Tach, werte Gemeinde,
andere Kinder freuen sich auf Weihnachten, das Kind in mir freute sich seit etlichen Monaten auf Silvester. Noch nie in meiner jetzt ins 8. Jahr gehenden Laufkarriere hatte ich mich zur Teilnahme an einem Silvester-Lauf durchgerungen. Meist sind diese recht spät am Tag, was meinem Biorhythmus sehr entgegen kommt, aber es bleibt wenig Zeit zur Erholung, und man will ja an dem Abend noch länger wach bleiben.
Eisenfuss, Veranstalter in Lilienthal, weiss wie Läufer ticken. Der Start seines Silvester-Marathons war um 10 Uhr.
Freitag morgen dann der Anruf, ob ich nicht Lust hätte, zusammen mit anderen langsamen schon um 8 Uhr zu starten? Was für ein Service! Super, oder wann seid ihr schon mal diesbezgl. von einem Organisator angesprochen worden? Klasse.
Der Nachteil: Um 8 Starten heißt um 5 Uhr früh was gegessen haben.
Und davor ein wenig Yoga. Logisch also, dass um 4:42 der Wecker klingelt.
Um 8 isses zu alledem auch noch saukalt. Eisenfuss ringt mir das Versprechen ab, die erste Runde schön bei Sigrid Eichner (ungefährdeter Sieg in der AK W65) zu bleiben, damit ich mich diesmal nicht verlaufe. Prima Idee, dann verausgabe ich mich auch anfangs nicht. Immer wieder erzähle ich mir, das ist heute eine Schulung des Willens.
Es ist so saukalt, dass die großzügig aufgetragene Fettcreme nix hilft, so nach 10 km habe ich das Gefühl, mir friert gleich die Hand ab. Wieviel so eine Hand bloß wiegt? Ob ich dann so viel leichter bin, dass ich mit derselben Anstrengung früher im Ziel...
Saudoofer Gedanke! Was mache ich hier eigentlich? Ich lasse mich fotographieren. Wenigstens etwas, was gelingt.
Jeder Marathon, mache ich mir weis, ist eine gemachte Erfahrung, die mir helfen kann, auf dem Weg zu EINEM richtig ordentlichen. Es ist immer noch saukalt, und links und rechts der Strecke nur WEISS, ich muss mich konzentrieren, nicht in einen Wassergraben zu torkeln.
Während einer Hockpause im Schnee hat Sigrid mich überholt, und nach und nach überholen mich jetzt auch alle anderen. Bis auf Uli und Winfried. Wo bleiben die? Mich sorgend vergesse ich mein eigenes Tempo, die HM-Marke ist somit erst nach 3:04 erreicht.
Immerhin fühle ich mich fantastisch, denke mir, vielleicht läuft Uli nur den 10er oder verdingt sich als Helfer, jetzt gib mal Gas, ungefähr zwei km lang geniesse ich gleichzeitig Rückenwind und das Gefühl, mit Puls 155-160 scheinbar ewig laufen zu können. Ha! Geizkragen, du könntest danach sogar heimlaufen, das wär doch was!
Horst Preissler, der mir angelegentlich meines letzten Ausstiegs hier, kurz vor Weihnachten, den Rat gegeben hat, auf die Zeit zu scheissen, einen Marathon könne man stets zu Ende marschieren, verspreche ich, diesmal zu finishen.
Kumpel Jens überholt mal wieder, er trägt kurze Hosen, dazu wie immer Handschuhe. Mir ist immer noch frisch, aus dem Schnee wurde teils Glatteis. Das ist heute eine Schulung des Willens. Diesmal ohne Hintergedanken, einfach nur als Mantra.
Sah Sigrid (Die Königin des Marathons nennt die Wümme-Zeitung sie) mit ihrem verletzten Bein stilistisch schon aus wie ein angeschossenes Reh, wirke ich gewiß wie ein besoffenes Mammut. Mit meinem Krampf. Wieso ein Krampf? Normal habe ich davon mehrere, irgendwo zwischen km 30 und 40. Aber nun isses einer, und der haut bei km 23 rein. Gehpause. Aua, sogar Gehen ist kein Spass.
Doping-Gegner mögen die nächsten Sätze bitte geflissentlich überlesen.
Der Reihe nach eilen ein Streckenposten und (okay, bei einer Zeit von 5:30 klingt eilen irgendwie unangemessen, aber die waren recht kurz nach dem Krampf da) Uli, Marathonne und Winnie herbei. Der Hund wirft mich beinah um vor Freude, Uli entnimmt den Weiten seiner 100Marathonclub-Kluft ein Medikament, welches er großzügig auf mir appliziert.
Es wirkt nicht sofort, deshalb laufen die beiden weiter, ich gebe meiner Verwunderung lautstark Ausdruck "Was du alles dabei hast-unglaublich!"
Von etlichen, die mich überholen, höre ich Variationen des Spruchs "Gehen, bis es wieder läuft". Und das mache ich. Wieder am Start & Ziel-Sportplatz, benutze ich das Häsl und horche in mich rein.
"Du bleibst jetzt so lange hier drauf, bis nix mehr weh tut. Nee, das wäre unfair gegenüber denen, die schon fertig sind, und sich seit Kilometer 36
auf ein Klo freuen." (Da war die letzte unbeobachtete Möglichkeit).
Ganz langsam weiter, und plötzlich läuft es wieder, ich habe Angst, dass der Krampf wiederkommt, oder sich gar Verstärkung geholt hat, bleibe im Bereich von unter 150 Puls. Die Schleuse, letzte Station mit warmem Tee.
Spaziergänger, die aus der anderen Richtung kamen, und dem medialen Trommelfeuer entgangen waren, werden von einem Helfer aufgeklärt, dass der Tee für Marathonis sei.
"Und warum darf der?"-deutet die Dame auf mich. Ich zeige die Startnummer. "Oh, pardon, Marathonläufer hatte ich mir immer anders vorgestellt". Alle lachen.
"Sie sehen so unangestrengt, unausbelastet aus, das macht glatt Mut, es auch einmal zu probieren." -Na, danke.
Wenigstens für etwas war das also gut.
Die letzten ca. 7 km verflogen in 40 min. Endzeit war dann 7:07:49.
Kann mir bitte das nächste mal eine solche Passantin früher begegnen?
PS: Dem folgte ein nettes Kaffepläuschen mit Sumo, und am Abend durfte ich Pingufreundins erstem Marathon beiwohnen, aber das soll se man schön selber vertellen...
Das weiße Rauschen Oder Am Ufer des Rio Wümme sass ich und weinte
1Liebe Grüsse von Gregor (Bremen)
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