"Ich geh meine eigenen Wege,
ein Ende ist nicht abzusehn.
Eigene Wege sind schwer zu beschreiben,
sie entstehen ja erst beim Gehn."
... plärrt es mir in die Ohren. Na ja, dann geh ich mal, immerhin habe ich über 55 km in den Beinen, bin seit über 6 Stunden unterwegs und es geht bergauf. Bis hierher bin ich also gekommen. Hier hätte ich mit Zeinahme aussteigen können, wenn ich das gewollt hätte. Mein ganzes Gepäck und die Duschen haben hier gewartet. Wenn ich das gewollt hätte. Wenn ich das IMMERNOCH gewollt hätte...ein Ende ist nicht abzusehn.
Eigene Wege sind schwer zu beschreiben,
sie entstehen ja erst beim Gehn."
Es ist noch nicht ganz 5 uhr morgens, als ich in der kleinen Jugendherberge in Eisenach mein Frühstück herunterwürge. Die anderen, die sich um diese Zeit mit mir im Frühstücksraum aufhalten, haben die Ruhe weg. Sehen aber auch irgendwie alle so aus, als ob sie wüssten, worauf sie sich einlassen. Nur ich weiß das nicht und hab die Hosen voll. Aufgeregt sattle ich meinen Rucksack und wandere die 3 km zum Marktplatz. Bin ich wenigstens gleich warm. Ich bin ein wenig überrascht, wie viele Verrückte es doch gibt, die sich den langen Kanten antuen. Die Stimmung hier auf dem Marktplatz in Eisenach ist entspannt, es ist eben anders als beim Start in Neuhaus, wo der Schneewalzer geschunkelt wird. Aber es ist ok, so wie es ist.
Als wir nach dem Startschuss das Tor mit den Matten passieren, dröhnt das Rennsteiglied aus den Boxen und tröstet mich mit einer Gänsehaut über das verpasste Vorstartfeeling hinweg. Locker, fröhlich und vorallem langsam nehme ich die ersten Kilometer unter die Füße. Alle Aufregung ist wie weggeblasen. Jetzt nur noch laufen, laufen soweit es geht und gehen, wenn laufen nicht mehr geht. Rennsteig Eben. Nach nur 1,5 km durch die Stadt geht es auch gleich bergauf. Niemand geht hier, alle sind noch heiß auf`s Laufen. Später wird sogar die Hälfte solch einer Steigung zum alpinen Aufstieg. Aber gut, lauf ich eben auch, will ja nicht als Einzige hier schon gehen und die Kraft ist da. Wie tückisch. Also wenigstens ganz langsam.
Der Hubschrauber mit Kamera ist auf unserer Höhe, als wir den Blick auf Eisenach langsam verlieren und zunächst in die Mischwälder eintauchen. Nach ungefähr 7 Kilometern ist er endlich da, der Rennsteig – vielgelobt, vielbesungen, vielbelaufen. Ich atme durch und freue mich, denn „Diesen Weg auf den Höhn“ werde ich erst verlassen, wenn ich am Ziel bin, dem „Schönsten der Welt“ – in Schmiedefeld. Diesen Weg will ich vorallem mit dem Herzen gehen. Es gibt so viele Gründe dafür, hier, in Thüringen, wo alles ein wenig anders ist.
Als es nach 10 Kilometern anfängt, wie aus Gießkannen zu regnen, freu ich mich ein wenig, denn darauf bin ich vorbereitet. Ich habe mir so einen „Einmalregenponcho“ (ca 10x7 cm) ins Radshirt gesteckt und den Joker spiel ich nun aus. Ich bin richtig glücklich mit dieser Entscheidung, denn soviel Weg liegt noch vor mir und ich bleibe trocken. Perfekt, genauso, wie die Armlinge, die sich auch hier wieder beweisen.
Als wir an der Brotteroder Hütte vorbeilaufen, verschwinden meine Gedanken in der Vergangenheit. Hier in Brotterode hatte mein Opa einen Angelteich. Und mir fällt ein, wie er beim Wort Brotterode der R immer rollte und das konnte auch keiner nachmachen. Gedankenversunken laufe ich weiter, als mein Blick nach links zu einem Felsen schweift. Ein/Zwei Läufer haben sich bereits diesen Abstecher von der Laufstrecke gegönnt, da muß ich auch hoch, ist doch klar. Und werde belohnt, mit einer phantastischen Aussicht. Hier habe ich das Gefühl, über den Wolken zu sein, denn unten im Tal, zwischen den Kronen der Fichten hängen verträumte Wattewölkchen. Nach einem Drittel, d.h. 25 Kilometern und 3 Stunden bergauflaufen bin ich am Inselsberg. Ich gebe zu, ich hatte gehofft, eher dort zu sein, aber ich bin stets in einem Tempo gelaufen, daß mich in keinster Weise anstrengt.
Doch was kurz nach dem Inselsberg auf den Läufer wartet, das ist schon ein bischen gemein. Es geht auf einem Asphaltweg so steil bergab, daß mir Laufen unmöglich scheint. Hinzu kommt die Nässe und heruntergewehte Blüten, es ist also glatt und ich denke an mein beim Snowboarden ramponiertes Steißbein. Also tipple ich die nächsten 1,2 km hinunter, bei der es tatsächlich fast 200 Höhenmeter hinab geht. Das strengt an und war irgendwie nicht geplant. Zur Belohnung gibt es reichlich Verpflegung an der Grenzwiese, nette Stimmung, ich gönne mir ein Schmalzbrot und laufe weiter. Die nächsten knapp 15 Kilometer laufen sich locker dahin, es geht nicht sehr steil bergauf und die Gedanken fliegen mit mir auf dem Rennsteig um die Wette. Es macht Spaß, der Körper ist noch fit, auch noch, beim „Die Hälfte ist geschafft-Schild“ nach 37,5 Kilometern. Ich finde das nicht schlimm, die ganze Strecke jetzt nochmal zu laufen, es ist einfach schön hier oben und das Tempo tut nicht weh. Nur mit den Kilometern merke ich eines zusehns: Wenn ich an den Anstiegen vom Laufschritt in`s Gehen verfalle, beschleicht mich ein leichter Schwindel. Das macht mir ein wenig Sorgen und als dann ein Mitläufer an einem doch recht steilen Anstieg posaunt: Leute, spart euch hier Eure Kraft, der richtige Berg kommt noch...., wirft mich das etwas aus der Bahn. Was für Kraft soll ich sparen? Ich habe gerade soviel davon, daß ich glaube, ins Ziel zu kommen, wenn es so immer weiter geht. Aber sparen? Ich hab nix mehr zum Sparen. Oh Gott, so ein Scheiß, selten stell ich mir die Frage, warum... aber nun taucht sie doch auf. Vor einigen Kilometern ging mein 17. Marathon zu Ende, da war alles noch ok, aber da hat ja keiner was von Kraft sparen gesagt. So`n Scheiß, ok, ok, ich steig aus, ich hab mich überschätzt, bis zum Grenzadler bei km55 noch, und dann steig ich aus. Mann, das ist hart. Und mir ist ständig schwindlig und überhaupt, schon so weit gelaufen und noch überhaupt kein Ziel in Sicht.... Soll ich jetzt heulen, soll ich nicht? „Eisenhüttenstadt grüßt Kobbeln“ tönt es auf einmal links neben mir und ich schaue den Läufer an, aus dessen Mund diese Worte kamen. Ich begreife nicht gleich, er kennt mich, sagt er, ist manchmal auch bei den Stadtmeisterschaften dabei. Wie ist das schön, ich freu mich, diesen Unbekannten und mit ihm ein Stück Heimat zu treffen. Ich vergesse meine Zweifel, während wir ein wenig plaudern. An der nächsten Getränkestand fällt mir die Cola ins Auge und ich kombiniere: Cola=Koffein=gut für den Kreislauf. Also pfeif ich mir zum ersten Mal während eines Wettkampfes Cola hinein und spüre auch die Wirkung. Mein Begleiter aus der Heimat möchte sich mehr Zeit lassen an den Ständen. Ich schnappe mir noch ein Schmalzbrot und verschwinde. Nun geht es wieder etwas besser. Als ich mich jedoch nach einem langen, steilen Anstieg nicht so recht motivieren kann, wieder anzulaufen, tippt mich ein Läufer am Arm und sagt: „Los komm“ Und es war, als würde er einen Schalter in mir betätigen, und ich nehme seinen Schritt an, wir laufen gleichmäßig nebeneinander her, wechseln kein Wort, an schmalen Stellen läßt er mir den Vortitt... bis er auf einmal stehenbleibt. Ich blicke in sein schmerzverzerrtes Gesicht: Er hat einen Krampf. Ich gebe ihm eines von meinen Magnesiumtütchen, gehe ein Stück mit ihm, bis es wieder geht. Immer noch reden wir kaum, und auch wenn wir niemals allein auf der Strecke sind, wir bilden eine verschworene Gemeinschaft.
Als er Grenzadler und das 55 km-Schild erscheint, habe ich nicht den leisesten Gedanken an einen Ausstieg. Mein Partner schickt mich nach der Verpflegung voraus. „Lauf nur, es kommt ja bald wieder ein Berg“ Ich habe ihn nie wieder gesehen, ich konnte ihm nicht einmal danken. Und das hätte ich so gern getan. Am nächsten Berg darf ich nun meine Musik hören. Das hatte ich mir so vorgenommen, für die letzten 20 Kilometer. Auch wenn ich die nächsten 5 noch verhalten laufen wollte, Die Musik gibt Kraft. Es läuft und ich überhole fast nur noch, spüre kaum den Schmerz im Schienbein, laufe einfach, denke an nichts und an alles und nehme von nun an alle Berge im Laufschritt. Worauf noch Rücksicht nehmen, nur noch 18, 15, 13 Kilometer, als sich plötzlich auf der rechten Seite eine Aussicht auf Suhl, meinem geliebten Suhl auftut. Hier habe ich eine glückliche Jugendzeit verbracht, hier liegen auch meine Eltern begraben. Und ich bleibe ehrfuchtsvoll stehen, schaue dort ins Tal, bekomme eine Gänsehaut und spüre die Nähe meiner Eltern. Ich bin ihnen auf einmal so nah, daß es mir einen Kloß in den Hals treibt. Morgen komme ich Euch besuchen.
Keine 10 Kilometer mehr, es geht viel bergab jetzt, und ich laufe und träume vom Zieleinlauf. Mit jedem Zuschauer im Wald, mit jedem, der Beifall und Respekt äußert, und mit jedem Schritt, den ich mache, wächst der Stolz über das Erreichte. Ich fühle mich unglaublich stark, bedanke mich bei jedem, der klatscht oder „super“ ruft und ernte für dieses „Dankeschön“ meist ein verblüfftes, aber herzliches Lachen. Die Tränen, die aus dem Herzen nach Oben wollen, bleiben in der zugeschnürten Kehle stecken, stolz und stark laufe ich dem Ziel, dem schönsten der Welt, Schmiedefeld, entgegen.
Es ist geschafft, in 8:33:54 und auf 73 Kilometern habe ich ein ganzes Leben erlebt. Ich wurde geboren am Start, mußte mich bremsen in den frühen Jahren, dann ging es steil bergab, irgendwann unspektakulär eben geradeaus. Schlechte Zeiten, wieder aufgerappelt durch die Hilfe von anderen und durch den eigenen Glauben. Und am Ende bleibt stolz und die Gewissheit, die mir heute bei Kilometer 55 aus dem MP3-Player dröhnte:
„Ich geh meine eigenen Wege,
welcome to this One Man Show!
Ich geb mir die Sporen, sonst bin ich verloren,
volles Risiko.“
Nachwort:welcome to this One Man Show!
Ich geb mir die Sporen, sonst bin ich verloren,
volles Risiko.“
Eines möchte ich nicht vorenthalten:
Als ich am Abend bei der Party auf Schrambo treffe und wir über den Lauf philosophieren, bringt er es auf den Punkt: „Das Gefühl, wenn der Geist den Körper verlässt“ – Das ist Ultralaufen. Und da gibt es nichts hinzuzufügen.
Ein paar Bilder gibts hier: KLICK
Einen schönen Sommer 2008