Banner

Das Höchste der Gefühle? Nebelhorn-Berglauf 2011

Das Höchste der Gefühle? Nebelhorn-Berglauf 2011

1
Mein Tag beginnt in Ober…. Nein nicht Oberstdorf sondern Oberreute wo ich Quartier bezogen habe. Beide Orte haben ein paar Gemeinsamkeiten. Sie sind im Grenzgebiet zu Österreich und von Bergen umgeben. Aber die Oberstdorfer Berge haben ein paar Höhenlinien mehr und gehören deshalb logischerweise zum Oberallgäu. Dorthin geht es nun also, eine gute Autostunde von meiner Schlafstatt entfernt. In der Oberstdorfer Region befindet sich der südlichste bewohnte Fleck Deutschlands, der sich völlig unpassend, Einödsbach :hihi: nennt. Meine Frau, die in jungen Jahren einige Zeit in dem einzigen Haus dort, ausgezehrten „Talnausträpplern“ Kalorienbomben servieren durfte, fand die idyllische Lage weniger prickelnd. :P

Speziell für die vorgenannte Spezies wurden ein paar Seilbahnen in die Berge gehängt, die auch von den verwandten Vereinsmitgliedern der „Bergnuffgucker“ gerne in Anspruch genommen werden. So gibt es auch eine am Hausberg von Oberstdorf, dem Nebelhorn. Sie trägt den ganz bescheidenen Namenszusatz „Das Höchste“. Das es etliche Masochisten gibt, die der Meinung sind das eine Bergbahn nur was für verweichlichte „Rolltreppenabwärtsfahrer“ oder "MitdemAutoumdieEckeZigarettenholer" ist, wurde mir jäh bewusst als ich versehentlich die Liebeserklärung eines kraxelnden Extremsportlers im RunnersWorld-Forum anklickte.


Wohl bedingt durch seine regionale Verwurzelung, konnte dieser einer rationellen Bergbeförderung nichts abgewinnen und hat sich stattdessen freiwillig kräftezehrenden Leibesübungen mit Gruppenzwang unterworfen. Und das Aug in Aug mit „hochalpinen Gefahren“ :D . Ich war fasziniert. Wie war es ihm möglich das Gesetz der Massenträgheit zu überwinden? Und den unkontrollierten Verlust von körpereigenen Flüssigkeiten mit entsprechende Nahrungsergänzung auszugleichen, vorzugsweise in Form der Zuführung flüssiger Glücksstoffe? :prost:

http://forum.runnersworld.de/forum/blog ... -lang.html

Man(n) muss ja nicht alles lesen was man(n) anklickt, aber es war schon zu spät. Mein Kontrolljunkie, der für die Einhaltung eines bequemen Komfortmodus im Wohlfühlprogramm zuständig ist, auch landläufig als mein Schweinehund bekannt, meldete Gefahr im Verzug. Aber die Alarmbereitschaft hatte versagt. Von dem Moment an hatte ich die Kontrolle über mein Dasein als "Bordsteinentlangjogger" und „Feldergemächlichumrunders“ verloren. Ich wollte wissen, warum sich Menschen freiwillig selbstkasteien und ihre begnadeten Körper mörderisch steile Berge, ohne Hilfsmittel, überwinden können. Ich wollte das Rätsel lösen wie es mir selbst gelingen konnte, das physikalischen Trägheitsprinzip und die Erdanziehungskraft auszutricksen um meine Wenigkeit da hochzuwuchten.

Der Weg ist das Ziel heißt es. Nur, das Ziel war noch in weiter Ferne als ich nach Immenstadt auf die Fernstraße Richtung Oberstdorf einbog. Jetzt meldete sich auch mein Wellnessbeauftragter, alias unmotivierter Schweinehund wieder. Meine Gedanken schickten ihm zur Beruhigung ein paar tröstende Zeilen von Kate Bush: "Running Up That Hill".
YouTube - ‪Kate Bush - Running Up That Hill - Official Music Video‬‏

Da mein Schweinehund einen schwäbischen Stammbaum besitzt stellte er sich erst mal taub. Nun gut ich kann auch anders. Nur zur Übung nicht zu Strafe werde ich dir das Ganze halt in Hochdeutsch einbläuen.


Es tut mir nicht weh,
Möchtest du fühlen, wie es sich anfühlt?
Möchtest du wissen, dass es mir nicht wehtut?
Möchtest du von dem Deal erfahren, den ich mache?
Du, du und ich
………..
Die Strasse hinauf rennen
Den Berg hinauf rennen…..
……wenn ich nur könnte….
Die Strasse hinauf rennen
Den Berg hinauf rennen…..
Ohne Probleme

Mein Kontrahent reagierte auf meine Zuversicht äußerst frostig. So war seine Stimmung mindestens so unterkühlt wie die Temperatur im Eisstadion, das wir nun erreichten. Schnell ging es zur Startnummernausgabe, wo es bereits die Finishershirts gab. Psychologisch ganz schlecht. Und dazu die Farbe. Schwarz! Weitere Assoziationen erspare ich meinem Unterbewusstsein lieber. Mit Blick aufs Eishockeytraining wird das Rennhäs gerichtet und anschließend der Rucksack mit den Wechselklamotten zur Talstation der Bergbahn gebracht. Hier treffe ich auch zwei meiner Leidensgenossen, die heute mein Schicksal teilen wollen.

Gemeinsam marschieren wir zum Start, der am anderen Ende von Oberstdorf ist. Es ist noch ruhig im autofreien Zentrum am Marktplatz. Von Rennfieber keine Spur. Dann tröpfeln die restlichen Wagemutigen aus dem RunnersWorld-Forum ein. Auch zwei aus dem www bekannte Läufer mit ihren Nike Free 0.0 (auch Barfußmodell genannt) sind am Start. Zwischenzeitlich sind auch Horst samt Frau eingetroffen, um uns heute als kompakte Fanmeile auf dem Weg nach oben zu begleiten. Vor lauter Mut zu sprechen und Bilder machen verpasse ich fast den Start. Und das wäre für mich ja eine nicht ganz unbekannte Erfahrung. :peinlich: :klatsch: Um 9.15 Uhr werden wir endlich losgeschickt um das „Höchste der Gefühle zu erlangen?“ Und der Weg dorthin ist ganz einfach: 10 Kilometer, 1400 Höhenmeter, Hochrennen!!! :tocktock:

Schon als Kind habe ich gemeutert wenn meine Eltern mich auf einen Berg schleifen wollten auf denn man schwerelos per Bergbahn gelangen kann. :motz: Aber zunächst mal führt der Weg noch sanft die Dorfstraße hoch, zurück in Richtung Eisstadion. Gero hat sich bereits aus dem Staub gemacht, nur Niko ist noch in meiner Nähe. Durch die stürmische Begrüßung zweier nicht zueinander gehörenden Beine bekommt Tina unfreiwillig Körperkontakt zu Oberstdorfs Hauptstraße. Zum Glück ist der ohne Kollateralschaden geblieben. Ich war derweil schon etwas entfernt vom „Treffpunkt“ und da es für Sie weitergehen konnte, beschloss ich in meinem Tempo weiterzulaufen. Luft zum nebenher reden wird heut eh anderweitig gebraucht. :zwinker2:

Nach überschreiten der Stillach erreichen wir den Einstieg, zum Aufstieg auf den noch nicht sichtbaren Nebelhorngipfel. Die Serpentinen hoch zum Skispringerzentrum, der Erdinger :geil: Arena, können unter abgehärteten Bergläufern noch als moderat bezeichnet werden. Aber die Einlaufphase endet abrupt nach knapp 1,7 km. Spätestens jetzt wird klar, dass das ganze heute etwas mehr Körperbeherrschung und Ausdauer erfordert als eine Wattwanderung in der norddeutschen Tiefebene. :D So ganz unvorbereitet kommt der heutige Gewaltakt aber auch nicht. Seit Nikos Aufruf, es im nachzutun hat sich bei mir schon ein bisschen was getan. Zwei Bergläufe stehen zwischenzeitlich auf meinem Habenkonto. Steil waren die auch, aber insgesamt halt deutlich kürzer und weniger Höhenmeter. Da ich nicht weiß wie lange die Kräfte reichen werden, heißt es ab jetzt, Trimmtrab solange es geht.

Endlich nach knapp 4,5 km wird es etwas flacher und die Station Seealpe kommt in Sicht. Dort steht Horst mit seiner Frau und macht mir mit seinen Worten Mut. „Jetzt wird es dann erst richtig steil.“ :nene: Aber noch ist etwas Schonung für die Waden angesagt. Zwischen schaulustigen Kühen hindurch geht es weiter, bis nach ca. 1 km der Laufspass abrupt endet. Jetzt ist Schluss mit lustig, der Berg zeigt mir sein wahres Gesicht. Umrandet von Latschenkiefern versuche ich mich die Serpentinen hochzuschrauben. Naja, es ist eher ein stieres hochstampfen mit gesenktem Blick auf den mit Rollsplitt durchsetzten Asphalt. So sehe ich auch den elendigen Tazzelwurm, der sich aufwärts kämpfenden „Vor mir Laufenden“ nicht. Die meisten wandern schon, aber ich will noch nicht. Ich versuche krampfhaft so was Ähnliches wie Laufen hinzukriegen. Insider würden es eher als Feierabendjogging bezeichnen. Die echten Berglaufprofis nutzen derweil die Gelegenheit um mich Newbie im Kampfwanderschritt zu überholen. Oh je, wohin führt das noch. Früher oder später kriegt der Berg mich. Naja, wohl eher früher. An der nächsten Biegung siegt mein innerer „Gute Laune Manager“. Feierabend, ab jetzt hat die Animationsabteilung frei. Nun wird gelatscht, im Latschenhang.

Die nächste Versorgungstelle kommt für die angekratzte Psyche wie gerufen. Es gibt stark gesüßten Tee. Und der wirkt wie ein Zaubertrank und setzt neue Energie frei für den Weg zur Station Höfats, wo das Ziel steht. Was sich für mich leider als Fata Morgana entpuppt. Dies ist der Schlusspunkt für die Teilnehmer in der Wertung für die deutsche Berglaufmeisterschaft. Ich darf ganz hoch aufs Nebelhörnle. Aber da kann ich mich jetzt schlecht beklagen. Denn schließlich war ich zunächst furchtbar enttäuscht als auf der Internet-Homepage verkündet wurde das der Berglauf aufgrund der Meisterschaften verkürzt werden muss. Nach massiven Beschwerden und ausbleibenden Anmeldungen wurde der Kompromiss mit zwei getrennten Wertungen gewählt. Und da das Höchste nun mal ganz oben endet, war es für mich klar wohin ich will.

Also so schnell es geht weiter. Respektive so schnell es eben geht, weil eben, nicht eben. :confused: Der asphaltierte Fahrweg endet endlich um einen naturbelassenen Bergweg Platz zu machen. Dafür bleibt sich der Neigungswinkel treu. Frech guckt die Bergstation vom Fels auf mich herab, während ich versuche meinen Waden Beine zu machen und den talwärts drängenden Oberkörper über Steinplatten und Holzstufen zu hieven. Für den tollen Ausblick ins Tal habe ich gerade überhaupt keine Sinnesreize übrig. Stetig wie ein Flusslauf mäandern die Läufer vor mir den Berg hoch. Serpentine um Serpentine keuche ich weiter und obwohl beide Oberschenkel von oben Druck bekommen erkenne ich keinen nennenswerten Fortschritt in der Fortbewegung. Unwirklich grüßt in weiter Ferne immer noch die Bergstation. Mir scheint als würde Sie hämisch dabei grinsen.

Die letzte steile Rampe hat es in sich. Gemeinerweise steht an deren Ende ein Fotograf, der auf sein Opfer lauert. Selbst ein gequältes Lächeln kann ich mir nicht mehr abringen. Egal, jetzt geht’s es nach rechts auf den leicht abschüssigen Zieleinlauf. Also nochmals anlaufen und die Arme hochreißen Es ist geschafft. Oben. Nicht nur wegen der nun spürbaren Kälte stehe ich zitternd auf einer Sonnenterasse, die ihren Namen gerade in keinster Weise verdient und irre anschließend umher auf der Suche nach der Zielverpflegung. Die fällt allerdings mit dem Angebot, Tee satt, mehr als spartanisch aus. Denn will ich jetzt nicht mehr :nene: . Schnell den Rucksack, aus dem Chaos das im Maschinenraum der Nebelhornbahn gerade herrscht, herausgefischt und ein Plätze in der Meute gesucht um trockene und wärmende Sachen anzuziehen. Es grenzt an ein Wunder, dass ich dabei immer die richtigen Kleidungstücke erwischt habe. Naja, den von einer Dame nach dem Anziehen vermissten Sport-BH gebe ich gerne diskret zurück. :peinlich: So richtig warm ist es mir noch immer nicht. Kein Wunder bei den eisigen Temperaturen auf 2200m Höhe. Aber ein Weißbier und deftige Hausmannskost müssen jetzt sein. Die Bergsicht ist unbeschreiblich und belohnt für alles. Hier oben im Gipfelglück ist die Mühe vergessen und die Sinne sind berauscht. Oder trägt das Bier in Verbindung mit der dünnen Höhenluft zu diesem Umstand bei? Herrscht bei mir bereits Blutarmut an den entscheidenden Stellen? :confused:

Bevor der schauklige Abstieg mit der Gondel beginnt spielt mir meine Ratio mal wieder einen Streich und gaukelt mir vor das heute wäre nur eine pillepalle Einstiegstour für Genusswanderer und Gipfelzähler gewesen. Mein persönlicher „Weicheiversteher“ fühlt sich mittlerweile auch mächtig verschaukelt und brummelt was von typisches Bergsteigerlatein eines großstadtgeplagten Freizeitaktivisten, der sein widernatürliches Verhalten damit zu legitimieren versucht in dem er sich der Wahnvorstellung hingibt soeben das „Höchste der Gefühle“ erreicht zu haben.
Mir doch egal, ich habe fertig und ab heute gilt:

Aint no mountain high enough.
YouTube - ‪Ain't no mountain high enough by Sister Act 2‬‏

Na dann. Andere Länder haben ja auch schöne Berge.
Das „Höchste“ ist noch lange nicht erreicht. :teufel:

https://picasaweb.google.com/1166740396 ... irectlink#
13.04. 12h Lauf Grüntal 53,55k
14.04. LIWA-Mara 04:56:44
27.04. Tri-speck 69 km 1100 hm
28.04. Ditzinger Lebenslauf
05.05. Trolli-Mara
11.05. Albtraum 115 k 3000 hm
06.07. Heuchelbergtrail 50 k
28.07. Schönbuch Trophy 47, k 1300 hm
17.08. 100 M Berlin

2
Danke für den (wie immer) kurzweiligen Bericht, Klaus :daumen:
Das Nebelhorn war für mich ein völlig neues Erlebnis. Jetzt darf ich mich wenigstens mit gutem gewissen "Bergläufer" nennen.

Gruß,
Gero

4
Hallo Herr schauläufer,

ein sehr schöner Bericht und sprachlich, wie immer, sehr fein ausgearbeitet. Da hat man das Gefühl, man wäre selbst dabei gewesen :zwinker2:

Danke!

Gruß
Gutenberg1964 :winken:

5
Gutenberg1964 hat geschrieben:Hallo Herr schauläufer,

ein sehr schöner Bericht und sprachlich, wie immer, sehr fein ausgearbeitet. Da hat man das Gefühl, man wäre selbst dabei gewesen :zwinker2:

Danke!

Gruß
Gutenberg1964 :winken:
:unterschreib: :nick: und

:danke: für den schönen Bericht!

Und genau das ist es, weshalb ich es doch nicht missen mag, dabei gewesen zu sein. :hallo: Diese lustigen Geplänkel hier (virtuell) und vor Ort (in Echtzeit) vor und danach, das war :bounce: :hurra: :daumen:

Es grüßen ganz herzlich die bergspringschleichende Füchsin :winken: und Ihr bergspringschleichender Dachs

6
Sehr schöner Bericht mit schönen Bildern.
Da wird man ja gleich wieder übermütig :motz:
Viele Grüsse, Marianne

7
Gutenberg1964 hat geschrieben:Hallo Herr schauläufer,

ein sehr schöner Bericht und sprachlich, wie immer, sehr fein ausgearbeitet. Da hat man das Gefühl, man wäre selbst dabei gewesen :zwinker2:

Danke!

Gruß
Gutenberg1964 :winken:
Da kann ich mich nur anschließen. Dankeschön!!
Gesperrt

Zurück zu „Foren-Archiv“