Mein Herz ist wieder übervoll –und ihr wisst sicher schon was das bedeutet: ich muss einen langen Bericht schreiben. Aber wo beginnen? Da sich der ein oder andere zukünftige Teilnehmer vielleicht auch für die örtlichen Gegebenheiten interessiert, beziehe ich das mal mit ein.
Für alle die keine Einzelheiten wissen wollen, hier eine Kurzfassung:
Wer den Rennsteigsupermarathon schon toll findet, sollte hier unbedingt auch einmal starten. Die Strecke ist um ein vielfaches schöner, da sie fast die ganze Zeit auf Panoramawegen verläuft und man immer einen weiten Blick über die Landschaft hat. Das hat man auf dem Rennsteig ja nur an ganz wenigen Punkten. Die Strecke ist auch so abwechslungsreich, dass es mir vorkam wie eine Erlebnisreise durch ganz Thüringen. Die Organisation ist absolut liebevoll und bis ins letzte Detail perfekt. Prädikat: Absolut Empfehlenswert!!!
Und nun die ganze Geschichte:
Es war nicht nur mein erster 100 km Lauf, sondern ich wollte auch zum ersten Mal in meinem Leben zelten. Allein unter Ultras.
Zelten konnte man direkt auf dem Start/und Zielgelände. Bequemer geht es kaum. Genau gegenüber von meinem Zelt war schon das Startband gespannt und auf der anderen Seite der Zielbogen. In der Mitte die Zelte und rechts von alldem das Gebäude mit Startnummernausgabe und einer großen überdachten Außenterrasse. Als ich mein Zelt fertig aufgebaut hatte, trudelten auch nach und nach bekannte Gesichter ein und die Spannung wich etwas von mir. Nun war ich nicht mehr allein. Wir saßen noch bis kurz nach 21 Uhr zusammen und tauschten Läuferlatein aus. Einem erfahrenen Ultraläufer, der hier schon im letzten Jahr gestartet war, wurde natürlich besonders interessiert gelauscht: Auf meine Frage, ob der Lauf von den Anforderungen her mit dem Rennsteig zu vergleichen sei, meinte er, dass der Rennsteig dagegen ein Spaziergang sei. Das hatte ich jetzt so kurz vor dem Schlafengehen nicht erwartet und nahm mir vor, einfach nicht mehr weiter darüber nachzudenken. Ich hatte mir für diesen Lauf keine Zeit und keinen km-Schnitt vorgenommen. Da ich das ganze Jahr über ziemlich gleichmäßig und gut durchs Training gekommen bin, war ich eigentlich recht zuversichtlich, dass ich auch ankommen würde. Ich würde einfach locker loslaufen und hatte bis spät abends Zeit, anzukommen.
Schlafen konnte ich nicht in dieser Nacht. In so einem Zelt hört man ja wirklich alles. Trotz Ohrenstöpsel… Aber ich schlafe ja auch im Hotel nicht - also war es auch egal. Neben mir war auch ein halber Verein inkl. Betreuer angereist. Als es dunkel wurde, wurden erstmal die Gitarren rausgeholt und die Läufer in den Schlaf gesungen und geklatscht…
Endlich klingelte der Wecker. Als ich ihn ausstellen wollte, merkte ich, dass es nicht meiner war. Start war ja um 4 Uhr und ab 2:30 gab es Frühstück. Da es draußen noch ziemlich kalt war, zog ich erstmal alles an was ich hatte. Aber da die Frühstücker nur nach und nach eintrudelten, fanden auch alle im warmen Gebäude Platz. Dort waren auch große Kartons aufgestellt, wo man Wechselsachen zu km 24, 51 oder 74 schicken konnte. Auch dann nicht mehr benötigte Sachen konnte man an diesen Wechselstellen für die Staffelläufer zurückschicken lassen. Da warmes trockenes Wetter vorhergesagt war, nahm das kaum jemand in Anspruch. Aber bei nasser oder kalter Witterung ist das sicher toll. Find ich wirklich klasse, dass es diese Möglichkeit gab, denn in der Ausschreibung stand es zuerst nicht.
Kurz vor dem Start war mir so kalt, dass meine Zähne laut klapperten. Aber dann ging es los. Es war noch stockdunkel – aber entlang der Laufstrecke auf dem Gelände brannten mannshohe Schwedenfeuer – das Lauffeuer Fröttstädt. Schön warm war es dort – da hätte man bleiben können. Aber wir hatten ja was viel Besseres vor. Zuerst ging es kurz durch den Ort und die Augen gewöhnten sich an die Dunkelheit. Gleich danach sahen wir die Berge vor uns liegen. Bald würde de Sonne aufgehen und da oben würden wir langlaufen. Ich fand es ziemlich aufregend.. 100 km und vielleicht bin ich erst abends zurück. Die morgendliche Kühle piekte angenehm an meinen Armen – kalt war mir nicht mehr. Im Gegenteil – ich fühlte mich sehr wohl. Später würde es schon noch heiß genug werden.
Die Laufstrecke war mit aufgesprühten gelben Pfeilen und Flatterbändern gekennzeichnet. Die erste halbe Stunde gab es noch zusätzlich kleine Blinklichter an den Bäumen, die uns den Weg wiesen. Da es die erste Verpflegungsstelle erst nach km 10 geben sollte, hatte ich mir sicherheitshalber einen Trinkgurt mit einem kleinen Fläschchen mitgenommen. Außerdem konnte ich da gleich noch allerhand Sachen unterbringen (Pflaster, Gel, Salztabletten, Autoschlüssel usw) die man halt so braucht. Als ich das erste mal auf den Garmin sah, waren wir aber schon bei km 9. Ich fühlte mich super, mein Puls war niedrig und entsprach meinem Laufgefühl. Alles war in Ordnung. Als die Sonne raus kam und mit dem blauen Himmel um die Wette strahlte, konnte man schon ahnen, dass es noch sehr warm werden würde. Ich bin ja keine Hitzeläuferin. Aber im Wald war es noch schön kühl. Wie schon oben erwähnt, waren die Wege zumeist nach einer Seite offen, so dass man einen herrlichen Blick über die Landschaft hatte. Die ersten km waren relativ flach und dann geht es hoch hoch hoch, bleibt wellig und geht dann runter runter runter. Ab km 51 dann ungefähr das gleiche noch mal. Ich fand die Streckenführung sehr sehr abwechslungsreich. Neben teilweise rennsteigbekannten Wegen (mit zusätzlicher Aussicht) ging es über Brücken, durch einen urigen Tunnel, nette Orte und plätschernde Bäche gab es auch. An den wirklich ausreichenden Verpflegungsstellen gab es alles, was man brauchte. Einige hatten sogar aus Holz Becherhaltevorrichtungen gebaut (ein großes Brett mit vielen Löchern für die Becher, die so nicht umfallen konnten). Überall wurde man sehr nett empfangen.
Die langen Anstiege bin ich gegangen und runter hab ich es einfach laufen lassen. Oftmals ging es sehr lange runter – das tat dann schon ziemlich weh in den Oberschnenkeln. Die am Abend vorher etwas gefürchtete Einsamkeit des Langstreckläufers ist übrigens nur ganz vereinzelt aufgetreten. Ich hatte eigentlich immer Läufer um mich herum oder zumindest in der Ferne gesehen. Ich bin auch nur einmal falsch gelaufen (blöderweise einen Berg hoch), aber oben hat mich gleich ein Radbegleiter von jemandem zurückgeschickt, dem das gleiche passiert war. War wirklich ausreichend markiert – aber manchmal ist man so im laufen…
Bei der Wechselstelle bei km 51 war ich voller Euphorie. Ich hatte nicht damit gerechnet, hier jemanden bekannten zu sehen und plötzlich sah ich Jörg und Rennschneckes Mann und schwebte (gefühlt) weiter. Zur Verpflegung und Zwischenzeitname und weiter gings.
Jetzt noch eine Harzquerung. Nur noch eine Harzquerung? Hätte ich damals noch mal so weit laufen können? Nicht darüber nachdenken. Jetzt ging es lange nur hoch hoch hoch. Und das mit den schon ziemlich angeschlagenen Oberschenkeln vom runter runter runter. Das leichte Gefühl war völlig weg. Die Sonne schien schon ziemlich kräftig und ließ die Wege staubig erscheinen. Wenn ich jetzt noch hinter mir Schritte hörte, war ich mir eigentlich sicher, dass wieder „Frischfleisch“ vorbeiziehen würde (Staffelläufer) Von den Hunderten lief hier niemand mehr die Berge hoch. Dieser Teil der Strecke fiel mir am schwersten. Auch Jörg holte mich hier ein und wir liefen ein kleines Stück zusammen.
Aber auch nach dem langen schweren Anstieg kamen wieder schattig Wege und traumhafte Ausblicke. Bis auf die Beine ging es mir auch noch immer gut. Ich dachte zu keinem Zeitpunkt aufgeben. Hatte gar keine Gelegenheit dazu. Das Anlaufen fiel jedoch immer schwerer. Aber es half ja nichts – ich wollte ja weiter.
Irgendwann kurz vor den Siebzigern, als ich schon eine ganze Weile ganz allein lief, hörte ich hinter mir lautes Geschnatter, das immer näher kam. Würden sicherlich Staffelläufer sein. Waren es aber nicht, denn die eine Frau hatte ich vor längerer Zeit überholt, als sie auf flacher Strecke ging. Jetzt zogen sie sehr locker und frisch an mir vorbei. Ich überlegte nur kurz, ob ich dranbleiben sollte. Traute mich aber nicht.. Es war noch weit und bis hierher war ich in meinem Rhythmus ganz gut gekommen. Später trafen wir uns noch mehrmals wieder.
Inzwischen fühlte sich aber mein linker großer Zeh ziemlich schlimm an. So, als ob der Zehennagel im Socken verhakt ist, der Socken im Schuh und so der Nagel mit jedem Schritt hochgezogen wird. Ich hatte zwar Pflaster mit, aber am Zeh vorn hält eh kein Compeed. Und einen abgerissenen Zehennagel wollte ich mir eigentlich auch nicht ansehen. Also nicht mehr dran denken und einfach weiterlaufen.
Zwei Männer, auf die ich auflief, beschwerten sich bei mir, dass ich jetzt schon die 3. Frau wäre, die sie überholt und sie schon ganz frustiert wären. Wir unterhielten uns eine Weile, aber dann blieben sie irgendwann einfach zurück...
Als das Ziel schon fast zu ahnen war, fragte mich die eine der vorhin erwähnten Frauen, was die Uhr denn so sagt und ich schaute das erste Mal auf die Laufzeit (ich hatte den Garmin so eingestellt, dass ich im aktuellen Fenster weder Uhrzeit noch Laufzeit sehe) : 10:30. Sie meinte „Oh“ (so ungefähr: dann muss ich mich aber jetzt mal sputen) und ward nicht mehr gesehen. Wahnsinn, was die Frau auf den letzten km noch zulegen konnte.
Inzwischen waren wir auf den letzten sonnigen km ohne jeglichen Schatten angelangt. Ich stellte mich darauf ein, dass es jetzt nur eine Qual wird. Aber auch hier gab es noch immer was zu gucken. Die Strecke wurde jetzt flach und trotz der knallenden Sonne ging ein Schritt vor dem anderen auch nach den vielen km noch ganz gut. Gut zu wissen. Wenn jetzt nicht noch irgendwas passierte, würde ich auf jeden Fall unter 12 Stunden ins Ziel kommen. Das motivierte mich dann auch noch mal. Der absolute Hammer kam bei km 95. Schon von weitem hörte man laute Musik und Lautsprechermoderation und ich dachte, das kann doch hier noch nicht das Ziel sein. War es auch nicht, sondern eine Verpflegungsstelle. Die Leute waren wirklich absolute Spitzenklasse und schubsten einen praktisch die letzten km ins Ziel.
Dort angekommen hatte ich wieder heftig mit mir zu kämpfen zwischen lachen und weinen. Das war so lang, so schön und soo schwer… Ich hatte es geschafft. 100 km mit 2100 Höhenmetern durch den Thüringer Wald.
Ich hörte die Ansage:
„Jetzt kommt XXX aus XXX. Es ist ihr erstes Mal beim Thüringen – Ultra – aber Berge sind für sie kein Problem, denn sie war schon auf bei der Harzquerung dabei.“
Woher wussten die das? Ist doch sicher aufwendig, dass für jeden Läufer zu recherchieren.
Ich bekam gleich einen Ausdruck mit den Zwischenzeiten in die Hand gedrückt und eine schöne Medaille. Das schönste ist aber das Finishershirt. Das bekamen in der Form nur die 100 km Läufer. Die anderen und die frei verkäuflichen fand ich nicht so schön. Die haben sich sogar die Mühe gemacht und für diejenigen, die schon zum zweiten Mal teilnahmen, zwei Sternchen unter den Aufdruck zusätzlich gedruckt.
Vielleicht will ich auch noch mal ein Sternchen…
Die Versorgung im Ziel war auch sehr gut. Es gab Getränke, einen Bon für Zielbier und Zielsuppe, warme Duschen und eine supertolle Massage. Von den Füßen bis zum Rücken wurde alles durchgenommen und bearbeitet. War das eine Wohltat… Nur mein Zeh durfte nicht angefasst werden. Beim ausziehen sah ich die Bescherung: Unter dem Zehennagel hatte sich eine große Blase gebildet. Deshalb hatte ich also immer das Gefühl, dass der Nagel hochgezogen wird… Naja - wird wohl abfallen...der Zeh...
Schön war auch das „danach“, wenn alle beisammensitzen und sich über den Tag und zukünftige Pläne austauschen… Achja – es gibt noch so viele schöne Sachen.
Der letzte Finisher kam übrigens um 21:45 ins Ziel und wurde noch genauso empfangen wie alle vor ihm.
Für die Freunde der Zahlen noch ein paar Fakten:
Zeitnahmestelle/Zwischenzeit/Laufzeit/min/km
Km 24 / 2:47:15/ 2:47:15/ 6:58
Km 51 / 5:49:49/ 3:02:34/ 6:55
Km 74 / 8:52:08/ 3:02:19/ 7:36
Ziel: 11:45:11 / 2:53:03/ 6:46
Damit bin ich 3. Frau in der AK und 8. gesamt geworden und hab eine Flasche Sekt bei der Siegerehrung bekommen. Wo ich insgesamt stehe, weiß ich allerdings nicht, die Ergebnisliste ist noch nicht auf der Laufseite online.
Der Garmin hat übrigens die ganze Zeit durchgehalten. Meine langsamste km-Zeit war 11:42; der Puls die ganze Zeit regenerativ.
Muskelkater hab ich auch heftigst. Aber die gingen da alle ziemlich merkwürdig rum - da mach ich mir mal keine Sorgen...
LG
Sinchen (die vorhin 3 Eis gegessen hat und nun in die Sauna geht)