Ich liebe Thüringen, das Land und die Menschen. Ihren Dialekt und die Klöße. Ich liebe den Rennsteiglauf im Jetzt und Hier, Saalfeld, den Ort wo mein Mann als Kind zu Hause war und in dessen Elternhaus sich auch meine Kinder wohlfühlen.
Und dann gibt es einen Teil von Thüringen, der in meiner Erinnerung lebt, fest eingeschlossen in meinen Gedanken kommt er nur selten zum Vorschein. Kinder- und auch später Jugendzeit habe ich hier verlebt, die erste große Liebe, die Großeltern. Suhl, diese Stadt habe ich immer schon geliebt. Heute nun kehre ich zum ersten Mal seit vielen Jahren zurück an diese Orte, die nie meine Heimat waren, an denen ich mich aber immer irgendwie zu Hause fühlte.
Merkwürdig ist das, alles ist vertraut wie vor 20 Jahren, seit ich zum letzten Mal hier war. Es ist, als wäre ich nie weg gewesen...
...dachte ich zumindest, bis ich feststellen musste, daß jemand Berge auf den Rennsteig gebracht hat . Die waren im letzten Jahr noch nicht da, Tati weiß das, sie ist mit mir über den Rennsteig gefeiert und weil das alles nur Spaß war, hat sie sie sich sogar für den Supermarathon angemeldet, dieses Jahr.
Und ich? Nein, ich trau mich nicht... aber ich würde schon gern... wissen, wie sich das anfühlt... so weit zu laufen... nein, das ist verrückt... würde Tati mir doch eine PM schicken... mich fragen, ob ich nicht... oder anrufen... ich würde sofort... nein, ich trau mich das nicht... aber wenn sie fragt...
Sie fragt nicht und ich bin erleichtert, als ich meine Startunterlagen aus Neuhaus hole. Schließlich habe ich noch den voll gelaufenen Hamburg-Marathon von vor 3 Wochen in den Knochen, welcher mir über eine ganze Woche einen höllischen Muskelkater beschehrte, wie ich ihn nie zuvor erlebt habe. Es folgte der RunBerlin mit seinen 25 Kilometern und am Wochenende vor dem Rennsteig noch der Frauenlauf in Berlin. So ist es wohl besser, lieber etwas Spaß zu haben und zu genießen, auch wenn ich schon wieder ehrgeizig auf die Sub4 schiele.
Wolfgang (elcorredor) ging das genau so und so beschlossen wir zu meiner Freude: Spaß wollen wir und wenn wir Sub4 dazu gratis bekommen können, nehmen wir das natürlich dankend als Zugabe.
Es ist Samstag kurz vor 9 Uhr, wir stehen schunkelnd und singend am Start, der Hubschrauber kreist am strahlend blauen Himmel – es verspricht ein Bilderbuchwetter zu werden. Ich freu mich auf den Lauf, die Landschaft, ich freu mich auf die Begleitung von Wolfgang und überhaupt. Meine Marschtabelle vom Vorjahr ist noch gültig, denn sie hatte eine Zeitspanne von 4:30 bis 3:59 und im letzten Jahr bin ich mit Tati bei 4:25 ins Ziel gejubelt.
Und auch diesmal macht es richtig Spaß , die Aussicht ist phantastisch, das Tempo angenehm, bergauf ist es anstrengend, bergab ein Freudenfeuer...Wir sind ein gutes Team, Wolfgang und ich, ein paar Minuten haben wir Vorsprung auf die Tabelle, manchmal nehmen wir ein bischen Tempo heraus, aber das fällt eigentlich schwer, da es wirklich so richtig gut läuft...
An Kilometer 20 haben wir bereits 5 Minuten Vorsprung zur Zielzeit, und es macht immer noch wahnsinnig Spaß, auch auf dem Abstieg zur Schwalbenhauptwiese, diesem langen, langen schmalen Hohlweg. Im letzten Jahr haben wir hier Schlange gestanden, diese Mal sind wir etwas weiter vorn und es geht etwas flüssiger voran. Dennoch kostet der Abstieg im Gänsemarsch zwei Minuten unseres kostbaren Vorsprungs. Aber wir sind auf dem Rennsteig und nicht in Hamburg oder Berlin, also haben wir einfach Spaß, genießen die Landschaft und das Gefühl, so richtig gut drauf zu sein...
...bis irgend jemand besagte Berge in den Weg gestellt hat! Richtige Berge . Keine Hügel, wie ich sie aus meiner Gegend kenne. Wie ich sie aber vielleicht einmal hätte trainieren sollen, in den vergangenen Wochen und Monaten. Hätte ich das gewußt, daß der Rennsteig Berge hat... ja dann hätt ich...
Manchmal wird es so steil, daß wir gehen, da laufen auch nicht effektiver ist. Ich weiß noch, wie ich mir im letzten Jahr die Seele aus dem Leib gerannt bin und Tati hinter mir herging. Sie war auch nicht langsamer. Deshalb zogen wir gleich die Notbremse, das war auch nicht das Problem. Das Problem war immer nur das Anlaufen danach. Und das fiel mit den Kilometern immer schwerer und Wolfgang drückte bildlich aus, was auch ich fühlte: Ich kann den „An-Knopf“ so schwer finden. Langsam wurde es auch richtig heiß, ich war definitiv zu warm angezogen. Hatte ich doch immer noch vom letzten Jahr im Kopf, wie sehr ich gefroren habe, auf dem „Weg auf den Höh´n“ Deshalb hatte ich mich für Kniehose und Shirt entschieden. Das war aber an diesem Sommertag definitiv die falsche Entscheidung. Aber nun nicht mehr zu ändern. Weiter also über Stock und Stein, auf und ab durch den schönen Thüringer Wald, aber das ungewohnte Berglaufen macht sich, wie auch bereits im Vorjahr, muskulär bemerkbar, ich kenne das mittlerweile, wenn sich ein Krampf ankündigen will. Aber diesmal bin ich schlauer, ich Rennsteigprofi , diesmal wird Kalle Wadenkrampf mit Salz begossen... und verschwindet. Nun muß ich aber sehr sensibel auf diesen Kameraden achten, deshalb bin ich überhaupt nicht traurig, daß Wolfgang das Tempo etwas herausnimmt, ich wollte schließlich Spaß und keinen Krampf. Und auf Rennsteig-Bestzeitenkurs war ich sowieso immer noch und das mit Vergnügen. Das hat zwar zur Folge, daß wir bis Kilometer 30 weitere zwei Minuten einbüßen, finden es beide aber gar nicht schlimm. Langsam jedoch meldet Wolfgang Dixi-Bedarf an und ich überlege kurz, im Notfall auf ihn zu warten. Aber es sind noch 10 Kilometer bis ins Ziel, da kann auch mir noch viel passieren, wir hatten ausgemacht, zur Not allein weiterzulaufen, und so entscheide ich mich dann am Verpflegungspunkt Dreiherrenstein, wenn auch schweren Herzens, es zu tun.
Leider bin ich von der Sub4 mittlerweile bereits 4 Minuten entfernt, ich hätte jetzt, da es bis auf etwa 2 steile Kilometer fast nur noch bergab geht, noch einmal richtig Druck machen können, aber ich entscheide mich dagegen. Spaß wollt ich doch haben, knüppeln war gestern, kein "Heul doch Schild", das brauch ich heute nicht und Bestzeit wird’s sowieso locker. Also genieße ich es jetzt, allein zu laufen und meine Gedanken und meine Gefühle der letzten Tage noch einmal Revue passieren zu lassen. So ein Marathon ist doch für vieles gut.
Manchmal können wir die Läufer hinter uns einblicken, wenn wir die Serpentine hinablaufen, und so schaue ich immer wieder einmal nach Wolfgangs gelbem Shirt, kann aber leider keines entdecken. Nach dem letzten harten Anstieg am
Frauenwald wartet Gudrun, die ich aber irgendwie fast zu spät entdecke. Schade, das hätte jetzt ein schönes Foto mit Wolfgang gegeben. Na ja, was soll´s, der nächste Verpflegungspunkt, hier gibt es Köstritzer und ich hatte mir eigentlich vorgenommen, mit Wolfgang anzustoßen. Aber so ganz allein hatte ich darauf keine Lust, ich stand sicher eine halbe Minute vor dem Bier und habe überlegt... Man ist wirklich in solchen Momenten manchmal nicht zurechnungsfähig...
Dann bin ich weitergelaufen, ohne das Bier und vielleicht war das auch gut so, denn kurz darauf, bei Kilometer 39 überholte mich ein Läufer und sagte mir, ich hätte einen schönen, sauberen Laufstil . Bei Kilometer 39...!!! Das gab mir die nötige Energie , die Stimmen und die Musik aus dem Stadion waren auch bereits zu hören... was machte das nun für einen Riesenspaß, dem Ziel entgegenzufliegen... welches ich glücklich und zufrieden dann nach 43,5 Kilometern und einer Zeit von 4:08:03 erreichte. Mit dem 11 Platz in meiner Altersklasse und Gesamtplatz 41 hab ich im Vergleich zum Vorjahr sogar nochmal einen Riesensatz gemacht.
Und da ich so Geschichten gehört hab, über den langen Kanten... und da ich auch noch eine Zeittabelle habe, die es noch abzuarbeiten gilt... und da ich auch schon ein seriöses Angebot auf Begleitung bekommen habe (Wolfgang. ), (und viel zu viel Schiß in den Hosen hab...) werde ich nächstes Jahr ganz sicher wieder in Neuhaus den Schneewalzer schunkeln.
Danke für`s Lesen und Wolfgang: Danke für fast 34 km sehr angenehme Begleitung, und wie Du auch selber schreibst: zusammen hätten wir den "AN-Knopf" auch auf den letzten Kilometern sicher immer etwas eher gefunden. Das üben wir noch mal, in 359 Tagen, wenn ich richtig informiert bin
Wer hat die Berge auf den Rennsteig gebracht?
1☼ ☼ ☼
Entscheide Dich. Und wenn Du Dich entschieden hast,
vernichte die Alternativen.