Aber eins nach dem anderen:
Vorspiel
Da ich bei Sandys Frühstücksschrätt auch mitgemischt habe, fange ich bei dem meinigen an. In Gedenken an meine lockeren ‚ich vertrag’ so ziemlich alles’ – Sprüche, pfiff ich mir gegen 7.00 Uhr morgens ein Laugenbrötchen mit Schinken und Käse (ja – doppelt belegt, klar) rein, zwei Honigzwiebäcke hinterher, einen großen Pott Kaffee und Glas Holunder-Apfelessig-Plörre vom ALDI.
Die Zwischenschritte der "Herzallerliebsten-aus-dem-Bett-schmeiß-Aktion" (du hast selber gesagt, dass du mitfährst …), die über einstündige Anfahrt nach Augsburg mit Gefluche: „Was isn das fürn Scheißplan bei der Ausschreibung, das stimmt ja überhaupt nicht …!“ erspare ich dem geneigten Leser.
Gegen 9.15 Uhr stellten wir das Auto ab, ich holte mir meine Startnummer – die hübsche 343 – und stellte fluchend fest, dass ich meine Uhr zu Hause vergessen hatte. Was ein Mist! Nein, keine Puls- oder edle Stoppuhr, kein technisches Meisterwerk – einfach nur meine ganz normale Armbanduhr hätte ich heute wirklich gerne dabeigehabt. Das hat frau davon, wenn sie ständig zeitlos durchs Leben rast und auf die wichtigen Handgriffe des erfolgreichen Lebens nicht eingeschworen ist. Auch mein Herzbube war heute zeitlos unterwegs, also ausnahmsweise keine Hilfe.
Noch etwas unwirsch vor mich hinfluchend sah ich plötzlich die unübersehbare Gestalt des einfachen Marcus stehen, steuerte auf ihn zu und brummelte ihm – quasi direkt im Anschluß an das handgeschüttelte: „Hi Marcus, ich bin die Lizzy“ … mein noch in mir brodelndes Uhrenleid in die Ohren (ich bin nicht immer wirklich höflich und wohlerzogen, das gebe ich zu). Und was tat Marcus, der einfache, dem ich ‚forensisch’ mehrfach ein bisschen ans Bein gepinkelt hatte? Jawohl – er zog lässig und ohne mit der Wimper zu zucken seine Uhr vom Arm „Ich lauf’ heut nicht – brauch’ sie also nicht“ und überließ dieser wildfremden alten Stänkerlizzy seinen Zeitmesser. Ich habs einfach angenommen und schicke an dieser Stelle das drölfte und allerherzlichste DANKE!

Drama in zwei Akten
Sehr aufgeregt war ich nicht – eher nur ein bisschen aufgedreht – als endlich der Startschuß fiel und ich im hinteren Feld mit den letzten der über 500 köpfigen Läufertruppe bei strahlendem Sonnenschein und daher in kurzer Hose und mit kurzärmligem T-Shirt lostrabte. Eigentlich rechnete ich damit, zumindest in der ersten Stunde von Problemen verschont zu bleiben. Das war bei den kürzeren vorherigen Läufen so gewesen, das ist bei allen Trainingsläufen so … warum sollte es heute anders sein?
Umso ärgerlicher wurde ich, als mir schon während der ersten zwei Kilometer ein Schmerz in bzw. auf den Fuß kroch, den ich bis dato niemals irgendwo gespürt hatte. Kein wirklich rasender Schmerz – aber groß und stark genug, um Sorgen zu bereiten, wie das die nächsten 20 Kilometer weitergehen würde. Die Lockerheit war also schnell dahin. Der Schmerz blieb latent und schwächer werdend im Fuß vorhanden und breitete sich ca. bei KM 3 in die Wade aus. Bei KM 4 ziepte dann das Knie – zusätzlich, versteht sich. Außerdem kam ein Hauch von Seitenstechen dazu. Ich habe NIEMALS Seitenstechen!
Zu diesem Zeitpunkt fing ich an, meinen Wehwehchen und dem Schmerz als solchem den Stinkefinger zu zeigen. Überlegte mir, dass der buddhistische und sanfte Weg momentan der richtige sein könnte: der sanfte und widerstandslose Weg, einem Gegner entgegenzutreten. Mein Dämon und Feind war in diesem Fall der Schmerz, der sich mich für diesen Tag scheinbar als günstiges Opfer ausersehen hatte und nun schon zumindest 4 KM lang meine Energie forderte. Klar – mir war andererseits auch bewußt, dass ich tempomäßig eher schneller unterwegs war als in meinen Trainingsläufen. Eigentlich irgendwie schneller als jemals zuvor.
Daran seid sowieso IHR Foris schuld! JAWOHL! Denn:
Irgendwie war es mir diesmal nicht wirklich möglich, von allen anderen unabhängig einfach nur mein Ding zu machen. Mir spukten Zeiten (aus den Foren natürlich) im Kopf rum. Berichte (aus dem Forum natürlich), wie man in Wettkämpfen Gas geben kann. Ich dachte an diesen zu schreibenden Bericht hier und dass ich doch auch ein bisschen was vorzeigen können will … son bisschen Angeberei eben …

„Krieger erringen Siege nicht, indem sie den Kopf gegen die Mauer stoßen, sondern indem sie Mauern überwinden. Krieger springen über Mauern, sie reißen sie nicht nieder.“
C.Castaneda
So war ich bei KM 5 schon mit sanften Weisheiten beschäftigt und es fing tatsächlich an, runder zu laufen. So konnte ich Ingo (? du heißt doch Ingo – der mit dem Fahrrad, von dem ich den Nick in LA peinlicherweise überhaupt nicht weiß …) auch schon relativ locker in den Fotoapparat lächeln (sah doch nicht etwa verzerrt aus, oder?). Die nächsten KM waren philosophisch angehaucht und läuferisch okay. Der Schmerz hatte mich vermutlich als uninteressanten Gegner erkannt und war auf ein spannenderes Opfer übergesprungen. Als mir bei KM 10 ein Streckenposten engegenschleuderte: „58:?? Minuten“ kam ich wieder zu mir und war fassungslos. 10 Kilometer unter einer Stunde. War ich jetzt gänzlich irre? Vor allem kam gleich erst das Ende der ersten Runde, ich stellte fest, dass ich doch schon ziemlich platt war und die Vorstellung, jetzt nochmal das gleiche durchlaufen zu müssen, war purer Horror. Für meinen Liebsten und auch für den an der Wegkehre ausharrenden Marcus zwängte ich mir aber fluggs ein Strahlen ins Gesicht – auf hochroter Birne, die nicht nur der Anstrengung zu verdanken ist, sondern der Sonne. Sie ist immer noch rot, die Birne!.
Und Vorhang auf für den zweiten Akt:
Die ersten KM waren psychologisch wieder etwas kritisch. Doch Buddha sei Dank konnte ich meine Betrachtungsweise ins Positive steuern, indem ich mir erfolgreich sagte, dass es ja ab jetzt immer weniger würde. Quasi der erste Teil streckenmäßig bergauf ging und jetzt nur noch – immer einen Kilometer abstreichend – bergab zu laufen wäre. Das funktionierte von km zu km auch immer besser, bei der Verpflegungsstelle kippte ich mir einen Tee in den Mund und einen Becher Wasser über Arme und Gesicht. Erst anschließend fragte ich mich, ob Marcus’ Uhr wohl wasserfest ist …? Insgesamt kam mir die zweite Runde zwar anstrengender, aber kürzer vor. Die markanten Punkte wußte ich schon und konnte regelrecht abhaken und mir dann immer sagen: „.. und gleich müßte das große gelbe Haus kommen …“ … und dann kams auch schon …

Irgendwann zeigte mir ein Blick auf Marcus’ Uhr, dass ich tatsächlich das anfängliche Tempo weiter gehalten hatte. Wahrhaftig überfiel mich sekundenlang ein Anflug von Ärger: „Wenn du noch ein BISSCHEN schneller gelaufen wärst, hätteste ja fast unter 2 Stunden bleiben können“



Auf meiner Urkunde steht, dass ich die 21,1 km in sage und schreibe 2:06:18 Std. gelaufen bin. Ich bin stolz. Ich bin glücklich. Laufen ist toll.
Epilog:
Es geht mir schon wieder ziemlich gut, allerdings besteht die Möglichkeit, dass ich morgen Probleme mit Treppen bekommen könnte. Mein Gesicht ist gerötet. Vor Stolz und Sonne.
Laufen war fast von Anfang an toll. Es ist es auch immer noch. Aber seit ich mich auch hier in den Foren ausbreiten und gleichzeitig dazu meinem unbändigen Mitteilungsdrang frönen darf – seitdem isses der Gipfel.
Marcus – möchtest du die Bilder (und weehäää, du nimmst die falschen!) einstellen oder soll ich selber?