Ich bin noch einen Laufbericht schuldig.
Hier iss er:
Angriff auf die Schallmauer - HM in Mainz 2010
Gedankenspiele vor dem Angriff
Träumereien:
Seit ich beim Mainz HM im letzten Jahr meine erste persönliche "Schallmauer" von 1:40 durchbrochen hatte, träumte ich immer mal wieder von der nächsten "Schallmauer": die 1:35. Sollte das für mich in diesem Läuferleben möglich sein, einmal den Halbmarathon unter 1:35 zu schaffen? Mir ist klar, von 1:39 auf 1:34 ist eine halbe Welt. Aber träumen darf man doch.
Realität:
Nach dem Marathondebut letzten Herbst in Frankfurt fiel ich in ein kleines "Läuferloch". Ich lief zwar weiterhin, aber ohne Ziel. Training will ich das nicht nennen. Ich lief so vor mich hin. Weniger km, kaum Tempo. Ich lief zwar auch bei Regen, bei Eis, bei Schnee. Aber Ambitionen hatte ich eigentlich keine. Der Silvesterlauf (10 km) in enttäuschenden 46 min zeigte mir zum Jahresende den Zustand deutlich auf.
Träumereien:
Der Ehrgeiz erwachte mit dem neuen Jahr langsam wieder. Die 1:34 in Mainz anzugehen, kam mir zwar nicht in den Sinn, aber so nah wie möglich ranlaufen wollte ich schon. 1:36:59 schien mir ein lohnendes Ziel oder mindestens, angeregt durch einen Faden hier im Forum: "sub Joschka" sollte es schon werden.
Realität:
Zu Jahresbeginn fing ich mir eine Erkältung, die mich zwei Wochen nicht laufen ließ.
1 Woche später legte mich eine schmerzhafte Blockierung im Iliosacralgelenk lahm. Wusste ich vorher nicht mal, dass ich sowas habe, so konnte ich in den drei Wochen Pause mit Physiotherapie gleich mehrere Liedchen davon singen.
Träumerei:
Noch war Zeit und so ganz wollte ich mich von dem Ziel für Mainz noch nicht verabschieden. So stieg ich dann Mitte Februar in ein etwas strukturierteres Training ein. Den Traum von der 1:34 träumte ich weiter, aber erst für 's nächste Jahr. Einmal im Leben unter 1:35. Versuch vielleicht doch schon im Herbst?
Realität:
Das Training lief so lala. Alles war viel anstrengender als noch Monate vorher. Ist ja auch klar. Nach einer Laufpause dauert es schon ein bißchen. Geduld. Melde mich relativ spontan für den Frankfurt HM an. Brauche ein Ziel.
Träumerei:
Zielzeit für Frankfurt muss her. Neue PB? Erster (kleiner) Schritt in Richtung Schallmauer? Bescheiden erst mal 4:44 antesten!
Realität:
Der erste Versuch im HMRT ist ernüchternd. Sogar das Marathontempo aus dem letzten Jahr ist über 5 km hölleanstrengend. Die Anmeldung für Frankfurt war wohl eine Schnapsidee. Einen HM ohne Zeitambitionen laufen. Unter 1:45 (auch so eine Schallmauer, haha) sollte aber doch gehen.
Oder Leute aus dem Forum beim 1:41:xx Versuch auf der ersten Streckenhälfte unterstützen? Pacemaker für die ersten 10 km und dann in Anstand zu Ende laufen.
Träumerei:
4:50 als HMRT will ich probieren. Dann kann ich den 1:41:xx Versuch bis zum Ende mitlaufen.
Realität:
Der Frankfurt HM wird der Hammer. Ich kann nicht nur die Pace mitgehen, ich kann sogar noch was draufpacken und am Ende mit neuer PB von 1:38 ins Ziel laufen!
Träumerei:
Da geht doch noch was. 1:36:59 oder mindestens sub Joschka ist in Mainz doch drin.
Oder gleich der Angriff auf die Schallmauer von 1:35. Man wird doch wohl träumen dürfen. Einmal im Leben den HM unter 1:35. Das wäre schon was.
Realität:
Von 1:38 auf 1:34 ist eine halbe Welt. Und bis Mainz sind nur noch 2 Monate Zeit.
Träumerei:
Aber warum nicht versuchen?
Zumindest im Training? Langsamer laufen kann ich ja immer noch, wenn ich merke, dass es nicht passt. Einmal unter 1:35. Das wäre was.
Realität:
Also. Trainingsplan für Zielzeit 1:34:59 zusammengebastelt. Für mich viele Einheiten im geplanten HMRT drin. Lange Intervalle. Damit bin ich bisher immer gut gefahren. Bißchen was schnelles für die Spritzigkeit. Längere Läufe.
Träumerei:
Erste Einheit mit HMRT: 3 x 2000m. Nichts Großes. Aber zum Antesten.
Realität:
Ups. Viel anstrengender als es sollte. Dieses Tempo habe ich erst im letzten Jahr über 10 km gebracht. An der Schallmauer von 45 min über 10 km habe ich mir nämlich auch lange die Zähne ausgebissen. Und das jetzt über die doppelte Distanz und noch ein bißchen?
Träumerei:
Ist noch Zeit. Trainieren.
Realität:
4 x 2000 und eine Woche später 5 x 2000 im HMRT lief ordentlich. Fühlt sich aber immer noch nicht nach Halbmarathontempo an. Dafür doch ein bißchen zu anstrengend.
Träumerei:
Ist noch Zeit. Trainieren.
Realität:
4x 3000 m im HMRT. Katastrophe. Härteste Trainingseinheit jemals. Fast Kotzgrenze. Das geht nie im HM über 21,1 km.
Träumerei:
Das Training zieh ich jetzt trotzdem durch. Dass ich spätestens am übernächsten Tag nach den Einheiten wieder fit bin, zeigt doch, dass ich mich zumindest nicht komplett abschieße. Langsamer laufen kann ich immer noch.
Realität:
3 x 4000 m im HMRT. Das ging. Sogar ganz gut. Lediglich die letzten beiden km kämpfen müssen.
Träumerei:
Angriff auf die Schallmauer!!! 1:34:xx! Einmal. Vielleicht doch noch in diesem Läuferleben?!
Realität:
Nach dem letzten längeren Lauf eine Woche vor Mainz schmerzt der Sehnenansatz in der linken Wade. Gehen tut schon weh. An Laufen ist nicht zu denken. Doch zu viel zugemutet?
Träumerei:
Geht schon wieder weg. Jetzt ist sowieso tapern angesagt. Außerdem Reise nach Birmingham.
Laufsachen einpacken. Wird schon.
Realität:
Nix da. Montag: AUA. Dienstag: AUA. Mittwoch: AUA. Zu allem Überfluss knicke ich am Mittwoch mit dem rechten Fuß an einer Treppenstufe auch noch heftig um. Das war 's wohl. Schmerzen im Fußgelenk. Kaputt scheint aber nix zu sein.
Träumerei:
Die ganze Quälerei vorher kann doch nicht umsonst gewesen sein. Den HM werde ich notfalls mithumpeln.
Arnikasalbe ist auch im Gepäck. Also Fuß ruhig halten. Eincremen und hoffen.
Am Donnerstag Morgen will ich es dann wissen. Dieser Test muss jetzt sein.
Realität:
Bei strömendem Regen (halt typisch englisches Wetter) in Birmingham am Canal Walk. 6 km, erst vorsichtig und gemütlich. Viele Läufer schon um 7 Uhr morgens unterwegs. Hier grüßt man sich. Der Lauf ist wunderschön. Vorsichtig HMRT angetestet. Der Fuß hält. Die Wade hält. JUBEL. Nass und zufrieden komme ich im Hotel an und dusche heiß und ausgiebig.
Träumerei:
Angriff auf die Schallmauer! Einmal unter 1:35!
Realität:
Fuß schonen. Rückflug. Erholen.
Samstag letzter "Beineausschüttelntest". Alles in Ordnung.
Der Tag des Angriffs
Anrollen:
Heute ist es also so weit. Ich sitze im Auto und rolle Richtung Mainz.
Lange habe ich gezweifelt. Trainiert. Zielzeit ins Auge gefasst. Zielzeit wieder verworfen.
Aber der Entschluss steht endgültig fest: Heute wird 's probiert. Auch mit der Gefahr, dass ich eingehe. 12 km im HMRT habe ich im Training geschafft. Das habe ich bisher immer über die ganze Strecke gebracht.
Habe gestern akribisch alles gepackt. Startnummer schon angepinnt. Früh genug aufgestanden. In Ruhe gefrühstückt. Ich fühle mich gut.
Nur haben sich die angesagten 15 % Regenwahrscheinlichkeit für Mainz alle für 8:00 Uhr direkt über Mainz verabredet. Dunkle Regenwolken hängen über der Stadt und verheißen nichts gutes. Auf der Autobahn herrscht beinahe Nacht. Kurz vor Mainz setzt der Regen ein, und kaum dass ich am Parkplatz das Auto verlasse, geht 's richtig los.
Angehen:
Vor mir liegt ein gemütlicher Fußmarsch zum Startbereich quer durch die Stadt. Einiges von der Marathonstrecke kriege ich schon zu sehen. Vor allem viele Pfützen. Trotz Schirm (wieso habe ich eigentlich einen Schirm eingepackt? Keine Ahnung. Aber jetzt leistet er schon gute Dienste) bin ich untenrum schnell pitschenass. Das kann ja heiter werden.
Was soll 's. Kann es eh nicht ändern. Die meisten anderen Läuferinnen und Läufer, die Richtung Start unterwegs sind, nehmen es ebenfalls mit Humor. "Musste unterwegs nix trinken. Mund auf beim Laufen reicht."
Für das Foritreffen bin ich leicht zu spät. Und am Treffpunkt ist niemand mehr. Kein Wunder, bei dem Wetter. Jedes noch so kleine Vordach, jeder kleinste Vorsprung wird genutzt und ist mit Leuten in Laufklamotten zugestopft. Doch die Versuche, trocken zu bleiben, sind meist erfolglos.
Anrichten:
Erst mal umziehen und Sachen abgeben. Kurz - kurz? Ist doch reichlich kühl. Klar, was anderes habe ich eh nicht mit. Außerdem soll 's ja den Angriff auf die Schallmauer geben. Wenigstens sind die Laufklamotten unter dem Schirm trocken geblieben.
Dank der Goretex-Schuhe (zum Spazierengehen, nicht zum Laufen) kann ich mich sogar über trockene Socken freuen. Vor den Toiletten im Parkhaus Riesenschlangen. Aber da gab es doch letztes Jahr die Dixies draußen? Draußen! im Regen! Da dürfte doch kaum jemand stehen. Richtig. Nur kurze Schlange. Aber viele Pfützen. Auf dem Rückweg einmal nicht aufgepasst und voll rein. Na toll. Socken und Schuhe doch nass. Und ich natürlich auch. Vom Regen von oben natürlich, nicht von der Pfütze.
Anlaufen:
Das schöne in Mainz: Vieles findet in einem für diesen Tag autofreien Parkhaus statt. Selten habe ich ein Parkhaus so geschätzt wie heute. Im Parkhaus regnet es zwar nicht, aber da das Parkhaus vorne und hinten offen ist, weht ein kühler Wind durch. Mir ist kalt und ich fröstle leicht. Bekomme aber von einer netten Dame am Bananenstand einen Müllsack. Prima. So ein bißchen Plastik kann schön warm halten.
So laufe ich mich denn im Parkhaus im Plastiksack ein. Viele andere machen das auch so. So werde ich nicht noch nasser.
Und das Einlaufen geht super! Das unfreiwillige "Extremtapering" scheint durchaus auch positive Effekte zu haben. Die Beine fühlen sich locker an. Die Steigerungen gehen leicht.
So 2 km laufe ich bestimmt auf einer 100m Strecke immer brav hin und her.
Geht so gut, dass ich mich erst 20 min vor Start auf in den Startblock mache. So lange im Trockenen wie es geht. Draußen regnet es noch immer.
Blöd nur, dass gefühlte 1000 Läufer die gleiche Idee hatten: Möglichst lange im Trockenen bleiben. Nachdem ich in 10 min nur ca. 50m vorwärts gekommen bin (bis zum Startblock sind 's ca. 200m), überfällt mich ein Anflug von Panik. Ich fürchte, es nicht mehr rechtzeitig in den Startblock zu schaffen. Der ganze Startbereich ist mit Zuschauern voll, die sich natürlich nicht mehr bewegen wollen. Von vorne in den Startblock reinquetschen geht auch nicht. Die Zeiterfassungsmatten sind schon scharf geschaltet. Meine Unruhe wird immer größer. Zwar könnte ich auch dem Feld hinterherlaufen. Aber dann kann ich slalomlaufenderweise die Schallmauer knicken. "Selber schuld. Hättste früher in den Startblock gehen sollen," meldet sich der Schweinehund, der sowieso keine Lust hat, bei diesem Wetter zu laufen. Aber bei Angriff auf eine Schallmauer hat der gar nix zu melden.
Anwärmen:
5 Minuten vor dem Start habe ich es doch noch geschafft.
Uff. Glücklicherweise habe ich keine Pulsuhr. Sonst hätte mich wahrscheinlich die nächste Panikwelle erfasst.
Der Stadionsprecher von Mainz 05 macht Stimmung. Ich verstehe zwar nix, freue mich aber trotzdem.
So hopse ich nur so vor mich hin um mich warm zu halten. Zum dritten Mal Schuhe binden und warten auf den Start. Stehe im ersten Startblock, aber da ziemlich hinten. Bin ja dann doch nicht soo schnell. Ich freue mich wie Bolle, denn ich spüre heute geht was. Müllsack entsorgen. Es kann losgehen!
Losrennen
Den Startschuss habe ich nicht mitbekommen. Aber plötzlich brandet Jubel auf und die Masse setzt sich in Bewegung.
Über die Startlinie und Uhr starten.
Es geht los. Fühle mich gut. 1:34 ich komme!!!
Doch nach 300m fast Stillstand. Die nächsten 1,5 km Slalomlaufen. Ärgere mich über die "Gemütlichläufer", die sich so weit nach vorne stellen und ärgere mich über mich selber, dass ich mich nicht doch noch weiter vorne eingereiht habe. Erster km nach Uhr in 4:40. Keine Panik. Noch genug Zeit, das wieder rauszulaufen.
Weiterrennen:
Ruhig bleiben. Nicht zu viel Slalom. Kraft sparen. Keine abrupten Tempowechsel. Ideallinine laufen. Den größten Pfützen kann ich ausweichen, aber die ein oder andere erwische ich doch.
km Schild 2 wieder übersehen. Der FR zeigt eine Durchschnittspace von 4:33 an. Das passt doch. Nur nicht überziehen. Geduld.
Ich laufe auf eine Läuferin aus dem Forum auf, die den Staffelmarathon läuft. Die ist eigentlich schneller als ich. Bin ich doch zu schnell? Ein Blick auf die Uhr zeigt: Nein. Alles passt. Wir unterhalten uns kurz, sie ist leicht erkältet. Das erklärt das Tempo. Aber viel reden geht nicht. Die Luft brauche ich zum Laufen. Sie wird die nächsten km immer ein paar Meter vor mir laufen. Die erste Getränkestation lasse ich aus. Die Temperaturen sind, bei inzwischen nur noch leichtem Regen, ideal. Wasser von innen wird heute nicht das Problem werden. Das erste km Schild erspähe ich bei km 4. Die Uhr zeigt 18:03! Prima.
Mein linkes Schienbein muckt ein bißchen. Aber das stört nicht weiter. An den Wechselstationen der Schülerstaffeln ist richtig was los: Kinder samt Eltern und Omas und Opas und Fanclubs. Super Stimmung. Muss man echt aufpassen, nicht zu überziehen. Ich klatsche viele Kinderhände ab. Mir geht 's richtig gut. Es läuft.
Mitrennen:
Das Tempo fühlt sich genau richtig an. Zügig, fordend, aber trotzdem gut zu laufen. Die Zipperleinstellen melden sich nicht. Atmung gleichmäßig. Beine arbeiten wie ein Uhrwerk. Das kann was werden. Die Extra-Meter aus dem letzten Jahr fallen in diesem Jahr aus. So kann 's weiter gehen. Ich bin weiterhin hochkonzentriert unterwegs und kann trotzdem die Stimmung genießen. Laufen fühlt sich toll an.
km 5, der langweiligste Abschnitt. Durch ein Industriegebiet. Kaum Leute. Aber irgendwie meditativ. Man kann sich schön auf 's Laufen konzentrieren. Vokuhila. (Vorne kurz, hinten lang). Immer wieder habe ich mir das im Training gesagt. Bilde mir ein, dass es hilft.
In Mombach, wie in jedem Jahr, eine tolle Stimmung.
Dann wieder ein öderer Teil unter einer Hochbrücke. Aber hier ist wieder eine Schülerstaffel-Wechselstelle mit entsprechender Stimmung.
Ich versuche immer die Ideallinie zu treffen. Blaue Linie fest im Blick. Manchmal geht 's aber noch besser. Nein, nicht durch die Botanik. Aber die Kurven lassen sich noch enger laufen.
Die nächste Wasserstelle nehme ich mit. Bei diesem Tempo zu trinken, ist wirklich nicht einfach. Ich laufe im gleichen Tempo durch. Ein bißchen was findet den Weg rein. Das meiste landet auf dem Shirt. Egal. Viel Wasser werde ich nicht brauchen und schön warm ist mir mittlerweile auch.
In der Neustadt wieder ein paar Leute, aber hier war schon mal mehr los. Das Wetter ist zwar zum Laufen ideal, aber zum Zuschauen eher, nun ja. Schön ist anders. Aber ich bewundere all die, die trotz allem an der Strecke ausharren und anfeuern und Lärm machen.
Hier kenne ich mich aus. 15 Jahre habe ich in Mainz gelebt. Die Stadt und die Menschen sind mir echt ans Herz gewachsen. Mir geht 's immer noch richtig gut. Keine Quälerei. Anstrengend, aber irgendwie genau richtig. Heute geht was.
rumrennen:
Km 10 in 44:53. Besser geht 's ja kaum. Voll im Soll und mir geht 's immer noch gut. Wahrscheinlich habe ich die ganze Zeit ein Dauergrinsen, zumindest gefühlt, im Gesicht. Aber Vorsicht! Nicht zu früh freuen. Gerade mal die Hälfte rum.
Links um die Ecke. Dann kommt ein schnurgerades Stück, ehe es wieder links rum geht. Also bleibe ich schön brav links. Im Gegensatz zu 90 % der Läufer. Bestimmt 3 Meter gespart.
In der Kaiserstraße das gleiche Bild: Alle ziehen nach rechts rüber. Eigentlich logisch, da es um die Christuskirche rechts rum weitergeht. Aber die Straße macht vorher noch einen kleinen Knick nach links. Ich habe auf der linken Seite also die gerade Linie. Eine Art "Heimvorteil". Ein bißchen Wind kommt auf. Aber so wenig, dass ich keine Veranlassung sehe, mich rechts in den Pulk einzusortieren.
raufrennen:
Nächste Wasserstelle lasse ich wieder aus.
Jetzt geht 's Richtung Innenstadt und Stimmungsnest. Aber ein (für mich) ganz fieses Stück steht gleich an: Große Langgasse. Da gibt es eine Steigung. Man fühlt sie mehr, als dass man sie sieht. Das ist das Gemeine. Der Lauf wird plötzlich anstrengender und man fragt sich, warum. Dann wieder links rum und auf der Ludwigstraße tobt echt der Bär. Musik, Zuschauertrauben, die einen Mordslärm veranstalten. Dann geht 's in die Altstadt. Vor diesem Kopfsteinpflasterabschnitt hatte ich ein bißchen Schiss. Auf diesem Pflaster rutscht man schon mir normalen Schuhen, wenn 's nass ist. Und ich hatte heute die Racer an den Füßen und nass war 's. Also vorsichtig den ersten Fuß auf 's Pflaster: und: super. Nix rutscht. Alles hält. Also Vollgas durch die Gass. Zuschauerspalier. Gänsehaut. Hier geht es leicht (ebenso unmerklich und unsichtbar wie vorher bergauf) bergab. Erholung. Tempo. Alles geht leichter. Und das, obwohl die Beine ein bißchen schwerer werden.
nebenherrennen:
Dann die lange (bei vielen ungeliebte) Schleife nach Weisenau.
Ich mag das ganz gerne. Da kann man Läufer gucken, die schon weiter sind, lenkt ein bißchen ab. Außerdem sind an diesem Abschnitt echt viele Zuschauer an der Strecke, die einen lautstark unterstützen. Hier hat sich auch mein persönlicher Support aufgestellt. Ein alter Freund, der heute einige Läufer unterstützen will und sich vorgenommen hat, immer ein kleines Stück mitzulaufen. Er ist von weitem schon gut an knallgelber Regenjacke zu erkennen.
Er rennt tatsächlich ein kurzes Stück mit und schreit mich ordentlich an. An ihm ist echt ein Trainer verloren gegangen. Ich habe gerade noch genug Luft um ihm mitzuteilen, dass ich mich noch ganz prima fühle und optimistisch bin, die angepeilte Zeit zu schaffen. Zu dieser Zeit bin ich wieder auf die Forumsläuferin aufgelaufen.
Wenig später ist sie hinter mir und hat offensichtlich schwer zu kämpfen. Ich versuche noch, sie anzufeuern, aber das kriegt sie, glaube ich, nicht mehr mit.
km 15 in 1:07:19. Liege perfekt in der Zeit. Langsam wird 's schwerer, das Tempo zu halten. Richtiger Moment also, um noch ein bißchen was draufzupacken. "Nur" noch 6 km bis ins Ziel. Das geht. Das Kämpfen geht jetzt richtig los. Jetzt muss ich ein bißchen drücken, aber das Tempo passt weiterhin sehr gut.
zurückrennen:
Wendepunkt bei km 17 kommahaumichblau. Wendepunkte sind blöd. Vor allem so spät im Rennen. Die Beine brennen, können gerade so die Pace halten und dann soll man um einen Poller rum. Abbremsen, scharfe Kurve, beschleunigen. Aua. Auch das ist geschafft. Jetzt ist es nicht mehr weit. Habe mal wieder ein km Schild übersehen. Und die nächsten sind auch nicht dazu angetan, mich in Sicherheit zu wiegen. Bei km 18 wird eine 4:37 auf der Uhr angezeigt. Bin ich kaputt, fertig? Dabei bin ich gefühlt überhaupt nicht langsamer geworden. Geht 's jetzt doch noch schief? Mein persönlicher Supporter, der die Seite gewechselt hat und mich ein zweites Mal anfeuert, beruhigt mich. "Liegst gut in der Zeit!" Ich freue mich und wetze weiter. Noch 2 km und noch über 9 min Zeit. Das muss doch reichen.
Was mir da nicht auffällt - bin wohl zu kaputt, um das zu kapieren - ist: der Supporter kann gar nicht wissen, wie ich in der Zeit liege. Er weiß doch meine genaue Startzeit gar nicht. Und, dass es von km 19 noch 2 km und noch knappe 100m bis ins Ziel sind, rechnet mein Hirn auch nicht mehr.
Als ich dann km 20 von Hand abdrücke (4:07) dämmert mir, dass die km vorher wohl ein bißchen lang und dieser hier ein bißchen kurz geraten sein könnten. Zeit: 1:29:27. Kann ich mir für den letzten km 5:30 min Zeit lassen. Das hab ich im Sack! Yess! (Ihr seht, die fehlenden 100m ignoriert mein Hirn immer noch)
Der Sieg!
schlussrennen:
Werde natürlich jetzt nicht nachlassen, sondern einen ordentlichen Endspurt hinlegen. Laufen ist jetzt richtig schwer. Aber so muss das sein gegen Ende eines Wettkampfs. Ein paar Läufer kann ich noch einsammeln. Von anderen werde ich eingesammelt. Aber schneller geht nun wirklich nicht mehr.
Völlig ausgepumpt erreiche ich die Ziellinie. Bei den Champion-Chip Matten weiß ich nie, zählt die erste oder die zweite. Sicherheitshalber laufe ich über beide noch im Tempo drüber. Ein paar Meter zum Austrudeln um ein Umfallen zu verhindern. Dann lasse ich mir freudestrahlend die Medaille umhängen.
JAAAAA:
Ich habe die Schallmauer 1:35 durchbrochen!!!
1:34:xx steht auf der Uhr. Ich habe sogar ans Uhrstoppen gedacht. Obwohl, gedacht eher nicht. Scheint so langsam doch ein Reflex zu werden.
Im Ziel treffe ich noch ein paar ebenfalls erfolgreiche und zufriedene Foris.
Nachdem ich mich trockengelegt habe (war so nass schon superkalt) will ich meine Freude noch mit anderen teilen. Begebe mich also an die Strecke und schreie noch diverse Marathonis ins Ziel, ehe ich mich müde, glücklich und zufrieden wieder auf den Heimweg mache.
Und träume auf der Rückfahrt schon von der nächsten Schallmauer: In 5 Jahren könnte doch vielleicht die sub 1:30 ... ???? Einmal im Leben?!
Töffes
Angriff auf die Schallmauer - HM in Mainz
1"Wer keine Zweifel hat, ist schlicht verrückt." (Peter Ustinov)