss mache ich mich richtig patschnass. Da die Sonne hoch am Himmel steht und uns alle schon goldbraun anbraten möchte, wässere ich vor allem die „grillseitige“ Schulter eifrig. Sehr gute wasserfeste Sonnencreme ist hier ein absolutes Muss, zumal wenn man praktisch direkt aus dem deutschen Winter kommt. Allerdings nimmt die ultraviolette Strahlung ab, je tiefer man kommt.

Glücklicherweise stören die Lastwagen auf der anderen Straßenseite weit weniger als befürchtet. Der Oldiefreund kommt auch auf seine Kosten: die alten Mercedes und MAN Laster mit vorspringender Haube und pummeligen Rundformen aus den 60er Jahren sieht man hier regelmäßig. Allesamt bestens in Schuss, wie es scheint. Weiter unten hören die Kurven auf und die Landschaft ist nur noch hügelig. In der Ebene beginnen dann die langen Geraden. Rund 13 Km vor dem Ziel biegt die Strecke nach links ab. Geradeaus würde man nach guten 3 Km an die Grenze zum israelischen Westjordanland kommen. Links ab folgt man nun der Uferlinie des Toten Meeres, das schon eine ganze Weile in Sicht ist. Der Weg führt an den Hotels und „Ressorts“ vorbei sowie zum öffentlichen Strandbad. Im Winter suchen die Bewohner von Amman hier gerne Zuflucht vor der Kälte, denn im Schnitt liegen die Temperaturen hier um rund 10°C höher als in der Stadt. Heute ist der Unterschied noch ausgeprägter – ich könnte auf den „Wärmebonus“ aber gerne verzichten.

Auf „Meeresniveau“ (des Toten Meeres, d.h. -400m) hat die Temperatur die 30°-Marke längst überschritten. Ich bin nach rund 40Km schon einigermaßen angestrengt und heißgelaufen. Obwohl ich nicht gerade der beste Hitzeläufer bin, geht es überraschend gut. Die niedrige Luftfeuchtigkeit und ein sanfter Wind zusammen mit der regelmäßigen Wasserzufuhr helfen enorm. Kurioser Weise treibt das Tote Meer angeblich nicht die Luftfeuchtigkeit hoch, sondern sorgt durch den enormen Salzgehalt von rund 33% im Gegenteil dafür, dass sie eher gering bleibt. Nur bei den Ferienressorts mit ihren üppig grünenden und blühenden Gärten sieht es ein bisschen anders aus. In einem Land, für das der Wassermangel eines der größten Probleme ist, sind die fleißig bewässerten „künstlichen Paradiese“ ein schon fast unanständiger Luxus – der allerdings durchaus nicht nur von Ausländern genossen wird.

Leider gibt es nach der „noch 4 Km-Marke“ kein Wasser mehr für mich und ich kann fühlen, wie sich mein Thermometer langsam aber sicher auf die rote Marke zu bewegt. Nun, es wird reichen bis ins Ziel, da bin ich mir sicher. Ich bin froh, dass meine Einteilung halbwegs gepasst hat, auch wenn es bei den letzten leichten Steigungen nun deutlich langsamer voran geht. Meine Zielzeit von etwa 4 Stunden – so hatte ich mir das vorher zurechtgelegt – kann ich jetzt kaum mehr verfehlen.

Auf den letzten zehn Kilometern wird nun viel gewunken und aufmunternd zugerufen. Ich winke auch und ziehe noch mal ein klein bisschen an, denn ich mag jetzt keine Zeit mehr verschenken. Nach 3 Stunden und 58 Minuten laufe ich in den Zielkanal ein und werde herzlich empfangen. Vor lauter Enthusiasmus vergesse ich meine Zeit zu stoppen und so fehlt mir die genaue Sekundenangabe. Das ist etwas ärgerlich, da auch die offizielle Zeitnahme wohl so ihre Probleme hatte.

Jetzt schwitze ich wie in der Sauna. Nur nicht gleich hinsetzen. Nach kurzem Umherwandern lasse ich mich doch bei den Massageliegen im Schatten nieder und meine müden Beine werden mit kühlender, diffus alkoholisch riechender Flüssigkeit besprüht. Sehr angenehm. Man kann nun das öffentliche Strandbad benutzen (im Startgeld inbegriffen), den Zieleinlauf der Nachkommenden ansehen oder auch zum Hotel wanken – wenn man sich den Luxus gegönnt hat, sich hier einzumieten. Wir schließen uns unseren Mitreisenden am Zielkanal an und beklatschen alle, die da angetrabt kommen.

Fazit: ein ungewöhnlicher Lauf in einem interessanten und ausgesprochen angenehmen Reiseland mit durchgängig sehr freundlicher Bevölkerung. Insgesamt empfiehlt es sich bei Jordanien im April auf Temperaturen zwischen 10 und 40 Grad gefasst zu sein (je nach Gegend, Tageszeit und Wetterlage). In der Wüste kann das Thermometer nachts bis zum Gefrierpunkt absinken. In Aqaba am Roten Meer haben wir uns dagegen bei 37°C von Schatten zu Schatten gehangelt.

Die nächsten zwei-drei Tage staksen die meisten Läufer ziemlich steif durch die Gegend. Die bekannten Probleme beim abwärts Gehen, vor allem auf Treppen, sind durch das lange Gefälle noch ausgeprägter als sonst. Glücklicherweise konnte ich mich ganz solide vorbereiten und kann mich noch mit Anstand fortbewegen. Das zahlt sich aus, denn es gibt viel zu sehen im Land und das Wenigste davon liegt in der Ebene. Auch der kleine Morgenlauf zwei Tage später im Wadi Rum wird mir noch lange im Gedächtnis bleiben. Zum Beispiel wenn ich meine Runden durch grüne Frühlingswiesen drehe – und statt Kamelen und Eseln jetzt wieder Dobermänner an der Strecke sehe und asthmatische Möpse.

2
Ich sag nur:

KLASSE :daumen:
*********Der Nachschmerz muss ignoriert werden!*********
Gesperrt

Zurück zu „Foren-Archiv“