Frau in Blau.
Großeinkauf. Notgedrungener Konsumwahn. Es muss sein. Ich habe es seit Wochen aufgeschoben, aber inzwischen muss ich schon die Salzkrümel mühsam aus dem Streuer puhlen. Wenn solche Einkaufsmengen anfallen muss es der Discounter sein. Das selbe nebenan im Marktkauf, den ich weiterhin „dixi“ nenne, und ich bin ein Monatseinkommen los. Und meine Freiheit. Vermutlich würde ich der unschuldigen Kassiererin den Hals umdrehen, in dem Moment an dem der Gesamtbetrag im Display der Kasse erscheint. Ich würde sie eine billige Schlampe nennen, Drecksmatz, und ihr unterstellen sie würde mir das wegnehmen wollen, wovon ich eh schon am Wenigsten habe. Deswegen Aldi.
Aldi fahren ist abtauchen in eine andere Welt. Aldi ist Abstieg, Aldi ist Muss, Aldi ist Treffpunkt. Aldi ist alles. Und nichts. Ich muss mich zwischen zwei Toastsorten entscheiden und habe doch keine Ahnung worin der Unterschied besteht. Den Ausschlag geben dann wohl die Farben der Verpackung.
Tomaten. Mozarella. Feta. Käse. Wer soll das alles essen?
Was ist bei Aldi der Unterschied zwischen Freilandeiern und Bioeiern? Sind letztere von gesunden Hühnern die in garantiert Tropenholz- und Elektromagnetstrahlenfreien, aber dennoch viel zu kleinen Ställen ausgeworfen werden?
Äpfel. Bananen. Salat. Pizzakäse.
Die Edeltraud. Vom TSV. Vielleicht die Schönste vom TSV. Und nun auch noch die Schnellste. Zumindest letzte Woche beim Stadtlauf. Nein, ich war heute auch nicht in Pfaffenhofen beim Stadtlauf. 18 EUR für nen 11km-Lauf, das is Piraterie. Heute solls ein Fernseher werden wenn ich das richtig mitbekommen habe, für die Tochter. Hat die schon so große Kinder? Wow. Viel zu attraktiv für ihr Alter, diese Frau. Und schneller als ich. Viel schneller.
Salami. Schinken. Fisch. Pommes
Heute habe ich gelernt: wenn die Frau in Blau die Kasse verlässt, läuft das Band weiter. „euer Band ist kaputt“ rufe ich ihr zu. Sie klärt mich auf. Man legt also seine Sachen drauf, und sobald die vorne angekommen sind, bleibt es stehen. Respekt. Ich beginne mit der Befüllung des Bandes. Das ist Seelenstriptease vor der Kassiererin. Manchmal glaube ich, nebenan im dixi haben sie ein genaues Profil von mir. Sie wissen dass ich Martini trinke. Keine Erdnussflips mag. Wasser still. Ich kaufe Wiener, aber nie Frankfurter. Rosenkohl auch nie. Tomaten. Wahrscheinlich können sie an der gekauften Menge Kartoffel/Nudel/Tomate/Karotte genau erkennen wenn wieder ein langer WK auf dem Plan steht. Was denken sich die Kassiererinnen? Erkennen sie an der Menge, dass es sich um einen Singlehaushalt handelt? Verabscheut sie , die Frau in Blau, mich nun weil ich doch die Freiland- und nicht die Bioeier gekauft habe?
Pasta. Spagetti. Fusili. Penne. Wieso gibt es Bandnudeln eigentlich nur mit Ei?
Die Lady lässt sich Zeit, und so stürze ich Richtung Ciabatta, fülle schnell die Brote um und habe so einen Karton. Das ist praktisch zum tragen und anschließend ein neuer Altpapierbehälter. Ich drapiere ihn säuberlich in meinen Wagen. Wenn die nun so auch an der Kasse eine altersuntypische Behäbigkeit an den Tag legt, dann könnte ich es schaffen... Saft, Saft, Milch, Tomaten...ich habe ein genaues System wie ich meine Artikel auf das Band lege, so dass ich dann meine Tasche - heute den Karton - optimal befüllen kann. Frauen verstehen das nicht, aber ich bin da exakt. Vielleicht war ich in einem früheren Leben mal Lagerarbeiter?
Das Duschgel, jetzt der Käse, der Schin..da kommt schon die Butter und gleich drauf der Camenbert, und dann...verloren. Natürlich war sie wieder schneller als ich. „Ich hatte gehofft ich könnte heute mithalten. „Wahrscheinlich werdet ihr abgemahnt, wenn ein Kunde es schafft seinen Wagen so schnell einzuräumen wie ihr scannt“ raunze ich ihr zu. Sie anerkennt meine Unterwerfung und schenkt mir ein Lächeln.
43,12 EUR. Ich öffne den schmalen Geldbeutel, zerre einen 50er raus. 3 Euro, 12 Cent, mal sehen, ich hasse Kleingeld weil es die Tasche ausbeult. Wie die Schaufel eines Baggers fährt meine Hand in das Kleingeldbehältnis. Schon beim rausnehmen sortiere ich mittels kreisender und ruckartiger Bewegungen das Geld auseinander. Ich öffne die Handfläche, und wie ein Schachspieler mustere ich den Geldregen. „Moment“ schallt es aus der Frau in Blau, und mit kurzen, geschickten Griffen und Fingebewegungen entzaubert sie meiner Handfläche etwas Geld. Für einen kurzen Moment weiß ich nicht ob ich Staunen oder doch besser empört sein soll. Das letzte Mal, als mir eine Frau so dreist Geld weggenommen hat, wurde ich am nächsten Tag von ihr verlassen (*). Sie ist anders. Wedelt mir lächelnd einen 10er entgegen und legt mir einen Euro in die immer noch still ausharrende Hand.
Ich schüttle den Kopf, bringe mein Geld in Sicherheit. „Sie haben mir eben das Gefühl gegeben, unendlich alt zu sein, wissen Sie das?“. Sie strahlt immer noch. Aber schon die nächste Kundin in der Warteschlange an.
Aldi ist unheimlich. Ich glaube, ich gehe da nicht mehr hin.
Ach ja. Was hat das mit LA zu tun, fragt ihr euch. Naja, beim Streifzug durch die unendlichen Restposten bin ich auf Laufklamotten gestoßen. Hose. Lang. 4,99. Schnäppchen. Mitgenommen. Macht euch keine Gedanken ob sie was taugt, bitte...
(*) Aus rechtlichen Gründen darf ich nicht vergessen zu erwähnen, dass es sich dabei nicht um eine euch bekannte ehemalige Lebensabschnittsgefährtin, die mich für krank hält, handelte.
Aus der Reihe" Besondere Momente" : Die Frau in Blau
1Wie viele Dinge gibt es doch, die ich nicht brauche!
Diogenes von Sinope
Diogenes von Sinope
Dem Speed Badminton verfallen...da muss man auch viel laufen!