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Auf des Messers Schneide - HM in Mainz 2009

Auf des Messers Schneide - HM in Mainz 2009

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Hallo ihr Läufers!

Hier kommt mein nächster Laufbericht.
Obacht! Wie immer, etwas länger.

Auf des Messers Schneide - HM in Mainz 2009

Untertitel: Projekt 1:39! Jetzt erst recht!

Mitwirkende:
  • Töffes, Läufer
  • Töffer, Trainer
  • Das tolle Mainzer Publikum
  • Viele nette Helferinnen und Helfer
  • Viele Kinder
  • Viele nette Mitläuferinnen und Mitläufer
  • FR
  • (vergessene) Marschtabelle
Prolog

September 2008, Töffes:

Mein erster HM ist erfolgreich absolviert. Zielzeit erreicht und neue Ziele müssen her.
Marathon? Nein. Noch zu früh. 10 km Zeit verbessern und HM Zeit verbessern? Genau! Da geht noch was. Magische Grenzen sprengen. Also für den 10er 44:xx und für den HM 1:39:xx. Wenn die xx für 59 stehen, soll 's mir recht sein.
Ein Plan muss her, ein Trainer muss her.

Oktober 2008, Töffes:

Ohne Trainer ist doof. Habe im Oktober einen 10er total versaut.

November, Dezember 2008, Töffer:

Das Training und die Lauferei von Töffes beobachte ich schon eine ganze Weile. Und der Trainerjob würde mich schon reizen.
Das Problem dabei ist: Vom Lauftraining habe ich eigentlich keine Ahnung. Dafür kenne ich Töffes ziemlich gut.
Also lese ich mich durch diverse Bücher, wühle mich durch 100e Internetseiten und kriege langsam einen Plan. Kurz nach dem Silvesterlauf bewerbe ich mich.

Januar 2009
Töffes:

Töffers Bewerbung ist bei mir eingegangen. Er will den Trainerjob.
Referenzen hat er keine, liest aber in einem Forum fleißig mit, hat ein bißchen Ahnung und kennt mich offensichtlich ziemlich gut.
In Ermangelung von ernsten Alternativen stelle ich ihn zur Probe ein.

Töffer:

Juchhu, ich habe den Job!
Wir diskutieren, gehen zusammen diverse Trainingspläne verschiedener Autoren durch und stricken schließlich was zusammen, was halbwegs Sinn ergibt.
Ein bißchen Steffny, ein bißchen Greif, ein bißchen Laufscene und ganz viel laufen-aktuell!!!
Die Einheiten, die Spaß machen, sind dabei, auch ein paar Gemeinheiten und, weil 's so gut geholfen hat, vor allem Einheiten, um das Wettkampftempo zu üben.
Erst Grundlagen legen: Wochen-km hoch. Vieles langsam und lang.
Die Grundausdauer bei Töffes scheint mir ausbaufähig zu sein, ist es ihm im ersten HM doch ab km 16 extrem schwer gefallen, das Tempo zu halten.
Zum Tempobolzen ist das Wetter eh noch zu schlecht. Kalt. Alles vereist.

Februar 2009 , Töffes:

Jetzt geht 's los. Der Trainingsplan von Töffer geht über 12 Wochen.
Erst viele langsame km.
Ein (etwas) schnellerer Lauf pro Woche. Ab März kurze knackige Tempoeinheiten. Alles viel schneller als HMRT, Grundgeschwindigkeit erhöhen. Klingt für mich ganz gut.

März/April 2009, Töffer:

Die Einheiten laufen gut. Das Training zeigt Wirkung. Die erste Einheit im HMRT fällt Töffes fast schon zu leicht.
Aber die wichtigsten Einheiten kommen noch.

wenige Tage später, Töffes:

So ein Mist, so ein blöder. Ausgerechnet vor der härtesten und wichtigsten Trainingswoche erwischt mich ein Husten, der auch nicht wieder verschwinden will. Ich bin ungenießbar und nerve meinen Trainer.

Töffer:

Man, der nervt. O.k. das ist aber auch doof. Da war er so gut drauf und dann das.
Nach 2 Wochen mit nur zwei kurzen langsamen Läufen gibt 's Entwarnung: Allergischer Husten.
Bronchien und Lunge sind frei. Das Training darf wieder härter werden.
Aber: jetzt sind 's nur noch 1,5 Wochen. Eigentlich schon Trainingsreduzierung angesagt.
Das HMRT sitzt noch gar nicht.
Krisensitzung.

Mai 2009, Töffes:

Nach vielen z.T. nächtlichen Sitzungen, schmieden wir einen riskanten Notplan:
Eine halbe Woche heftiges Training, ist zwar ziemlich nahe am HM, aber wir glauben, die Einheiten sind unverzichtbar. Danach bleibt noch eine knappe Woche zum Tapering. Könnte reichen, ist aber knapp. Töffer baut mich, wie sich das für einen Trainer gehört, wieder auf: Gute Grundlage, viele Winterkilometer, das reicht noch. Ich nerve im Forum mit Fragen und Zweifeln.

Töffer:

Bloß nix sagen. Der zweifelt alleine schon genug. Aber das wird alles seeeehr knapp.
HMRT auf 4:44 festgelegt, was für 1:39 gerade so reicht. Aber schneller ist völliger Käse.

Samstag, 9. Mai 2009
Der Plan:, Töffes:

Nachdem das Training so lala, (Einheiten im HMRT fühlten sich ungemein anstrengend an und der letzte Tempotest war so richtig ätzend), dafür das Gefühl beim letzten "Beineausschüttelnlauf" aber erstaunlich gut war, beschließen wir, allen Widrigkeiten zum Trotz, das Projekt 1:39:xx anzugehen. Jetzt erst recht!
Schlimmstenfalls riskieren wir einen gepflegten Einbruch zum Ende hin. Mein Trainer will mich währden des Laufs begleiten.
Die Marschtabelle wird akribisch festgelegt: Mit 4:45 (auf gar keinen Fall schneller!!!, sagt Töffer, eher 4:46) anlaufen. Die ersten 5 km an dieser Zeit kleben, und dann langsam schneller werden.
Klassischer negativer Split. Ab km 10 auf 4:43 Zeiten gehen und ab km 15, wenn 's noch geht, 4:42. der letzte km so schnell wie möglich.
Uns beiden ist klar, dass das ein Lauf auf des sprichwörtlichen Messers Schneide sein wird. Zu schnell am Anfang und ich werde gnadenlos eingehen.
Marschtabelle ausdrucken und zu einem schönen wasserfesten Armband verarbeiten. Diese Marschtabelle will genau eingehalten sein. Das ist wohl die einzige Chance.
Ausreichend schlafen, Wettkampffrühstück und los.
Tasche ist bereits am Vorabend gepackt, bewährtes Wettkampfdress bereit gelegt, Chip am Schuh, Forerunner vollgeladen (!) und überprüft (!)


Sonntag, 10. Mai 2009
Der Lauf, Töffes:

In Mainz angekommen, stelle ich fest, dass die Marschtabelle zu Hause liegt. "Trainer!!!"
Der hätte doch dran denken müssen! Er meint, der Athlet sei für seine Ausrüstung selbst verantwortlich. Ein Wort gibt das andere, und so stehen wir um 9:20 richtig geladen im Startblock.

Das Einlaufen verlief dagegen sehr vielversprechend. Nix zwickt. Ich fühle mich voller Kraft. So soll es sein. Viel getrunken, drei Toilettengänge sind erledigt, die Schuhe zum dritten mal neu geschnürt. Alle Rituale sind abgehalten, der FR hat seine Satelliten gefunden und ist (nochmalige Prüfung) vollgeladen.

Ich bin nervös wie sonst was. Nur mit FR, ohne Marschtabelle laufen. Wenn das GPS nicht genau ist (wird es in der Stadt wahrscheinlich nicht sein) werde ich selber rechnen müssen.
Die einzige Zeit, die ich noch im Kopf habe, ist 47:30 als Durchgangszeit bei km 10.
Mann, mann. Blöde mArschtabelle!

Aber das wird jetzt durchgezogen. Jetzt erst recht. Das Wetter meint es gut. Ca. 14 °C, im Startblock ist auch kein Wind zu spüren. Sonne hinter Wolken.
Die Stimmung im Startblock ist richtig gut, aber genießen kann ich 's nicht wirklich. Bin höllisch aufgeregt!

Wird 's klappen? War das Training ausreichend? Hat die Woche Tapering nach der heftigen Einheit vom letzten Sonntag gereicht?

Soll ich jetzt schon eine Salztablette nehmen? Salztablette? Oh, nein. Die stecken in der Jackentasche und die Jacke steckt im Kleiderbeutel und der Kleiderbeutel in der Aufbewahrung.
Ja Himmel, Gesäß und Nähgarn!
Ich bin sauer auf meinen Trainer, er ist sauer auf mich. Wie blöd kann man sein.
Egal. Jetzt wird 's durchgezogen. Komme, was da wolle. Jetzt erst recht.

Der Countdown beginnt: Auf die Plätze! Fertig! Los! Peng!
Erst mal tut sich nix. Ich bin zwar im ersten Startblock, stehe aber relativ weit hinten.
Auf der offiziellen Uhr ist irgendwas mit 40 als ich über die Startlinie laufe und die Uhr starte.
Nach wenigen Metern erst mal Stopp. Hallo, bitte weiterlaufen da vorne. Die Panikattacke kann ich im Keim ersticken und es geht jetzt wirklich los.

Viele unheimlich langsame unterwegs.
Was machen die da vorne? Ich werd 's nie begreifen. 200 m Slalomlaufen. 50 sec auf der Uhr. Tempo 4:10. "Bist du deppert?"
Mein Trainer raunzt mich von der Seite an. "Tempo raus und erst mal mitschwimmen. Keine hektischen Überholmanöver, kein wildes Slalomgerenne mehr." Die Pace pendelt sich bei 4:45/ 4:46 ein.

Wenn es geht, überhole ich. Ohne hektische Beschleunigung. Auf dem ersten km viele Leute. Stecke mitten im Getümmel und übersehe so auch das erste km-Schild.
Aber so schnell wird der FR keine Abweichung haben. Tempo passt. Ich habe mich ein bißchen freigelaufen und habe bei km 2 4:46min/km. Gut so. Lieber ein bißchen langsamer.

Ich versuche, auf die Ideallinie zu achten und keine unnötigen Meter zu laufen. Blöderweise laufen die "Paar- und Trio- und Quatro-Spaß und Quatsch und bloß-kein-Stress-Läufer" auch auf dieser Linie, aber mit (hoffentlich höflichem) "Entschuldigung, darf ich mich hier mal durchquetschen?" komme ich gut voran.

Erste Verpflegungsstelle: Lasse ich aus. Kann so wieder einige hinter mir lassen und laufe mich langsam frei.
km 3 Tempo immer noch 4:46.

Rechts um die Ecke, viele Kinder stehen hier an der Wechselstelle für die Schülerstaffeln und wollen abgeklatscht werden. Gerne. Das macht Laune und es lenkt schön ab. Ich fühle mich gut und will ein bißchen anziehen (so Richtung 4:44) aber mein Trainer bremst micht sofort ein:
"Du weißt, es ist knapp. Messersschneide und so. Zu schnell und du gehst ein. Also Geduld."
Der hat gut reden. Mir geht 's gut. Ich könnte schneller. Echt. Aber er lässt mich nicht von der Leine.

Wieder rechts rum. Läufer kommen uns auf der anderen Straßenseite entgegen. Hä, wo kommen die her? Nach ca. 80 m die Auflösung: U-Turn und das kleine Stück Straße wieder zurück. Was was das denn?

Weiter geht 's. Schild km 4 übersehe ich wieder.
Die Sonne ist inzwischen hinter den Wolken rausgekommen und es wird merklich wärmer. Bei der Verpflegungsstelle schlage ich diesmal zu.

Bei km 5 dann der Schock:
150 mehr auf der Uhr beim 5. Kilometer. 150 Meter! Wie geht das denn? Bei km 3 ließ mich die Uhr noch ein paar Meter weniger laufen und jetzt?
Rechnen. 150 m sind ungefähr 40 sec. Die bin ich jetzt hintendran. 40 sec. Menge Holz. Dazu kommen noch die 10 sec. durch die langsamere Pace. War 's das jetzt?
"Vielleicht stand das Schild falsch", sagt mein Trainer. "Quatsch", sage ich. "Nicht bei einem so großen Stadtmarathon."

Egal. Jetzt erst recht. Ich erhöhe das Tempo leicht, wie geplant. Jetzt bloß keine hektischen Tempoverschärfungen. Hege die Hoffnung, dass mein Trainer recht hat und das Schild verrutscht ist. Es geht leicht bergab, unter einer Brücke durch, dann wieder leicht rauf. Steigung ist zwar kaum der Rede wert, aber auf Anraten meines Trainers reduziere ich das Tempo ganz leicht. Nicht unnötig Körner verschwenden.

In Mombach bombastische STimmung. Schreiende tobende Läute. Mich überzieht eine erste Gänsehaut. Oh weia. Gänsehaut auf dem Kopf! Wenn sich so alle noch verbliebenen Haare aufrichten, das kenne ich sonst nur, wenn ich am Anschlag laufe.
Ein Systemcheck ergibt aber, dass das wohl die Zuschauer ausgelöst haben müssen. Bei mir ist alles in Ordnung. Ich fühle mich gut. Das Laufen geht locker von den Beinen. Aber auch bei km 6 ist mein FR 150 m weiter als ich. (?) Also werde ich wohl den 40 zusätzlichen Sekunden hinterher rennen müssen. Jetzt erst recht.

Ein kurzer, etwas öderer Abschnitt. Wenig bis keine Zuschauer. Vor mir laufen seit geraumer Zeit M&M. Die habe ich so getauft, weil jeder auf seinem grellfarbenen T-Shirt ein großes M trägt und seinen Namen. M heißt Manfred der andere M komischerweise Andreas oder so. Die beiden laufen in etwa mein Tempo und wir werden eine ganze Weile umeinanderherum laufen.
Die nächste Staffelstelle, wieder Kinder abklatschen.

Was ist das? Ein etwas älterer Junge nutzt das, um die Hände der Läufer festzuhalten und bringt einen Läufer damit ganz schön aus dem Takt. Blödes *** denke ich. Der mag das witzig finden, aber im Laufen so fies abgebremst zu werden, ist überhaupt nicht komisch.

Unter den Zuschauern versuche ich, bekannte Gesichter zu erkennen. Aber irgendwie sind wir immer ziemlich schnell vorbei und alles ist irgendwie eine gesichtslose Masse, aus der einzelne kurz aufleuchten wie Glühwürmchen in der Dunkelheit.
Meine Güte, was für einen Kram man beim Laufen denken kann. Unglaublich.

km 10: Die einzige Zeit, die ich noch weiß: 47:30 nach Plan.
Der Garmin läuft brav seine 150 m vorneweg und die echten 10 km passiere ich nach 47:58 min. Also schneller geworden und aufgeholt. Noch ca. 30 Sekunden zurück. Das heißt, jetzt jeden km fast 3 sec schneller. Oh Mann.
Das wird eine ganz enge Kiste.

Mein Trainer flüstert mir Plan B ins Ohr. Vorsichtig weiter Tempo erhöhen. Vorsichtig. Und eine neue PB kommt sowieso raus. Auch wenn die 1:39:XX nicht klappen sollten. Neue PB. Gut. Aber eigentlich will ich doch die magische Grenze heute knacken. Jetzt erst recht.

"Ja", sagt Töffer, "das probieren wir ja auch. Aber nicht mit der Brechstange."
Also weiter. Immer noch hinter dem Plan.
Ab km 11 werden die Beine schwerer. Es wird anstrengender, die Pace zu halten. Noch liegen 10 km vor mir. Beine schwer? Das gibt 's frühestens ab km 12. Im Training habe ich schließlich 12 km im HMRT geschafft. Also Beine: "Schnauze halten und laufen." Ich glaube, Santa Cruz hat hier im Forum mal geschrieben: "Wenn du nicht mehr kannst, lauf einfach schneller." Das werde ich jetzt so machen. Und es geht! Jetzt erst recht.

Es beginnt der zuschauerreichste Teil der Strecke in der Innenstadt. Die Anfeuerungen puschen und helfen bei der moderaten Tempoerhöhung. Habe die Rechnerei - wieviele Sekunden ich zurückliege - inzwischen aufgegeben. Kommen keine sinnvollen Ergebnisse mehr raus. Zu wenig Blut im Hirn. HM- Dupfbacken-Syndrom. 6er Reihe, 5er Reihe, alles fliegt durcheinander. Die km-Schilder schaue ich mir kaum noch an.

Mein Trainer ist viel zu nervös zum rechnen. Aber er glaubt immer noch, dass ich heute die 1:39 knacken kann. Und er weiß immerhin noch das Ergebnis des letzten Rechentests:
3 sec/km schneller. Also, ob das richtig ist oder nicht, ich rechne weiter, dass beim FR im Feld Pace/Schnitt eine 4:41 gegen Ende des Rennens auftauchen muss.
Daran werde ich mich halten.

Inzwischen ist es (mir?) tüchtig warm geworden. Das neue Ritual an den Getränkestationen: Zwei Becher schnappen, einen über den Kopp. Aus dem zweiten ein bißchen was in den Mund, den Rest ins Gesicht und vorne auf 's T-Shirt kippen. Das klappt sogar in vollem Tempo. Manche Stehenbleiber beschwören eine Beinahe-Kollision herauf. Aber alles geht gut.

An der Haupttribüne vorbei in die Augustinerstraße. Kopfsteinpflaster mit Sandsteinstreifen dazwischen. Überraschend gut zu laufen. Tolle Stimmung. Gänsehaut.
Kriege die zweite Luft und beschließe, noch was drauf zu packen. Töffer hat nix dagegen. Pace/Schnitt inzwischen bei 4:43.

Ob das gut geht? Leise Zweifel machen sich breit, die Oberschenkel fangen an zu brennen. Davon sage ich Töffes aber nix. Ich bin noch nie so lange so schnell gelaufen.
So fühlt sich eigentlich ein beginnender Krampf an, aber irgendwas sagt mir, dass ich keinen kriegen werde. Ich bin mir da ganz sicher. Wieso, kann ich nicht sagen. Ich weiß es einfach. M&M habe ich an einer Getränkestation verloren. Ob die nach vorne entschunden sind oder ich, kann ich nicht sagen.

Am Graben Samba-Truppe. Beste Stimmung. Ich fange trotz beginnender Schmerzen in den Beinen an, mich wohl zu fühlen. :tocktock: 3. Mal Gänsehaut.

Die endlos lange Gerade nach Weisenau beginnt. Zeit, die ganz schnellen zu bestaunen. (die erste Gruppe ist schon durch, Corruptor sehe ich noch kurz. Sieht gut aus, ganz entspannt, ganz locker düst er vorbei.)

Ich liege immer noch hinter dem Plan. Der FR ist mir inzwischen um weitere Meter vorausgeeilt. Aber Rechnen ist unmöglich.

Mein Trainer verodnet mir bei km 15 einen Systemcheck. Alles gut. Die Beine schmerzen zwar, aber erträglich. Das Tempo fühlt sich gut an. Ich kann noch ein bißchen draufpacken. Atmung ist noch ruhig und gleichmäßig, so gleichmäßig, dass ich sogar noch kräftig fluchen kann, als ich plötzlich auf eine weggeworfene Getränkeflasche trete und beinahe umknicke und mich fast auf die Schnauze lege. Ich kann mich noch abfangen. Entschuldigung an alle, die meine Kraftausdrücke mitanhören mussten. An den genauen Wortlaut kann ich mich beim besten Willen nicht erinnern. Ich mache mildernde Umstände geltend.

Gegenwind. Blöd. Keiner vor mir, der Windschatten spenden könnte. Ranlaufen an die nächsten würde vermutlich zu viel Kraft kosten. Also ganz schmal machen. Von den Zuschauern nach vorne brüllen lassen und weiter. Der Wind lässt Gott sei Dank schnell wieder nach.

Die blöde Gerade zieht sich und will kein Ende nehmen. Das doofe an solchen Wendestrecken ist, man weiß ganz genau, dass man jeden Meter weiter raus auch wieder zurück muss.
Getränkestationsritual die keine Ahnung wievielte. Der Wärme geschuldet gibt es viel mehr Wasserstellen, als im Streckenplan verzeichnet sind. Ich nehme alle mit. Immer in vollem Tempo. Becher über den Kopf. Ein bißchen was in den Mund. Rest im Gesicht und sonst wo verteilen. Bei den Temperaturen (inzwischen wohl weit über 20 °C, in der Sonne gefühlt noch um einiges wärmer, macht das richtig Spaß.

Die Wende ist richtig eklig. Mit schmerzenden Beinen eine so enge Kurve zu laufen, abbremsen, danach wieder beschleunigen, das macht nicht wirklich Laune. Fast werde ich aus der Kurve getragen.

Wieder zurück. Jetzt geht 's Richtung Ziel.
Pace/Schnitt zeigt jetzt 4:42 an. Ich hänge immer noch ein bißchen hintendran. Ob das noch was wird?
Noch ca. 4 km. Lächerliche 4 km.
Und: mir geht 's gut. Die neue PB ist auf jeden Fall gebongt. Die 1:39 noch nicht ganz abgehakt. Es wird eng. Aber das war ja eh klar.

Meine Beine laufen wie von selbst. Sie haben sich offensichtlich in ihr Schicksal ergeben. Der Kopf und der Wille haben eindeutig Oberwasser. Seit dem kurzen Aufmucken bei km 11 hält auch Schweini die Schnauze. Meine eindeutige Ansage hat ihn wohl so eingeschüchtert, dass er sich gar nicht mehr aus seiner Hütte traut.

Von irgendwoher ein Tatü tata. Wird lauter. Hoffentlich nix schlimmes passiert. Oh Mann. Der kommt von hinten. Für Läufer und Krankenwagen an dieser Stelle nur eine Fahrspur. Kommando von hinten nach vorne weitergeben: "Alle rechts laufen!!!" Wie an einer Perlenschnur aufgereiht, laufen wir in Reihe. Etwas langsamer. Is klar. Wenn Dreier- und Viererreihen sich in ein zusammenquetschen müssen, wird der Platz knapp.
So ein Mist. Ausgerechnet an dieser Stelle. Überall sonst wäre mehr Platz gewesen. Wieder verliere ich wertvolle Sekunden. Kann 's doch noch reichen? War 's das jetzt?
Der Krankenwagen kommt erstaunlich schnell durch. Viele Sekunden Verlust können das nicht gewesen sein. Die hol ich mir wieder.

Ein letztes Mal Tempo anziehen. Es geht. Die nächsten km gehen nach FR alle unter 4:40 weg!
Und bei km 19 zum ersten Mal 4:41 als TempoSchnitt auf der Uhr!!!
Ich habe das Gefühl, ich schwebe dahin. Von den Schmerzen ist nix zu merken. Der Laufstil ist rund und fühlt sich super an. Mein Trainer schweigt stille. Will mich wohl in meiner Konzentration nicht stören. Die Wendestrecke zurück ist gefühlt irgendwie kürzer.

Kurz vor km 20 eine nette Überraschung: Ein Freund feuert mich frenetisch an: "Nur noch um die Ecke. Lauf. Laaaaauuuuuuf! Ein km noch. Looooooooooos!!!!"
Bei km 20 Blick auf die Uhr: 1:34:5irgendwas. Einfache Rechnung: Knappe fünf Minuten für den letzten km. Und noch 100m. oder genau 97,5. Das sind noch mal ca. 20 sec. mehr. Ich war schon kurz hinter dem km Schild, als ich die Uhr gecheckt habe.
Lange Rechnerei, kurzes Ergebnis (jedenfalls so ungefähr):
Wenn ich jetzt noch mal Gas gebe, kann ich die 1:40 knacken. Also los. Töffer schreit mir im Ohr rum. Und ich gebe Gas. Und wie. Jetzt erst recht.

Alles raus, was noch geht. Ich überhole nur noch. Habe bei einigen das Gefühl ich fliege vorbei.
Und das nach 20 km in den Beinen. Wie genial ist das denn?! Ich habe keine Ahnung, wie schnell ich wirklich bin. Zum auf die Uhr schauen ist keine Zeit. Einziger Gedanke:

"Renn, renn, renn, renn, renn, renn!!!"
Ein Läufer liegt am Rand, wird vom DRK betreut. "Alles Gute", kann ich noch denken. "Hoffentlich geht 's ihm bald wieder gut."
und: "renn, renn, renn!!!" Töffer schreit auch irgendwas, ist aber nicht zu verstehen.

Die Uhr tickt und tickt. Aber das Ziel ist in Sicht. Wo muss ich hin? Ach ja, nach rechts rein. Ca. 100m vor dem Ziel riskiere ich einen Blick auf die Uhr: noch 1 Minute!!! Ich muss ein zweites Mal schauen. Tatsächlich!

Das Ding ist im Sack. Bingo!!! Tschacka! Towanda! Ich werde es schaffen!
Ich kann jetzt sogar ein bißchen Tempo rausnehmen und genieße jubelnd den Zieleinlauf.

JAAAAAAAA.

Ich hab 's geschafft. Und bin geschafft.

Ich muss noch ein paar Meter weiterlaufen. Zum Glück ist im Zielkanal ausreichend Platz vorhanden. Die nette Dame mit den Medaillen muss ich erst mal ignorieren und gehe an ihr vorbei, sonst wäre ich wohl in ihren Armen zusammengebrochen.
Jetzt fällt mir auch ein endlich mal die Uhr zu stoppen: Auch da steht noch eine Zeit von 1:39:xx!!! (Das mit dem Uhr stoppen im Ziel lerne ich wohl nicht mehr. Muss mit dem Trainer mal besprechen, dass er den Job übernimmt, mich daran zu erinnern.)

JAAAAAAAA!!!!!!!

Nachdem ich mir sicher bin, nicht mehr umfallgefährdet zu sein, hole ich mir die (verdiente!) Medaille ab (finde ich übrigens richtig schön. da hab ich schon schlimmere (bei anderen, bei mir ist 's die erste!) gesehen)
Danach trinken, trinken, trinken. Die wenigen Schlucke, die unterwegs den Weg in den Mund fanden, waren wohl doch nicht genug.

Ich grinse so vor mich hin, fühle mich richtig gut. (Das mit dem Grinsen habe ich tagelang nicht weggekriegt) Quatsche noch ein bißchen mit anderen im Ziel. Beglückwünsche andere und lasse mir gratulieren.
Mit Weißbier (natürlich alkfrei) stehe ich dann noch an der Strecke und feuere die Marathonis an, die sich auf die zweite Runde machen.
Freue mich so vor mich hin.
Nach Pulk ist mir nicht.
Mein Trainer und ich genießen in aller Stille.

Alles Risiko in der Vorbereitung hat sich gelohnt. Alles ist aufgegangen. Und abgesehen von der fehlenden mArschtabelle sogar nach Plan.
Mein erster Lauf mit negativem Split (und es geht doch!),
mein erster HM unter 1:40
mein erster großer Stadtlauf.

Aber sicher nicht mein letzter.


Töffes, stolz und zufrieden
"Wer keine Zweifel hat, ist schlicht verrückt." (Peter Ustinov)

2
Gut gemacht, mein Lieber! :daumen: Nett geschrieben (war ja klar, was kommen wird!). Den Trainer würde ich übrigens entlassen. Wer versucht, Feuer und Wasser (Greif und Steffny) zu vermengen, kann nichts taugen, dafür sind die beiden zu unterschiedlich. Ich stehe übrigens entschieden auf Wasser.
Wie fühlen sich die Beine heute an? :kruecke: ?
Gute Regeneration
Wolfgang
Ubi marathon, ibi bene (frei übersetzt: wo es einen Marathon gibt, geht's Dir gut!)
Meine private Laufseite: http://www.spass-am-laufen.de :welcome:

4
Klasse, Töffes!

Viele Grüße,
3fach
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Some say there's no magic formula. I say there is. It's just that the magic is different for everyone. Keith Dowling

5
Hey Töffes,

mal wieder eine genialer Bericht zu einem genialen Rennen!

Ich hab den Bericht vom ersten bis zum letzten Wort genossen und aufgesaugt. Hatte mich schon richtig drauf gefreut. Du hast einfach immer super Ideen für Deine Berichte.

Wahnsinn, wie Du trotz der bescheidenen Wochen vor dem Lauf so eine Zeit rausgehauen hast. Das ist bestimmt nicht nur für mich eine riesige Motivation.

Vor meinem nächsten HM werde ich den Bericht noch einmal lesen und mir den Rennverlauf zum Vorbild nehmen.

Vielen Dank für die nette abendliche Lektüre.

Liebe Grüße
Martin

6
Gratuliere Super Rennen und ganz toller Bericht! Mir gings am 03 .05 in Salzburg ähnlich, deshalb habe ich den Beitrag wirklich genossen . Danke :daumen:
Was erlauben Struuunz!!
Alle wie Flasche leer !

Giovanni Trappatoni


WK 2009
Salzburg Amref HM 1:39:11 PB
Mondsee HM 1:39:27 :confused:
Marktlauf Bad Hofgastein 7KM 0:29:55 PB :D
Gernkogel Berglauf 10,4KM 1015 HM 1:22:00:P
Grossglockner Berglauf 12KM 1500HM Kein Start (Krank):motz:
2010
Genusslaufen:nick:
2011
Wieder Gas geben:geil:

Glückwunsch

7
Auch von mir Glückwunsch zur < 1:40.
Ich war in Mainz auch dabei. Ich fand den Lauf, die Strecke, die Stimmung und alles drumherum einfach klasse.
Das Einzigste was mich gestört hat, wie du auch schon geschrieben hast, waren die vielen Starter, die sich viel zu weit vorne einsortiert hatten. Da wäre ein bisschen Selbsteinschätzung schon wünschenswert.
Mit meiner eigenen Zeit bin ich auch sehr zufrieden. Wenn ich die ersten 8 km nicht dauernd "Zickzack" laufen oder auf den Bürgersteig ausweichen hätte müssen, wäre noch mehr drin gewesen.
Aber insgesamt, wie schon gesagt, eine Topveranstaltung. Ich bin im nächsten Jahr wieder dabei.
Gruß Frank
Letzter WK:
Ist schon einige Zeit her. Z.Zt. bin ich wieder im Aufbau,
da der Laufspaß zurückgekehrt ist.

8
Super gelaufen und toller Bericht. :daumen: Glückwunsch.

Aber wir hätten dich und deinen Trainer gerne beim Foritreff begrüßt.

Viele Grüße :hallo:

Gregor

9
klasse unterhaltung, töffes :D .

und den töffer würd ich auch gern mal kennenlernen :hihi: .....

bist ein super rennen gelaufen. ich werd mir jetzt mal ein beispiel an dir nehmen. :daumen:

wir lesen "drüben" wieder voneinander :zwinker2: ,

lg,
line
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PB: 5km: 21:14 (Juni 2010) - 10km: 43:38 (Juni 2011) - HM: 1:37:39 (Sept. 2010) - M: 3:31:47 (Oktober 2010)

10
Glückwunsch!
Zum Lauf und zum wirklich tollen Bericht.
Wie kannst du dir um Himmels willen bloß all die Details merken? Ich schaffe das nie, oder macht das dein Trainer?
Achja, und das mit der Uhr im Ziel, geht mir ganz genauso ;.-)
Gruß, Frank

12
Glückwunsch zum tollen Lauf!

Super-Bericht, toll geschrieben, da läuft man richtig mit! Muß ich auch mal versuchen, so zu schreiben...
Meine PBs:
10 km: 48:28 (München, 12.10.2008)
HM: 1:46:42 (München, 13.10.2013)
M: 4:30:56 (München, 11.10.2009; naja, ist ja auch erst einer...)

13
Hat doch einen Vorteil, wenn der Trainer einen in- und auswendig kennt!

Schönes Ergebnis, Ziel erreicht und spannend und unterhaltsam gleichermaßen festgehalten!
Weiter so!

Bernd
Das Remake
Infos zum Laufen und Vereinsgedöns gibt's auf www.sgnh.de

14
Hi,

danke euch allen für die Glückwünsche. :danke:
Jetzt, 5 Tage später hab ich immer noch so ein Dauergrinsen. Hoffentlich geht das irgendwann wieder weg!
Bräpe Wulf hat geschrieben:Wie fühlen sich die Beine heute an? :kruecke: ?
Den Beinen ging es nach dem Lauf und auch an den nächsten Tagen erstaunlich gut. Heißt das, ich hätte noch schneller laufen sollen? Nee, nee! :P
burny hat geschrieben:Hat doch einen Vorteil, wenn der Trainer einen in- und auswendig kennt!
Oh ja, und aus diesem Grund kommt eine Trainerentlassung auch auf gar keinen Fall in Frage. :nick:
Bräpe Wulf hat geschrieben:Den Trainer würde ich übrigens entlassen. Wer versucht, Feuer und Wasser (Greif und Steffny) zu vermengen, kann nichts taugen, dafür sind die beiden zu unterschiedlich.
Was immer der Trainer da zusammengeschmissen hat, es hat schließlich super funktioniert. Und das macht doch wohl einen guten und erfolgreichen Trainer aus! :zwinker2:
Plankton hat geschrieben:Aber wir hätten dich und deinen Trainer gerne beim Foritreff begrüßt.
Zum Foritreffen wollte ich eigentlich gekommen sein. Aber ich bin erst um kurz vor 9:00 Uhr am Brunnen angekommen und habe niemanden gesehen, der eine Ähnlichkeit mit euren Ava-Bildern hatte. Auch kein LA Schild zu entdecken.
Aber mit einem Treffen klappt bestimmt irgendwann. Spätestens im nächsten Jahr! :hallo:

Danke euch allen!

Töffes, der sich immer noch wie Bolle freut!
"Wer keine Zweifel hat, ist schlicht verrückt." (Peter Ustinov)
Gesperrt

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