Einen Bericht wollte ich schreiben, der die Emotionen wiederspiegelt, die einen überkommen, wenn man das erste Mal in einer so tollen Stadt ist... wenn man Leute trifft, mit denen man viel und oft kommuniziert, aber die man noch nie gesehen hat. Oder bereits Bekannte, auf die man sich schon so sehr freute. Über die Emotionen im Startblock, das Loslaufen auf den ersten Metern, das Auf und Ab der Gefühle auf der Strecke, die fantastischen Zuschauer und das Gefühl, es nach manchem Selbstzweifel dann doch geschafft zu haben. Über die Ziellinie zu schweben, den Tränen freien Lauf zu lassen, Stolz die Medaille und das Finishershirt tragend die Treppen hinab zu wanken....
Und nun, nun sind bereits 3 Tage seit diesem gigantischen Erlebnis vergangen, und mein Kopf ist leer. Ich weiß nicht, was ich schreiben soll. Da sind nur Gedankenfetzen, die sich eingebrannt haben und wieder und wieder in den Erinnerungen auftauchen. Aber sie ergeben nichts Konkretes, nichts Greifbares. Ich wollte alles aufsaugen von dieser Stadt, Hamburg mit allen Fassetten genießen. Und da war dieser Marathon, der mein schwerster war, bisher. SarahBoo und Highopie im Startblock, creative-colours und schließlich auch noch Haarmänneken, dem ich hiermit ganz herzlich zum heutigen Geburtstag gratuliere.
Die Nationalhymne, die unter die Haut ging, welch großartiges Gefühl. Der singt das da nur für uns. Und dann endlich geht’s los, mein Marathon Nummer 6. Ich finde lange Zeit mein Tempo nicht, das liegt zum Teil an den Massen, zum Teil an mir. Da ich etwas eingebüßt habe, muß ich nun versuchen, sanft aufzuholen, ohne mich kaput zu machen. Irgendwann läuft es dann, Sarah ist an meiner Seite. Wir reden nicht viel, aber das liegt an mir. Ich konzentriere mich auf die Durchgangszeiten. Irgendwie ist das blöd. Marathonlaufen sollte doch schön sein.
Endlich, ein dezenter Hauch von Fisch liegt in der Luft. Ah ja, Fischmarkt, Landungsbrücken... hier steppt der Bär, das ist Hamburg, das ist genial. Einen Augenblick genieße ich die Stimmung und lass mich tragen von ihr, das Tempo tut endlich nicht mehr weh, ich habe mich langsam warmgelaufen. Nun muß ich nicht mehr ständig auf dem Garmin kontrollieren, das Gefühl ist endlich da. Knapp 40 sec habe ich herausgelaufen und das ist auch Absicht. Würde ich sie doch am Ende dankbar einlösen können.
Beim Getränkestand an Kilometer 15 verliere ich meine liebe Begleitung, ich schaue nach vorn, lasse mich etwas zurückfallen, aber ich kann Sarah nicht erblicken. Das finde ich schade, aber ich war ihr wohl auch zu maulfaul, irgendwie. Und da kommt mir unwillkürlich diese Melodie in den Sinn:
In Höhen und in Tiefen, auf manchem verschlung‘nen Pfad
Fand ich gute Gefährten und fand ich guten Rat.
Doch je teurer der Gefährte, desto bitterer der Schluß,
Daß ich den letzten Schritt des Wegs allein gehen muß.
Bei Kilometer 17 überkommt mich zum ersten Mal eine Lustlosigkeit, welche ich so noch nicht kannte. Ich habe einfach keine Lust mehr, auf dieses Tempo. Ich möchte gern genießen. Aber ich bin zu ehrgeizig, mich dieser Versuchung hinzugeben. Also beiß ich mich durch. Es geht ja auch ordentlich voran, die Halbmarathonmarke habe ich mit 1:44:13 planmäßig im Sack, und auf den folgenden Kilometern gelingt es mir sogar, meine Laune etwas aufzupeppen und auch das Tempo noch einmal anzuziehen, ohne das es wehtut. Die Hamburger sind Klasse. Ständig feuern sie die Läufer persönlich an, Saxophonspieler, Dudelsackorchester, Trompetensolo, Spielmannszug. Das alles nehme ich wahr, ohne daß es in mir jedoch Emotionen auslöst. Was ist mit mir, ich habe einfach keine Lust mehr. Mir tut nichts weh, ok, die Muskeln in den Beinen merke ich nun schon, aber es sind ja auch nicht mal mehr 10 Kilometer. Und das Tempo ist hoch.
Wieder ein Getränkestand. Mir ist warm, obwohl die Temperaturen im erträglichen Bereich liegen. Eigentlich ist das MEIN Wetter. An den Schwamm-Wannen tauche ich jedes Mal mein Basecap ein, und jedes Mal überkommt mich der Wunsch, den ganzen Kopf da reinzustecken. Das kalte Wasser ist angenehm. Aber die Tücke dieser vielen Getränkestände ist eben auch, daß ich immer öfter zum Trinken kurz stehen bleibe, dabei meine Zeit auf der Zeittabelle kontrolliere und nicht merke, daß ich dabei immer mehr Zeit vertrödle.
Ich habe keine Lust, wieder anzulaufen, wieder in das hohe Tempo einzusteigen. Es sind nur Sekunden, die ich gehe, aber mein Zeitpolster war so rießig nicht. Bei Kilometer 35 liege ich knapp eine Minute zur Zielzeit zurück, unmöglich in meiner Verfassung, das wieder aufzuholen. Ich möchte gehen, möchte mich auf eine Bank setzen und heulen. Wer hat gesagt, daß Marathonlaufen Spaß macht? Doof ist das. Echt doof. Na los, zückt doch euer „Heul doch“- Schild! Warum kommt denn hier keines? Dann hätte ich ich einen Grund. Ich würde Euch den Gefallen tun.
Und wieder düdelt das Lied in mir...
...
Und ich fühlte mich gefangen, so wie ein Insekt im Sand:
Je mehr es krabbelt, desto weiter rückt der Kraterrand.
...
Mitten in meinem jämmerlichen Zustand bemerke ich, daß mein Garmin auch noch ausgefallen ist. Nicht genug damit, daß ich Mühe habe, das Tempo unter Kontrolle zu halten, nun fehlt mir auch noch mein Kontrollinstrument. Ich kann doch nicht nach Gefühl laufen, jetzt doch nicht mehr, nach 36 Kilometern.... Heulen will ich, abbrechen, was für ein Scheißlauf...
Und während ich mich selbst bemitleide, kommt es wieder, dieses Stechen in der Brust, wie üblich, kein Grund zur Sorge... das muß Kilometer 37 oder so sein. Tatsächlich, na dann sind es ja nur noch .... Ich nehme die Finger zu Hilfe... ja, 5 lumpige Kilometer, die ich wie in Trance laufe, zwar doch etwas langsamer, aber es geht ja auch nochmal leicht bergauf...
Dann ist das Ziel ganz nahe, ich sehe, wie einer geht und ein anderer ihn ermutigt, wieder loszulaufen. Der Angespornte bedankt sich mit einem Schulterklopfen – nette Geste, denke ich... da sehe ich erst, wem dieser Dank gilt... Hans Werner (Haarmänneken), wir bemerken uns, er versucht ein Gespräch mit mir, ich mag aber nicht und sage ihm, daß ich keine Lust mehr habe (sorry)... und dann ist er auch schon auf und davon, die letzten Meter im Sprint zum Ziel...
Ich hingegen möchte jetzt nur noch genießen. In mir singt es:
Allein,
Wir sind allein,
Wir kommen und wir gehen ganz allein.
Wir mögen noch so sehr geliebt, von Zuneigung umgeben sein:
Die Kreuzwege des Lebens geh‘n wir immer ganz allein.
Das, was mir 42 Kilometer nicht gelungen ist, möchte ich jetzt endlich erhaschen. Und so nehme ich das Tempo heraus die Straße wird einem Laufsteg gleich und ich schlendere förmlich dem Ziel entgegen. Nichts, was mich treibt,ich habe alle Zeit der Welt und das Ergebnis wird fantastisch sein, egal, ob ich jetzt einen Spurt mache oder nicht. Ich will jetzt mein Recht, ich will jetzt genießen. Ich fordere es mir ein, nach einem wirklich harten Lauf, das ist jetzt mein Moment, das ist der Zieleinlauf, den ich bisher von allen meinen Marathons am intensivsten erlebt habe. Unheimlich glücklich stoppe ich meine Uhr nach 03:32:51, Hans-Werner klatscht mich ab, dann verlieren wir uns im Medaillengewirr irgendwie, aber da stehen auch schon oLi und welf, wir fallen uns in die Arme, welch toller Moment, die Freude mit lieben Menschen teilen zu können.
Und nun, nun ist doch noch ein Bericht daraus geworden, somit konnte ich auch für michdiesen Marathon noch einmal Revue passieren lassen. Mein Kopf füllt sich langsam mit Erinnerungen und Gedanken, und auch der Muskelkater, dieser Wahnsinns-Muskelkater, läßt langsam etwas nach... Und Lust aufs Laufen hab ich sowieso schon wieder... Na ja, dann also bis zum nächsten Mal!
Die Liedzeilen stammen aus dem Lied „Allein“ von Reinhard Mey
Und hier noch etwas für die Liebhaber von Zahlen und Fakten:
Platz nach Einlauf: 3774
Platz nach Geschlecht: 233 von 3208
Platz in der AK W40: 57 von 738
Nettozeit:
3:32:51
Bruttozeit:
3:35:25
Halb1: 1:44:13 Halb2: 1:48:37
5km: 0:25:06
10km: 0:49:24 (00:24:18)
15km: 1:13:48 (00:24:24)
20km: 1:38:48 (00:25:00)
25km: 2:03:40 (00:24:52)
30km: 2:28:59 (00:25:19)
35km: 2:54:50 (00:25:51)
40km: 3:21:17 (00:26:27)
Auf der Suche nach dem "Heul doch Schild" - mein Hamburg 2007
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Entscheide Dich. Und wenn Du Dich entschieden hast,
vernichte die Alternativen.